Vera Lengsfeld / 14.05.2007 / 09:09 / 0 / Seite ausdrucken

Das Menetekel in Bremen

Die Bremer haben gewählt, aber die wichtigste Botschaft dieser Wahl wird von den Öffentlich-Rechtlichen in ihren „Wahlanalysen“ nicht zur Kenntnis genommen. Das x-te Mal in Folge gab es die niedrigste Beteiligung an einer Landtagswahl in einem Bundesland Nur noch 57,5% der Wahlberechtigten bemühten sich noch an die Wahlurne. Wenn die Wahlabstinenz sich so weiterentwickelt, werden bald weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre stimme abgeben. Dieser brisante Trend spielte beim großen Wahlpalaver gestern Abend keine Rolle. Im Gegenteil. Im „Wahlstudio“ gab es kaum Hinweise auf die Wahlbeteiligung. In den veröffentlichten Statistiken wird sie nicht erwähnt. Auch die ZDF-Homepage verschweigt diese brisante Zahl. Gelernten DDR-Bürgern ist diese Methode in schlechtester Erinnerung. Auch das DDR-Regime reagierte auf unliebsame Tatbestände, indem sie sie verschwieg. Glücklicherweise haben sich die Zeiten geändert und dank Internet findet man beim Bremischen Wahlleiter schließlich, was man sucht. Aber eine Analyse,was die wachsende Wahlabstinenz für unsere Demokratie bedeutet, habe ich heute morgen unter den Kommentaren zur Wahl in Bremen nicht gefunden.
Bei einem Mehrheitswahlrecht ist die Anzahl der Urnengänger egal, denn das Ergebnis wird durch eine hohe oder niedrige Wahlbeteiligung kaum beeinflusst Anders beim Verhältniswahlrecht. Hier werden mit sinkender Wahlbeteiligung radikale Gruppen begünstigt, die ihre Anhängerschaft mobilisieren können. Bei einer normalen Wahlbeteiligung Wäre die Linke schwerlich in die Bremische Bürgerschaft eingezogen. Je geringer die Wahlbeteiligung, desto größer ist die Möglichkeit für Splitterparteien, in das Parlament einzuziehen. Wer sich davon einen Zuwachs an Demokratie erhofft, täuscht sich. Die Regierungsbildung wird erschwert. Weil immer mehr Partner eingebunden werden müssen, wird der Aktionsradius der Regierung immer geringer. Das Erpressungspotential der kleinen Partner steigt. Kleine radikale Minderheiten haben die Möglichkeit, Vorhaben, die im Interesse der Mehrheit sind, zu blockieren und ihre eigenen Interessen gegen die Mehrheit durchzusetzen.
Bemerkenswert ist vor allem der Prozeß der Erosion der Volksparteien. Geht man die Zahl der Wahlberechtigten aus, so kommt die Sozialdemokratie in ihrem Stammland gerade noch auf 18%. Mit Volkspartei hat das nichts mehr zu tun. Die CDU erreicht trotz all ihrer Bemühungen, „städtischer“ und „moderner“ zu werden,  gerade einmal 13%. Nimmt man die Grünen mit 8% dazu, haben die potentiellen Regierungsparteien gemeinsam gerade mal 39% der Wahlberechtigten hinter sich. Selbst wenn man noch FDP mit 2,5und Linke mit 4% dazurechnet, vertreten die Parteien in der Bremischen Bürgerschaft mit 45,5% weniger als die Hälfte der Wählerschaft.
Erstaunlicherweise hat keine Partei bisher eine Strategie gegen diesen Trend entwickelt. Dabei ist das gar nicht so schwer. Ein Blick in unser Nachbarland Frankreich zeigt, dass man durchaus Wähler mobilisieren kann, wenn man ihnen wirkliche Alternativen anbietet.
Allerdings ist die Deutsche Parteienlandschaft von wirklichen Alternativen Lichtjahre entfernt. Solange die Parteien darauf vertrauen können, dass die Medien diesen Zustand verschleiern helfen, wird sich daran nichts ändern.

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