Jesko Matthes / 10.09.2022 / 12:00 / Foto: Tim Maxeiner / 25 / Seite ausdrucken

Das Menetekel der Instabilität

Die Größe des Verlusts macht sich fest an der Größe des Wohlwollens und der Verantwortung, die jene trugen, die von uns gegangen sind, denn nun sind wir es, die in vorderster Linie stehen. Ausreden gelten nicht mehr.

Das Menetekel der Instabilität ist es nicht, wenn die Königin stirbt; es ist es auch noch nicht, wenn ein Kinderbuchautor Wirtschaftsminister wird. Es ist es schon eher, wenn er öffentlich kundtut, beispielsweise das Bäckerhandwerk zu verachten und eine Geschäftsaufgabe wegen der Unfähigkeit, noch wirtschaftlich zu produzieren, für etwas Besseres hält als eine Insolvenz; eine Verachtung und Dummheit, die andere in siebzig Jahren ihrer Regierungszeit sich nie zuschulden kommen ließen. Andere kommen zu Ehren; solche Schulden aber werden teuer bezahlt, nicht vom Schuldner allein.

Als Arzt kenne ich die Zeichen der Instabilität. Dem Organismus – vulgo: Menschen – geht es schlecht, aber der Zustand ändert sich stündlich. Er wird manchmal plötzlich besser. So sprach Friedrich der Große: „La montagne est passée: nous irons mieux“ (Wir sind über den Berg: uns wird es besser gehen). Wenig später starb er, in seinem Sessel auf Schloss Sanssouci, im Beisein seiner Hunde und seines Kammerdieners.

So auch rief mich meine eigene Mutter von der Intensivstation aus an, ich solle sie besuchen, fast schon in der Nacht; denn es ginge ihr so viel besser. Ich fuhr sofort hin, und wir sprachen angeregt über alles Mögliche, auch darüber, dass Joachim Gauck Bundespräsident werden solle. Mutter war nicht begeistert, aber immerhin nickte sie. Ich versprach, sie am nächsten Tag auf der Normalstation zu besuchen. Noch in der Nacht kam der Einbruch, und drei Tage später war sie tot; es war unser letztes Gespräch, vor gut zehn Jahren.

Die Größe des Verlusts macht sich fest an der Größe des Wohlwollens und der Verantwortung, die jene trugen, die von uns gegangen sind, denn nun sind wir es, die in vorderster Linie stehen. Ausreden gelten nicht mehr.

Vorzeichen eines politischen Scheiterns

Der Tod ist das letzte Scheitern, für den Rest der Welt nicht das Ende, zuweilen nur eine Randnotiz. Wenn aber Menschen von uns gehen, die Jahrzehnte des Wohlwollens, der Treue und Liebe ihrer Sache, sei es eine Familie oder ein Land, geschenkt haben mit jeder Faser ihrer Existenz, so ist das ein tiefer Einschnitt, ein Zeichen großer Verantwortung auch für die Nachwelt, die wir sind und bleiben, so lange wir leben. 

Darum bin ich Konservativer. Ich komme nicht aus dem Nichts. Ich kann nicht alles besser machen, was andere vor mir gut gemacht haben. Ich kann es nicht durch Phrasen ersetzen, schon gar nicht durch Ideologien, in denen ich die Wirklichkeit zwingen will, sich mir anzupassen. Nur das Bessere ist der Feind des Guten. Das unbegründete Besserwisserische ist sein eigener Feind. Das Funktionale und Stabile bleibt der Feind des Dysfunktionalen und Instabilen. Der Sieg des Dysfunktionalen und Instabilen ist möglich; dieses Land hat ihn mehrfach durchlitten; er ist ein Akt von bestürzender Zerstörung, ebenso wie einer von historischer Dummheit und Lächerlichkeit.

Das Tragische der Lächerlichkeit preiszugeben, kann nötig sein. Es ist vernünftig, solange es früh genug geschieht.

Ich mache es kurz, denn auch mir kann das Lachen vergehen; bitter ist es jetzt schon: Ich wünschte, auch jene, die uns regieren, begriffen, dass sie es sind, die in vorderster Linie stehen, und sei es auch ein schwieriges Erbe, das sie angetreten haben; dass für sie Ausreden und vor allem glatte Unverfrorenheiten nicht gelten, nein, niemals, wenn sie sich gewillt zeigen, statt ihrer selbst Andere für sich frieren zu lassen.

Vor allem aber wünsche ich ihnen, den Regierenden, eines: dass auch sie die Zeichen der Instabilität erkennen, wenn sie selbst es sind, die abwechselnd ihre erhebliche Sorge und ihren durch nichts begründeten, gegen sich selbst weichen und gegen Andere schnodderigen Optimismus verbreiten; wenn sie gleichzeitig gegen Rechts kämpfen, die Heimat und ihr Wohlergehen verachten und zugleich den Zusammenhalt einer Nation beschwören, die ihnen nichts bedeutet. Diese Instabilitäten sind die Zeichen der Hilflosigkeit und die Vorzeichen eines politischen Scheiterns, das einige erstaunen und das dennoch kaum jemand betrauern wird – ich ganz gewiss nicht. Ich sehe es nicht gern, doch es kann nötig sein, denn es ist kein Verlust. Allerdings: Dieses Tal ist nicht durchschritten, uns wird es nicht besser gehen. 

Daran musste ich schon öfter denken, zuletzt beim Tode Elizabeths der Zweiten.

Foto: Tim Maxeiner

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Fred Burig / 10.09.2022

@Dirk Jungnickel:”... Dem Ideologen Habeck permanent seinen Kinderbuchversuch anzuhängen ist so als würde ich einem Meisterkoch vorwerfen, dass er mal Spiegeleier gebraten hat, was natürlich als Beispiel arg hinkt.” Das mit den Spiegeleiern muss je nicht schlecht sein, aber Habeck quasi mit einem “Meisterkoch” zu vergleichen, ist nun wirklich grotesk! Wenn sie schon bei ihrem Vergleich bleiben wollen, dann sollten sie die Fähigkeiten dieses ökofaschistischen Deutschlandhassers für ein “Wirtschaftsminister- Amt” auch entsprechend bewerten! Sie kämen nicht umhin, ihn zu blöd für’s Wasserkochen zu halten! MfG

Dietmar Herrmann / 10.09.2022

So unendlich weise Worte. In einem Land , in dem sich Zivilversager, die nichts gelernt und nie gearbeitet haben , zur Herrscherclique aufschwingen konnten .  Daß sie glauben , die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und die Leistungen von Generationen großer Geister, ja selbst die Naturgesetze beiseite wischen zu können , schlimm genug. Aber nachdem orientierungslose Wähler sie aus der 5%-Ecke an die Macht befördert haben, sind auch alle Skrupel gefallen. Im tiefsten Inneren sind sie überzeugt , daß man für die überwertige Idee auch morden darf, die großkotzigsten unter ihnen haben das schon geäußert, warten wir also noch auf den Versuch der Umsetzung. Und hoffentlich energischen, brachialen Widerstand.

Fred Burig / 10.09.2022

Sehr geehrter Herr Matthes, ihr Beitrag hat mich sehr beeindruckt! Er verdeutlicht, dass ehrenhaftes Verhalten und pflichtbewusste Hingabe für eine gute Sache nie aussterbende Tugenden darstellen. Nicht nur als Nachruf auf die englische Königin, welcher diese Tugenden ausnahmslos zuzuschreiben sind, sondern auch als Verhaltenskodex für künftige Verantwortungsträger - nach der Ära der ökofaschistischen Diktatur - ist die Botschaft ihres Artikels für mich von fundamentalem Charakter. MfG

S. Andersson / 10.09.2022

In Schweden sagt man: Das regelt sich! Auch meine Kinder sind so gross geworden… also wenn die mal wieder flausen im Kopf hatten… hab ich denen gesagt wie es geht …. die Entscheidung was sie dann gemacht haben lag bei ihnen. Bei unseren alimentierten Unwissenden sieht es ganz offensichtlich so aus das die den im Hintergrund agierenden den uneingeschränkten Gehorsam erweisen.  Ich wäre neugierig was denen dafür versprochen wurde. Es gibt leider keine andere einleuchtende Erklärung….. ich bin heute aber auch wieder ein Schussel… ist doch alles zum Wohl des Volkes…Oder. Eins dürfte jedoch klar sein… den Krieg den die gegen das eigene Volk führen, den werden die verlieren!

Dirk Jungnickel / 10.09.2022

Pardon, apropos 9 / 11 . Der 11. September ist ja erst morgen.

Harald Unger / 10.09.2022

“Der Sieg des Dysfunktionalen und Instabilen”, ist die zeitgeschichtliche Konstante und Sehnsucht des Bisherdeutschen. Nur wer uns garantiert, ein Fanatiker, Scharlatan & Soziopath zu sein, den/die verehren wir abgöttisch. - - - Nach 10-jähriger, sorgsamer politisch-mechanischer Vorbereitung seitens der gelernten DDR-Marxistin und Rita Süssmuth, wurde ab dem 04.09.‘15 (das Datum war situativ) die sich jetzt ihrem Ende zuneigende Phase des 4. Deutschen Totalzusammenbruchs der Zeitgeschichte, offen eingeleitet. Wie zuvor die ‘Energiewende’, als “ein Akt von bestürzender Zerstörung, ebenso wie einer von historischer Dummheit und Lächerlichkeit.” - - - Es wird der letzte Zusammenbruch seiner Art sein. Diesmal stehen nämlich keine Sieger aus dem gleichen Kulturraum bereit, zu übernehmen. Eine Etage höher, klopfen sie Charles Darwin anerkennend auf die Schulter, für die gute Show.

Frances Johnson / 10.09.2022

Sehr schön geschrieben. Gucken Sie mal das an über zwei woke Academics: “Royal expert slams ‘inappropriate and opportunistic’ comments by American professors who said they had ‘nothing but disdain’ for the Queen’s death and claimed her reign was ‘violent’, DM couk. Jeff Bezos hierzu: ‘This is someone supposedly working to make the world better? I don’t think so. Wow.’

Ernst-Fr. Siebert / 10.09.2022

Sie, der Autor, sind zu optimistisch, wobei Optimismus und Naivität nahe Verwandte sind, denn, wenn es nicht gewollt wäre, geschähe es nicht.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Jesko Matthes / 16.02.2024 / 11:00 / 39

Wie man eine potemkinsche Landesverteidigung aufbaut

Deutschland erreicht das Zwei-Prozent-Ziel der NATO auf wundersame Weise ganz von alleine, und Boris Pistorius ist ein Genie. Boris Pistorius sieht Deutschland als militärisch-„logistische Drehscheibe in…/ mehr

Jesko Matthes / 24.11.2023 / 16:00 / 52

EMA: Niemand hatte die Absicht, eine Massenimpfung zuzulassen

Die EMA gibt gegenüber EU-Parlamentariern zu, dass die Covid-Impfstoffe nicht für die epidemiologische Verwendung zugelassen wurden. Die Impfkampagnen hätten auf einem "Missverständnis" beruht. Impfzwänge und…/ mehr

Jesko Matthes / 15.11.2023 / 16:00 / 7

Auf zu den Sternen! – Der Kosmonaut Igor Wolk

Heute vor 35 Jahren startete zum ersten und letzten Mal „Buran“, das sowjetische Space Shuttle. Was dem Kosmonauten und Testpiloten Igor Wolk widerfuhr, hat bleibende…/ mehr

Jesko Matthes / 29.08.2023 / 10:00 / 17

Fabio De Masi gegen Olaf Scholz: Der Trank des Vergessens

Im Gedächtnis bleibt uns immer nur das Entscheidende. Das Unwichtige, wie ein paar Millionen oder Milliarden ergaunerte Steuergelder, vergessen wir im Angesicht des Schönen, wie…/ mehr

Jesko Matthes / 23.08.2023 / 09:30 / 30

Kurzkommentar: Arbeiterlieder sind jetzt rechts

Der Erfolg des US-Liedermachers Oliver Anthony macht den Linienpolizisten schwer zu schaffen. n-tv wirft Anthony sogar vor, er sei gar kein Arbeiter mehr, sondern Bauer.…/ mehr

Jesko Matthes / 25.07.2023 / 14:00 / 7

Hauptsache, die Brandmauer steht!

In Hintertupfenheim an der Wirra soll eine Brandmauer den Bürgermeister und seinen Möchtegern-Nachfolger vor politischen Zündlern schützen. Auch die Feuerwehr steht bereit. Doch dann wird…/ mehr

Jesko Matthes / 20.07.2023 / 13:00 / 37

Kurzkommentar: Einen Wodka-Söder, bitte!

Söder beruft sich wieder einmal auf seinen großen Vorgänger Franz Josef Strauß. Dabei kann man dem nun wirklich nicht nachsagen, die eigene Haltung nach Söder-Art immer wieder…/ mehr

Jesko Matthes / 13.07.2023 / 11:00 / 8

Milan Kundera, oder: Die Banalität des Guten

Mit dem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ wurde Milan Kundera weltberühmt. Nun ist der tschechisch-französische Schriftsteller im Alter von 94 Jahren gestorben. Irgendwann im Herbst 1988 saß ich…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com