Unter den deutschen Ministerpräsidenten gibt es den Typus “Urwucht” (Horst Seehofer), es gibt “Onkel” (Winfried Kretschmann), “Ingenieur” (Stanislaw Tillich), “Ei Gude” (Volker Bouffier), “Bademeister” (Bodo Ramelow) und “Lotse” (Olaf Scholz). Mit Armin Laschet wird nun ein völlig neuer Typus geprägt: der “Sanfte”.
Über Jahre hinweg haben Politexperten geraunt, Laschet sei zu nett, zu lieb, zu weich. Ein Softie, für höchste Ämter untauglich! Gerade in Zeiten, da das Kantige, Laute, Bissige, das Putin-Trump-Erdoganhafte zurückkehre auf große politische Bühnen, sei Laschets Freundlichkeit ein süßlicher Gruß von gestern. Nun wird ausgerechnet der kleine Sanfte zum Größten. Als Ministerpräsident des größten deutschen Bundeslandes übernimmt Laschet eine Hauptschaltstelle der Republik. Was noch zu Jahresbeginn niemand für möglich gehalten hätte, ist tatsächlich passiert – der Außenseiter hat mit seinen leisen Tönen alle überholt.
Dabei wirkte er neben der lauten Landesmutti Hannelore Kraft und dem coolen Macher Christian Lindner, zwischen kreischenden Grünen und keifenden AfDlern wie das leise Efeu zwischen rauschenden Bäumen. Die eigenen Parteifreunde drängten ihn flehentlich zu mehr Sichtbarkeit und Profil, vor allem müsse er sich von Angela Merkel und deren Flüchtlingspolitik klar distanzieren. Er müsse die angeschlagene Hannelore Kraft schärfer attackieren, er müsse dies, er müsse das.
Doch Laschet folgte seinem Kompass der Sanftheit und wollte nicht müssen. Er wollten lieber können und werden und lassen, bis sie ihn in der CDU schon als Gescheiterten wähnten und über Nachfolger an der Spitze der NRW-CDU räsonierten. Das Image des zu braven Politikers begleitete ihn über Jahre: Im Kabinett von Jürgen Rüttgers machte sich Laschet einen Namen als erster Integrationsminister Deutschlands. “Türken-Armin” riefen sie ihn damals – wegen seiner superverständigen Haltung und seinen ausgleichenden Ansichten in der Ausländerpolitik. Er ließ sich vor laufenden Kameras von einem türkischen Friseur die Haare schneiden und veröffentlichte ein Buch mit dem reichlich optimistischen Titel “Die Aufsteigerrepublik. Zuwanderung als Chance”. Das kam nicht bei allen in der Partei gut an.
Laschet weiß, was leiden heißt
Laschet verlor den innerparteilichen Machtkampf gegen Norbert Röttgen und wirkte nach dessen krachender Niederlage für viele trotzdem bloß wie eine Übergangs-Notlösung der NRW-CDU. Nicht einmal den Kampf um den Fraktionsvorsitz konnte er gegen Karl-Josef Laumann für sich entscheiden. Laschet ist Fan von Alemannia Aachen – er weiß also, was leiden heißt. Und zeitweise wirkte er selbst wie die fleischgewordene Alemannia der deutschen Politik. Doch viele unterschätzten Laschet, wie man einen angeschlagenen Traditionsverein und seine Beharrlichkeit auch unterschätzt. Denn er blieb sich vor allem treu und zeigte jede Menge Resilienz – als wollte er die Losung von Max Frisch leben: “Eine Krise kann ein produktiver Zustand sein. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.”
In seiner heiteren Verbindlichkeit verblüffte er alle, die sein Ende herbeiraunten. Wo andere verbissen lechzten und um Posten kämpften, blieb er fröhlich milde und machte einfach weiter. Nicht einmal im Wahlkampf hatte er ein Problem damit, seiner SPD-Rivalin freundlich zuzustimmen, wenn er mit ihr einer Meinung war. Laschet war schon authentisch, bevor das Wort in politische Mode kam.
Er, seine Familie, sein Naturell sind klassisch katholisch, “rheinisch-katholisch”, präzisiert Laschet gern. “Die christlichen Werte spielen in meinem Leben bis heute eine große Rolle, auch wenn ich manchmal mit der katholischen Kirche hadere.” Mit Laschet bekommt die CDU jedenfalls einen Politiker an die Spitze, der wie aus dem Einmachglas der Adenauer-Republik hervorgeholt wirkt: Bodenständig, zuversichtlich, verbindlich, bürgerlich – ein Gespräch mit ihm fühlt sich an wie ein Kännchen Kaffee auf den Rheinterrassen bei Abendsonne und man denkt jederzeit, dass nach der Sahnetorte auch ein Gläschen Wein noch Sinn haben könnte.
Seine gemütliche Konzilianz ist kein antrainierter Gestus, um Sympathien zu wecken oder weil man das im Assessment Center so gelernt hat oder weil man bei Chinesen abgeschaut hätte, dass der biegsame Bambus Stürme besser übersteht als starre Bäume. Seine Sanftheit ist schlicht sein Naturell. Er ist gegenüber Angela Merkel nicht loyal, weil ihm das nutzt, sondern weil er aus sich heraus loyal ist. Er achtet politische Gegner nicht, weil das respektvoll und sympathisch wirkt, sondern weil er sie einfach achtet. Selbst die “taz” betitelt ihn kurzerhand und beinahe enttäuscht als “Der Freundliche”.
Fundierte Kritik und geschmeidiger Humor
Seine wertkonservative Ligatur ist tief. Er stammt aus einer Aachener Bergmannsfamilie. Sein Vater arbeitete unter Tage, abends lernte er, wurde Lehrer und Schulleiter. Die Laschet-Jungs konnten studieren, Armin wählte Jura, katholische Studentenverbindung, erprobte sich im Journalismus und stürmte früh in die Politik. Er selbst hat drei erwachsene Kinder, mit seiner Frau Susanne ist er seit mehr als 30 Jahren verheiratet. Laschet kennt sich im Dom seiner Heimatstadt Aachen perfekt aus, jener Wiege der deutschen Europäer; der Dom Karls des Großen ist ihm als Symbol Herkunft und Zukunft zugleich. Ihn trägt eine lange identitäre Linie der Gewissheit. Und so ist Laschet als Aachener natürlich auch ein überzeugter Europäer, er steht für eine weltoffene, rheinische CDU.
Als noch niemand ernsthaft über schwarz-grüne Bündnisse nachdachte, gehörte er bereits zur “Pizza-Connection”, einem Gesprächskreis aus Bundestagsabgeordneten von CDU und Grünen. Er erkannte früh, dass NRW nicht über Polemik oder hartes Profil zu wenden war – sondern über fundierte Kritik und geschmeidigen Humor. Und so baute er sein Narrativ darauf, dass NRW im Gefühl der Bevölkerung weit unter Wert reagiert war und man das es einfach besser versuchen und dem Land seinen Stolz zurückgeben könne.
Tonangebend für den Wahlkampf wurde dabei sein Auftritt beim Landesparteitag ein Jahr vor der Wahl in Aachen: Er bestieg das Rednerpult schwer beladen mit drei Stößen Papier, so gewaltig, dass er sie kaum noch tragen konnte: “Das sind nur drei der Gesetze und Verordnungen, mit denen Rot-Grün unser Land blockiert”, rief der Oppositionsführer dem jubelnden Saal zu. Mit rheinischer Genüsslichkeit zitierte Laschet – das Spitzbübische ist Teil seiner Natur – dann aus der Landeskatzenverordnung: “Sofern Tiere versterben, ist das zu berücksichtigen, weil der Tod der größtmögliche Schaden des Tieres ist.”
Er weiß, dass er im Wahlkampf auch unverschämtes Glück hatte. Glück, weil der SPD-Schulz-Zug rechtzeitig vor seiner Wahl entgleiste; Glück, weil das Saarland und Schleswig-Holstein einen Dominoeffekt zugunsten der Union auslösten. Glück, weil die rot-grüne Regierung keinen Fettnapf ausließ. Glück, weil die FDP in ungewöhnlich starker Form und die Grünen in selten schwacher Formation auftraten. Glück, weil die Linkspartei auch noch ganz knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte.
Und so führt er nun – ausgerechnet in der sozialdemokratischen Herzkammer der Republik – die einzige schwarz-gelbe Regierung Deutschlands. Natürlich hat er damit die Kanzlerschaft Angela Merkels wahrscheinlich mit verlängert. Äußerlich ist sein Vertrauen in sie belohnt worden. Tatsächlich aber hat sein Vertrauen in sich selbst gewonnen, als habe jemand den ihm so vertrauten Satz der Bergpredigt wahr werden lassen: “Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Reich erben.”
Dieser Beitrag erschien zuerst in The European.