Da liegt es nun auf meinem Schreibtisch, Katrin Göring-Eckardts neuestes Werk „Ich entscheide mich für Mut“. Bevor Sie jetzt denken, ich hätte in letzter Zeit eine seltsame Leidenschaft zu Buchrezensionen entwickelt, muss ich Ihnen erklären, wie es zu dieser (unwillkommenen) Aufgabe kam.
Ich fand es geradezu verblüffend, dass viele unserer Politiker trotz ihres erwiesenermaßen vollen Tagesplanes neuerdings immer wieder die Zeit finden, ihre Gedanken zwischen zwei Buchdeckel zu pressen. Dabei fragte ich mich gerade angesichts eines Videos von Martin Schulz, der aus seinem neuen Buch „Was mir wichtig ist“ vorlas, ob er es an diesem Tag vielleicht zum ersten Mal gesehen hatte und somit wohl eher schreiben ließ, als dies selbst zu tun. Heiko Maas hatte für seine radikalen Ideen zumindest einen Coautor, mit dem er sich die zahlreichen Verrisse und hämischen Kommentare nun brüderlich teilen kann.
Aber was war mit dem Buch von Katrin Göring-Eckardt los? Ende Mai erschienen, bislang nur eine einzige Bewertung, die dem Buch allerdings hervorragende Eigenschaften bei der Reparatur eines kippelnden Tisches bescheinigte. Scheinbar will es niemand lesen, was ich angesichts der schillernden Person der Autorin und deren Weltbedeutung für die schrulligen Anhänger einer schrulligen Partei in ihrem kleinen Wahlkreis in Thüringen so gar nicht nachvollziehen konnte. Also, dachte ich mir, frag doch mal beim Verlag nach und drei Tage später lag das Buch tatsächlich vor mir. Damit hatte ich nicht gerechnet! Nun muss ich wohl das tun, was ich sicher nie vorhatte: es tatsächlich lesen und ein paar ehrliche Worte darüber verlieren.
Das positive zuerst: Dem Verlag, dem Layouter, der Druckerei und dem Buchbinder ist nichts vorzuwerfen. Hardcover, angenehmes, saugfähiges Volumenpapier aus „verantwortungsvollen Quellen“ (was sonst), angenehme Typo. Außerdem hat Göring-Eckardt, die laut Buch als Kind „Feuerwehrfrau oder Einhornspezialistin“ werden wollte (und letzteres bekanntlich ja auch wurde), es höchstwahrscheinlich wirklich selbst geschrieben. Der Stil, der sich irgendwo zwischen einem Schulaufsatz der Kategorie „Mein Ferientag“ und Kirchentagsvolontariat (ich bin soo aufgeregt) bewegt, taucht auch in jeder ihrer Reden und Interviews auf, im Buch ist allerdings das Lektorat spürbar. Danke dafür.
Am interessantesten ist noch der Teil, der Biografisches verrät. Denn die Autorin und ich haben tatsächlich einiges gemeinsam: Ich bin nur ein Jahr jünger, wuchs nur etwa 100km von Gotha entfernt auf und verlor meine Mutter etwa im selben Alter wie sie – nur nicht durch einen Autounfall, sondern durch DDR-Medizinpfusch. Allerdings bestand meine Familie aus stramm gläubigen Kommunisten, während der Vater Katrin Göring-Eckardts ein verkappter Nazi war, der sein Exemplar von „Mein Kampf“ zur Tarnung in das Zeitungspapier des „Neuen Deutschland“ einschlug. Aus der historischen Distanz betrachtet, lag er damit gar nicht mal so falsch. Spätestens jedoch nach dieser kleinen Beichte wird die Lektüre zur Bibelstunde: Die Kirche und Katrin – gestern, heute, morgen. Nichts liegt mir ferner, als mich über die religiösen Verstiegenheiten anderer Menschen wertend zu erheben – es sein denn, sie werden zur Bedrohung, weil sie sich der Gewalt zuwenden oder wie im Fall der Autorin zu „gestaltender Politik“ verklumpen! Und das ist hier der Fall, schließlich kandidiert Frau Göring-Eckardt nicht für ein Pfarramt, sondern als Spitzenkandidatin ihrer Partei für den Bundestag.
Zwischen der Familiengeschichte und einigen wenigen Seiten politischer Textbausteine am Ende liegen größtenteils Seiten bemühter Bibel-Exegese zwischen schreiend naiv und Größenwahn. Dieser Teil war besonders schwer zu lesen. Nicht, weil er inhaltlich so komplex und fordernd war, sondern weil die Sätze nur aus Worthülsen bestehen, die von Plattitüden und Selbstverständlichkeiten zusammengehalten werden, welche von den eingestreuten Nullaussagen einfach nicht aufzulockern sind. Am Ende vieler Sätze hatte ich oft schon deren Anfang vergessen. Kirchentagssprech gefolgt von Parteitagssprech, beides ist abseits von Predigt und Parteitag nur schwer erträglich.
Simplizissima Maxima Gothaensis
Religiöse Eiferer und Frömmler neigen dazu, auch alle privaten Regungen und Handlungen religiös zu determinieren und pauschal in Gut und Böse einzuteilen. Da wird das Streben nach Glück bei Göring-Eckardt schnell zu Egoismus erklärt und von dort ist es nur noch ein Halbsatz zum „Neoliberalismus“, der AfD und den Pforten der Hölle. Oder zu Tagträumen der Art „…die Regeln des ökonomischen Alltags [mal] ein bisschen außer Kraft zu setzten“. Und was im „freiwilligen Engagement“ möglich sei – warum sollte das vor der Wirtschaft haltmachen? Regeln? Ja bitte, aber mit Ermessensspielraum! Auch hat Katrin Göring-Eckardt ihre eigene Definition von „Integration“, mit der nicht nur Migrantinnen und Migranten so ihre Probleme hätten, sondern auch andere. Gemeint ist natürlich die Integration der schon länger hier Lebenden, die einfach nicht akzeptieren wollen, dass die Regeln, die sie selbst so mühsam aufgestellt hatten, von Kirchentagshelferinnen wie Katrin Göring-Eckardt lächelnd und „nach Ermessen“ außer Kraft gesetzt werden dürfen.
Wenn Göring-Eckardt sich mitreißen lässt und ihr Kirchentagsherz aufgeht, schreibt sie im eigenen Urteil Bedeutungsvolles nieder. Wer erinnert sich nicht an ihre Ode an den Zitronenfalter im Bundestag 2013 oder „Einmal in der Woche Spinat mit Ei“ in derselben Rede. In diesem kindlichen Erbe stehen im Buch Sätze wie „Wenn Rana als Kind syrischer Flüchtlinge ein Start-Up gründet und eine technische Revolution auf den Markt bringt“ oder „…wenn Kevin aus dem Wedding als erstes Kind seiner Familie studiert…“ das sind jedoch alles keine Dinge, die die Regierung oder gar die Grünen Rana und Kevin schenken. Im besten Fall stand die Regierung einfach nur nicht im Weg, Rana konnte der allgegenwärtigen Gängelung der Familie entfliehen und „Kevin“ ist eben doch nicht immer eine Diagnose, sondern manchmal auch eben nur ein Name.
Heute haben leider viele Politiker die Angewohnheit, von sich selbst das Bild eines Apoll zu zeichnen, durch dessen heldenhafte Taten die Sonne Tag für Tag gut von Ost nach West kommt. Und dabei ist noch Kraft übrig, das Böse abzuwehren, das auch Göring-Eckardt Tag für Tag wacker bekämpft. Sie selbst sagt, sie sehe dann ihren Vater, der sein Exemplar von „Mein Kampf“ im „Neuen Deutschland“ versteckte. Und deshalb bekämpft sie tapfer die Drachen der AfD, der Rechten, Rechtspopulisten und der Konservativen gleich mit, die alle den bösen Hitler wieder an die Macht bringen wollten. Das was heutzutage an faschistoider Ideologie in das „Neuen Deutschland eingewickelt“ wird, sieht sie leider nicht. Und sie tut dies natürlich alles im Namen der Toleranz! „Diejenigen, die keine Toleranz gegenüber Andersseienden verspüren, bekommen auch von mir keine.“ So enthält der Kosmos von Göring-Eckardt letztlich nur eine einzige Haltung, nämlich die der grenzenlosen Toleranz, die Intoleranz muss draußen bleiben. Eine geträumte ideale Gesellschaft, ein Organismus ohne Antikörper, den man gnädig der Evolution überlassen könnte, steckte man nicht selbst mitten drin.
„So ist die Integration des Islam in das bestehende Gefüge von Staat und Religionsgemeinschaften eine Herausforderung, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird.“ – Das ist er wieder, „der Islam“. In Göring-Eckardts „bestehendem Gefüge“ kommen die Bürger, gerade solche, die mit aller Religion nichts zu tun haben wollen, gar nicht vor. Staat und Religion, das sind ihre Kategorien und sie selbst ist gewissermaßen beides: Kirche und Staat. Was die Byzantiner nicht schafften, die Reiche der Franken, Staufer, Habsburger, all die Kaiser, Könige, Zaren und Imperatoren all die Demokratien und Despoten – das schafft der eilige Geist von Göring-Eckardt, auch wenn ihn das „einige Jahre“ beschäftigen wird. Nach „dem Islam“ sind übrigens Grippe, Fußpilz und Hepatitis A mit Integration dran. Fieber ist die neue gesellschaftliche Wärme, Juckreiz die neue sexuelle Freiheit und gelbäugig das neue „People of Color“.
Dieses Buch wurde zurecht missachtet und es dauert mich, es wegen einer schnöden Wette („Wetten, gerade DIR schickt der Verlag das Buch nicht …?“) aus dem Orkus des Vergessens gerissen zu haben. Es verkörpert wie kaum ein anderes die „Kunst“ der politischen Leerstelle, die fast unserem gesamten politischen Spitzenpersonal mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen ist und von der sie auch beim Bücherschreiben einfach nicht lassen können. Schon aus diesem Grund ist es hoffentlich das letzte Buch eines derzeit aktiven Politikers, dass ich jemals lesen muss. Ich glaube jedenfalls, solche Wetten gehe ich tatsächlich nie mehr ein.
Die Autorin meint ja, „Glaube ist nicht Besitz und Leistung, sondern Geschenk“ und mit Geschenken kennt sie sich bekanntermaßen aus. Jedoch ist die Einfalt ebenfalls eines. Geschenke kann man übrigens auch ablehnen. Sollte man öfter machen.
Katrins missglückte Aphorismen
Wer noch nicht genug hat, dem möchte ich hier einige Zitate in loser Reihung aus dem Buch zur Erbauung und Argumentationsgymnastik anbieten. Ich kann versprechen: in jedem steckt eine Enzyklopädie, ach was: ein Paralleluniversum! Also los, Satz kopieren und mit scharfem Messer wohlbegründet filetieren. Der beste Kommentar gewinnt das Buch – allerdings sind da jetzt jede Menge Anmerkungen und Käsekästchen drin. Viel Spaß!
„Ich will gern vieles wissen können, aber ich will nicht gewusst werden.“
„Unser alltägliches Verhalten bestätigt, dass die Macht von außen kommt.“
„Die Mittel der Kontrolle und Überwachung sind zugleich Mittel der Freiheit.“
„Macht und Schönheit der Digitalisierung kommen von unten.“
„Wir brauchen Regulierung bei den großen ökonomischen Playern.“
„Vielleicht geht es um so etwas wie Mülltrennung im Netz […] die durch Selbstverpflichtung und Überzeugungsarbeit funktionieren.“
„Was wir brauchen, ist eine säende Bürgerbewegung im Netz, für die Aneignung des digitalen Gemeinwohls und gegen die Kontrolle unseres Lebens durch bekannte Unbekannte.“
„Kirche muss politisch sein.“
„Werte wie Solidarität und Miteinander, Gerechtigkeit und Frieden sind nicht vom Staat allein generierbar“
„Sonne, Wind und Wasser können uns allen genug Energie liefern, ohne Zerstörung und Luftverschmutzung.“
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.