Thilo Sarrazin / 03.02.2024 / 06:15 / Foto: Achgut.com / 102 / Seite ausdrucken

Das Landhaus des Bösen

Nicht immer schärfere Töne gegen die AfD helfen der Demokratie, sondern mehr Erfolge bei dem Thema, das sie groß gemacht hat: Kontrolle der Grenzen und Verringerung des Zustroms an Asylbewerbern. 

Zu den moralischen Tiefpunkten deutscher Geschichte zählt die sogenannte Wannseekonferenz. In einer Villa am Großen Wannsee berieten am 20. Januar 1942 unter der Leitung des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich Spitzenbeamte der Reichsministerien über den organisatorischen Ablauf der Deportation der Juden im deutschen Machtbereich. Organisatorischer Vollstrecker war ein unscheinbarer Beamter aus dem Reichsinnenministerium namens Adolf Eichmann. Er leitete dort das Referat IV B 4 mit der Bezeichnung „Judenangelegenheiten, Räumungsangelegenheiten“. Hannah Arendt schrieb, als sie ihn 1961 vor Gericht in Jerusalem beobachtete, von der „Banalität des Bösen.“

82 Jahre später lud ein pensionierter Düsseldorfer Zahnarzt die von ihm gegründete „Düsseldorfer Runde“ zu einem Treffen in einem Landhotel am Lehnitzsee in Potsdam ein. Der österreichische Identitäre Martin Sellner hielt einen Vortrag zur „Remigration“ von unerwünschten Personen mit Migrationshintergrund. Vier AfD-Mitglieder, darunter eine Bundestagsabgeordnete und ein Landtagsabgeordneter, und vier CDU-Mitglieder waren auch zugegen. 

Das private Treffen wurde von der Correctiv gGmbH mit einem illegalen Lauschangriff abgehört. Auszüge daraus wurden sieben Wochen später veröffentlicht. Sie führten zu einem Mediensturm, obwohl sie nichts Neues oder gar Kriminelles enthielten. Nicht einmal Correctiv traute sich zu behaupten, dass Worte wie Deportation oder Vertreibung fielen. Sie tauchten lediglich in den Stellungnahmen „demokratischer“ Politiker auf. Die Ministerpräsidenten Söder und Wüst nannten die AfD erneut eine „Nazipartei“. Die Chancen für ein AfD-Verbot wurden hitzig diskutiert, und am 20./21. Januar nahmen 950.000 Menschen bundesweit an Demonstrationen „gegen rechts“ teil. Bundeskanzler und Bundespräsident begleiteten dies mit wohlwollenen Kommentaren.

Der große Andrang bei den Demonstrationen zeigte, dass die linke Mitte der Gesellschaft sich stark angesprochen fühlte. Dabei lässt sich nicht auseinanderhalten, was darin nachwirkende Scham über den von Deutschland verantworteten Holocaust war, und was sich aus dem Wunsch ergab, jetzt zu „den Guten“ zu gehören und die eigene überlegene Moral zu feiern.

Was ist denn, wenn es wie in den USA läuft?

Die politischen Folgen der durch die Correctiv-Aktion ausgelösten Empörungswelle mitsamt Massendemonstrationen bleiben unklar:

  • Werden die moderaten Mitglieder in der AfD dadurch gestärkt, und können sie mit Erfolg mehr Zurückhaltung am völkischen rechten Rand der Partei einfordern? Oder führt die pauschale Gesamtverurteilung durch den politischen Gegner als „Nazipartei“ zu mehr Trotz und einer Haltung des „jetzt erst recht“?
     
  • Werden die Bürger der politischen Mitte durch den Medienaufruhr und die Demonstrationen in ihrer Widerstandskraft gegen „rechte“ Politik aktiviert oder fühlen sich nur jene angesprochen, die sowieso unter keinen Umstände AfD gewählt hätten?
     
  • Werden die aktuellen und potenziellen Wähler der AfD verängstigt, abgeschreckt bzw. auf irgendeine Weise überzeugt oder sehen sie sich durch die Maßlosigkeit der Angriffe auf die AfD eher beleidigt, so dass sie aus Protest gerade die AfD wählen?
     
  • Hat die sehr einseitige und parteiergreifende Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das Vertrauen in dessen Objektivität gestärkt oder noch weiter beschädigt?

Meine Einschätzung ist: Nicht immer schärfere Töne im Kampf gegen die AfD retten das Prestige der parlamentarischen Demokratie in Deutschland, sondern allein mehr Erfolge bei dem Thema, das die AfD groß gemacht hat: wirksame Kontrolle der Grenzen und Verringerung des Zustroms an Asylbewerbern. Hier versagt die Ampelregierung genauso vollständig wie vorher die Große Koalition unter Angela Merkel. Und dieses Versagen kann man auch nicht kaschieren, indem man das Wort „Remigration“ mit einem moralischen Makel belegt und jeden mit der Nazikeule bedroht, der es in den Mund nimmt. Auch die neue Wagenknecht-Partei stellt sich einwanderungskritisch auf. Soll die auch in die Nazi-Ecke geschoben werden?

Was ist denn, wenn es wie in den USA läuft? Die Entwicklung dort hat doch gezeigt: Je intensiver die Demokratische Partei und ihre Unterstützer in den Medien vor der Person Trump warnen und je mehr sie sich dazu in herabsetzenden Superlativen verlieren, umso gleichgültiger scheint dies den potenziellen Wählern von Trump zu werden.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

 

Foto: Achgut.com

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Leserpost

netiquette:

Holger Büchert / 03.02.2024

@Fred Burig. Ich habe inzwischen genügend Interviews mit Chrupalla und Weidel gesehen, um mir ein gewisses Maß an Kritik meine erlauben zu können. Und zwar genau auf die Art und Weise, wie ich sie getätigt habe. Vieles gefällt mit an deren Aussagen, einiges aber auch nicht. Parteiprogramme sind übrigens sehr geduldig und nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Bestes Beispiel CDU.

stephan manus / 03.02.2024

Was ich an Sarrazin nicht verstehe. Er ist “radikaler” als AFD Programmatik aber distanziert sich irgendwie von der AFD. Da komme ich nicht mehr mit. Ist mir zu “hoch” bzw. schizo. Sorry.

Günter H. Probst / 03.02.2024

Das Dekonstruktionsprogramm der demokratischen Parteien läuft doch nicht nur bei der Masseneinwanderung ab, sondern ebenso bei Wirtschaft, Bildung, Sprache, Medien, gesellschaftlichen Zersetzungsvereinen usw. ab. Das gegenwärtige Ziel, Verbot der AfD u.a. , ist nur die Vorstufe zum Verbot jeglicher Opposition und die Verewigung der Dekonstruktionsparteien. Warum sollten sich die herrschenden Parteien mit solch schnöden Problemen wie Geldentwertung, Teuerung, Energiesicherheit, Erhalt der Wirtschaftsleistung,, Erhalt des Bildungsniveaus, Erhalt der Krankenversorgung, oder gar der Masseneinwanderung beschäftigen. Die Mehrheit der Wähler stimmt der Dekonstruktion doch zu.

Fred Burig / 03.02.2024

@Silas Loy:”...  Die allerdings in Nazimanier aufgehetzten und aufmarschierten fast eine Million Bürger:innen der “Demos gegen Rechts” geben dagegen ein schauriges Beispiel für “Schon wieder ist Jetzt”. .... Und deshalb wird sich auch die Regierung kein anderes Volk wünschen - denn solche Trottel bekommen sie so schnell nicht wieder! MfG

H.Altmeyer / 03.02.2024

Bei der CDU Potsdam wird jetzt angeregt, den Besitzer der besagten Villa aus der CDU-Gruppe Potsdam auszuschliessen….

Gabriele Klein / 03.02.2024

Finde man sollte mittlerweile gelernt haben dass die AFD eine wichtige Rolle in der AGITPROP spielt und mir scheint sie wird auch nur in soweit geduldet als sie sich zu dieser Rolle eignet. Gleiches sehe ich schon jetzt für alle regierungskritischen Parteien voraus und ich fürchte der neue Verfassungsschutz beginnt genau da wo die Eignung zur AGITPROP endigt. Mir scheint kein einziges Treffen regierungskritischer Parteien sicher vorm “Lauschangriff” Tja , da hilft nur eins, diesen überflüssig machen indem man sich selbst kreativ in die   AGITPROP Nummer miteinbringt. Z.B. durch die Einladung von Correctiv u. deutschem Fernsehen. Letzteres möglichst mit sämtlichen “Littles” für die man einen Laufstall u. Wickeltische vorher einrichten könnte. (1)  Das Empfangskommittee sollte entsprechend vielfältig sein.  Wer sich im Körper eines Juchtenkäfers oder einer Heuschrecke zu Hause fühlt sollte sich entsprechend den ankommenden Gästen vorstellen .Achtung: Quote nicht vergessen!!  nicht dass da an der Eingangstüre lauter Lurchis mit Sektglas stehn. Zu viele Feuersalamander fänd ich nicht gut,  die graue Maus gibts doch auch,  nebst Wachtel, Schwein u. Huhn sowie dem krähenden Hahn aufm Mist..(1) Siehe H. Broder fragen Sie Dr. Gniffke 21.10.2022

Georg Andreas Crivitz / 03.02.2024

In bestimmten Punkten, wie z. B. Energie, Wirtschaft, Migration, verfolgt die AfD andere Ziele als die Regierung und die CDU/CSU. Und genau das ist auch der Grund, warum sie so massiv bekämpft wird. Die Werte-Union wird mit Sicherheit genauso intensiv angegriffen werden wie die AfD und jede andere Partei, die in den genannten Punkten eine abweichende Politik anbietet. Es geht also in den »etablierten« Parteien nicht darum, evtl. eine andere Richtung einzuschlagen, um die Zustimmungswerte beim Wähler zu erhöhen, sondern in erster Linie darum, jede echte Opposition (im Sinne des Wortes) zu verhindern.

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