Die Trump-Löschung hat einer weiten Öffentlichkeit die Macht der IT-Oligarchen von der amerikanischen Westküste drastisch vor Augen geführt. Für diejenigen, die ihr Bann trifft, heißt das nicht nur politische Bedeutungslosigkeit durch Löschung und Sperre. Die Algorithmen entscheiden über den wirtschaftlichen Erfolg und können jederzeit verändert werden und ganze Geschäftsmodelle und damit Existenzen zerstören. Weite Teile der Ökonomie sind von der Gnade der Algorithmus-Programmierer abhängig. Donald Trump muss für seine grundlegende Entfernung finanziell entschädigt werden.
Wir brauchen keine neuen Gesetze. Tatsächlich haben nur die Kartellämter und Wettbewerbspolitiker geschlafen, während die Politik an den Gewinnen mit einer Digitalsteuer teilhaben wollte.
Meinungsfreiheit ist ein hart erkämpftes Bürgerrecht, für das heute noch Menschen ihr Leben lassen und eingesperrt werden. Sie garantiert das Recht auf Irrtum und sogar auf Lüge. Die Erfindung von „Hate Speech” und „Fake News” ist nichts anderes als der Versuch von Politikern, unliebsame Meinungen zu diskreditieren und mit Hilfe des Zensuralgorithmus, der die Löschungen ganz automatisch erledigt, verschwinden zu lassen. Davon träumt jeder Diktator.
Langsam schwant den Staatenlenkern, dass auch sie von der Macht der Social-Media-Betreiber abhängig sein könnten. Das macht sie hellhörig. Wer gestern Trump digital ausradierte, kann das mit Johnson, Merkel oder Macron tun. Oder mit Achgut.com. Oder mit mir.
Den Mafiapaten, Mörder und Erpresser Al Capone hat man mit dem Steuerrecht zur Strecke gebracht. Die Vermachtung des Silicon Valley kann man mit dem vorhandenen Kartellrecht weitgehend auflösen.
Neue Wahrheitsministerien?
An Amerikas Westküste residieren die Betreiber der Social Media. Sie wollen bestimmen, was wahr ist. Sie haben Trump einem virtuellen Impeachment unterzogen. Noch ist er amtierender und gewählter Präsident der USA. Kein Gericht hat ihn verurteilt, sein Vizepräsident und seine Regierung ihn nicht für unzurechnungsfähig erklärt. Und die Demokratische Partei strengt zwar ein entsprechendes Verfahren an; der Fall wird also mit juristisch unzweifelhaften Mitteln behandelt werden. Eine Selbstjustiz der Internet-Oligopolisten steht auf einem ganz anderen Blatt Papier und spielt den führenden Despotien, angefangen mit China, in die Hände.
Walter Eucken war der „Vater der sozialen Marktwirtschaft”. Im Zentrum seines Denkens stand der Wettbewerb, der faire Wettbewerb, um genau zu sein. Der Staat als Schiedsrichter sollte diesen ermöglichen, indem er dafür sorgte, dass niemand zu viel Macht über die anderen hat, um jemand anderen zu etwas zu zwingen, was der nicht will. Auch der Staat selber nicht. Das war der Motor der „sozialen Marktwirtschaft”.
Eucken prägte den Begriff der Vermachtung, die durch einfache negative Regeln verhindert werden soll. Es geht um Regeln und nicht um Regulierung. Er ist schon 1950 gestorben, deshalb dachte er an Kartelle schwerfälliger Industriekonglomerate, die mit enormen Investitionen Märkte über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beherrschen.
Marktbeherrschende Stellung
Das ist heute anders. Das erste IT-Unternehmen, das eine marktbeherrschende Stellung errang, war Microsoft mit seinem Disc Operating System (DOS). Microsoft gelang es, mit Windows und Office sein faktisches Software-Monopol durchzusetzen. Wenn Eigentümer und Gründer Bill Gates jemals nach der Weltherrschaft greifen wollte, zwischen 1980 und 2000 wäre der Zeitpunkt ideal gewesen.
Mit dem Internet verlor er diese Macht; die Liste der Unternehmen, die Microsoft den Rang abliefen, ist lang. Viele sind längst vergessen. CompuServe, America Online, Netscape, MySpace, StudiVz oder Yahoo existieren längst nicht mehr, sind aufgekauft, eingegangen oder in der Bedeutungslosigkeit versunken.
Heute besteht ein Oligopol, das im Wesentlichen vom Silicon Valley und der naheliegenden Universität Stanford beherrscht wird: Apple, Amazon, ebay, Google, Facebook, Instagram, Netflix, Microsoft, PayPal, twitter, YouTube oder WhatsApp haben weborientiert de facto in ihrem jeweiligen Segment eine marktbeherrschende Stellung.
Und die ist nicht, wie ursprünglich im IT-Bereich gang und gäbe, das Produkt einer technologischen Innovation, sondern kapitalgetrieben. Wer die eigene Marktmacht gefährdet, wird aufgekauft oder vom Markt ferngehalten. Der chinesische Anbieter TicToc soll aus fadenscheinigen Gründen vom US-Markt gedrängt werden, Facebook hat kurzerhand Instagram und WhatsApp gekauft, Google hat es mit YouTube nicht anders gemacht. Es steht also zu befürchten, dass die Unternehmen diese Strategie auch in Zukunft anwenden, um lästige Wettbewerber stillzulegen.
Das hat zwei Auswirkungen. Die ökonomischen sind offensichtlich: Die Unternehmen machen die Preise und können aus ihrer Marktbeherrschung Kapital schlagen. Für die zweite ist die Trump-Löschung exemplarisch. Über aktives Handeln und die Ausgestaltung des geheimen Algorithmus bestimmen diese Unternehmen die Inhalte, die die Nutzer zu sehen bekommen, ohne die Regeln oder Gründe zu kennen, nach denen eine solche Auswahl getroffen wird.
Das ist solange nicht zu beanstanden, solange diese Unternehmen eben nicht marktbeherrschend sind, die Kunden zwischen verschiedenen Angeboten wählen können und Meinungsvielfalt herrscht. Dem ist aber nicht so. Und das muss sich ändern.
Walter Eucken ist nicht nur der Vater der sozialen Marktwirtschaft, sondern auch der Begründer der modernen Wettbewerbspolitik und des zeitgemäßen Kartellrechts. Damit gilt es nicht nur, Instrumente, Unternehmenskäufe, Fusionen und Preisabsprachen zu verhindern. Sondern es macht es möglich, die Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen zu vereiteln und monopolartige Strukturen zu zerschlagen, um die Vermachtung zu beenden und den Wettbewerb wiederherzustellen.
Kartellämter haben die Entwicklung verschlafen
Es gab eine strategische Lücke, bis die Kartellämter dieser Welt die Entwicklung des Internet-Sektors begriffen haben. Es war zum Beispiel ein schwerer Fehler, dass das Bundeskartellamt 2010 den Kauf von ProSiebenSat1 durch Axel Springer untersagte. Grundlage der Fehlentscheidung war eine falsche Definition des „relevanten Marktes”. Der war in diesem Fall falsch und zu klein definiert. Springers Konkurrenten heißen eben längst nicht mehr nur Burda oder von Holtzbrinck, sondern RTL, Facebook und Netflix. Es geht um Inhalte und nicht um den Weg ihrer Verbreitung.
Wenn man allerdings wahrnimmt, wie träge die Integration der ehemaligen ProSiebenSat1-Tochter N24 vollzogen wird, kann man das gelassen sehen. Es scheint unwahrscheinlich, dass Springer aus einer Vernetzung der verschiedenen Angebote einen schlagkräftigen Content-Anbieter hätte formen können.
Mit den Anhörungen der großen IT-Oligarchen hat der US-Senat und -Kongress gezeigt, dass man aufgewacht ist. Bisher sieht man nicht nur die Jobmaschine Social Media, sondern auch eine ökonomische Gefahr. Und auch die EU-Kommission beginnt nachzudenken.
Eine marktbeherrschende Stellung an sich ist nicht verwerflich. Grund zum Handeln besteht aber, wenn sie ausgenutzt wird, also der Markteintritt möglicher Wettbewerber verhindert wird oder etwa überhöhte Preise verlangt oder Menschen oder Unternehmen diskriminiert werden.
Auch in Deutschland gibt es solche Unternehmen. Allen bekannt dürfte SAP sein, das Unternehmen, das beweist, dass die Digitalisierung hier schon angekommen war, als Peter Altmaier noch als EU-Beamter in Brüssel hospitierte. SAP dominiert den Markt für Unternehmenssoftware, mit der die Unternehmen ganze Fabriken und Fertigungsprozesse steuern. Nahezu 100 Prozent Marktanteil hat aber etwa der „Verlag für das Standesamtswesen”, der frühzeitig erkannte, dass in Zukunft mit dem Druck von Stammbüchern, Geburts- und Sterbeurkunden nicht mehr genug zu verdienen war. Seitdem begleitet uns seine Software von der Wiege bis zur Bahre. Auch die „Ehe für Alle“ durchläuft die Programme für das Personenstandswesen. Aber das Unternehmen arbeitet transparent und nimmt keine anderen Preise als die Software-Hersteller für Ordnungswidrigkeiten oder das Einwohnermeldewesen, bei denen es dank mehrerer Anbieter einen Wettbewerb gibt.
Ein paar praktische Vorschläge
Das ist im Silicon Valley anders. Und die dortigen Anbieter haben einfach zu viel Macht. Deshalb ist es Zeit, zu handeln. Moderne Wettbewerbspolitik ist Teil des Konzepts des Ordoliberalismus. Der setzt durch negative Regeln der Gesellschaft einen Handlungsrahmen, der die Vermachtung ihrer Struktur verhindert. Hier ein paar praktische Vorschläge:
1. Entflechtung von Alphabet und Facebook
Die Muttergesellschaft von Google und YouTube heißt Alphabet. Facebook hat Instagram und WhatsApp gekauft. EU und/oder die US-Kartellbehörde können anordnen, diese Strukturen zu zerschlagen und Alphabet und Facebook anweisen, die Beteiligungen zu verkaufen. Dies gilt für alle Organisationen und Unternehmen, die einem Marktanteil über 50 Prozent haben. Bei ihnen muss jede Beteiligung auf den Prüfstand.
2. Verbot von Fusionen und Unternehmenskäufen
Unternehmen, die in ihrem relevanten Markt eine annähernd marktbeherrschende Stellung haben, wird der Erwerb anderer Unternehmen oder von Anteilen untersagt. Das ist übrigens geltendes Recht. Google hätte nicht YouTube und Facebook nicht Instagram und WhatsApp kaufen dürfen.
3. Offenlegung der Algorithmen
Natürlich sind die Algorithmen der Firmen für den Erfolg so entscheidend wie das Coca-Cola-Rezept. Solange es aber kein digitales „Pepsi” gibt, muss ausgeschlossen werden, dass die Ausgestaltung der Algorithmen Wettbewerber diskriminiert oder Nutzer schädigt.
Auch muss klar sein, dass persönliche Auffassungen und politische Meinungen nicht dem Gutdünken der Firmen entsprechen, solange diese eine marktbeherrschende Stellung haben.
Die Algorithmen werden nicht veröffentlicht, sondern bei den Kartellbehörden hinterlegt. Im Streitfall kann man sich dort beschweren und die Kartellbehörden und die Gerichte können feststellen, ob der Algorithmus den Wettbewerb oder divergierende Ansichten diskriminiert. Beschwerden der Netzbetreiber haben keine aufschiebende Wirkung
4. Verbot von Sperren und Löschungen
Der Staat kann die Garantie der Meinungsfreiheit nicht auf die Betreiber sozialer Netzwerke verlagern. Facebook und Co. sind damit überfordert, wie es jeder Kneipenbetreiber wäre, der darauf achten soll, dass niemand am Stammtisch die Unwahrheit sagt. Was wahr und falsch ist, bleibt unbestimmt und kann nicht von den marktbeherrschenden Netzwerkbetreibern festgelegt werden. Schließlich sind Hate Speech und Fake-News nichts anderes als digitale Stammtischparolen. Ob sie strafrechtliche Kriterien erfüllen, darf nicht von Algorithmen und Call-Center-Mitarbeitern entschieden werden, sondern von ordentlichen Gerichten.
Die Inhalte und Persönlichkeitsrechte gehören den Nutzern. Die erworbenen Kontakte und „Freunde” sind von beiden Vertragsparteien gemeinsam gewonnen. Wird eine Person gesperrt oder ein Inhalt gelöscht, dann muss der Urheber materiell entschädigt werden.
Meinungsfreiheit gilt auch für Donald Trump. Wie für ihn das Recht auf Lüge und Irrtum gilt. Und dem darf und muss er auch Ausdruck geben dürfen. Wenn das Silicon-Valley-Establishment mit Parler ein Netzwerk stilllegt, ist auch vom Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung die Rede. Es geht nicht um Trumps Ansichten, sondern um die Frage, ob die sozialen Netzwerke ihre Macht ausnutzen dürfen, um ihre eigenen Überzeugungen durchzusetzen und andere zu diskriminieren.
Community-Regeln sind offen zu legen und ihnen kann widersprochen werden. In diesem Fall entscheidet die Kartellbehörde oder ordentliche Gerichte.
5. Kontrolle von Nutzungsverträgen
Zwischen den Nutzern dieser Angebote und den Betreibern solcher Angebote besteht ein Nutzungsvertrag. Der Betreiber stellt eine digitale Infrastruktur zur Verfügung, über die der Nutzer kommuniziert und Inhalte bereitstellt. Für die Leistung des Betreibers zahlt der Nutzer mit seinen Daten und Inhalten, die wiederum von anderen Nutzern wahrgenommen werden. Dadurch entsteht Reichweite, die den Betreiber in die Lage bringt, Werbeeinnahmen zu erzielen und die Infrastruktur zu finanzieren. Es gibt auch Angebote wie linkedin, Netflix oder Xing, die Zusatzangebote haben, für die der Nutzer bezahlt. Bestandteil dieses Vertrages muss der Algorithmus sein, mit dem der Betreiber sein Angebot steuert. Er muss diesen Algorithmus nicht offenlegen, weil das de facto sein Geschäftsgeheimnis ist. Aber er darf ihn nicht zum Nachteil des Nutzers verändern.
6. Herstellung politischer Neutralität
Die Social-Media-Betreiber dürfen keinen Einfluss auf die Inhalte ihrer Nutzer nehmen, solange sie eine marktbeherrschende Stellung haben. Ausnahmen sind natürlich das Strafrecht und auch die Grenzen der Meinungsfreiheit, wenn andere Menschen diskriminiert werden. Dies festzustellen, ist aber Aufgabe ordentlicher Gerichte und nicht der sozialen Netzwerke selbst.
Deshalb ist auch das Netzneutralitätsgesetz abzuschaffen, mit dem der Staat die hoheitliche Aufgabe der Gerichtsbarkeit privatisieren will.
Meinungsfreiheit als Wettbewerbsvorteil macht die Russen zum Gewinner
Mittlerweile ist „The Real Donald Trump” auch bei YouTube ausgelöscht, und das gehört zu Google. Und der weitgehend zensurfreie Twitter-Wettbewerber Parler wurde von den Amazon-Servern entfernt, die das „Web-Hosting” im Auftrag durchführten. Damit ist der Dienst, der bei den Trump-Anhängern hoch im Kurs stehen soll, vorerst nicht zu erreichen.
Das gilt auch für die Social-Media-Plattform Gab.com, die sich „Home of free Speech” nennt. Sie wurde binnen zwei Tagen von 1,1 Millionen neuen Usern förmlich überrannt. Das könnte langfristig auf die Nutzerzahlen, Werbeeinnahmen und Börsenkurse Einfluss haben. Der Twitters Kurs weist schon talwärts.
Aber auch die Zahl der monatlich aktiven TikTok-Nutzer ist weltweit von 180 Millionen im April auf 37 Mio. abgestürzt. Hier dürfte die Attacke Trumps auf den chinesischen Dienst seit dem Spätsommer ausschlaggebend sein (Quelle: DeStatis).
Der zweite Gewinner neben Gab scheint ausgerechnet Telegram zu sein, das zwei Russen gehört, aber nicht von dort betrieben wird. Dort werden nur Terror, Kinderpornografie und Immaterialgüterverletzungen nicht geduldet. So verdanken die Amerikaner die Meinungsfreiheit ein Stück weit ausgerechnet einer Firma mit Sitz in Putins Imperium.
Der Staat als Schiedsrichter
Der Wettbewerb in den sozialen Netzen ist vom Marketing beherrscht. Und Meinungsfreiheit scheint ein wichtiges Feature zu sein, auch wenn vielen – auch mir – manche Ansicht nicht schmeckt. Das oberlehrerhafte Gehabe der IT-Oligarchen könnte ihre marktbeherrschende Stellung gefährden. Auch wenn die sich natürlich hinter den staatlichen Eingriffen durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und vergleichbare Aktivitäten etwa der EU verstecken können. Trotzdem finden die meisten Nutzer es merkwürdig, sich durch “community standards” bevormunden zu lassen.
Meinungsfreiheit funktioniert auch am besten, wenn der Wettbewerb möglichst vieler Anbieter sozialer Netzwerke funktioniert. Dann werden auch irrige Auffassungen und merkwürdige Vorstellungen entlarvt. Ganz ohne Zensur-Algorithmus.
Der Staat ist nicht als Zensor gefragt, sondern als Schiedsrichter, der diesen Wettbewerb durch einfache negative Regeln – also Verbote – garantiert und nicht „regulierend” interveniert.