Reinhard Mohr, Gastautor / 30.10.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 58 / Seite ausdrucken

Das Kopftuch-Paradox

Auch in der global vernetzten social-media-Twitter-Echtzeit-Welt gibt es merkwürdige Ungleichzeitigkeiten. Während im Iran zehntausende Frauen die ihnen aufgezwungenen Kopftücher wegwerfen und verbrennen, um unter Lebensgefahr ihre Freiheit gegenüber der islamischen Despotie einzufordern, geht der muslimische Alltag in Kreuzberg wie in allen anderen deutschen Migrations-Kiezen zwischen Döner-Bude und Shisha-Bar seinen gewohnten – Wolf Biermann würde sagen: „sozialistischen“ – Gang. Von etwaigen Solidaritätskundgebungen mit den mutigen Rebellinnen und Glaubensschwestern ist schon gar nichts zu sehen.  

Es scheint, als gebe es überhaupt keinen inneren Zusammenhang zwischen der muslimischen Kopftuchträgerin auf der Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln und jenen Frauen in Teheran, die nun auch in der Öffentlichkeit ohne Hidschab herumlaufen – trotz brutaler „Sittenpolizei“ und den gefürchteten Basidsch-Milizen, die Allahs vorgeblichen Willen mit Schlagstöcken und Maschinenpistolen durchsetzen. 

Als alter weißer Mann ist man in der persönlichen Vor-Ort-Recherche, etwa einer spontanen Straßenumfrage in Berlin-Neukölln, naturgemäß eingeschränkt, und so bleibt erst einmal der bloße Augenschein: Etwa jene drei jungen Frauen in der S-Bahn von Wannsee nach Frohnau, die allesamt Kopftuch tragen, dafür auf die FFP2-Maske verzichten und sich angeregt und in perfektem Deutsch über ihre Prüfungen an der Uni unterhalten. 

Voltaire unter dem Kopftuch?

Zu gerne hätte man in diesem Augenblick gefragt, ob sie die dramatischen Ereignisse in Iran verfolgen, was sie von ihnen denken und ob diese Revolte gegen den religiösen Kopftuchzwang dort irgendetwas an ihrer eigenen Haltung zur pflichtgemäßen Bedeckung der weiblichen Haare hierzulande ändert. 

Möglicherweise war unter ihnen eine angehende Juristin, die in ein paar Jahren ihr Recht auf das Tragen des Hidschab im Gerichtssaal einklagen wird. Oder eine künftige Lehrerin, die vor der überwiegend muslimischen Schulklasse über die Errungenschaften der europäischen Aufklärung von Rousseau, Diderot und Voltaire doziert, während sie das gleiche strenge Kopftuch trägt, das ein fanatischer Reaktionär wie Ajatollah Chamenei den persischen Frauen gewaltsam auferlegt.  

In Neukölln und Spandau laufen zehnjährige Mädchen nach wie vor mit Hidschab herum, während Schülerinnen in Isfahan den abgelegten Schleier als Trophäe ihrer Freiheitseroberung in Händen halten; und so stellt sich die Frage, welche Botschaft es aussendet, wenn muslimische Eltern im säkularen Deutschland ihre Töchter schon vor der Pubertät wie Sexualobjekte behandeln – denn nichts anderes bedeutet diese Zwangsverhüllung von Kindern. Was wollen sie uns damit sagen? 

Schaut Ihr kein Fernsehen?

Auch sie könnte man fragen: Schaut Ihr kein Fernsehen? Kriegt Ihr nicht mit, was im Namen der gottgefälligen Reinheit des Islam in der Islamischen Republik passiert? Habt Ihr dazu keine Meinung? Und was bedeutet eigentlich Freiheit für Euch, nicht zuletzt die Freiheiten des Landes, in dem Ihr lebt, wenn Ihr seht, wie junge Musliminnen im Namen des Islam zu Tode geprügelt werden?

Oder grenzen solche naheliegenden Fragen schon wieder an jenen „antimuslimischen Rassismus“, mit dem jede Kritik am Islam reflexhaft abgewehrt wird? Allerdings kann dieser Vorwurf schon logisch nicht zutreffen, weil der Islam keine Rasse, sondern eine Religion ist. Scharfe Kritik an der katholischen Kirche bis zur polemischen Attacke ist dagegen jederzeit erlaubt, ja erwünscht. Sie gehört zum guten Ton des aufgeklärten Menschen.

Aber so genau wollen es weite Teile der deutschen Linken gar nicht wissen, etwa jene Partisanen des „Postkolonialismus“, die in Frankreich „Islamogauchistes“ heißen. In den ideologischen Schwaden der „Wokeness“-Welle und jener „Dritte-Welt-Solidarität“, die die Schuld für Konflikte und Fehlentwicklungen aller Art immer nur und ausschließlich beim Westen sieht, verschwindet der islamistische Staatsterror wie hinter einer Milchglaswand. China und Russland, die beiden aggressivsten Mächte der Gegenwart, sind in dieser manichäischen Weltsicht sowieso eine terra incognita (was sich angesichts von Putins Angriffskrieg ändern könnte). 

Das hat mit dem Islam nichts zu tun

Bei Terroranschlägen von Al-Qaida und „Islamischer Staat“ (sic!) schließlich heißt es wie das Amen in der Kirche: „Das hat mit dem Islam nichts zu tun.“ 

Lieber kritisiert die Islamo-Linke den „strukturellen Rassismus“ des Westens, wittert überall „Islamophobie“ und den „Sexismus“ des weißen Patriarchats. Über den allgegenwärtigen Sexismus des herrschenden Islam in weiten Teilen der Welt verliert man kein Wort. Auch die „feministische Außenpolitik“, von Amtschefin Annalena Baerbock programmatisch fest verankert, hat daran nichts geändert, wiewohl auch die deutschen Feministinnen in Sachen Iran bislang eher wenig von sich hören lassen. 

Wer dagegen, wie der Psychologe und Autor Ahmad Mansour, ein Buch mit dem Titel „Operation Allah – Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will“ vorlegt, wird schnurstracks in die rechte Ecke abgeschoben – oder ignoriert. 

Dabei wäre jetzt, angesichts des revolutionären Aufstands im Iran, die Chance groß wie nie für linke, grüne und sonst wie progressive Kräfte, ihr Verhältnis zum Islam, erst recht zum politischen, orthodox-reaktionären Islam vom Kopf auf die Füße zu stellen und der Realität ins Auge zu blicken: Freiheit und Demokratie verteidigen heißt, den radikalen Islam genauso konsequent zu bekämpfen wie den Rechtsextremismus.

Foto: Pixabay

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Sabine Schönfeld / 30.10.2022

Die Unfähigkeit, selbst eklatante Widersprüche zu erkennen, scheint mir ein Grundproblem der jüngeren Erwachsenengenerationen zu sein. Dass sie mit dem freiwillig getragenen Kopftuch der Liberalität unserer Gesellschaft eine Ohrfeige verpassen und gleichzeitig üble totalitäre Systeme unterstützen, das verstehen die im Text erwähnten Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Die Freiheit der Frauen in unserer Gesellschaft ist leider nicht selbstverständlich, sondern hart erkämpft gegen genau solche totalitären und frauenfeindlichen Denksysteme, wie sie der Islam auch darstellt. Nimmt man in deutschen Schulen die Geschichte der Sufragetten durch? Unter wie vielen Leiden und Entbehrungen sie für das Wahlrecht stritten? Sicherlich hat man diesen jungen Frauen in deutschen Schulen nicht gelehrt, wie lange und mühsam man Stück für Stück, Gesetz für Gesetz die Gleichberechtigung der Frau in der deutschen Gesellschaft wie in allen westlichen Gesellschaften erkämpfte. Das Kopftuch ist also nicht nur ein Hohn gegenüber der Liberalität unserer Gesellschaft, sondern auch eine Beleidigung der freiheitlich denkenden und lebenden westlichen Frauen. Es ist ein Affront. Für uns und für all die Frauen in muslimischen und anderen patriarchalen Gesellschaften der Erde, die für ihre Gleichberechtigung kämpfen. Und es sind die europäischen Schulen und Hochschulen, die genau das vermitteln müssten und sich nicht beugen dürften. Wofür ist Samuel Paty gestorben? Man hat ihn dafür ermordet, dass er für 2000 Jahre europäische Geistesgeschichte einstand. Die Erkenntnis, dass Freiheit immer wieder erkämpft werden muss, schwindet leider in unserer Gesellschaft. Freiheit bedeutet nicht das Recht auf ein Mobiltelefon. Freiheit heißt, dass man auf seine eigene Weise leben darf, solange man andere damit nicht beeinträchtigt. Und jegliche Ideologie, die diese Grundfreiheit einschränken möchte, ist eine akute Bedrohung unserer Zivilisation. Die Freiheit und die Demokratie sind wehrhaft!

Silas Loy / 30.10.2022

“China und Russland, die beiden aggressivsten Mächte der Gegenwart” ? Wie kommt der Autor auf diesen Unsinn? Das ist ja reinste NATO-Propaganda. Wenn die sich militärisch-aussenpolitisch überhaupt hervortun, dann als Reaktion auf eine aggressive Herausforderung. Das unterscheidet sie vom sinistren Harikiri-Deutschland, dem man seine vitalen Energieinteressen einfach mal eben so wegsprengen kann, und es geschieht -auch europäisch- nichts.

S. Malm / 30.10.2022

“Linke Lügner lügen laufend lauter linke Lügen” hat es mal geheißen: Das gilt auch für Islamo-Linke. Dabei belügen sie vor allem sich selbst. Das erlogene Weltbild muß ja unter allen Umständen gegen die Wirklichkeit abgeschirmt werden, also werden die Lügen immer dümmer und dreister und kollidieren immer härter mit der Realität. Wenn ihre Lügen nicht Menschen ins Unglück stürzen oder gar ihr Leben beenden helfen würden, man könnte glatt Mitleid mit ihnen haben. So aber finde ich ihr Verhalten einfach nur widerlich!

K. Nerweiß / 30.10.2022

,,Glaubensschwestern”? Bei Allah, Herr Mohr, warum sollen denn sunnitische Kopftuchträgerinnen in Kreuzberg für ihre religiösen Feinde, die kopftuch- und gottlosen Schiitinnen im Iran, Solidarität zeigen? Als würde sich angesichts des Zölibats der Geist von Protestanten und Orthodoxen nicht von dem katholischer Priester scheiden, obwohl sie doch alle Christen sind. Ein bisschen ahnungslos ist das schon.

Peter Gentner / 30.10.2022

“Freiheit und Demokratie verteidigen heißt, den radikalen Islam genauso konsequent zu bekämpfen wie den Rechtsextremismus….” Richtig!..... und den LINKSEXTREMISMUS nicht vergessen! Ob Kommunist, oder Nazi, beide sind von Grund auf antidemokratisch und zu bekämpfen.

Gunther Laudahn / 30.10.2022

Gottseidank hat sich das Thema “Die Linke” in Deutschland bald erledigt. Die CDU/CSU, FDP und SPD gibt es nur noch wegen der Rentner. Die zukünftige Frontlinie ist bei den Erstwählern, besonders im Osten, klar zu erkennen.  Es wird heißen: Grüne vs. AfD. Und ich freu mich drauf.

Kurt Schrader / 30.10.2022

Heute schafft Deutschland seine erste Revolution ohne Bahnsteigkarte….. …. ballaballa ins woke Wunderland…. … und diesmal sind alle sind dabei…. gesundes Volksempfinden halt ……..

Zdenek Wagner / 30.10.2022

In meiner wilden Zeit, Mitte der 80er, zog ich mit meinem Kumpel, einem nun wirklich integrierten Türken, um die Häuser. Auf dem Weg nach Haus amüsierten wir uns immer köstlich darüber, wenn wir türkische Mädchen, ebenfalls auf dem Heimweg, an der Kreuzung stehend, dabei beobachten konnten, wie sie in Eile ihre Kopftücher anlegten, falls Papa beim Hineinschleichen ins Haus wach werden sollte. Ein seltener Anblick - im Gegensatz zu Heute! Es gibt in Berlin geschätzt 10 x mehr Kopftuchmädchen als damals.  So viel zu der viel beschworenen Reformationsfähigkeit des Islams (Korchide & Co.) die man uns immer so gerne verkaufen möchte. In Wahrheit wird der Islam immer brutaler, blutiger und rückständiger! Und was die perfekt deutsch sprechende Muslima mit einem Einser-Abitur anbelangt; für mich ein besonders widerwärtiges Beispiel von Ignoranz und Heuchelei.

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