In der ganzen Welt werden neue kleine Reaktoren gebaut – nur nicht in Deutschland. Sie sind teilweise transportabel und können in Serie günstiger gebaut werden. Hier ein Überblick.
Das Angebot an Reaktoren bis etwa 300 Megawatt elektrische Leistung ist sehr unübersichtlich geworden. Nach der IAEA (International Atomic Energy Agency) waren im Oktober 2024 68 SMR in der Entwicklung, vier im Bau und vier in Betrieb. In Deutschland berichtet der Mainstream kaum darüber und wenn, in der Tendenz negativ: irgendwo zwischen Science Fiktion und „wird nicht gebraucht“. Ganz anders im Rest der Welt. Dort findet eine bemerkenswerte Aufholjagd statt.
Bisher sind schon vier Reaktoren in Betrieb: zwei in Russland und zwei in China. Dies hat in den USA einen gewissen Sputnik-Schock ausgelöst. Man fürchtet, ausgerechnet von diesen beiden Mächten aus dem Weltmarkt verdrängt zu werden.
Pevek in Russland
Seit Mai 2020 versorgt die Akademik Lomonossow die Stadt Pevek in Sibirien mit Strom und Wärme. Sie besteht aus einer Barge, auf der zwei Druckwasserreaktoren vom Typ KLT-40S mit zusammen 70 MWel installiert sind. Die Barge wurde auf einer Werft komplett fertiggestellt und anschließend betriebsbereit zum Einsatzort geschleppt. Das ist auch gerade für den Export ein pfiffiges Konzept. Man kann später die Barge auch wieder abschleppen, um sie an einem anderen Ort einzusetzen, sie generalüberholen oder entsorgen. Man kann mit diesem Konzept quasi Strom und Wärme zur Miete in Küstenregionen anbieten. Langfristig ist durch eine Serienfertigung auf Werften eine erhebliche Kostensenkung zu erwarten.
Shidaowan in China
Seit Dezember 2023 sind dort zwei Hochtemperaturreaktoren als Kugelhaufenreaktor (ursprünglich eine deutsche Erfindung) in Betrieb. Sie wirken auf eine gemeinsame Dampfturbine mit 211 MWel. Als Kühlmittel für die Reaktoren wird Helium mit einer maximalen Betriebstemperatur von 750 °C verwendet. Ob das ein wirtschaftliches Konzept zur Stromerzeugung ist, erscheint fraglich. Jeder Reaktor hat eine Höhe von 25 Metern und wiegt 700 Tonnen. Er hat also eine extrem geringe Leistungsdichte. Eher scheint ein Einsatz als Wärmequelle hoher Temperatur in der Verfahrenstechnik möglich.
Zárate in Argentinien
Seit 2014 ist der CAREM-25 (Spanish: Central Argentina de Elementos Modulares), ein integrierter Leichtwasserreaktor mit 25 MWel in Bau. Geplanter Netzanschluss 2028. Es handelt sich um eine argentinische Eigenentwicklung.
Changjiang in China
Seit 2021 ist der ACP100 (Linglong One), ein integrierter Druckwasserreaktor mit 125 MWel in Bau. Geplante Fertigstellung ist 2026. Es handelt sich um einen Prototyp, der elektrische Energie und Meerwasserentsalzung für abgelegene Regionen bereitstellen soll.
Seversk in Russland
Seit 2021 ist im Siberian Chemical Combine (SCC) in Seversk eine Demonstrationsanlage im Bau. Sie besteht aus Wiederaufbereitung, Herstellung von Brennelementen und einem bleigekühlten Reaktor mit 300 MWel. Es ist der weltweit erste Prototyp eines Kraftwerks, in dem der Brennstoff im Kreislauf geführt wird: Es werden nur Spaltprodukte als Abfall zur Entsorgung ausgelagert und lediglich der gespaltene Brennstoff durch abgereichertes Uran ersetzt. Geplante Fertigstellung ist 2026.
Oak Ridge in USA
Seit Juni 2024 befindet sich der Demonstrationsreaktor „Hermes“ des Unternehmens „Kairos“ im Bau. Bei diesem Typ handelt es sich um einen Kugelhaufenreaktor, der aber nicht mit Gas, sondern einer Salzschmelze gekühlt wird. Die Eintrittstemperatur beträgt 550 °C und die Austrittstemperatur 650 °C. Ein Temperaturbereich, der dem unmittelbaren Ersatz von Kohlekraftwerken entspricht. Bemerkenswert ist die Entwicklungsschiene: Bau einer nicht nuklearen Versuchsanlage, Bau eines Versuchsreaktors (Hermes Reduced-Scale Test Reactor mit 35 MWth) ohne Stromproduktion und Bau eines „Kraftwerks“ (Hermes 2) mit zwei Blöcken, die auf eine gemeinsame Turbine wirken. Mit dem Bau soll 2025 begonnen werden, geplante Fertigstellung 2027. Eine elfjährige Versuchsperiode zur Weiterentwicklung des Konzepts ist vorgesehen. Die Baureihe KP-HFR (Kairos Power’s fluoride salt-cooled high temperature reactor) ist der erste Nicht-Leichtwasserreaktor, der seit 50 Jahren in der USA eine Zulassung erhalten hat.
Die nahe Zukunft
Kanada hat mehrere SMR verschiedener Bauarten in der Genehmigung. Am weitesten fortgeschritten ist ein Siedewasserreaktor der „zehnten Generation“ mit einer elektrischen Leistung von 300 MWel. Der Energieversorger Ontario Power Generation hat GE Vernova Inc. beauftragt, vier Reaktoren vom Typ BWRX-300 am Standort Darlingten in der Nähe von Toronto zu errichten. Die Baustelleneinrichtung ist bereits erfolgt. Baubeginn soll noch 2025 erfolgen (sofern die letzten erforderlichen Genehmigungen vorliegen). Fertigstellung bis 2033. Parallel laufen die Genehmigungsverfahren in USA und GB. Es gibt bereits konkrete Planungen für eine kleine, internationale Serie.
In den USA bereitet X-Energy aus Maryland seinen Typ XE-100 vor. Es handelt sich um einen gasgekühlten Hochtemperaturreaktor mit 76 MWel Leistung. Der erste Reaktor soll bei der Union Carbide Corporation Seadrift Operations manufacturing site in Texas gebaut werden. Es handelt sich um ein Werk für Kunststoffverpackungen. Baubeginn soll 2026 sein. Amazon und Energy Northwest haben sich an X-Energy beteiligt. Amazon projektiert die Versorgung mehrerer seiner Rechenzentren, Energy Northwest verschiedene Standorte im dünn besiedelten Bundesstaat Washington.
Kairos plant einen Reaktor in Darlington, Kanada. Das Darlington Projekt „first in North America“ fördert den Bau von Reaktoren der sogenannten IV. Generation. Weiterhin hat Kairos mit Google ein Abkommen über den Bau einer Flotte mit 500 MWel zur Versorgung seiner Rechenzentren geschlossen. Sie sollen ab 2030 in Betrieb gehen.
NuScale Power Corporation aus Oregon hat einen integrierten Druckwasserreaktor mit 77 MWel entwickelt. Lange Zeit das Vorzeigekind für SMR. Es war der erste Typ, der eine vollständige Genehmigung der US-Behörden erhalten hat. Allerdings war das Marketing äußerst unglücklich, weil man die Klasse 1.000 MWel durch Zusammenschaltung von 12 Reaktoren auf eine Turbine erschließen wollte. Die Kostendegression über Stückzahlen konnte nicht mit der über Skalierung mithalten. Da aber bereits mehrere hundert Millionen investiert wurden und bereits wesentliche Komponenten gefertigt sind, ist nun der Plan entstanden, ein Kraftwerk aus sechs Reaktoren (VOYGR-6 mit zusammen 462 MWel) in Rumänien zu bauen. Es soll damit ein bestehendes Kohlekraftwerk ersetzt werden. Rumänien möchte sich über diese Schiene eine eigene „Reaktorindustrie“ aufbauen. Geplante Fertigstellung 2030.
Der Oklo Aurora ist ein Reaktor mit schnellem Neutronenspektrum und einer Leistung von 15 MWel. Einzigartig ist das völlig passive Kühlsystem auf der Basis von Wärmerohren. Sie sollen die Wärme an einen Kreisprozess mit überkritischem CO2 zur Stromerzeugung übertragen. Seit 2020 ist beim Argonne National Laboratory and Idaho National Laboratory eine Fertigung und Recycling Anlage für den Brennstoff in Bau und Versuchsbetrieb. Der erste Reaktor soll ebenfalls dort 2027 in Betrieb gehen. Im August 2024 wurde Siemens als „bevorzugter Lieferant“ für den konventionellen Teil des Kraftwerks ausgewählt. Es gibt bereits zahlreiche Abkommen zur autonomen Versorgung von Rechenzentren (z.B. Switch) mit Reaktoren von 15 bis 50 MWel mit einem potenziellen Auftragsvolumen (Absichtserklärungen) von 2.100 MWel.
Rolls-Royce entwickelt einen SMR mit 470 MWel, der aus einzelnen Baugruppen in etwa 500 Tagen auf der Baustelle betriebsbereit zusammengesetzt werden soll. Alle Baugruppen entsprechen bezüglich der Abmessungen dem europäischen Bahnprofil. Es handelt sich zwar um einen konventionellen Druckwasserreaktor, aber um ein revolutionäres Fertigungskonzept. So soll zum Beispiel der Druckbehälter (3 Meter Durchmesser, Wandstärke 200 Millimeter) von Sheffield Forgemasters in nur 24 Stunden mittels Elektronenstrahl zusammengeschweißt werden, ein Vorgang, der bei einem konventionellen Druckbehälter mehrere Monate in Anspruch nimmt. Die vollständige Zulassung (Teilgenehmigungen liegen bereits vor) für ein Kraftwerk werden im August 2026 erwartet. Tschechien plant, bis 2030 einen Reaktor bei dem vorhandenen Kernkraftwerk Temelin in Betrieb zu nehmen. Im Dezember 2024 hat sich der staatliche Versorger ČEZ Group mit 20 Prozent bei Rolls-Royce SMR beteiligt. Man plant, drei GWel möglichst zügig in der Tschechischen Republik zu errichten. Zusammenhänge mit der Energieplanung des bayrischen Nachbarn erscheinen rein zufällig.
Im Juni 2024 startete TerraPower mit dem Bau eines natriumgekühlten Reaktors in Kemmerer, Wyoming, mit einer Leistung von 345 MWel im Dauerbetrieb bzw. 500 MWel Spitzenleistung aus Speichern. Das Kraftwerk soll bis 2030 in Betrieb gehen, sofern alle Genehmigungen bis 2026 vorliegen.
Die Aussichten für Deutschland
Tag für Tag werden die Konsequenzen des „Atomausstiegs“ deutlicher sichtbar. Die plumpen Versprechen der Grünen, dass das Paradies einer „alternativ versorgten“ Gesellschaft kurz bevor steht, da ja Wind und Sonne keine Rechnung schicken, erweisen sich mit jeder Dunkelflaute als Hirngespinst. Die Strompreise kennen nur eine Richtung: nach oben. Wie lange die deutsche Industrie noch durchhalten kann, bleibt abzuwarten. Wir befinden uns bereits tief in einer Rezession, die leicht in eine Depression ausarten kann. Getreu dem Spruch: Wenn dein Nachbar seinen Job verliert, herrscht Rezession, wenn du selbst auch noch deinen Job verlierst, herrscht Depression.
Die Bevölkerung spürt es bereits, wo die Reise hingeht. Der Deutsche ist aber als sehr duldsam bekannt. Insofern ist noch nicht mit einem Richtungswechsel bei den bevorstehenden Bundestagswahlen zu rechnen. Noch weitere vier Jahre Herrschaft der Laiendarsteller von UnsereDemokratie hält Deutschland kaum aus. Einziger Hoffnungsschimmer ist der schnelle Aufwuchs nuklearer Kapazitäten bei unseren Nachbarn, von dem Deutschland profitieren könnte. Europa kann sein Kernland Deutschland nicht einfach untergehen lassen. Deutschland ist einfach zu groß, es würde ganz Europa mit in den Abgrund reißen.
Dr. Klaus-Dieter Humpich studierte Maschinenbau und Energie- und Verfahrenstechnik mit Schwerpunkt Kerntechnik, bevor er zehn Jahre am Institut für Kerntechnik in der Technischen Universität Berlin arbeitete. Seit 20 Jahren ist er freiberuflich im Bereich Energietechnik tätig. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog.
Von Klaus Dieter Humpich und Manfred Haferburg erschien in der Achgut-Edition das Buch
Das Nachwort stammt von dem Wissenschaftsphilosophen Michael Esfeld. Sie können das Buch hier in unserem Shop bestellen,
Zum Inhalt des Buches: Es ist keine Frage ob, sondern lediglich wann „die dümmste Energiepolitik der Welt“ (wallstreet-Journal) – in Deutschland euphemistisch „Energiewende“ genannt – beerdigt wird. Und was dann? Überall auf der Welt werden längst wieder die Weichen für die Kernenergie gestellt, CO2-frei wie bisher, aber intelligenter, resilienter, mobiler und preiswerter als je zuvor. Die Atomenergie kann auch hierzulande der Nukleus für einen neuen Wohlstand sein, auch diese Einsicht wird sich unter der Last des Faktischen durchsetzen. Die beiden Energieexperten Manfred Haferburg und Klaus Humpich analysieren den deutschen Irrweg und zeigen Wege aus der Sackgasse. Dieses Buch ist ein Almanach der Vernunft für alle, die in Deutschland erfolgreich wirtschaftlich tätig sind und damit fortfahren wollen.