Dushan Wegner, Gastautor / 13.04.2025 / 14:00 / Foto: Imago / 8 / Seite ausdrucken

Das Kommende und seine gegenwärtigen Schatten

Die Ereignisse der Gegenwart sind chaotisch, doch sie sind Zeichen dessen, was kommen wird. Es braucht allerdings Wissen, Erfahrung und vor allem Mut, um sie zu lesen. Anstrengend ja, doch lebensnotwendig!

Letztens schauten Leo und ich einige Episoden der Serie Young Sheldon), da rief Leo plötzlich: "Das ist Foreshadowing!" Jugendliche schauen heutzutage nicht nur einfach so einen Film, und nie zum ersten Mal. Auf Instagram und in anderen sozialen Medien teilen sie untereinander reichlich Clips und Auszüge aus dem filmischen Werk. Schlüsselszenen und die (bislang veröffentlichte) Handlung sind Allgemeinwissen, auch ohne den Film gesehen zu haben.

Jugendliche haben viele Gründe, einen Filme oder die vielen Episoden einer Filmserie zu schauen. Der erste Grund ist oft schlicht, dass man Teil der Debatte um diesen Film sein will. Ein weiterer Grund ist, dass ein Film schlicht Spaß machen kann – bei modernen Filmen überraschend oft nicht der Fall.

Vielleicht hilft die Handlung aber auch den Jugendlichen, ihre eigenen seelischen Kämpfe zu bestreiten. Ein Beispiel: Anders als früher ist heute Scheidung regelmäßig ein Thema von TV-Serien. Das wirkt für Kinder kathartisch.

Leo also kannte bereits die Geschichte, die wir gemeinsam zum ersten Mal sahen. Und er machte sich einen Spaß daraus, nach Foreshadowing zu suchen. Es war allerdings nicht eine Scheidung, sondern deren Gegenteil und Voraussetzung, nämlich eine Hochzeit, die Leo als "Foreshadowing" auffiel.

Mit dem Tod auseinander

Unter Foreshadowing versteht man bei Büchern und Filmen, dass spätere Ereignisse schon früher in der Geschichte einen Wiederschall finden. Die Sagen der Antike sind ohne Foreshadowing ja gar nicht vorstellbar! Hekabe etwa träumt, eine brennende Fackel zu gebären (siehe Wikipedia) – ihr Sohn Paris zerstört dann Troja. Warum musste Achilles an der Ferse töflich verwundet werden? Weil diese seine eine Verwundbarkeit es so foreshadowte. Und alle Prophetien, nicht in alten Sagen, sondern etwa auch in der Bibel, sind eine besonders direkte Art des Foreshadowing.

Große Ereignisse im Neuen Testament werden regelmäßig begründet mit der Formulierung "damit die Schrift erfüllt würde". Es scheint fast, dass ohne nachweisbares Foreshadowing einem Ereignis geradezu das Gewicht fehlen würde.

Wörtlich bedeutet Foreshadowing, dass Ereignisse einen Schatten nach vorne werfen. Bedenken wir, was das praktisch und metaphysisch bedeutet! Wenn Ereignisse ihren Schatten "nach vorn" und in unsere Richtung werfen, dann bedeutet das, dass das Licht vom Ende und Ausgang der Geschichte her leuchtet.

Beim zweiten Sehen dann bin ich ein ganz anderer Zuschauer, und ich sehe die Geschichte "mit anderen Augen". Erst wenn ich weiß, welches Ereignis am Ende steht, also näher an der Sonne als ich, fallen mir die vielen Schatten auf, die es vorauswirft.

Der Unterschied zwischen einem Zeichen und einem Zufall ist oft die Frage, ob jemand benennen kann, welche Sonne am Ende welche großen Ereignisse beleuchtet. Jedoch, mit genug Erfahrung in einem Genre kann der Leser oder Zuschauer das Foreshadowing schon beim ersten Durchlauf erkennen!

In guten Geschichten ist nichts zufällig – also muss auch noch der kleinste Teil einer Geschichte durch Funktion seine Erwähnung rechtfertigen. Es gilt: Was auffällt, hat Bedeutung. (Und Geschichten, in denen viel auffällt, das sich später als bedeutungslos erweist, sind amateurhaft und vergeuden die Zeit des Zuschauers.)

Schatten lesen

Wer durch bewusstes Sehen und und mithilfe von tvtropes.org verschiedene Filmgenres studiert, der wird immer wieder Foreshadowing in Filmen entdecken – schon beim ersten Sehen! Warum aber ist Foreshadowing in Filmen so wichtig und beliebt? Warum schauen wir sehenswerte Filme wieder und wieder, wenn wir doch das Ende kennen?

Ein Grund: Wir haben Spaß daran, neue Fragmente des Foreshadowing zu entdecken, die wir bislang übersahen. (Und von denen nicht einmal der Autor oder Regisseur des Filmes etwas wissen – haha!) Was in Filmen funktioniert, funktioniert dadurch, dass es Bruchstellen menschlicher Realität aufgreift und nach künstlerischer Bearbeitung uns hilft, an diesen Bruchstellen nicht selbst zu zerbrechen.

Es ist uns ein Spiel, Foreshadowing in Filmen zu erkennen. Spiel aber bedeutet: fokussierte Übung wichtiger Techniken der Realität. Das Foreshadowing in Filmen zu erkennen, übt uns darin, auch in der Realität die frühem Zeichen späterer Ereignisse zu erkennen.

Dem Schatten widersprechen

Jenes Foreshadowing ob einer kommenden Hochzeit, die Leo beim Sehen von Young Sheldon auffiel, geschah durch die Verneinung einer kommenden Hochzeit durch eine Protagonistin. Indem der Charakter Mandy immer wieder betont, dass sie Georgie keinesfalls heiraten wird, ist dem Zuschauer bald klar, dass genau dies passieren muss. (Und romantischerweise erst an einem Punkt, an dem sie es aus Liebe und nicht aus sozialer Notwendigkeit tun.)

Doch auch in unserer Realität erleben wir immer wieder, dass kommende Ereignisse ihren Schatten in die Gegenwart werfen, indem ihr Eintreten verneint wird. Wir denken an Ulbricht und "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten". Wir denken an Clinton und "I did not have sexual relations with that woman". Wir denken in jüngerer Zeit etwa an die Laborthese und die zentralen Wahlversprechen des Herrn Merz.

Schaut gute Filme, und lernt, sie zu lesen. Und dann lernt, die Zeichen in der Gegenwart zu lesen. Wer die Schatten kommender Ereignisse zu lesen lernt, nur der hat die Chance, in eigener Angelegenheit dem Schatten zu widersprechen.

 

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. Seine Website und das Blog-Magazin, auf dem dieser Beitrag zuerst erschien finden Sie hier.  

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Leserpost

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Rolf Lindner / 13.04.2025

EXTRAPOLATION - Jahrtausende, die schon vergangen, zeigen, so vieles ist geschehen, sollten jedem, der unbefangen, erleichtern das, was kommt, zu sehen. - So war früher der Zeitengang durch rohe Machtkämpfe geprägt, hat ein System, das Macht erlang’, das vorige hinweggefegt. - Und jedes Malertönt die hohle, die Phrase, die die Macht begründet, dass alles sei dem Volk zum Wohle, die Mär, mit der sich Macht umwindet. - Man glaubt es kaum, doch gibt es heute gar viele, die das Märchen glauben, werden den Machtgeilen zur Beute, lassen sich ihre Zukunft rauben. - Der Krieg um Macht wird heut’ geführt alleine nicht nur mit Gewalt, wie immer man Verstand negiert, Popanze an die Wand man malt. - Die Mächt’gen und die Macht erstreben, sich jetzt zu einem Blocke fügen, zusammen sie die Märchen weben, mit denen sie das Volk belügen. - Weil ihnen Argumente fehlen, werden die Lügner immer dreister, brauen für die naiven Seelen Klima-, Corona-, Gender-Kleister. - Viele können sie noch fangen, mit ihrem Paranoiakult, in Wahrheit sie jedoch schon bangen, dass bald zu Ende die Geduld. - Man nennt es Extrapolation, wenn man den Faden weiterspinnt, sieht man die Täuscher der Nation im eignen Leim gefangen sind. - Spinnt man den Faden dann zu Ende, das Einzige, was übrig bleibt, wir brauchen wieder eine Wende, die herrschenden Wahnsinn vertreibt.

Ilona Grimm / 13.04.2025

Filmisches Foreshadowing (Verneinung) und das im realen politischen Alltag ist durchaus interessant. Aber der sehr wesentliche Unterschied zwischen diesem und biblischen Prophezeiungen besteht darin, dass Gott von Anfang an (1. Mose 1,1:„Im Anfang schuf Gott…“) einen Plan mit der Menschheit hat und diesen durchzieht. „Ich rede es und ich tue es auch“ (Hesekiel 37,14). Der Prophet Daniel z.B., ein jüdischer Mensch, der (605 v.Chr.) nach Babylon entführt worden war, bekam von Gott über Jahre in Visionen offenbart, welche Weltreiche nach den Babyloniern auf der Weltbühne erscheinen würden. Daniel bekam offenbart, dass und wann der Maschiach Jeschua (Jesus Christus) auf die Welt kommen würde. In „The Coming Prince“, 1894, von Robert Anderson kann jeder die detaillierte Rechnung aufgrund der „Wochen“ im Buch Daniel nachrechnen. Daniel erhielt auch Visionen darüber, dass der Messias sehr viel später ein zweites Mal physisch und real auf die Welt kommen würde und was im Zusammenhang damit ereignen wird (Buch Offenbarung). Ein Engel erklärte Daniel das Gesehene, damit es keine Fehlinterpretationen gibt. Daniel ist ein biblischer Prophet von einer ganzen Reihe, die tatsächlich in die Zukunft schauen konnten, weil Gott sie ihnen offenbart hat. Der Prophet Micha sagte „Bethlehem“ als Geburtsort des Messias voraus (Mi. 5,1); der Prophet Sacharja sagte voraus, dass Jesus (am Palmsonntag!) auf einem Esel in Jerusalem einreiten würde (Sach. 9,9). Dass die Juden wieder einen Staat bekommen würden, wurde vorhergesehen und erfüllte sich 1948. Die Rückwanderung begann 1882 in Wellen; sogar dieses Detail ist prophezeit worden. Der Irak-Krieg um Kuwait 2003 mit seiner „Koalition der Willigen“ist in verblüffenden Details vorhergesagt worden. Es lohnt sich, sich mit biblischer Prophetie zu befassen, insbesondere wenn man Geschichte nicht mit Geschichten von Habeck verwechselt. Gott lässt uns nicht im Dunkeln tappen!

L. Luhmann / 13.04.2025

@Sam Lowry / 13.04.2025 - “Gestern Börlin. Heute in Trittau: “Mann stirbt nach Schlägerei in Diskothek” Gehen sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen…”—- Ich habe den Eindruck, dass die allermeisten Morde Halaler unter den Teppich gekehrt werden. Früher gab es “refcrime”, eine Seite die recht schnell verschwunden ist. Jetzt gibt es seit etwa 1 Jahr die App “Messerinzidenz” ...

Karsten Dörre / 13.04.2025

Dass Paris Troja zerstörte, ist sehr weit hergeholt, nur weil Helena einvernehmlich mit ihm nach Troja ging und ihren Ehemann Menelaos verließ, was die Griechen veranlasste, Troja anzugreifen. Grundsätzlich ist die Ilias ein großartiger Abenteuerroman von Homer. Noch heute müssen sich Gelehrte den Kopf zerbrechen, was Unterhaltungsautoren mit ihren Geschichten Wichtiges durch die Blume sagen wollen. Was will uns die Wespe mitteilen, wenn sie um den Frühstückstisch fliegt? Was will ich mit meinem Leserbrief sagen: meine Meinung. Mehr nicht. Weder Wahrheit, noch Fake.

maciste rufus / 13.04.2025

maciste grüßt euch. hmmm… ziemlich dünne story für die wortgewaltige ankündigung… orakelt haben wir lange genug, wichtig wäre anleitung zur tat. auch herr wegner hat wohl noch nicht realisiert, geschweige denn verstanden, daß die heute aufziehenden schatten auf den kommenden kampf auf leben und tod, krieg und bürgerkrieg hindeuten - neue herrschaft kündigt sich an: asien, der islam, die farbigen völker. der zweitausendfünfhundertjährige aufstieg der europiden und ihrer philosophie und denkweise neigt sich dem ende, das wahrscheinlich nicht einmal heroisch, sondern lediglich banal sein wird. der späte sieg der punier wird dem ein oder anderen wenigstens frauen mit samtweicher haut und erotischem bewußtsein bescheren - einer meiner geschichtslehrer vertrat immer die these, daß der sieg roms es nur temporär aufgehalten hat, daß “wir alle kaffeebraun werden”... battle on.

Dieter Helbig / 13.04.2025

Das ist ja spannend, Filme zu schauen, deren Schlüsselszenen oder Ende ich schon kenne. So wie das Lesen von “Readers Digest”. Damit man “mitreden” kann. Ideal für Blender und Aufschneider. Es lebe die Pseudobildung. Keine Ahnung, aber große Fresse. Was das mit antiker Literatur oder der Bibel zu tun haben soll, braucht natürlich einen tiefgründigen Philosophen wie Herrn Wegner.  Etwas “vorherzusehen”, weil ich es schon vorher gesehen habe: Tolle Leistung. Philosophen haben eben die klügeren Kinder. Da bleibt dem niederen Volk nur das Kubicki-Orakel oder ein Nostradamus-Studium. Wenn man noch in ländlicher Umgebung wohnt, weiß man beim Krähen des Hahnes, dass sich das Wetter ändern wird…oder auch nicht.

Sam Lowry / 13.04.2025

Gestern Börlin. Heute in Trittau: “Mann stirbt nach Schlägerei in Diskothek” Gehen sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen…

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