Die „großen Drei" des Monotheismus: Judentum, Christentum, Islam, stehen sich näher, als wir und vor allem die jeweiligen Gläubigen ahnen! Dem „Weltethos" eine Chance – wann, wenn nicht jetzt?
So tönt es gerade wieder aus dem Munde der unermüdlichen interreligiösen Dialoganbahner. Am lautesten wird die Melodie gesungen, wenn zuvor der Hass zwischen einzelnen Gläubigen verschiedener Religionen wieder mal Schlagzeilen macht – überwiegend Moslems gegen den Rest der beiden Vorgängerreligionen des Islam.
Aktuell machen jüdischen Kindern auf deutschen Schulhöfen einige streng islamgläubige Mitschüler das Leben schwer. Sie drohen ihnen sogar schon mit dem Tod. Da bietet es sich, glauben die Gutmeinenden, doch zwingend an, an die gemeinsamen monotheistischen Wurzeln der drei abrahamitischen Religionen zu appellieren und an gemeinsame spirituelle Ahnen zu erinnern. Sind Moslems und Juden nicht in Wahrheit enge Verwandte, Vettern, womöglich Brüder gar? Umarmt Euch, statt euch zu bekriegen!
Auf die kleinen Dinge kommt es am meisten an
Ein leider, wie die Geschichte zeigt, völlig illusorischer Therapieansatz. Das Gemeinsame hat noch nie („Brüder, nicht schießen!") weder Kriege noch Bürgerkriege verhindert. Und die gemeinsame Ahnenschaft von Marx und Engels hat die – bis auf wenige – aber wichtige Unterschiede wie etwa Diktatur des Proletariats vs. parlamentarisch-pluralistische Demokratie in vielem fast identisch argumentierenden Sozialisten und Kommunisten ebenfalls nicht automatisch zu Kampfgenossen gemacht. Wenn sie nicht gerade dem Druck einer Siegermacht zu gehorchen und sich gegen den imperialistischen Feind jenseits der Grenze zu vereinigen hatten, waren sie sich gegenseitig immer in erbitterter Feindschaft zugetan, manchen ideologischen Ähnlichkeiten zum Trotz, die sie ihren gemeinsamen „Religionsstiftern" zu verdanken haben. Und das gilt bis heute.
„It's the little things that matter most", sagt ein englisches Sprichwort. Die Kleinigkeiten zählen. So sind es nur wenige Gene, die den Unterschied aus machen zwischen dem Menschen und dem Hausschwein. Diese wenigen sind aber fundamental und machen aus, wer wen frisst. Und in politischen oder religiösen Dingen kann schon ein Iota zu viel oder zu wenig in einem Text oder in einer Textinterpretation ein dauerhaftes, vielfach auch blutiges Schisma für Jahrhunderte bedeuten, wie wir aus der Frühzeitzeit des Christentums wissen.
Auf die Wirkung von Appellen an die „Gemeinsamkeiten" zwischen den großen Drei zu hoffen, ist daher vergeblich. Denn die scheinbar wenigen oder kleinen Unterschiede vermögen die größten Wirkungen zu erzeugen. Manchmal blutig und mit verheerendem Ausgang. Das weiß das mit allerlei historischen Schismen geschlagene Christentum nicht weniger als der bis heute im verheerenden Schisma zwischen Schiiten und Sunniten lebende Islam. Selbst Anhänger der jeweiligen Glaubensrichtung wissen dabei oft nicht, was genau sie eigentlich von den Glaubensgeschwistern jenseits des schismatischen Grabens trennt. Dem Frieden unter den und innerhalb der Religionen hat das nur wenig geholfen.
Unterordnung muss sein
Allein ein starker, selbstbewusster säkularer Staat und eine den Säkularismus verteidigende demokratische Gesellschaft kann die drei monotheistischen Religionen in unserem Land zur Gemeinsamkeit zwingen – zur von allen gleichermaßen angenommenen Unterordnung unter die in allen diesseitigen Dingen übergeordnet gültigen weltlich-demokratisch zustandegekommenen Gesetze und Verordnungen.
Einzig in diesem Rahmen kann, hat sich gegenseitige Toleranz zu entfalten. Wo diese missachtet wird, wo die Normen des zivilgesellschaftlichen und kulturell geprägten Miteinanders verletzt werden, greifen im Ernstfall Staat und Justiz durch; es folgt, sofern die betreffende Religionsgemeinschaft selbst zu keiner dauerhaften Einsicht und zur Selbstheilung fähig ist, ihr Ausschluss aus dem Privilegien sichernden Vertrags- und Dialogverhältnis mit dem Staat.
Notfalls, bis innere – theologische wie habituelle – Reformen die Glaubensgemeinschaft an den gesellschaftlich vorgegebenen Handlungsrahmen adaptieren. Aufklärung und Säkularisierung haben dem Christentum auf ähnliche Weise ein neues Rollenverständnis in der Gesellschaft aufgezwungen. Dies hat dem inneren Frieden gutgetan bis heute.
Marx hat es schon gewusst
Wenn sich Gesellschaft, Staat und alle Religionen auf diese Voraussetzung des gesellschaftlichen Miteinanders ungeteilt einigen können, entsteht hier eine konstruktive, an der Bewältigung von Gegenwartsproblemen aktiv orientierte Interessensgleichheit der Religionen in der Zivilgesellschaft unter Mithilfe des Staates. Individuelles religiöses Leben würde sich unter staatlicher Mentorenschaft und strikt säkularer Rahmensetzung weitaus stabiler, toleranter und rationaler entfalten können, als wenn es auf gut gemeinte Beschwörungen von spektakulären religiösen Gemeinsamkeiten angewiesen wäre.
Die Hoffnung auf Religionsfrieden durch die Entdeckung der „Großen Gemeinsamkeit" ist ein idealistisches Projekt. Ein utopischer Traum, der stets zu scheitern droht. Von Marx wissen wir: „Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen." (Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung)
Die ernüchternde Wirklichkeit der abrahamitischen, aus einer gemeinsamen Wurzel stammenden Religionen zeigt denn auch: Sie haben über mehr als 1.400 Jahre sich aus eigenem Antrieb so gut wie nie zum Gedanken der Gemeinsamkeit gedrängt, geschweige denn ein Bedürfnis gehabt, sich friedlich zu vereinigen. Und wenn sie aufeinander zugingen, dann war es meist wenig respektvoll, oft sogar in Hass, diskriminierend, unfriedlich.
So wie heute wieder sichtbar auf Straßen und Schulhöfen in unserem Lande.