Paul Nellen / 02.04.2018 / 14:30 / Foto: Giulio del Torre / 13 / Seite ausdrucken

Das kleine Einmaleins des Schulhoffriedens

Die „großen Drei" des Monotheismus: Judentum, Christentum, Islam, stehen sich näher, als wir und vor allem die jeweiligen Gläubigen ahnen! Dem „Weltethos" eine Chance – wann, wenn nicht jetzt?

So tönt es gerade wieder aus dem Munde der unermüdlichen interreligiösen Dialoganbahner. Am lautesten wird die Melodie gesungen, wenn zuvor der Hass zwischen einzelnen Gläubigen verschiedener Religionen wieder mal Schlagzeilen macht – überwiegend Moslems gegen den Rest der beiden Vorgängerreligionen des Islam.

Aktuell machen jüdischen Kindern auf deutschen Schulhöfen einige streng islamgläubige Mitschüler das Leben schwer. Sie drohen ihnen sogar schon mit dem Tod. Da bietet es sich, glauben die Gutmeinenden, doch zwingend an, an die gemeinsamen monotheistischen Wurzeln der drei abrahamitischen Religionen zu appellieren und an gemeinsame spirituelle Ahnen zu erinnern. Sind Moslems und Juden nicht in Wahrheit enge Verwandte, Vettern, womöglich Brüder gar? Umarmt Euch, statt euch zu bekriegen!

Auf die kleinen Dinge kommt es am meisten an 

Ein leider, wie die Geschichte zeigt, völlig illusorischer Therapieansatz. Das Gemeinsame hat noch nie („Brüder, nicht schießen!") weder Kriege noch Bürgerkriege verhindert. Und die gemeinsame Ahnenschaft von Marx und Engels hat die – bis auf wenige – aber wichtige Unterschiede wie etwa Diktatur des Proletariats vs. parlamentarisch-pluralistische Demokratie in vielem fast identisch argumentierenden Sozialisten und Kommunisten ebenfalls nicht automatisch zu Kampfgenossen gemacht. Wenn sie nicht gerade dem Druck einer Siegermacht zu gehorchen und sich gegen den imperialistischen Feind jenseits der Grenze zu vereinigen hatten, waren sie sich gegenseitig immer in erbitterter Feindschaft zugetan, manchen ideologischen Ähnlichkeiten zum Trotz, die sie ihren gemeinsamen „Religionsstiftern" zu verdanken haben. Und das gilt bis heute.

„It's the little things that matter most", sagt ein englisches Sprichwort. Die Kleinigkeiten zählen. So sind es nur wenige Gene, die den Unterschied aus machen zwischen dem Menschen und dem Hausschwein. Diese wenigen sind aber fundamental und machen aus, wer wen frisst. Und in politischen oder religiösen Dingen kann schon ein Iota zu viel oder zu wenig in einem Text oder in einer Textinterpretation ein dauerhaftes, vielfach auch blutiges Schisma für Jahrhunderte bedeuten, wie wir aus der Frühzeitzeit des Christentums wissen.  

Auf die Wirkung von Appellen an die „Gemeinsamkeiten" zwischen den großen Drei zu hoffen, ist daher vergeblich. Denn die scheinbar wenigen oder kleinen Unterschiede vermögen die größten Wirkungen zu erzeugen. Manchmal blutig und mit verheerendem Ausgang. Das weiß das mit allerlei historischen Schismen geschlagene Christentum nicht weniger als der bis heute im verheerenden Schisma zwischen Schiiten und Sunniten lebende Islam. Selbst Anhänger der jeweiligen Glaubensrichtung wissen dabei oft nicht, was genau sie eigentlich von den Glaubensgeschwistern jenseits des schismatischen Grabens trennt. Dem Frieden unter den und innerhalb der Religionen hat das nur wenig geholfen.

Unterordnung muss sein

Allein ein starker, selbstbewusster säkularer Staat und eine den Säkularismus verteidigende demokratische Gesellschaft kann die drei monotheistischen Religionen in unserem Land zur Gemeinsamkeit zwingen – zur von allen gleichermaßen angenommenen Unterordnung unter die in allen diesseitigen Dingen übergeordnet gültigen weltlich-demokratisch zustandegekommenen Gesetze und Verordnungen.

Einzig in diesem Rahmen kann, hat sich gegenseitige Toleranz zu entfalten. Wo diese missachtet wird, wo die Normen des zivilgesellschaftlichen und kulturell geprägten Miteinanders verletzt werden, greifen im Ernstfall Staat und Justiz durch; es folgt, sofern die betreffende Religionsgemeinschaft selbst zu keiner dauerhaften Einsicht und zur Selbstheilung fähig ist, ihr Ausschluss aus dem Privilegien sichernden Vertrags- und Dialogverhältnis mit dem Staat.

Notfalls, bis innere – theologische wie habituelle – Reformen die Glaubensgemeinschaft an den gesellschaftlich vorgegebenen Handlungsrahmen adaptieren. Aufklärung und Säkularisierung haben dem Christentum auf ähnliche Weise ein neues Rollenverständnis in der Gesellschaft aufgezwungen. Dies hat dem inneren Frieden gutgetan bis heute.
 

Marx hat es schon gewusst

Wenn sich Gesellschaft, Staat und alle Religionen auf diese Voraussetzung des gesellschaftlichen Miteinanders ungeteilt einigen können, entsteht hier eine konstruktive, an der Bewältigung von Gegenwartsproblemen aktiv orientierte Interessensgleichheit der Religionen in der Zivilgesellschaft unter Mithilfe des Staates. Individuelles religiöses Leben würde sich unter staatlicher Mentorenschaft und strikt säkularer Rahmensetzung weitaus stabiler, toleranter und rationaler entfalten können, als wenn es auf gut gemeinte Beschwörungen von spektakulären religiösen Gemeinsamkeiten angewiesen wäre.

Die Hoffnung auf Religionsfrieden durch die Entdeckung der „Großen Gemeinsamkeit" ist ein idealistisches Projekt. Ein utopischer Traum, der stets zu scheitern droht. Von Marx wissen wir: „Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt,  die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen." (Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung)

Die ernüchternde Wirklichkeit der abrahamitischen, aus einer gemeinsamen Wurzel stammenden Religionen zeigt denn auch: Sie haben über mehr als 1.400 Jahre sich aus eigenem Antrieb so gut wie nie zum Gedanken der Gemeinsamkeit gedrängt, geschweige denn ein Bedürfnis gehabt, sich friedlich zu vereinigen. Und wenn sie aufeinander zugingen, dann war es meist wenig respektvoll, oft sogar in Hass, diskriminierend, unfriedlich. 

So wie heute wieder sichtbar auf Straßen und Schulhöfen in unserem Lande.

Foto: Giulio del Torre Dorotheum via Wikimedia Commons

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Gabriele Klein / 02.04.2018

Ein sehr interessanter Artikel, er lässt allerdings außer Acht, dass sich die Aufklärung selbst jüdisch, christlicher Ethik verdankt. Ich meine diese Argumentation dass sich die “aufgeklärte” Toleranz selbst jüdischer Ethik verdankt in einem der Werke von Jonathan Sacks gelesen zu haben bzw. auch Figaro (Quelle vergessen). Insofern habe ich einfach ein Problem mit der Postulierung eines völlig neutralen “staatlichen Über-ichs” das sodann völlig neutral eingreifen wird.  Das Über-ich nach dem sich dieser Artikel sehnt schwindet ganz genau in dem Maße wie die jüdisch-christlichen Grundlagen schwinden.  Das neue Über- ich mit Gender, Öko, und Homo Wahn hat schon längst aufgehört eine vermittelnde Rolle zu spielen und steht sowohl im Widerspruch zu Christentum, Judentum als auch Islam. Anders ausgedrückt, dieses staatliche “Über” Ich hat sich zur Religion Nr. 4 gemausert, deren Mitgliedsbeiträge halt im Gegensatz zu christlichen und jüdischen Gemeinden per Zwang erhoben werden auch wenn bislang noch keine Anwesenheitspflicht bei den Fernseh Predigten besteht, was aber sicher noch kommen wird, z.B. indem man alternative Worte   per Zensur oder Entzug der Mittel mehr und mehr verhindert. Getoppt wird dieses Über-ich eigentlich nur noch durch jene Religion die die dickste Keule, den Fatwah Prügel schwingt und dies recht erfolgreich und weltweit. Welche der 4 Religionen den Kampf ums staatliche Über-ich gewinnen wird bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich wird die dickste Keule gewinnen, allerdings .nur vorübergehend denn kein Ausbeuter überlebt ohne das Auszubeutende…...Indem die menschliche Kreativität als Grundlage für Fortschritt und Wohlstand nur in Freiheit gedeiht, können Ausbeuter am Ende das Werk der “eroberten” Freiheit nicht ersetzen.  D.h. jener Religion die mit der dicksten Keule gewinnen wird, wird   selbst am Ende implodieren… Denn über die Eckpfeiler bestimmter menschlicher Gegebenheiten kann sie leider nicht hinaus.

Emma W. Broakulla, Schweden / 02.04.2018

Frau Wenz aber sie wünschen sich doch eine Religion - eben nur eine andere.

Gertraude Wenz / 02.04.2018

Warum nur können Vernunft, Humanismus und Wissenschaftsorientiertheit nicht “siegen”? Ich wünsche mir eine Welt ohne Religion, ohne Ideologie, ohne Utopie! Da bleibt immer noch genug Raum für demütiges Staunen, für Anerkennung, dass wir nur “auf dem Weg” sind und längst nicht alles wissen. Ich verstehe die Menschen nicht, die nur mit unbelegbaren und sogar unhinterfragbaren Glaubenssätzen leben können. Sie sind es, die schon immer Entwicklung und Fortschritt behindert haben!

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