Das ist soo Deutsch: Die Lust an der Unlust

Freud lag auf seiner weltberühmten Couch vielleicht gar nicht so daneben, wenn er, horizontal nachdenkend, darüber räsonierte, was das Ur-Streben des immer noch nicht am Ziel seiner Selbstfindung angekommenen Menschen sei. Gemäß der sich bei ihm einstellenden Erkenntnis suchen Menschen instinktiv nach Lustgewinn, verbringen aber in der wirklichen Realität viel mehr Zeit damit, Unlust als Lust zu erfahren.

Bei aller wissenschaftlichen Überholtheit mancher Ansätze seiner Seelen-Entdeckungen scheint er hier noch sehr aktuell zu sein. Zumindest, was die deutsche Entsagungs-Mentalität betrifft (meist bei der „grün-intellektuellen Elite“ zu orten), wenn es um Spaß an der Freud‘ geht. Dem Wiener Seelenforscher wurde diese Erkenntnis nicht aus der Beobachtung des deutschen Mainstreams um die Wende zum 21. Jahrhundert offenkundig, dazu war er zu früh geboren.

Aber seine These hört sich an, als hätte er die Deutschen im angehenden neuen Millennium prophetisch-treffend charakterisiert. Vielleicht ist diese Lust an der Unlust Teil unserer DNS? Was uns die politisch-korrekte Elite-Meinung zur Enthaltsamkeit als Lebensweisheit empfiehlt, ist glücklicherweise nicht unbedingt das Bauchgefühl der vom Genuss-Masochismus nicht geplagten „einfachen“ Bürger. Die ständig in allen Bereichen des Lebens eingeforderte Reduzierung von Genuss aus Verantwortung lautet im Klartext: Verzicht zugunsten des Eigen-, Gemeinschafts- und Kosmoswohls.

Schämen für jede Art von Lustgewinn

Es geht schon mal los mit der Kritik an den sinnlosen Urlaubsflügen in alle möglichen Ballermann-Regionen des Südens, wenn’s bei uns noch kalt ist. Begründung der Ablehnung? Man brauche doch nur einmal zu berechnen, was es bedeuten würde, wenn alle zig Milliarden Menschen der Erde einmal im Jahr sich in ein Flugzeug setzen und fliegen. Sie bewirken damit einen kaum in Zahlen zu messenden CO2 Ausstoß! Heißt: Mein Flug, ein Beitrag zum Tod des Planeten!

Die Zahlen der Berechnung sind nicht zu widerlegen. Mit der Realität des Flugverkehrs haben sie freilich nichts zu tun. Eine ähnliche Fragestellung dient immer wieder dazu, den automobilen Individualverkehr zu verdammen. Was wäre, so der säuerliche Lustphobiker, wenn alle Menschen dieser Erde ein privates Auto hätten? Oder gar zwei? Also: Private Autos müssen langfristig abgeschafft werden.

Wer also im Kleinen tut oder fordert, was sich global im Hinblick auf alle Menschen nicht verwirklichen lässt, ist unverantwortlich dem großen Ganzen gegenüber. Oder: Wer raucht und (durch Rauchpartikel in milliardenfacher Dosis) Nicht-Raucher zwingt, Lungenkrebs zu kriegen, gibt ein schlechtes Vorbild für die aussterbende weiße Nachkommenschaft ab. Da hilft es nun nichts, darauf zu verweisen, dass es keinerlei seriöse, belastbare Studien gibt, die nachweisen, dass Passiv-Rauchen schädlich ist.

Die tödliche Bedrohung von ein paar Rauchschwaden kennt aber Otto Normalbürger und Hobby-Wissenschaftler qua Intuition. Dass der jahrhundertealte Grundsatz „Die Menge macht das Gift“ immer noch gilt, interessiert die Alltags-Experten nicht, wenn es darum geht, die egozentrischen Mitmenschen dazu zu zwingen, immer pseudo-vernünftiger und lustloser zu leben. Und sei es per Rauchverbot auf von Durchzug geplagten Wartebereichen der Bahnhöfe neben den Geleisen.

Lustlos atmen in der Kirche

Aufgepasst, katholische Kirche! Bald wird ein „Experte“ nachweisen, dass nach tausendmaligem Kirchenbesuch mit Weihrauch-Konfrontation der noch nicht ganz bewiesene, aber dennoch beängstigende Verdacht besteht, dass diese neblige Frömmigkeitsveranstaltung eine kanzerogene Wirkung haben könnte. Die animierende, Friedensgesinnung spendende Wirkung des Weihrauchgeruchs hat in diesen Überlegungen nichts zu suchen. Anton Hofreiter wird sicher schon bald fordern: Wir brauchen endlich wieder saubere Luft im Kirchenraum!

Wer trinkt, gehört in die selbe Kategorie der bedenkenlosen Lustgewinnler. Die dilettantischen Gruppenfotos mit in die Kamera gehaltenen Sektgläsern bei jeder lokalen Pipifax-Veranstaltung haben nichts mehr in langweilenden Zeitungsberichten zu suchen.

Summa summarum: Wer fliegt, raucht und nach Herzenslust trinkt, hat ein Defizit an Wissen um seine Verantwortung gegenüber sich, gegenüber der Gemeinschaft, gegenüber der Schöpfung. Er muss also ausgebremst werden. Die individuelle Freiheit, sein Leben so zu gestalten, wie es dem ichsüchtigen Ich gefällt, durch Flugreisen, Alkoholgenuss und Rauchen, ist passé.

Beinahe vergessen: Wer Fleisch isst, wird bald einsehen müssen, dass die Endstufe der Entwicklung seines rücksichtslosen Fress-Individualismus an der Fleischtheke so enden wird: Vegane Zwangsernährung!

„'Wenn es um Tiere geht', habe ich mir schon oft gedacht, 'ist jeder Mensch ein Nazi'“, ließ der jüdische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Isaac Bashevis Singer den Protagonisten seines Romans „Der Büßer“ von 1983 sinnieren. Jahre nach Singers Tod instrumentalisierte die Tierrechtsorganisation PeTA diesen Spruch für die Kampagne „Holocaust auf dem Teller“. Damit wurde ein weiterer, wichtiger Schritt gemacht zur Denunzierung von Menschen, die den Aposteln der Lustlosigkeit nicht folgen und weiterhin Fleisch verzehren. 

Es hilft dann sicher nichts, darauf hinzuweisen, dass Adolf nicht rauchte, nicht trank und kaum oder keinen Urlaub machte. Und zudem Vegetarier war. Aus Mitleid mit den Tieren.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Sirius Bellt / 27.02.2020

@Frau Heinrich, Frau Wilhelmi, Herr Ehret, Sie sind mir so was von sympathisch. Auch ich lasse mir das Leben nicht vermiesen von all diesen Bedenkenträgern.

Bechlenberg Archi W. / 27.02.2020

Der Grüne ist nur glücklich, wenn er etwas verbieten kann. Dass Grün mit erschreckenden Wahlergebnissen aufwarten kann, ist sehr deutsch. Mit ihnen haben alle Neider und Mucker (“Haben Sie gesehen, die Schlobottis haben schon wieder ein neues Auto!”) im Land die perfekte Gurkentruppe, die für sie agiert. Dass die Kommunisten ins selbe Horn stoßen (Vermögenskontrolle, Enteignungen) rundet die Sache ab.

Waltraud Köhler / 27.02.2020

Nee, nee, da haben Sie etwas generell falsch verstanden. Die Menschen, die den Lustverzicht predigen verzichten ja nicht selbst. Sie möchten nur, dass andere, denen es wirklich Spaß macht, für die es tatsächlich ein Lustgewinn darstellt, darauf verzichten. Für mich sind das Leute, bei denen irgendetwas psychisch nicht in Ordnung ist. Denn sie selbst verspüren keine Lust, außer sie können anderen die Lust vermiesen. Da ist wohl etwas in deren Kindheit schief gelaufen. Ein gutes Essen können die nicht genießen, selbst wenn es ökologisch neutral und vegan wäre. Auch der Genuß von Alkohol ist ihnen unbekannt, sie kennen oft nur zwei Zustände - zugedröhnt oder nüchtern. Selbst den Sex, so einfach, Mann und Frau genießen sich und ihre Lust, können diese Leute nicht verspüren. Da muss ein kleiner Berg von Plastik-/Latexteilen dazu, damit diese Figuren Spaß dran haben. Ich schätze denen ist in der Kindheit einfach jede Freude, jeder Spaß am Leben, gründlich vermiest worden. Aber, es gibt ganz, ganz sicher genug andere, selbst jüngere, die weiterhin Lust an der Lust haben, die ein gutes Steak genauso wie ein Glas Wein genießen können Spaß am Reisen haben und für die Lust miteinander weder Plastik noch unbedingt ein Bett brauchen :-) Nicht alle wurden in der Kindheit zu “Psychopathen”

Fridolin Kiesewetter / 27.02.2020

Nicht jede “Religion” braucht einen Gott. Aber unabdingbarer Bestandteil jeder Religion ist der Grundsatz: Alles was Spaß macht, ist Sünde und daher verboten.

E. Müsch / 27.02.2020

Hervorragend Herr Hueber, aber der konsequente Lustverzicht greift deutlich zu kurz, damit muss auch immer die richtige Haltung verbunden sein. Für die Sünden der Vergangheit helfen nur höhere Ablasssteuern um dem prophezeiten irdischen Fegefeuer zu entrinnen. Und wenn Sie mich fragen, man sollte sich auch mit veganen Haferkeksen, Fastentee und Algensalat selbstkasteien, denn nur so ist die Welt noch zu retten. Sollten Sie aber das Pech haben älter und weiß  zu sein, reicht dass bei weitem nicht, aber dafür wurde ja gerade eine Gesetz abgeschafft, welches ein sozialverträgliches Ableben ermöglicht.

Willi Winzer / 27.02.2020

Nein, ist es nicht, soo deutsch. Die Deutschen haben gewiss ein paar Eigenheiten, aber die Selbstkasteiung gehört nicht dazu. Das ist nur die Spezialität einer urbanen Mischpoke, der es einfach zu gut geht in ihren vom Überfluss bestimmten gepamperten Existenz und die ihre Langeweile am Dasein bekämpfen mit der Idee, Gutes und Vernünftiges tun zu müssen. Sie tun es aber realiter so wenig wie die anderen, wie man an den Absatzzahlen für Autos, Fleisch, Urlaubsflügen und Kaminholz sieht. Denn der besagten Minderheit genügt schon das WOLLEN des Guten, um sich besser fühlen zu können in ihrem langweiligen Leben im Überfluss. Die Haltung an sich ist schon ein Wert. Es dann doch nicht oder nur halbherzig zu tun, dafür finden sich immer genug Ausreden. Es geht nur um das persönliche Wohlgefühl. Schon lange. Erfunden hat es die Anti-AKW Bewegung. Mit deren Aufkleber für’s Auto fing es an. Diese Minderheit ist laut und arrogant, aber sie ist nicht Deutschland. Die Zahlen sagen es.

Sabine Heinrich / 27.02.2020

Lust? Um Himmels willen! Ja, wo sind wir denn? Ach, waren das noch Zeiten, als in Fernsehkrimis (mit Eric Ode z.B.) in Krisensituationen erstmal der Kognak aus dem Schreibtischfach geholt und gequalmt wurde, bis man den Teer förmlich greifen konnte. “Lustphobiker” - welch ein wunderbares Wort! Lustphobiker und Moralapostel waren auch am Werk, als die 2-€-Münze mit dem Abbild von Helmut Schmidt im letzten (?) Jahr erschienen ist. Die haben doch tatsächlich die Zigarette, ohne die unser Altbundeskanzler Schmidt nicht vorstellbar war, wegretuschiert! Während meines Berufslebens habe ich etliche dieser Leute kennengelernt. Sie waren ausnahmslos verkniffen, unfroh, neigten oft zu Pedanterie und in JEDER Hinsicht meist zu Geiz.    

Petra Wilhelmi / 27.02.2020

Oh ich gebe zu, dass ich genieße. Mein Bier zu Mittag und zum Abendbrot ist wichtig. Ich sündige - und dazu noch als Frau, die schon bei einem Glas Bier pro Tag zum Alkoholiker werden würde, wie ich kürzlich hörte - ha, ha, ha ... Ich bin ein Barockmensch. Essen und Trinken ist erst in zweiter Linie Nahrungsaufnahme. In erster Linie ist es Genuß und Kultur. Schon, wenn die Ente so schön brutzelt und duftet oder der Gulasch so wunderbar paprikaisch riecht und schmeckt und die Knödel dazu munden, dann bin ich froh und zufrieden. Ich lassen den Weibern (sind vor allem Frauen) ihre rohe Möhre und ihr säuerliches Gesicht mit den zusammengekniffenen Lippen mitsamt des faltigen, alten, hässlichen Halses und der Größe XXS. Bitteschön, sollen sie sich das Leben vermießen. Ich leben mein Leben, voll innerer Harmonie und Lebenslust. Es ist endet früher oder später immer, auch wenn man dem Genuss abgeschworen hat.

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