Gleich nach dem Influencer, dem Eventmanager und dem Insolvenzberater ist „Antisemitismusbeauftragter“ ein Beruf mit Zukunft. Der Antisemitismus hat Hoch-konjunktur, und da braucht man ausgewiesene Experten und Expertinnen, die ihn, also den Antisemitismus, sachkundig begleiten. Soll heißen: Zwischen Antisemiten und Juden vermitteln, indem sie darüber reflektieren, ob die Parole „Tod den Juden!“ antisemitisch aufgeladen ist, während „Tod Israel!“ eine zulässige politische Aussage enthält.
Neben dem Antisemitismusbeauftragten des Bundes, der seit 2018 amtiert, gibt es inzwischen in jedem Bundesland einen eigenen Antisemitismusbeauftragten, dazu eine wachsende Anzahl von Antisemitismusbeauftragten an Hochschulen, Kultureinrichtungen und in Justizverwaltungen. Schaut man sich deren Jobprofile an, geht es immer darum, den „Juden und Jüdinnen“ in Deutschland einen „Ansprechpartner“ zu bieten. Wofür? Für den Fall, dass sie antisemitisch angegangen werden und hinterher nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, hören sie doch jeden Tag irgendeinen Politiker sagen, für Antisemitismus gebe es in Deutschland „keinen Platz“. Dafür umso mehr Raum für Antisemitismus-Beauftragte. Hört sich seltsam an, ist aber so.
Einer der 16 Landesbeauftragten hat es inzwischen auch außerhalb seines Sprengels – es handelt sich um das Land Baden-Württemberg, die Heimat von Kurt-Georg Kiesinger, Hans Filbinger und Martin Walser – zu einer Bekanntheit gebracht, die ihn dazu qualifiziert, Vorträge zu halten. Er nutzt die Gelegenheit gerne, um über sich selbst zu sprechen, was er alles geleistet hat und dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn die Menschheit ihm folgen würde.
So auch am 9. Januar dieses Jahres an der Uni Tübingen, wo Dr. Michael Blume, „Religions- & Politikwissenschaftler“ und darüber hinaus „Beauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus“ über „Die Nacht der fossilen Reaktanz“ referierte und über die Frage „Warum wir große Teile der Menschheit an den Dualismus verlieren“. Was einige der Zuhörer ein wenig verwirrt haben könnte, war doch eigentlich ein Vortrag über "Antisemitismus in unserer Gesellsschaft" angekündigt und nicht über „Reaktanz“ und „Dualismus“; „Reaktanz“ klingt nach Darmspiegelung, „Dualismus“ nach Berliner Weiße mit Himbeergeist.
Nachdem Dr. Blume die Ehrengäste ausführlich begrüßt hatte, wandte er sich seinem Lieblingsthema zu, dem Schaffen und Wirken von Dr. Blume.
„Hier in Tübingen habe ich als Student und frisch getaufter Christ über das großartige Buch von Elie Wiesel ‚Die Weisheit des Talmud‘ meinen ersten, wissenschaftlichen Zugang zum Judentum gefunden. Und ich konnte hier als Arbeiterkind über die damals sogenannte ‚Neurotheologie‘ – über Religion & Hirnforschung – promovieren. Auch dafür werde ich immer dankbar sein!“
Die Welt kreist um Dr. Blume
Damit wäre alles Relevante eigentlich gesagt gewesen, hätte sich Dr. Blume nicht verpflichtet gefühlt, anhand eines Textes von Elie Wiesel die Geschichte eines „jüdisch-kabbalistischen Lehrers“ namens „Mojsche-der-Schammes“ zu erzählen, „der von den Nazis früh deportiert wurde und eine Erschießung knapp überlebte“. Ja, so sieht ein „wissenschaftlicher Zugang zum Judentum“ aus. Wer eine Erschießung „knapp“ überlebt, der wird auch eine Vorlesung über „Reaktanz“ und „Dualismus“ ohne Schaden an Leib und Seele hinter sich bringen.
Egal, worüber Dr. Blume redet, wen oder was er ins Visier nimmt, alles fängt bei ihm an und führt zu ihm zurück. Die Erde dreht sich nicht um die Sonne, sie kreist um Dr. Blume. Er sagt voraus, er warnt, er schlägt vor, er fordert, er überwindet Grenzen und redet darüber. Im Vorübergehen watscht er auch „israelische Rechtsextremisten“ ab, welche „die EU höhnisch auffordern, wir sollten alle Palästinenserinnen und Palästinenser aus Gaza bei uns aufnehmen“. Was soll an dieser Idee schlecht sein, so sie denn wahr ist? „Wir“ haben doch auch Massen von Afghanen, Pakistanern, Türken, Tunesiern, Seengalesen und Irakern bei „uns“ aufgenommen und nur die besten Erfahrungen mit ihnen gemacht. Den „Deutschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Thüringen“ ruft Blume zu:
„Verschwörungsunternehmer, Antisemiten und Faschisten vertreten nicht Eure Interessen. Sie verleugnen die Folgen der fossilen Klima- und Wasserkrise, die schon jetzt Eure, unsere Heimat beschädigen und bedrohen!“
Der fossile (petromaskulinistische) Lebensstil
Erstaunlich, dass ein so klar denkender Mensch wie Dr. Blume Meck-Pomm und Brandenburg links liegenlässt und dafür Niedersachsen dem von „Verschwörungsunternehmern, Antisemiten und Faschisten“ kontaminierten Osten zuschlägt. Schlimm, ganz schlimm, ist auch der „fossile (‚petromaskulinistische‘) Lebensstil“, Ursache und Quelle allen Übels. Die Umstellung auf Erneuerbare Energien und ein Abbau der „verschwenderischen Massentierhaltung“ seien die Voraussetzungen für eine friedliche und gerechte Welt. In diesem Zusammenhang kommt Dr. Blume tatsächlich auf den Antisemitismus zu sprechen:
„Wenn wir den Antisemitismus also jemals wieder zurückdrängen wollen, dann müssen auch wir selbst uns ändern – in der Europäischen Union, in den USA, in Israel, in jeder Demokratie. Wir müssen aufhören, unsere fossilen Feinde zu finanzieren…“
Viele Wege führen in den Antisemitismus, aber nur einer aus ihm heraus – der Verzicht auf fossile Energien. Das ist der Unsinn, aus dem in Deutschland Antisemitismus-Beauftragte gebacken werden. Dr. Blume findet diesen Gedanken dermaßen überzeugend, dass er ihn im Laufe seines Vortrags mehrmals variiert, ihn zur Basis der Grundlage seiner Befunde macht.
„Die europäische und US-amerikanische Rechte hat ganz ebenso wie israelische Regierungen den Ausbau Erneuerbarer Energien blockiert und damit die fossile Finanzierung von Regimen wie Russland, Iran, Katar und ihren Ablegern Hamas, Huthis und Hisbollah zugelassen, ja gefördert.“
Der Jud’ ist an allem schuld
Aber das ist noch nicht das Ende der energiepolitischen Fahnenstange.
„Benjamin Netanjahu genehmigte Geldflüsse aus Katar an die Hamas nach Gaza. Seine Regierungskoalition mit Rechtsextremen und Ultraorthodoxen spaltete die israelische Gesellschaft mit der versuchten Abschaffung der Gewaltenteilung und verlegte die israelische Armee zu den Siedlern ins Westjordanland, statt den eigenen Süden zu schützen. Wir sehen hier keine angebliche ‚zionistische Weltverschwörung‘, sondern schweres, politisches Versagen, das hoffentlich auch in Wahlen aufgearbeitet werden wird.“
Erstaunlich, was Dr. Blume, Antisemitismusbeauftragter des Landes BW und Experte für Reaktanz, Dualismus und „petromaskulinistischen“ Lebensstil, so alles weiß und wie geschickt er einen Zusammenhang zwischen Vorgängen herstellt, die – oberflächlich betrachtet – nichts miteinander zu tun haben. Schaut man aber genauer hin, wird einem klar, wie engmaschig das Netz von Ursache und Wirkung ist, das Dr. Blume knüpft. Dieser Begabung hat er seine Berufung zum Antisemitismusbeauftragten in BW zu verdanken.
Er nutzt seine Position, um klassischen antisemitischen Quatsch aufzuwärmen, wie z.B. den, die israelischen Regierungen hätten in Zusammenarbeit mit der europäischen und amerikanischen Rechten „den Ausbau Erneuerbarer Energien blockiert“. Am Ende ist doch der Jud‘ an allem schuld. Das sei keine „zionistische Weltverschwörung“, raunt er präventiv, wissend oder ahnend, dass er im Begriff ist, in genau diese Kiste zu greifen. Aber die Versuchung, im Kostüm eines Antisemitismusbeauftragten lupenreinen Antisemitismus zu verbreiten, ist zu groß, als dass er ihr widerstehen könnte. Das ist kein unbekanntes Phänomen, es gibt Feuerwehrmänner, die gerne ab und zu ein Feuer legen, um sich anschließend als Feuerlöscher zu profilieren. Das hat inzwischen sogar ein Hamburger Landgericht erkannt und ein bemerkenswertes Urteil gefällt: „Antisemitismusbeauftragter darf weiter als ‚antisemitisch‘ bezeichnet werden“.
Und hier noch ein Bericht des SWR über die Zunahme antisemitischer Vorfälle im Beritt des Antisemitismus-Beauftragten von BW. Interessant ist vor allem dieser Absatz: „Der größte Teil der Taten ist nach diesen Angaben weiterhin rechtsmotiviert – mit deutlich steigender Tendenz. Von den 184 Delikten im ersten Dreivierteljahr dieses Jahres werden 135 diesem Bereich zugerechnet, in den ersten drei Quartalen des Vorjahres waren es 109 Fälle.“ Von 184 antisemitisch gelesenen Delikten wurden 135, also zwei Drittel, dem rechten Spektrum „zugerechnet“, ohne jeden empirischen Beleg. Das ist, als würde man zwei von drei Bürgern von BW dem Analphabeten-Milieu „zurechnen“, weil sie alles können, außer Hochdeutsch.