Staaten erlangen ihre Legitimität dadurch, dass sie entstehen und bestehen. Das Völkerrecht ist eine schöne Sache im Frieden, im Krieg spielt es kaum eine Rolle. Da geht es um die Macht, warum sollte man sonst einen Krieg führen? Auch Israels Legitimität gründet nicht in Auschwitz oder irgendwelchen historischen Ansprüchen auf diesen Landstrich, sondern darauf, dass es die Macht besitzt, zu existieren. Danzig müsste heute noch als souveräner Staat existieren, wenn das Völkerrecht eine Rolle spielte. Das Völkerrecht ist ein Mittel, bestehende Machtverhältnisse zu sichern, ohne reale Macht ist es bedeutungslos. Natürlich hat jedes Volk seine legitimatorischen Erzählungen und Mythen. Sie sind aber nur Erzählungen und Mythen. Ein Staat besteht solange er sich zu erhalten versteht, aber nicht weil er auf irgendwelche “historisch” begründeten “Ansprüche” aufbaut. Versuche, Israel (oder irgendeinen anderen Staat) als Staat “historisch” zu legitimieren, führen zwangsläufig dazu, dass dessen Gegner auf die gleiche Weise versuchen, den Staat zu delegitimieren. Philosemiten und Antisemiten bedienen sich in der selben Werkzeugkiste, wie alle, die “historische” Legitimationen aufbauen wollen. Die völkisch-nationale Rechte versucht eine solche für “Deutschland” wieder aufzurichten, um sich der Selbstaufgabe des Staates entgegenstellen zu können, Sowohl ihr Antizionismus als auch ihr Antisemitismus sind Mittel zum Zweck, auch wenn vielen das kaum bewusst sein wird. Ich glaube, die meisten von ihnen sind nicht Antisemiten, weil sie Juden hassen, sondern weil sie meinen, dass die Existenz Israels (und die Notwendigkeit, diese zu verteidigen) mittelbar die Selbsterhaltungsfähigkeit des deutschen Staates untergraben hat und untergräbt. Ich glaube nicht, dass ihre Strategie funktionieren wird, da ich für den Willen zur Macht positive Ziele brauche und nicht Mythen. Ihr Antizionismus und Antisemitismus dient der Kaschierung des Verlustes an Selbstwertgefühl.
Das mag ja richtig sein, aber daraus leiten sich keine Ansprüche ab. Der Ukraine ist die Krim zugefallen durch einen innersowjetischen staatlichen Akt. Russland hätte die Krim-Frage ja schon in den 90ern klären können und selbst wenn die Ukraine sich immer quer gestellt hat und hätte, gibt es ja keinen Grund, sich die Krim gewaltsan einzuverleiben. Aber er hat nicht gemerkt, dass er da einen Doppelstandard fährt: 1. Mit besetzten Gebiet meinte er das Westjordanland. Es gibt aber keinen Staat, dem Israel das weggenommen hat. Dieser Staat wollte sich 1948 ja gar nicht erst konstituieren, sondern die Bevölkerung setzte auf die arabische Nachbarn, die mit Waffengewalt Israel auslöschen wollten. 2. Tatsächlich besetzt sind die Golanhöhen, aber zwischen Syrien und Israel herrscht seit 1948 Krieg. Syrien erkennt Israel nicht an. Es ist absolut unüblich, während eines laufendes Krieges, eroberte Gebiete zurückzugeben. Syrien hat eigentlich jeglichen Anspruch auf die Golanhöhen mittlerweile verwirkt. Israel hat beim Sinai gezeigt, dass es Frieden haben will. 3. Das Gebiet gehörte mal einem jüdischen Staat, ist aber 2000 Jahre her. Sicherlich lassen sich daraus keine Ansprüche herleiten (macht Israel auch nicht), aber bei Russland wird das Argument, dass die Krim mal russisch wra, akzeptiert. Russland in Schutz nehmen, dass zweifelsfrei völkerrechtswidrig gehandelt hat, aber Israel umso schärfer moralisch angreifen. Und diesen israelbezogenen Antisemitismus sehe ich bei SED, bei so manchen AfD-Anhängern, und bei Leuten wie Elsässer. Und leider reicht so ein israelbezogener Antisemitismus bis weit in die Mitte hinein; das muss man konstantieren.
Hier zeigt sich die Perversion unserer postmodernen, post-faktischen, am Individualismus krankenden Zeit: Wenn allein das Individuum Mensch selbst als neuer “Nabel des Kosmos” auf der Bühne der Wahrheit stehen soll, obwohl es ein logisch-inkonsistentes, seelisch-moralisch fragmentiertes und widersprüchliches Wesen ist – diese innewohnende innere Zerbrochenheit und Widersprüchlichkeit aber nicht mehr erkennen will/ kann – dann gibt es nur noch einen Weg der “Wahrheits”-findung: Tribalisierung. Egal, wie menschenverachtend und inkonsistent diese “Allianzen” auch sein mögen. Dann können rechts- und linksextreme Judenhasser (Antifa, BDS, Kubitschek) plötzlich genauso gut miteinander paktieren, wie radikale Islamisten, militante Feminist*innen und fanatische Öko-Sozialisten (schöner Gruß von dieser Stelle aus an das “Eichhörnchen auf Ecstasy” von Bündnis90/Die Grünen): Der gemeinsame Hass eint im Aktivismus, zumindest so lange wie das ‘primäre’ Hassobjekt noch existiert; alle Widersprüchlichkeiten der unheiligen Allianzen können (zumindest eine Zeit lang) ausgeblendet werden, obwohl einem Normaldenker bei soviel Menschenverachtung und dem Vakuum an gesundem moralischen Urteilsvermögen das Gehirn durchschmoren müsste. Zivilisatorisch sind das alles Rückschritte in eine prä-zivilisierte Stammeskultur, wo der Stamm gewinnt, der den größten Knüppel hat. Und: Viele machen mit, andere schauen zu, und Dritte machen ihren Bauch zu ihrem Gott (Konsum als Fehlversuch einer existenziellen Nihilismus-Kur). “Was ist Wahrheit…” (Pontius Pilatus).
Als Deutscher kann man eigentlich nur zwei Positionen zu Israel haben: Entweder man sympathisiert mit dem Staat. Oder man hält die Schnauze. Alles andere ist peinlich. Es gibt 7 Milliarden Menschen auf der Welt, da muss die Israelkritik nicht gerade aus dem Land kommen, in dessen Namen die industrielle Ermordung der Juden durchgeführt worden ist.
Ich hatte erst gestern ein aufwühlendes Telefonat. Man redete über Corona, die Medien und dass man ständig als Verschwörungstheoretiker diffamiert wird, wenn man die Maßnahmen kritisch sieht. Dann sagte die Person: “Das kenne ich sonst nur bei als Antisemitismuskeule, wenn man Israel kritisiert.” Das hat er vor sich aus gesagt, aber Ende des Telefonats war er so erhitzt, dass er darüber nicht mehr reden wolle. (Er hatte doch angefangen). Warum wurde es emotional? Ich sehe es natürlich anders, ich bin für Israel. Ich kenne ja die Geschichte und unzählige Male wurde Israel nun schon angegriffen, weil die Araber den Juden nicht mal ein Stück wüstes Land gönnten (das ursprünglich vorgesehe Gebiet aus einem riesigen Stück Negev). Mein Einwand, dass in dem Gebiet schon immer viele Juden gelebt haben, dass Tel Aviv 1909 gegründet wurde, dass Jerusalem die jüdische Stadt schlechthin ist, gilt nicht. Israel besetze “fremdes Land”, und meint “Palästina”, und er versteht nicht den Unterschied zwischen dem Mandatsgebiet Palästina und den Leuten, die sich heute Palästinenser nennen, aber eigentlich Araber genannt werden müssten. Da wirkt hat die Arafatsche Begriffsokkupation voll gewirkt und unsere Medien haben ja auch immer freiwillig mitgemacht. Der Begriff “Palästinenser” wird gar nicht mehr hinterfragt. Dass es keinen Staat gab, den Israel hätte das Land hätte wegnehmen können (historische Fakten), sondern dass sich Syrien, Libanon, Israel, Jordanien und Irak aus dem zerfallenen Osmanischen Reich konstituierten, sind so einfach verstehbare Fakten, die man nicht hören will, denn es gibt ja keine objektiven Grund, warum man dann Juden nicht ihren eigenen Staat gönnen sollte. Dann schimpfte er auf die “besetzten Gebiete”, und wo es das noch gäbe im 21. Jahrhundert. Ich sagte kurz und trocken: Russland. Er rechtfertigte das russische Vorgehen, da ja die Krim schon zu Zeiten Katarinas russisch gewesen sei…
1948 ist es auf israelischem Territorium tatsächlich zu ethnischen Säuberungen gekommen, deren Opfer Palästinenser waren. Fast gleichzeitig wurden im indisch-pakistanischen Grenzgebiet viele Millionen Menschen als Hindus von Muslimen oder als Muslime von Hindus vertrieben; gleichzeitig gab es Massaker vor allem an Hindus, aber auch an Muslimen, die wirklich alles, was in Israel und Palästina seit damals bis zum heutigen Tag durch israelische Täter geschehen ist, als total inkonsequente Nebensache dastehen lassen. Seit 1948 gab es auch sehr viele Kriege , Bürgerkriege, Massaker und Vertreibungen unter Muslimen. Die “Israelkritiker”, und hier auch die weniger extremen, beachten den palästinensischen Terror gegen israelische Zivilisten kaum oder gar nicht, obwohl er immer wieder aufflackert und regelmäßig der Grund für israelische Militäraktionen ist. Noch weniger begreifen diese “Intellektuellen” von rechts und links, dass Israel, weltweit gesehen, das Land ist, das sich die “Weltgemeinschaft jenseits der Zuordnungen” am allerwenigsten leisten kann. Ungeachtet dieser Tatsache sind unsere “Intellektuellen” zum großen Teil der Ansicht, Israel als kulturell abendländisches Land müsse beim Schuldkult gegenüber den Muslimen mitmachen. Dass die Israelis ins Meer getrieben würden, kurz nachdem sie damit angefangen hätten, wird nicht begriffen. Israel handelt nicht aus der Geschichte von 1948, sondern aus Gegenwartsbedingungen heraus. Irgendwie scheint diese kaum übersehbare Tatsache anstößig zu sein, rinks wie lechts.
Unser Thema heute - Diasporismus. “Der Diasporismus zielt darauf, die Verstreuung der Juden im Westen zu fördern, dabei insbesondere die Wiederansiedlung israelischer Juden europäischer Herkunft in den europäischen Ländren, wo es vor dem Zweiten Weltkrieg eine beträchtliche jüdische Bevölkerung gegeben hat. Der Diasporismus hat den Plan alles wiederaufzubauen, nicht in einem fremden und bedrohlichen Nahen Osten, sondern in ebenden Ländern, wo einst alles blühte, wobei die die Katastrophe eines Zweiten Holocaust abgewendet werden soll, der dadurch heraufbeschworen wird, daß sich der Zionismus als politische und ideologische Kraft erschöpft hat. Der Zionismus hat es unternommen, jüdisches Leben und die hebräische Sprache an einem Ort wiederzubeleben, wo nahezu zweitausend Jahre weder das eine noch das andere mit wirklicher Vitalität existiert hat. ...” Na, wer hat’s gesagt - Kubitschek, Lichtmesz oder Höcke? Ne, falsch: Philip Roth, einer der genialsten jüdischen Denker und Dichter des letzten Jahrhunderts. (In: “Operation Shylock, S.45). Mich interessiert das Thema nur am Rande. Es geht mir hier um Vollständigkeit statt verlogener Einseitigkeit.
Sehr geehrter Herr Dr. Ermler, ich schlage vor, dass Sie nicht über Herrn Kubitschek sprechen, sondern den Versuch unternehmen, mit ihm zu reden. Als Leser der “Sezession im Netz” sind mir Ihre abschließenden Urteile und Schlußfolgerungen nicht plausibel und durch meine persönliche Erfahrung und Kenntnis der Artikel nicht gedeckt. Ich finde es sehr gut, ein erster wichtiger Schritt zur neutralen Meinungsbildung, dass Sie zu den Texten, die Ihre Argumente stützen sollen, “verlinken”. Ich halte den Dialog für geboten, sonst reihen Sie sich nur in die Gilde der Leute ein - und ein Herr Dr. Berger steht hier stellvertretend - die einen Nachweis - um jeden Preis - konstruieren wollen, dass das politische Vorfeld und die AfD Nationalsozialistischem Gedankengut anhängen. Auch PP, den Blog von Herrn Dr. Berger habe ich lange verfolgt. Ich empfehle eine vorurteilsfreie und argumentative Auseinandersetzung. Denn das Niveau, der von Ihnen in den Fokus gerückten Personen und deren Publikationen, ist nicht mit dem seichten Wasser der üblichen Empörungsindustrie zu vergleichen. Hier müssen Sie schon intellektuell in der Lage sein, mit dem Florett zu fechten, was ich Ihnen, wenn Sie aus Ihren Vorurteilen heraustreten sollten, zutraue.
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