Zum Sonntag gehe ich gerne mal wohin. Ja. In eine Ausstellung oder auch mal, vor allem vor Corona, in ein klassisches Konzert. Wussten Sie, dass die Medizinstudenten, wie zum Beispiel die in Würzburg, ein eigenes Orchester haben, das nur aus angehenden Medizinern besteht? Wie auch immer, mit genau der Mission, „mal wohin zu gehen“ machte ich mich auf den Weg. Ziel: Das Neue Museum in Nürnberg. Jawoll.
Und noch ehe ich die Frage beantworten konnte, wo denn das „Alte“ Museum sei, stand ich vor dem Eingang. Darüber hing eine digitale Anzeigetafel, die in einer kaum erträglichen Langsamkeit das Programm vortrug, in dem Buchstabe für Buchstabe eingetippt wurde. Also, die Lettern tippte natürlich nicht wirklich jemand gerade ein, hoffe ich zumindest. Es ist eben eine Simulation, ein Programm.
Natürlich habe ich vor lauter Ungeduld nicht erfasst, worum es in der Ausstellung gehen soll. Irgendwas mit „Neuland“ und „noch nie da gewesenes“. Ach, was. Und ich dachte, sie zeigen den alten Kram aus dem Alten Museum. Egal, spätestens beim Duzen verging mir die Laune. Kennen wir uns, Herr oder Frau Anzeigetafeltipper? Haben wir uns auf das „Du“ geeinigt? „Lass dich überraschen!“ und davor ein Smiley, antwortete wie bestellt der Bildschirm. Sodann drehte ich mich um und ging zum Einkehren in Richtung „Dunkin Donuts“. Nicht mit mir.
Jeder ist ein „Du“
Dieses stete Duzen mag ja wahnsinnig hip und modern sein. Es geht mir aber auf den Geist! Halten Sie mich für konservativ und verspießert, jaja, geschenkt und meinetwegen. Beide Zuschreibungen sind sicher nicht ganz falsch. Aber andererseits: Was hat das Museum denn davon, in eine Kindersprache mit „Zwinker“-hier und „Du“-da, zu verfallen, die dem Deutschen schlicht nicht gerecht wird? Die Höflichkeitsform ist, wie sie sich selbst beschreibt: „Höflich“. Ja. Sie ist bescheiden, lässt das „ich“ des Redners zurücknehmen und schafft eine angenehme Distanz zwischen Sender und Empfänger. Man kann natürlich als distanzloser Hanswurst durch das Land ziehen und alles und jeden duzen, als hätte man nicht mehr alle Latten am Zaun. Dann aber bitte nicht wundern, wenn der eine oder andere sich dem Gespräch entzieht.
Das zunehmende „Duzen“ steht nur auf den ersten Blick dem Trend der politischen Korrektheit entgegen. Scheinbar brechen die Protagonisten die implizite Verabredung zweier unbekannter Menschen auf, die sich selbstverständlich „siezen“. Eigentlich steht das inflationäre „Du“ für einen weiteren Baustein für eine politisch sterile Sprache. Mit dem Abschied der Höflichkeitsform und dem steten Verwenden eben des „Du“ reihen sich die Gesprächspartner ein in eine allgemeine Gleichheit. Jeder ist ein „Du“. Alle kennen sich gleich gut. Doch wenn sich jeder gleich kennt, kennt sich niemand überhaupt. Und die Social Justice Warriors jubeln. Heureka!
Der wunderbare Robert Pfaller beschreibt in seinem Buch Erwachsenensprache das offenkundige Problem, dass eben diese Erwachsenensprache verschwindet. Recht hat er, der Österreicher. Ob es in Salzburg auch so zugeht wie bei uns?
„Mit Wumms“ in die sprachliche Verblödung
Christian Lindner nennt sich CL, als wäre er ein Fußballstar und lässt sich entsättigt im Unterhemd abblitzen, als sei er 16 Jahre alt. Mit grauenhaft schlechten Herrenwitzen ausgestattet, schafft es CL, zu suggerieren, er sei seit Jahren in der Pubertät stecken geblieben. Dieser Infantilismus hat nicht nur Struktur, wie sein Wahlkampf 2017 zeigte, er hat auch Methode. Und es ist vor allem eines: nicht erwachsen.
Den sprichwörtlichen Vogel schoss jedoch die Familienministerin ab. Mit ihrem „Guten KiTa Gesetz“ – Gott sei Dank, es ist kein schlechtes Gesetz – zeigt Frau Giffey, dass sie das Volk für ganz besonders doof hält. In ihrer ohnehin schon grenzwertigen, frühpädagogischen Art erklärt sie uns Kinderlein, wie schön doch das Gute KiTa Gesetz wird. Mit ihrer Babysprache. Immerhin etwas pennaler, dafür nicht weniger geistig limitiert, kommt der Finanzminister daher, der Kanzler werden mag. „Mit Wumms“ soll es aus der Krise gehen. Und „mit Wumms“ geht es in die sprachliche Verblödung. Olaf Scholz sieht zwar so aus und er ist es auf dem Papier. Erwachsen aber spricht der Hamburger jedoch beileibe nicht.
Und so ist es auch kaum überraschend, dass der gute Robert Pfaller den Appell für freie Debattenräume unterzeichnete. Und das, obwohl er sich als „marxistisch-proletarischer Romantiker“ sieht. Ok, ich habe, ehrlich gesagt, keinen Schimmer, was das sein soll. Sicher ist: Er ist irgendwie ziemlich weit links. Macht ja nix. Umso bemerkenswerter, dass der Pfaller den Zeitgeist der Cancel Culture erkennt. Denn diese enthält auch eine sprachliche Dimension, auch wenn sie nicht die entscheidende Dimension ist.
Wenn die Erwachsenensprache verschwindet, haben die Canceler so gut wie gewonnen. Vor mehr als zehn Jahren machten wir uns über die Formulierung „Menschen mit Migrationshintergrund“ lustig. Was für ein deutsches Wortmonster! Heute kann ich kaum mehr über Menschen mit internationaler Geschichte lachen, das die aktuelle politisch korrekte Bezeichnung ist. Denn offensichtlich ist „Migration“ ein böses Wort und „Hintergrund“ ohnehin. Der eine oder andere „internationale Mensch“ könnte sich da beleidigt fühlen. Ich sehe förmlich die Tränen meines Kumpels Schambel kullern, wenn ich ihm erkläre, er sei Ausländer. Denn er ist einer, ein waschechter und einer mit internationaler Geschichte obendrein.
Wo waren Sie, als die Befindlichkeit triumphierte? Ich weiß nicht mal, wo ich war. Vielleicht ärgerte ich mich über einen „Duzer“. Oder ich schrieb, oder ich las. Vielleicht schlief ich auch gerade oder kehrte irgendwo ein. Wie auch immer: Wann siegten persönliche Empfindungen über rationale Argumente?
„Die Mutter der Dummen ist immer schwanger“ hat der Erwin Pelzig einmal gesagt, als Reinhold Messner in seiner Sendung arg gescheit daherredete. Und das stimmt. Beim Versuch, eine Sprachhygiene herzustellen, die niemandem mehr weh tut, erstellen die Ewigguten ein Kunstsprech, das nicht nur ihre Leserlichkeit verliert, sondern auch ihre semantische Klarheit. Wenn aus „Volk“ „Menschen, die schon lange hier leben“ wird, dann ist das nicht nur unsäglich infantil und selbstverleugnend. Es ist auch einfach falsch. Das Hygienekonzept der politisch korrekten Sprache sieht vor, niemanden zu verletzen und auszugrenzen und damit jeden wirklich direkt anzusprechen. Sie hat die Endlösung der sprachlichen Inklusion zum Ziel. Am Ende meint sie gar nix und verkommt zu einer inhaltlich ausgehöhlten und ästhetiklosen Sprache. Wolf Schneider, bitte übernehmen Sie!
Im „Dunkin Donuts“ hat mich die Bedienung dann auch geduzt. Gut, immerhin bin ich dort seit fünf Jahren Stammgast. Als dann aber jemand fragte: „Ist dein Platz noch frei?“ verkniff ich mir den Hinweis auf die Höflichkeitsform. Stattdessen verwies ich auf eine andere Art von Hygiene. „Abstand halten“, sagte ich und wendete mich wieder meinem iPad zu.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Julian Marius Plutz' Blog Neomarius.