Thilo Schneider / 01.11.2020 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 21 / Seite ausdrucken

Das Gurkenglas der Pandora

Ich schreibe diese Zeilen aus der Untersuchungshaft. Schuld daran ist der Schatz, weil er das Gurkenglas nicht mitgenommen hat. Ich muss, um das zu erklären, etwas weiter ausholen, damit es verständlich ist. Der Schatz hatte den Glasmüll weggebracht, aber dabei ein Gurkenglas vergessen. Ordentlicher Haushalt, der wir sind, hatten wir das Gurkenglas ausgespült. Wegen der Ratten, die sonst, wenn wir ein unausgespültes Gurkenglas in den Glascontainer werfen, den Gurkenglascontainer nach Gurkenwasserresten durchsuchen und dabei die Pest übertragen. Also dachte ich, dass wenn ich schon nach unten gehe, ich das Gurkenglas ja mitnehmen und in den Glascontainer werfen könnte. Außerdem musste ich noch auf die Bank, einen größeren Bargeldbetrag abheben. 

Ich lief also die paar Schritte zur Ersten Allgemeinen Parkbank mit meinem Gurkenglas und zog mir aus dem Automaten im Foyer 2.000 Euro. Wegen des Handwerkers, der normalerweise kein Kartenlesegerät hat und lieber Bargeld nimmt. Das er natürlich dann ordentlich versteuert, wenn er es auf sein Konto einzahlt. Nehme ich an. Am Automaten habe ich dann gepennt und auf „Stückelung egal“ gedrückt, wodurch mir der Automat fröhliche vierzig 50-Euro-Scheine unter Quietschen und Ächzen und Seufzen entgegenschob. Jetzt war das Problem, dass so eine Menge Scheine ziemlich dick ist und ich sie auch nicht in einen Umschlag stecken wollte, den ich dann verliere. Dann müsste ich mich darauf verlassen, dass ihn ein Syrer findet und bei der Polizei oder meinem Handwerker abgibt, das war mir zu riskant. Also habe ich mir das Geld in die Jeans gestopft und bin in die Bank hinein, damit die mir das in einen weniger hohen Stapel von hunderter oder zweihunderter Noten umtauschen, und dabei vergaß ich, dass ich ja noch das Gurkenglas in der Hand hatte. 

Die etwas ältere Dame vor mir in der Warteschlange drehte sich um, lächelte und sagte: „Sie haben da ja mal einen interessanten Geldbeutel!“ Und ich weiß nicht, was mich geritten hat, vielleicht hatte ich zu wenig Nikotin, vielleicht lag es an dem Scherzkeks, den ich gefrühstückt hatte oder daran, dass es mich nervte, das Gurkenglas noch zum Container bringen zu müssen. Ich sagte spontan und aus einer Laune heraus: „Nein. In diesem Glas befindet sich ein Corona-Virus aus einem komplett infizierten Haushalt. Wenn ich nicht sofort 2.000 Euro bekomme, dann lasse ich es hier, in der Schalterhalle, frei!“

Die etwas ältere Dame durchlief ein Frösteln, und ich meine, sie wäre auch bleich geworden. „Oh Gott“, entfuhr es ihr. Dann, lauter: „Er hat ein Corona-Virus dabei und will damit die Bank überfallen!“ Schlagartig herrschte Stille in dem ohnehin durch das maskengedämpfte Sprechen nicht sonderlich lauten Schalterraum. Zehn schreckgeweitete Augenpaare starrten mich ängstlich an. Irgendwo klingelte ein Telefon. Laut. Viel zu laut. Und ich bilde mir ein, ich hätte auch leise einen Hund bellen hören. 

„Da ist kein Virus im Glas! Da waren Spreegurken drin!“

Ein hagerer Herr mit Fahrradhelm und hautengem Fahrradfahrerstrampelanzug sprach mich gefährlich ruhig an: „Sie haben das Corona-Virus da im Glas?“ Er deutete auf die arme ehemalige Herberge von gut einem halben Dutzend Spreewaldgurken. „Ja, nein, das war ein Scherz…“, erklärte ich nervös. Die junge maskierte Mutter zog ihr maskiertes Schulkind an sich heran, das sich hinter ihr versteckte und mich verunsichert aus der Deckung des mütterlichen Hinterns anstarrte. „Da ist kein Virus im Glas! Da waren Spreegurken drin!“, erklärte ich so laut, wie es mein Nasen-Mundschutz zuließ. „Können Sie das garantieren?“, hakte der Fahrradkasper nach. „Was? Ja, schon…“, entgegnete ich verunsichert. „Haben Sie denn einen Test gemacht?“, wollte die ältere, ehemals humorvolle Dame wissen. „Nein, ich habe nichts!“, beharrte ich.

Frau Sommer, die Bankangestellte, die meine Finanzverhältnisse und mich schon ewig kennt und durch zwei Hochzeiten, eine Scheidung und einen Berufswechsel begleitet hat, fiel mir in den Rücken: „Sie können es also nicht sicher sagen. Vielleicht haben Sie das Virus ja tatsächlich versehentlich in dem Gurkenglas eingesperrt.“ „Gute Güte…“, jetzt war ich an der Reihe, sauer zu werden, „das Glas ist gespült und so sauber…“, ich suchte nach einem Vergleich, „…so sauber wie ein Weihwasserbecken!“ Falscher Vergleich. „In einem Weihwasserbecken schwimmen mehr Keime als unter einer Klobrille oder auf Ihrem Lenkrad“, belehrte mich der Fahrradkasper, „mitnichten ist Ihr Glas sauber!“

Und dann platzte mir der Kragen: „Wenn ich Corona hätte, dann hätte ich die Viren überall an mir, am gesamten Körper, hier an der Jeans und hier…“, ich griff in die Hosentasche und zog das Geldbündel heraus, „an den verdammten Geldscheinen und würde es garantiert nicht nur in einem beschissenen Gurkenglas spazierentragen, wo es sowieso nichts sieht, weil es nämlich gar keine Augen hat, das Virus“. Ich glaube, meine Ansprache wäre noch heftiger und verständlicher gewesen, wenn ich nicht die dämliche Maske getragen hätte und wahrscheinlich wäre auch die Stimmung wieder friedvoller geworden, wenn mir nicht in diesem Moment das elende Glas aus der Hand gefallen und mit einem lauten Knall auf dem Marmorfußboden der Parkbank zersprungen wäre. 

„Mit erhobenen Händen und ohne Pandoras Gurkenglas“

Die ältere Frau, der Fahrradkasper, die Kindsmutter und das Mutterkind, selbst Frau Sommer hinter ihrer Plexiglasscheibe stiebten vom Unfallort weg wie Kakerlaken in einem mediterranen Hotel, wenn man nachts das Licht im Bad aufreißt. Sirenengeheul ertönte, und ich bin bis heute nicht sicher, ob Frau Sommer in Panik oder voller Absicht hier einen verborgenen Schalter gedrückt hat. Im Nu fand ich mich mutterseelenalleine vor einem Haufen Scherben in der Parkbank, während meine Mitmenschen panikartig den Schalterraum verließen. Die Türen knallten zu, Rollgitter sausten herab und so blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten. Bis die Türen wieder freigegeben wurden, weil ein Sonderkommando der Polizei mit Seuchenschutzausrüstung mich via Megaphon aufforderte, mit erhobenen Händen und ohne Pandoras Gurkenglasreste den Finanzpalast zu verlassen. 

Und so sitze ich jetzt hier und tippe auf meinem Smartphone, während ein Untersuchungsrichter prüft, ob er mich gegen Kaution freilassen will. Immerhin habe ich eine Anzeige wegen „§ 330a StGB Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften“ und vielleicht sogar wegen eines versuchten terroristischen Anschlags mittels einem in einem Senfgurkenglas gefangenen Virus an der Backe. Wenigstens ist das Essen bisher annehmbar – es gibt Gurkensalat…

(Weitere saure Gurken des Autors unter www.politticker.de

Foto: Timo Raab

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Petra Wilhelmi / 01.11.2020

Oh, Herr Schneider, vielen Dank. Ich habe herzlich lachen müssen. Aber, ich denke, dass es bei der Hysterie der Leute auch wirklich so passieren könnte.

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