Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 06.04.2012 / 23:11 / 0 / Seite ausdrucken

Das glückliche Land verschwindet am Horizont

Dies wird für einige Zeit mein letzter Artikel für den Business Spectator sein – und der letzte Artikel, den ich von Australien aus schreibe.  Nach fast vier hoch interessanten Jahren am Centre for Independent Studies in Sydney wechsele ich nun als Leiter des neuen Think Tanks „The New Zealand Initiative“ nach Wellington.

Ich bin schon mehrfach von einem Land in ein anderes gezogen und jedes Mal hatte ich den Eindruck, ein Kapitel zu beenden und mit dem Schreiben eines neuen zu beginnen. Während ich meine Umzugsvorkehrungen treffe, bin ich aufgeregt (und sogar ein wenig ängstlich), wenn ich an diesen Sprung in die Welt der Ideen in Neuseeland denke. Momentan ist die einzige Gewissheit die, dass das australische Kapitel meines Lebens nun zu Ende geht. Ich habe hier eine fantastische Zeit verbracht und empfinde nur eine große Zuneigung und sicher auch Dankbarkeit gegenüber Australien - und doch verlasse ich das Land mit einem unterschwelligen Gefühl der Ernüchterung. 

Statt also über die nicht enden wollende Euro-Krise oder die australische Industriepolitik zu schreiben, hoffe ich, dass Sie mir eine kleine persönliche Reflexion über Australien verzeihen werden – von einem Ausländer, der als Student ins Land kam, seine australische Brieffreundin heiratete und das Glück hatte, hier Freunde zu finden.

Als ich 1999 erstmals nach Australien kam und später in den Jahren 2001 und 2002 an der University of Sydney für meine Doktorarbeit forschte, empfand ich das Leben hier als einen Auftrieb und eine Befreiung. Zuvor hatte ich immer nur in Deutschland gelebt.

Deutschland hatte natürlich die gewaltigen Umwälzungen durch den Fall der Berliner Mauer 1989 und die Wiedervereinigung 1990 durchgemacht. Dennoch wirkte mein Heimatland auf sonderbare Weise stagnierend und unbeweglich. Große politische Reformvorhaben in Deutschland wurden endlos debattiert, aber nie angegangen. Es war ein Land, das man jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang verlassen konnte, um bei der Rückkehr festzustellen, dass man absolut nichts verpasst hatte.

Australien war in den ersten Jahren des Jahrhunderts anders. Ich traf gegen Ende der Reformperiode hier ein und sah deren beeindruckende, deutlich erkennbare Ergebnisse. Vielleicht war es der Kontrast zu dem schwerfälligen Deutschland, durch den ich einen stärkeren Bezug zu der hier herrschenden Aufbruchstimmung bekam. Australien war ein Land des ‚Können wir!’, während Deutschland nur zu oft für eine Einstellung des ‘Könnten wir.’ oder sogar ‘Machen wir auf gar keinen Fall!‘ stand.

Meine Dissertation unterstrich diesen Eindruck noch. Darin verglich ich die Regulierung der Werbung in Australien und Deutschland und alles, was ich hier fand, erschien mir sehr viel vernünftiger und pragmatischer als Deutschlands wasserköpfiges Lauterkeitsrecht. Deutsche Anwälte neigen häufig zu der Überzeugung, sie seien die Päpste in der Kirche des Wettbewerbsrechts, und verspüren daher keinerlei Drang, vom Ausland zu lernen – schon gar nicht von weit entfernten Ländern wie Australien. Im Gegensatz dazu setzte ich mich nach meiner Rückkehr nach Deutschland für eine „Australisierung“ des deutschen Wettbewerbsrechts ein (die natürlich niemals eintreten wird).

Das erste Kapitel meines Lebens in Australien hat mich tief beeindruckt. Es war ein optimistisches, pragmatisches, zukunftsorientiertes Land. Und das Beste war: Es repräsentierte all das, was Deutschland nicht war (im positiven Sinne).

Ich kehrte 2002 nach Deutschland zurück und ging dann 2004 nach London, bevor es mich im Oktober 2008 - auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise – wieder an die hiesigen Gestade zurückzog, wo ich das zweite australische Kapitel meines Lebens begann. Oberflächlich betrachtet, war in Australien und Sydney, wo ich lebe, alles gleich geblieben, doch allmählich dämmerte mir, dass irgendetwas sich verändert hatte. Entweder hatte ich Australien durch die rosarote Brille gesehen oder es hatte seinen Glanz verloren.

Es ist schwer, konkrete Anhaltspunkte für meinen Eindruck zu finden, wenn doch alle wirtschaftlichen Daten meinem Bauchgefühl widersprechen. Selbst nach der Finanzkrise hat Australien eine niedrige Arbeitslosigkeit, der Bergbauboom schafft weiterhin Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum und die öffentlichen Finanzen sind in einem viel besseren Zustand als in anderen Industrieländern. Gemessen an den meisten gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Indikatoren ist Australien eine bewundernswerte Nation.

Wie kommt es dann, dass ich das Land als so anders empfinde als noch vor zehn Jahren?

Ein wesentliches Ärgernis war Australiens offensichtliche Unfähigkeit, sein Glück zu begreifen. Andere Länder würden mit Freuden ihre Situation gegen Australiens wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage eintauschen, die in der Tat beneidenswert ist. In Australien selbst hat sich jedoch der Fokus verändert: Man ergreift nicht mehr seine Chancen, sondern versteckt sich hinter potenziellen Risiken und Nebenwirkungen.

Nirgendwo wird das deutlicher als in der beklagenswert populistischen Bevölkerungsdebatte. Wie ein Land von der Größe eines Kontinents glauben kann, seine Belastbarkeit läge bei etwa 22 Millionen Menschen, ist mir unverständlich. Eine junge und wachsende Bevölkerung bietet weit mehr Möglichkeiten als eine stagnierende und alternde, wie jeder europäische oder japanische Demograf bestätigen kann. Wo ist Australiens ‘Können wir!’-Einstellung geblieben, wenn es um den Umgang mit dem Bevölkerungswachstum geht? Seit wann haben Australier so viel Angst davor, Veränderung, Wachstum und Chancen bereitwillig anzunehmen?

Die andere Entwicklung in Australien, die ich mit Schrecken feststelle, ist die „Europäisierung“ seiner Politik. Während meiner ersten Zeit im Land war John Howard Premierminister. Ob man ihn nun mochte oder nicht - man wusste genau, wo er stand. Howard konnte uns seine klaren Auffassungen zu jedem Thema noch im Schlaf erklären.

Er bereicherte den politischen Diskurs dieses Landes eigenhändig mit einer gesunden Dosis Polarisierung und Überzeugungspolitik. Das kann man von der gegenwärtigen Führung beider großer Parteien nicht gerade sagen. Lindsay Tanner, der frühere australische Finanzminister, war auf der richtigen Spur, als er sich in seinem ausgezeichneten Buch Sideshow über den Aufstieg der Phrasendrescherei und den Niedergang gehaltvoller politischer Debatten beklagte.

Die australische Politik wird in ihrer Tendenz, grandiose Projekte anzukündigen, deren Umsetzung dann häufig scheitert, ebenfalls immer europäischer. „Building the Education Revolution“, der „New Car Plan for a Greener Future“ oder das „National Broadband Network“ – schon die Namen klingen wie Programme, die nicht in Canberra, sondern in Brüssel geplant wurden.

Ganz wie in Europa werden wir nun auch in Australien Zeuge einer Ausweitung staatlicher Maßnahmen, die durch eine hohe Verschuldung finanziert werden. Australien scheint lediglich ein oder zwei Jahrzehnte hinter den ausgabenfreudigen Regierungen in Europa hinterherzuhinken - doch wir haben gesehen, was eine solche Politik aus Europa gemacht hat.

Um es klar zu sagen: Ich verlasse Australien nicht, weil meine Zuneigung zu dem Land etwa geschwunden wäre. Ich rechne auch damit, dass Neuseeland ebenso wie Australien seine eigenen Probleme hat. So etwas wie ein perfektes Land gibt es nicht.  Ich kann mich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas in Australien sich seit meinem ersten Besuch zum Schlechteren gewendet hat.

Möglicherweise betrachten die Australier ihr Glück als etwas zu Selbstverständliches. Statt sich über den Ressourcenboom zu freuen, überlegen Australier nur, wie sie ihn besteuern können. Statt ihre multiethnische Erfolgsgeschichte zu feiern, diskutieren Australier unverhältnismäßig viel über illegale Zuwanderer. Statt ihre geografische Lage in der Nähe des florierenden Asien zu begrüßen, verhalten sich Australier mehr und mehr wie alte Europäer.

Nun, da dieses zweite australische Kapitel meines Lebens zu Ende geht, hoffe ich, das Land weiterhin besuchen und von der anderen Seite der Tasmanischen See aus beobachten zu können - und vielleicht sogar später einmal ein drittes Kapitel zu schreiben. Ebenso freue ich mich aber auf den Beginn meines neuen Lebensabschnitts in Neuseeland und darauf, mich wiederum auf ein neues Land einzulassen - mit all der Faszination und Begeisterung, die das mit sich bringt.

Australien ist ein Land, das sein Glück kaum begreift, geschweige denn zu schätzen weiß. Dem Glück so nahe zu sein, kann uns den Blick dafür verstellen. Ich hoffe inständig, dass es das „lucky country“, das glückliche Land, bleibt.

‘Losing sight of the lucky country’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 5. April 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

 

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