Thilo Schneider / 08.09.2019 / 10:00 / Foto: Vít Švajcr / 68 / Seite ausdrucken

Das Geständnis

Letzte Woche Dienstag hatte ich geschäftlich in Leipzig zu tun, und wenn man schon mal da ist und ein bis zwei Stündchen Zeit hat, dann kann man sich ja auch mit einem Bekannten treffen. Mein Bekannter heißt Volker mit Vogel-V und ist selbstständig, und weil er da, genauso wie ich, auch mal schwänzen kann, haben wir uns in einem kleinen lauschigen Café in der Innenstadt getroffen. 

Ich gebe zu: Ich war erschrocken. Volker war schon da und so ein wenig in sich zusammengesunken, er wirkte bedrückt. Und alt. Was umso erstaunlicher ist, weil ich Volker eigentlich als Hedonisten und heißblütigen Heterosexuellen kenne. Er ist, wie ich, ein weißer alter Mann. Ich habe mir in der warmen Mittagssonne (oder dem, was man in Leipzig darunter versteht) mein Stühlchen zurechtgerückt, das Leipziger Äquivalent zu einem Bier bestellt und ihn gefragt, ob er krank sei oder seine bildhübsche Frau ihn verlassen habe. Er hat traurig den Kopf geschüttelt. „Es ist viel schlimmer“, hat er geraunt, „viel schlimmer“. Nein, er ist auch nicht ruiniert, die Geschäfte laufen gut, die Kunden sind nett und die Polizei ist auch nicht hinter ihm her. „Es ist schrecklich“, hat er gesagt. „Ich schäme mich so“, hat er auch gesagt. 

Geduld ist keine meiner Primärtugenden. Wenn doch alles so prima ist, warum hängt er dann hier wie ein nasser Sack und heult fast? „Ich habe etwas getan“, erklärt er, „das ich nicht hätte tun dürfen. Es ist so unsagbar grauenhaft und peinlich…“, und schon wieder stocken ihm die Worte. Dann wischt er sich eine Träne von der Wange. Ich bin ratlos. „Willst Du drüber reden, Volker?“, frage ich zaghaft. Er seufzt. „Es ist so…“, hebt er an, „ich bin nun wirklich niemand, der „abgehängt“ wurde, ich fahre einen Diesel, spende an Unicef und SOS-Kinderdorf, bezahle meine Steuern und Rechnungen und kaufe Öko-Strom…“ „Das ist doch toll!“, unterbreche ich ihn, aber er fährt mir ins Wort. „Lass mich ausreden…“, sagt er harsch, „denn ich habe etwas getan, was sich mit dem Wort „Undankbarkeit“ nur unzureichend beschreiben lässt…“ Er schluchzt wieder, und ich werde das Gefühl nicht los, dass es wirklich schrecklich ist, was er mir beichten wird. Hat er ein Elternteil umgebracht? Oder beide? Oder seine Frau? Verkauft und betrogen? Nein, nichts von alledem, das wäre ja nicht so schlimm. 

Ich reiche ihm eine Serviette

„Ich habe meine Regierung verraten.“, gesteht er tonlos. Ich bin verwirrt: „Du bist ein Spion? Als Abteilungsleiter der Kreditabteilung in der Leipziger Parkbank?“ „Wenn es nur das wäre, damit könnte ich leben…“ wimmert er, „nein, ich habe… Ich habe… Oh Gott, ich schäme mich so…“ Ich rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her und habe den dritten Zigarillo in 20 Minuten geraucht. Der Mann macht mich zum Kettenraucher! Volker strafft seinen Körper, packt den Tisch mit beiden Händen und nuschelt leise, aber vernehmbar: „IschhabedieAfDgewählt.“ Ich spüre förmlich, wie mir das Blut aus den Wangen schießt. „DU HAST WAS?“, brülle ich laut. Volker sackt wieder in sich zusammen und schlägt die Hände vors Gesicht und schluchzt. Wir müssen für Außenstehende aussehen wie ein homosexuelles Liebespaar, das sich gerade trennt. „SchaAEFDEgwäh“, schnuffelt er und ich reiche ihm eine Serviette.

Volker ist mein Freund. Ich mag ihn. Was hatten wir nach der Wiedervereinigung in den 90ern für einen Spaß in der Ostzone. Ich reiche ihm meine Serviette und lege ihm die rechte Hand auf seinen linken Ellbogen. „Volker“, sage ich, „Volker, das ist nicht gut. Und das auch noch auf den Tag genau 80 Jahre nach dem Überfall auf Polen…“ „Ich wahahaheiß“, flennt er, „deswegen ja. Ich habe Hitler an die Macht gewählt! Ich schäme mich so!“ Tja. Gute Freunde sprechen auch Wahrheiten voreinander aus: „Ja Volker, das hast Du. Und es ist mir schleierhaft, wie Du das tun konntest, nach all dem Guten, dass unsere Regierung für Dich getan…“

„Ich schäme mich ja!“ „…unterbrich Du mich jetzt nicht! Nach den ganzen neuen Autobahnen, die CDU und SPD für Dich gebaut haben. Nach all den Gesundheits- und Rentenreformen. Nach all der Zuwanderung. Nach all dem Bemühen, Deutschland bunt zu machen. Nach all den Glasfasernetzen, Dieselfahrverboten und nächstens der CO2-Steuer. Nach all den „Friday´s for Future“-Demos und dem Stopp der Erderwärmung und der Abschaltung der Atom- und Kohlekraftwerke… Nach all der Arbeit und Mühe, die sich unsere Regierung und speziell Angela Merkel mit Dir gegeben hat…“, und dann lasse ich die Worte ganz langsam und tödlich tropfen, „…nach all dem Wunderbaren und Guten, dem Schönen und Rettenden, den Wohltaten und den Verhandlungen, nach aller Toleranz und Demokratie, nach all dem hast Du Hitler gewählt. Ich bin, Volker, sehr enttäuscht von Dir. Sehr enttäuscht.

Und nicht nur ich. Ganz Deutschland und alle demokratischen Parteien sind von Dir enttäuscht. Sogar die FDP.“ Volker schluchzt laut auf: „Es tut mir lahahaid. So leid. Ich habe es doch auch nicht böse gemeint. Jetzt sei doch nicht so… Ich schäme mich. Schäme mich. Schäme mich!“ Sein Gesicht versinkt wieder in seinen Händen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass einige andere Gäste angeekelt ihre Stühle von uns wegschieben. Wahrscheinlich auch Wessis. Wie ich. Ein Gast zischt: „So eine Schande. Widerlich! Pack!“ Eine Mutter bringt ihre kleine Tochter hinter sich in Sicherheit. Aber Volker ist mein Freund. Ich gehe diesen Weg der Schande mit ihm. Obwohl er es nicht verdient hat. 

„Ich tue Buße, ich tue Buße“

„Volker, es gibt nur eine Möglichkeit, dieses Verbrechen wiedergutzumachen…“, hebe ich an. Volker hebt hoffnungsfroh und erwartungsvoll den Kopf. „Was? Was muss ich machen?“, er ist sehr erregt und schnappt mich am Revers meines Jackets, „was kann ich tun? Was muss ich tun? Ich mache alles! Alles!“ Sanft nehme ich seine Hände und schiebe sie zurück. Ich sehe ihn ernst an: „Dein Vergehen, Volker, ist derart schwerwiegend, dass nur die Höchststrafe in Frage kommt. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, die ich sehe…“ Meine Stimme wird laut, donnernd und scharf: „Du wirst Versammlungen besuchen und Endlosdiskussionen um nichts führen! Im Schweiße Deines Angesichts wirst Du Plakate kleben und Du wirst auf Demonstrationen gehen! Du wirst Dich vegan ernähren und Konzerte von Campino und Feine Sahne Fischfilet besuchen. Ein Fahrrad und kein Pedelec sei Dein neues Verkehrsmittel…“, Volker nickt zu jedem Punkt aufrichtig und begeistert, „Du wirst künftig Deine Beiträge mit Hashstags wie #wirsindmehr und #ichbinhier versehen und Du sollst wissen, was ein Einzelfall sei und was genetisch und ethisch und ethnisch bedingtes Falschwahlverhalten ist…“

„Ich mach´s, oh ich mach´s, ich tue Buße, ich tue Buße“, fällt mir Volker begeistert und verklärt ins Wort. „Ich bin noch nicht fertig, oh Regierungsverräter!“, entgegne ich streng, „…denn Dein Vergehen ist derart schwer, dass Du nur im tiefsten demokratischen Pfuhl gereinigt werden kannst. Du musst einer Partei beitreten!

Volkers Augen weiten sich entsetzt: „Nein… NEIN… DAS kannst Du nicht wollen. Verlange das nicht. Bitte! Nimm meine Frau, nimm meine Kinder, nimm meine blauen Wildlederschuhe, aber tu mir das nicht an. Nicht bei den Grünen, bitte nicht bei den Grünen, zwinge mich nicht, den Grünen beizutreten! Ich FLEHE Dich an!“

Ich springe auf und schleudere meine Jacke wie einen Vampirumhang von mir: „Nein, schurkischer Falschwähler und Kanzlerinnenmörder. So einfach sei es Dir nicht gemacht!“ Ich reiße meinen linken Arm mit geballter Faust über den Kopf und zeige anklagend mit der rechten Hand auf ihn. Ich fühle mich wie Gandalf vor dem Balrog und ich muss ihm in diesem Moment riesenhaft und imposant erschienen sein. Ich zerschmettere ihn: „Du! Wirst! SPD-Mitglied!“ 

Seine Frau rief mich einige Tage später an, er sei nach dem Herzinfarkt wieder stabil und der SPD Leipzig beigetreten. Und er bedanke sich bei mir und es tue ihm wahnsinnig leid. Echt. Rechts so! 

(Mehr Schämenswertes vom Autor gibt es unter www.politticker.de)

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Armin Reichert / 08.09.2019

Die SPD ist nicht wählbar, denn sie ist keine bürgerliche Partei.

Archi W Bechlenberg / 08.09.2019

Mit dem Namen Volker mit V ist der Mann quasi von Geburt an mit einem Makel versehen. Einem Makel, der so tief sitzt, dass er auch durch Jahrzehnte langes Westfernsehen nicht auszumerzen war. Zudem wurde dieser Makel ja erst augenfällig, als die Kanzlerin der Herzen vor ein paar Jahren einem ihrer Trabanten vor laufenden Kameras die Volksflagge entriss. Bis dahin hat Volker ganz ungestört seine völkische Veranlagung kultivieren können und wurde das, was er ist. Ein Schwarzrotgoldiger. - - - Zusammengefasst: Volker hatte Glück! Wäre er Folker mit F genannt worden, hätte er womöglich Fdp gewählt und seine Stimme abends unter “sonstige” wiedergefunden. Wie elend würde er sich denn dann fühlen?

Sabine Schönfelder / 08.09.2019

Köstlich, Thilo Schneider! Wer einen schlauen Sachsen zum Freund hat, braucht seine Feinde nicht zu fürchten. Irgendwann kommen auch Sie von Ihrem gelblichen Haartransplantat ab und wählen die einzige Alternative. Warum? Das haben Sie selbst wunderbar aufgezählt! Schönen Sonntag.

Lars Schweitzer / 08.09.2019

Tja, so funktioniert unsere Gesellschaft.

HaJo Wolf / 08.09.2019

Sie mögen das ja witzig finden, Herr Schneider, oder es Satire nennen, aber auch diese subtile Art Ihres AfD-Bashings langweilt inzwischen nur noch. Nun ja, Sie sind eben ein typischer Vertreter der FDP. Ich habe auch AfD gewählt. Und ich werde sie wieder wählen. Ich könnte Ihnen das hundertmal erklären, aber Sie würden es nicht begreifen. Kleine Hilfestellung: Lesen Sie das Programm der AfD. Es ist nahezu deckungsgleich mit dem Programm der CDU vor Merkel. Also zu der Zeit, als die CDU noch als Partei der bürgerlichen Mitte galt. Während die FDP vom Mümmelmann an die 18% geredet, bei der Wahl nicht mal die Hälfte erhielt. Dafür schlug sie, die FDP, sich innerparteilich mit laustarken Antisemiten und Israelhassern rum, zu denen auch Möllemann zählt, und mit dem Ex-Grünen und Deutsch-Syrer Jamal Karsli, dessen Ausfälle fast zum Parteiaustritt einiger Liberaler geführt hat. Und heute? Heute quasselt ein arroganter, selbstverliebter Lindner dummes Zeug produziert leere Sprechblasen zu Hauf, ist ansonsten nie da, wenn man einen Politiker erwarten würde. Oder habe ich verpasst, dass sich Lindner zu den Morden und Greueltaten von Migranten geäussert hat? Sie haben, Herr Schneider, genug Dreckhaufen vor der eigenen Parteitüre, fegen Sie mal da, da haben Sie genug zu schreiben. Wieviel % hat die FDP in Sachsen? Wieviel in Brandenburg? Ach, beidesmal keine 5%? Aber mehr als ein Fünftel haben AfD gewählt, alles Blödmänner oder Nazis? Wenn Sie das nächste Mal was schreiben, Herr Schneider, versuchen Sie einfach mal was zu Papier zu bringen ohne dummes, substanzloses AfD-Bashing. Oder können Sie das nicht? Dann lassen Sie das Schreiben ganz sein.

Martin Landner / 08.09.2019

Mist. Ich stand in Leipzig vor den Zeitungen und da gab es diese Compact, die mit einer verführerischen Sächsin aufgemacht war. Das Cover lächelte einen an, es hauchte “Säxit” und schien mich anzuzwinkern. Und. Da. Habe. Ich. Es. Gekauft. Ich habe Bild und Welt und ARD und ZDF verraten. Und das haben sie verdient.

Petra Meinhardt / 08.09.2019

Tat das Not? Hätte da nicht eine Konvertierung zur Religion des Friedens ausgereicht? Wo doch die meisten Menschen nichts dagegen haben wenn ihre Gemeinde islamisiert wird? Wären doch zwei Fliegen mit einer Klappe gewesen. Sehr geehrter Herr Schneider, ich hoffe, Sie haben einfach nur vergessen, Ihren Text mit “Satire” zu kennzeichnen. Ich fürchte aber, es könnte tatsächlich so sein wie von Ihnen geschildert :((

Udo Ebert / 08.09.2019

Der SPD beizutreten, wäre ein intellektueller Offenbarungseid, käme einer Enthauptung gleich. Deren kopfloses Personal bestätigt dies wiederkehrend.

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