Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 26.05.2008 / 23:23 / 0 / Seite ausdrucken

Das ganze Leben ist ein Spiel (und wir sind nur die Kommentatoren)

Die Kolumnen von Matthew Parris gehören für mich schon lange zu den „Must Reads“ der englischen Presselandschaft. Jeden Samstag erklärt uns Matthew Parris in der Londoner Times die Welt und warum er Premierminister Gordon Brown nicht ausstehen kann. In der Regel kommt beides aufs selbe heraus.

Am besten ist Parris aber immer dann, wenn er über scheinbar Absurdes und Irrelevantes schreibt und daraus verblüffende Schlussfolgerungen zieht. So wie vor beinahe drei Jahren, im August 2005, als er den Lesern von seinem Urlaub in Australien berichtete.

Eigentlich wollte Matthew Parris ein paar schöne Tage Down Under verbringen, die Natur und das Wetter genießen und eine gute Zeit haben. Doch dann fing er an, australische Zeitungen zu lesen und australische Nachrichten zu hören. Worum es dabei ging, erschloss sich dem Journalisten Parris zuerst kaum. Ein Unternehmen names „Telstra“ sollte verkauft werden, ein junger Senator namens Barnaby Joyce war dagegen, der damalige Premierminister John Howard hatte damit wiederum ein Problem.

Bis zum Ende seiner Urlaubsreise wusste Parris immer noch nicht so richtig, was es mit diesem Unternehmen „Telstra“ eigentlich auf sich hatte, aber wenigstens den Rest der Berichterstattung konnte er verstehen. Britische und australische Politik unterschieden sich dann doch weniger voneinander, als man vielleicht angenommen hätte. Ein Hinterbänkler, der sich mit der Regierung anlegt; die Öffentlichkeit, die an dieser Auseinandersetzung Gefallen findet; ein paar Nebenkriegsschauplätze, die nur Eingeweihten etwas sagen: schon hat man die Zutaten für ein Spiel, das wir alle unter dem Namen „Politik“ kennen. Auch ohne genauere Kenntnisse von Details kann jeder Journalist bei diesem Spiel mitspielen, denn kommentieren kann man es immer. Die Spielregeln sind schließlich hinreichend bekannt.

So schlug Matthew Parris scherzhaft vor, man könne ja einmal die Medienlandschaft Australiens und Großbritanniens gegeneinander austauschen. Fleet Street zieht nach Australien und der Canberra Press Club nach Westminster. Was würde wohl passieren? Ganz einfach: Nach zwei Wochen würden die Briten von vertraulichen Gesprächen aus dem Umfeld des australischen Premierministers berichten, während sich die Aussies mit den jüngsten Gerüchten aus dem House of Commons befassen. Mit anderen Worten: Journalisten sind auch nichts anderes als Sportkommentatoren, nur kommentieren sie eben ein ziemlich abgefahrenes Spiel mit ganz eigenen Regeln. Das Spiel heißt Politik.

Warum ich diese, zugegeben inzwischen drei Jahre alte Kolumne aus dem Gedächtnis rezitiere? Weil ich in den letzten drei Jahren zu dem Schluss gekommen bin, dass Matthew Parris Recht hat. Und er hatte nicht nur Recht, sondern es war sogar nur die halbe Wahrheit, denn nicht nur die Politikkommentierung ist ein austauschbares Spiel, sondern die ganze Politik. Nicht nur die Politkommentatoren könnte man problemlos gegeneinander austauschen, sondern die Politiker gleich mit dazu.

Nehmen wir die jüngsten Beispiele. In England hatte es Nachwahlen gegeben, bei denen die Regierung sich mehr als ein blaues Auge geholt hatte. In einer ihrer Hochburgen wurde sie von der Opposition haushoch geschlagen. Die Reaktionen waren vorhersehbar. Während die Opposition ihren Wahlsieg zelebrierte, begann man in Fleet Street mit der Analyse des Ergebnisses. War dies bereits das Ende der Regierung von Gordon Brown? Und wenn ja, wer würde ihn beerben?

Eine angesehene Sonntagszeitung brachte sofort Außenminister Miliband in Stellung, der angeblich für die Nachfolge bereit stände. Miliband selbst dementierte dies selbstverständlich umgehend, wenn auch natürlich nicht, ohne sich ein Hintertürchen dabei offen zu lassen. Auch andere Nachfolgekandidaten wurden in der Londoner Presse diskutiert: Gesundheitsminister Johnson, Ex-Innenminister Clarke, Justizminister Straw, Bildungsminister Balls, Hinterbänkler Frank Field. Angeblich waren sie alle heiße Kandidaten auf die Brown-Nachfolge, wenn man den britischen Kommentatoren glauben durfte. Und sie alle wiesen sämtliche Spekulationen umgehend und pflichtschuldig zurück, dass sie jemals gegen ihren Premierminister putschen würden. Selbst alte Widersacher Browns meldeten sich zu Wort und lobten ihren Parteichef – immer ein Zeichen dafür, dass es ganz schlecht um ihn stehen muss.

Aber am Ende passierte natürlich nichts. Ebenso schnell wie die Zeitungen das Ende Gordon Browns erkannt haben wollten, wandten sie sich nun wichtigeren Themen zu. Dem miserablen Abschneiden Großbritanniens beim Eurovision Grand Prix zum Beispiel oder dem abscheulichen Wetter am heutigen Feiertag (dabei gehört doch schlechtes Wetter zu englischen Feiertagen einfach konstitutiv dazu). So ist auch diese Rebellion gegen Gordon Brown vom Tisch, vorerst zumindest. Mr Brown ist nämlich der Kurt Beck der britischen Sozialdemokratie. Niemand glaubt, dass mit ihm noch ein Blumentopf zu gewinnen ist, aber selbst in den Ring steigen möchte dann vorsichtshalber auch niemand. Dafür ist das Unterfangen nämlich zu aussichtslos.

Auch in Deutschland wird wieder Politik gespielt, nur dass es dort nicht um eine verlorene Nachwahl geht, sondern um eine Wahl, die erst in einem Jahr stattfinden wird. Nachdem die SPD Gesine Schwan nun auch offiziell zu ihrer Kandidatin für das höchste Amt im Staat erklärt hat, diskutieren die deutschen Medien, was von ihrer Kandidatur zu halten ist. Zeigt sie die Handlungsfähigkeit der SPD? Nimmt sie der FDP taktische Möglichkeiten? Unterstreicht sie den Einfluss der Linken? Treibt sie die CSU in den Koalitionsbruch? Und überhaupt: Sind Auswirkungen auf den bayerischen Landtagswahlkampf zu erwarten? Keine Frage ist zu abstrus, um nicht auf deutschen Zeitungsseiten in all ihren Facetten beleuchtet zu werden. Und die deutschen Politiker verhalten sich exakt so, wie sich auch britische Politiker in ähnlichen Situationen verhalten hätten. Nur immerhin können die Briten ihr Staatsoberhaupt nicht frei wählen.

In Australien wiederum herrscht Aufregung um die jüngsten Ölpreisrekorde. Der neue Oppositionsführer verkündete, dass er sich für eine Senkung der Mineralölsteuer einsetzen würde. Damit waren aber einige seiner Parteifreunde nicht einverstanden, die mit ihm noch andere Rechnungen zu begleichen haben. Da der Vorschlag aber zu populär war, kam die Regierung nicht umhin, ihrerseits eine Überprüfung der Benzinbesteuerung zu versprechen. All dies wurde natürlich in allen Einzelheiten von den australischen Medien durchdekliniert. Und während die Australier noch über die Benzinsteuern streiten, fordert die deutsche BILD-Zeitung, dass Autofahren wieder bezahlbar werden muss.

So könnte die größte deutsche Boulevardzeitung problemlos ihren Part in der Auseinandersetzung um die australischen Benzinpreise spielen, deutsche Politikexperten könnten zu ihrer Einschätzung der Chancen auf die Nachfolge Gordon Browns befragt werden und britische Kommentatoren die strategischen Auswirkungen der Kandidatur Gesine Schwans diskutieren. Deutschlands David Miliband heißt Frank Walter Steinmeier, Großbritanniens Kurt Beck ist Gordon Brown. Es ist beliebig gegeneinander austauschbar. Es ist nämlich Politik.

Aber es bleibt doch alles nur ein Spiel. Und wir sind nur die Kommentatoren.

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