Redaktion / 25.05.2021 / 15:30 / Foto: Maik Meid / 110 / Seite ausdrucken

„Das freie Subjekt ist aufgehoben” – Warum ich mein Bundesverdienstkreuz zurückgebe

Dr. Manfred Kölsch war 40 Jahre lang Richter. Der promovierte Jurist ist entsetzt über die Aushebelung unserer Verfassung: „Der Bürger wird pauschal als Gefährder angesehen. Dadurch wird ein Spaltvirus in die Gesellschaft getragen". Jetzt schrieb er an den Bundespräsidenten und gibt sein Bundesverdienstkreuz aus Protest zurück. Achgut.com dokumentiert sein Schreiben, weil die ausführliche Argumentation es wert ist, für die Zukunft festgehalten zu werden.

 

Manfred Kölsch, Trier, den 15.05.2021

Herrn
Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsidialamt
Spreeweg 1
10557 Berlin

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

mein heutiges Schreiben an Sie ist begleitet von dem mir vor vielen Jahren verliehenen Bundesverdienstkreuz. Dieses gebe ich zurück aus Protest gegen die von den staatlichen Organen zur angeblichen Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 ergriffenen Maßnahmen.

Diese Maßnahmen sind einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Weil sie unverhältnismäßig und in diesem Ausmaß nicht erforderlich sind, verstoßen sie gegen das Rechtsstaatsprinzip. Spätestens mit der Verabschiedung des § 28b IfSG wurde mit Hilfe der Ministerpräsidenten der Länder der Föderalismus zu Grabe getragen und der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte individuelle Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen aufgehoben. In der praktischen Durchführung dieser Maßnahmen steht die Gewaltenteilung nur noch auf dem Papier. In meiner fast 40-jährigen Tätigkeit als Richter wäre ich nie auf den Gedanken gekommen – ich hätte es für unmöglich gehalten und als Verschwörungstheorie abgetan –, dass ein Virus unsere Verfassungsarchitektur aus den Angeln heben könnte.

Ich will Ihnen die Begründung für meine Behauptungen, die von zahlreichen Fachleuten geteilt werden, nicht vorenthalten. Auch wenn ich mich damit der Gefahr aussetze, durch die Äußerung von nicht konformen Ansichten in den heute üblichen Strudel aus Heuchelei, Scheinheiligkeit, Opportunismus und Böswilligkeit gezogen zu werden. 

Wenn jemand wie ich von der Eigenverantwortung des Individuums ausgeht, dann ist es erst einmal meine eigene Aufgabe, dafür zu sorgen, nicht krank zu werden. Ich weiß, dass ich bei Übergewicht, Diabetes, schwachem Immunsystem oder als Raucher gefährdet bin, an Covid-19 zu erkranken. Hier kann der Einzelne in vielfältiger Hinsicht auch von staatlichen Institutionen Unterstützung erhalten. Unterstützung darin, als Gefährdeter (wie auch die alten Menschen) nicht dem Virus ausgeliefert zu sein. Hier haben die staatlichen Organe versagt.

Der Blickwinkel, das Menschenbild, ist ein ganz anderer geworden. Der Bürger wird pauschal als Gefährder angesehen. Dadurch wird ein Spaltvirus in die Gesellschaft getragen, (Abstand halten, Masken tragen, Testungen als Zugangsvoraussetzungen usw.).

Dieses einseitige und mit dem Grundgesetz nicht vereinbare Menschenbild liefert eine ideologische Rechtfertigung, die gesamte Bevölkerung „wegzusperren“, von einem Lockdown in den anderen zu schicken, die nachweislich wirkungslos verpuffen.

Juristisch ist von mit entscheidender Bedeutung, dass auf diese Weise Millionen nicht erkrankte Bürger als Nichtstörer mit Kontaktbeschränkungen, Schließungen von Gaststätten, Museen, Theater, Schulen, nächtlichen Ausgangssperren etc. zur Gefahrenabwehr herangezogen werden. Eine solche Inanspruchnahme von Nichtstörern ist grundsätzlich nur bei einem polizeilichen Notstand zulässig, wenn anders eine gegenwärtige Gefahr nicht abgewehrt werden kann. Diese massenhaften Freiheitsbeschränkungen für alle Bürger zur Bekämpfung eines Risikos, für das sie nicht verantwortlich sind, sind ohne Vorbild. Die mit diesem beispiellosen Vorgehen verbundene Einschränkung der Grundrechte  könnte nur gerechtfertigt sein, wenn Covid-19 eine vorbildlose Gefahr darstellt, der mit milderen Mitteln nicht begegnet werden kann. Schon hier möchte ich daran erinnern, dass die erste Welle schon im Abklingen war, als durch den Bundestag die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ausgerufen wurde.

Die Ausrufung von Covid-19 zur Pandemie hängt auch mit unserer Geschichtsvergessenheit zusammen. Es ist bekannt, dass an der Justinianischen Pest 55 Prozent aller Menschen in Europa starben. Am Schwarzen Tod von 1347–1351 starben in Europa ca. 39 Prozent der Einwohner. An den von Europa nach Nord- und Südamerika eingeschleppten Pocken starben über 90 Prozent der indigenen Bevölkerung. Die Spanische Grippe raffte in den Jahren 1918/1919 ca. 2,4 Prozent der Weltbevölkerung hin. AIDS ist aus dem Bewusstsein weiter Teile der Bevölkerung gefallen. Daran sind schätzungsweise bis jetzt 0,7 Prozent der Weltbevölkerung gestorben. Angesichts dieser Epidemiewellen wird die eigentlich zu erwartende Bescheidenheit ersetzt durch den Glauben an die wissenschaftlich unterstützte Machbarkeit. (Frau Merkel sinngemäß: Halten wir noch drei Wochen im Lockdown aus, dann haben wir das Virus besiegt). 

Interessant wäre es zu wissen, weshalb der Staat gerade bei Covid-19 in dieser drastischen Form eingreift, tut er das doch bei vergleichbaren anderen Anlässen nicht. Bei der Grippewelle 2017/2018 sind lt. RKI 25.100 Bürger gestorben, obwohl ein Impfstoff zur Verfügung stand. Bei Unfällen starben 2018 30.000; bei Verkehrsunfällen 3.622, ohne dass die unfallträchtigen Tätigkeiten verboten werden. 

Es kann nicht an der Zahl der Gestorbenen liegen. Das RKI hat für 2020 42.000 an Corona Gestorbene gemeldet. Diese Zahl ist jedoch nicht mit den Grippetoten von 1917/1918 vergleichbar, weil unbekannt ist, wieviele Menschen 2020 tatsächlich an Covid-19 gestorben sind. Die in Hamburg durchgeführten Obduktionen sprechen dafür, dass nur ein geringer Anteil der von dem RKI gemeldeten Corona-Toten tatsächlich an diesem Virus gestorben ist. Was jedoch gesagt werden kann: Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass allein die Zahl der Todesfälle, die auf die Maßnahmen der Lockdown-Politik zurückzuführen sind, die Zahl der durch den Lockdown verhinderten Todesfälle um ein Vielfaches übersteigt. 

Ich sollte jedoch auf die näheren Folgen der Corona-Maßnahmen zurückkommen, die man sich vor Augen halten muss, um deren Verhältnismäßigkeit/Notwendigkeit und damit Verfassungsgemäßheit überhaupt ausgewogen beurteilen zu können. 

Von den jetzt schon ersichtlichen wirtschaftlichen Folgen werden beispielhaft aufgeführt: Gewinneinbußen/Verluste von Unternehmen, Handwerkern und Freiberuflern aufgrund unmittelbarer und mittelbarer Folgen der Freiheitsbeschränkungen; Lohn- und Gehaltseinbußen durch Kurzarbeit; Konkurse und Arbeitslosigkeit. Der Wirtschaftsminister hat soeben verkündet, bisher seien schon 100 Milliarden Euro als „Überbrückungshilfen“ („Corona-Schutzschild“) ausgeschüttet worden. Obwohl die Schäden noch nicht genau bezifferbar sind, werden unsere Kinder daran zu tragen haben. Die dann Regierenden werden auf ihre Vorgänger als die Verantwortlichen verweisen.

Sicherlich sind Schäden der Privatwirtschaft und der privaten Haushalte durch Steuermittel zum Teil kompensiert worden. Sie vermindern jedoch nicht den volkswirtschaftlichen Gesamtschaden.

Ihnen, Herr Bundespräsident, sind sicherlich die Folgen für das Leben und die Gesundheit der Bürger zugetragen worden. Es wären zu nennen: Zunahme von Suiziden infolge von Arbeitslosigkeit und Konkursen; gesundheitliche Beeinträchtigungen infolge mangelnder Bewegung; Unterlassen von Operationen, stationären Behandlungen, Arztbesuchen, weil Patienten glauben, sie könnten von Covid 19 infiziert werden oder weil keine ausreichende Zahl von Betten zur Verfügung standen, da sie reserviert waren für Covid-19-Fälle (ohne belegt zu sein); Zunahme von Depressionen infolge sozialer Isolation; Zunahme häuslicher Gewalt gegen Kinder und Frauen; von den eingetretenen, nicht aufholbaren Bildungsdefiziten durch Schulschließungen (besonders bei sog. bildungsfernen Elternhäusern) will ich erst gar nicht ausführlich sprechen. 

Sie werden sicherlich mit mir einer Meinung sein, dass die einmaligen Freiheitsbeschränkungen mit ihren kurz skizzierten Folgen nur gerechtfertigt sein können, wenn außergewöhnliche konkrete Gefahren drohen, die mit milderen Mitteln, als die bisher angewandten, nicht abgewendet werden können.

Bei der Bewertung darf jedoch nicht übersehen werden, dass es sich um eine konkrete Gefahr handeln muss. Das berücksichtigen die Maßnahmen nicht ausreichend. Ich werde, obwohl bei mir keine Symptome von Covid-19 erkennbar sind, als gefährlich für andere eingeschätzt. Mir wird die Möglichkeit genommen, selbst zu entscheiden, welchen Risiken ich mich aussetze. Das von unserem Grundgesetz skizzierte freie Subjekt, das selbst verantwortlich ist für seine und die Gesundheit der Mitmenschen, ist aufgehoben. Hier handelt es sich nicht um eine juristische Finesse. Es geht um massive praktische Folgen. Ich muss jetzt den staatlichen Stellen beweisen, (z.B. durch Testnachweise; Impfnachweise; Tragen von Masken) dass ich nicht von SARS-CoV-2 infiziert bin. Ich bekomme meine Grundrechte erst zurück, wenn ich meine Gesundheit nachgewiesen habe. Eine absurde Vorstellung, etwas zurückzubekommen, was mir von Geburt an zusteht. Freiheit ist nicht mehr gemäß den rechtsstaatlichen Prinzipien prinzipiell unbegrenzt, sondern wird obrigkeitsstaatlich gewährt, wenn gerade kein Virus (oder z.B. demnächst eventuell Klimagase), gegen das man sich in staatlicher Fürsorge wappnen muss, zu befürchten ist. 

Die an dieser Strategie Zweifelnden und auch „Verharmloser“ der Covid-19 Gefahr müssen in ihrem Trotz von dem weisen Staat erzogen werden mit aus Modellrechnungen abgeleiteten Horrorszenarien. Vorzugsweise wird Angst verbreitet. In einem sog. Strategiepapier des Bundesinnenministeriums des Inneren mit dem Titel: „Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen“ macht man sich Gedanken darüber, was getan werden muss, um in der Bevölkerung „die gewünschte Schockwirkung zu erzielen“. Ein äußerst menschenverachtendes Machtkalkül spricht daraus, wenn die „Urangst“ der Menschen am Ersticken und die Angst der Kinder, ihre Eltern zu verlieren, kaltblütig als Hebel zur Unterdrückung der Menschen empfohlen wird. Der Bundesgesundheitsminister und die ihm unterstehenden Vertreter des RKI sind natürlich weit davon entfernt, sich der im Ministerium des Inneren ausgedachten Mittel zu bedienen. Angst unter der Bevölkerung verbreiten kann man auf vielfältige andere Weise. Dazu braucht man sich nur aufmerksam Politikeräußerungen (z.B. der Herren Spahn und Wieler oder dem „Experten“ Herrn Lauterbach, der jetzt schon von der 4. Corona-Welle spricht) und den zahlreichen Helfershelfer in den Medien anzuhören (sehen).

Es wird auch nicht vergessen, für Wohlverhalten (z.B. Testen und Impfen lassen) Vorteile zu versprechen (wieder Einkaufen gehen können, in Aussicht gestellte Gaststättenbesuche und Reisen). 

Die mit den vorstehend dargestellten Maßnahmen und deren Folgen zur Covid-19-Bekämpfung sind für eine ausgewogene Entscheidung in eine Beziehung mit den damit angestrebten Zielen zu setzen. Sie werden sicherlich nachvollziehen können, dass man nur dann überhaupt abwägen kann, ob die damit verbundenen Einschränkungen unserer Grundrechte und die Verletzung der eingangs genannten Verfassungsprinzipien gerechtfertigt sein können. 

Die Bundesregierung hat, besonders durch den Bundesminister Spahn, als Ziele der Maßnahmen angegeben: 

-  Verminderung der Todesfälle und schweren Krankheitsverläufe

-  Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems. 

Die Erfahrung hat gezeigt, dass schwere Verläufe und Todesfälle (dazu vgl. schon oben S. 2) bei jungen Menschen sehr selten sind. Hier sind besonders gefährdet alte und mit anderen Krankheiten vorbelastete Menschen. Alten- und Pflegeheime haben sich als Hotspots erwiesen. Hieran wird eindeutig erkennbar, welche begrenzte Gruppe zu schützen ist. Ein weiteres „beschwiegenes“ Problem sind Patienten mit Migrationshintergrund. Diese Gruppe macht nach einem Bericht der FAZ vom 29.4.2021 ca. 70% der Patienten in Intensivstationen aus. 

Zu diesen Risikogruppen gehören die Schüler nicht. Das ist schon vielfach belegt. In der neuesten Studie von März 2021 (Professoren Heudorf und Gottschalk in Hessisches Ärzteblatt 6/2021, S. 356ff) wird aufgrund der gefundenen Datenlage festgestellt, dass „die Schulen zwingend schnellstmöglich wieder für den Präsenzunterricht geöffnet werden“ sollen. Sozial Benachteiligte und sog. bildungsferne Haushalte sind besonders von dauerhaften und nicht nachholbaren Schäden betroffen. Weil die Schulen auch kein Risikobereich sind, ist danach von Schnelltests abzusehen. Was aufgrund dieser Datenlage eine Impfung von Kindern bewirken soll, ist nicht erkennbar. 

Die vorgenannten Risikogruppen zu schützen, ist nach dem vom Staat zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das mildere Mittel. Deshalb ist der Lockdown, indem der gesamten Bevölkerung die Ausübung ihrer Grundrechte verweigert wird, zu beenden. Dem steht leider entgegen, weil schon zu viele wirtschaftlich (sie haben, wie das heute heißt, ihr Geschäftsmodell auf die Coronawellen eingerichtet) von dem verordneten Dauerlockdown profitieren und sich an ihre gewonnen Privilegien klammern. 

Eine Überlastung des Gesundheitssystems hat zu keinem Zeitpunkt seit März 2020 vorgelegen. Die kürzlich wiederholt gezeigten Horrorszenarien aus Indien gehören in die Kategorie Angst und Schrecken verbreiten. Ohne jegliche Differenzierung werden die Gesundheitssysteme und die sozialen Lebensverhältnisse gleichgesetzt mit der Botschaft: Seid brav, sonst geht es euch wie den Menschen in Indien. Die Zahl der Intensivbetten hätte bei uns bei vermehrtem Bedarf ohne Weiteres erhöht werden können. Stattdessen sind 5.000 Intensivbetten abgebaut worden. Die mangelnde Erforderlichkeit bestätigt eine Analyse der Leistungsdaten aller deutschen Krankenhäuser vom 30.4.2021. Daraus ergibt sich, dass im Jahre 2020 durchschnittlich lediglich vier Prozent aller Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt waren. Auch die Anwerbung von medizinischem und pflegerischem Personal wäre Aufgabe des Staates gewesen. 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, es besteht nach alledem Anlass, bestimmten Teilen der Gesellschaft besonderen Schutz vor den von Covid-19 ausgehenden Gefahren zu gewähren.

Der immer wieder verlängerte Lockdown für alle ist von diesem Gesichtspunkt aus weder notwendig noch verhältnismäßig. Er ist schlicht verfassungswidrig. 

Entgegen diesen Fakten hat sich die Exekutive – mit Ihrer Unterschrift – durch die Ergänzung des IfSG mit einem § 28b (sog. Notbremse) einen Freibrief verschafft, der die Verletzungen des GG noch erhöht. Die Regelung besagt: Verschärfte Lockdown-Maßnahmen treten automatisch ein bei Überschreitung der Sieben-Tages-Inzidenz von 100 je 100.000 Einwohner.

Diese Vorschrift ist selbstausführend, weil nach ihr Ge- und Verbote ohne Vollzugsakt automatisch gelten, wenn der Inzidenzwert 100 an drei aufeinander folgenden Tagen überschritten wird. Dieser Hinweis ist keine juristische Theorie. Wenn z.B. ein Fleischereibetrieb zu einem Hotspot wird und dadurch in einem Landkreis der Inzidenzwert auf über 100 steigt, gehen automatisch alle Bürger des Landkreises in den Lockdown. Die Regelung des § 28b IfSG ist im deutschen Gefahrenabwehrrecht vorbildlos und bringt eine wesentliche Säule des Rechtsstaatsprinzips zum Einsturz. Mit dem Rechtsstaatsprinzip ist nur vereinbar, wenn bei einem Gesetzesvollzug die konkreten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden können, um übermäßige Freiheitseinschränkungen zu vermeiden. In dieser Gesetzesvorschrift wird vorgetäuscht, dass nur der Gesetzgeber (Legislative) tätig geworden sei. In Wirklichkeit tritt hier die Legislative zugleich als ausführende Gewalt (Exekutive) auf. Die verfassungsbestimmte Gewaltenteilung, die zentrale rechtsstaatliche Freiheitssicherung, wird dadurch aufgehoben. 

Darüber hinaus hat diese Vorschrift als Konsequenz, dass ein fachgerichtlicher Rechtsschutz nicht mehr stattfinden kann. Das ist mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar. Sicherlich ist gegen dieses Gesetz die Verfassungsbeschwerde möglich. Das BVerfG prüft jedoch nur das Gesetz als solches auf seine Verfassungsgemäßheit. Es überprüft nicht, ob die „vor Ort“ gefällte konkrete Entscheidung verhältnismäßig und damit verfassungsmäßig gewesen wäre. 

Alleinentscheidend für die Anwendung der Bundes-Notbremse sind die sog. Inzidenzwerte, die ihrerseits wiederum auf den durchgeführten PCR-Tests beruhen. 

Stellen Sie den Menschen auf der Straße, sollten Sie einmal zu Fuß gehen, die entsprechende Frage, dann werden Sie zweifelsfrei feststellen: Man glaubt, die positiv Getesteten seien auch krank. So wird das auch im alltäglichen Fernsehen schnörkellos vermittelt. Tatsächlich kann dieser Test nur nachweisen, dass der Getestete mit einem Corona-Virus Kontakt hatte, nicht jedoch nachweisen:  

-  ob in einer Probe lebendiges, vermehrungsfähiges Virusmaterial vorliegt,

-  ob der Getestete krank ist, war oder werden wird,

-  ob von dem Getesteten Ansteckungsrisiken ausgehen.

In § 28b IfSG ist die „Inzidenz von SARS-CoV-2“ buchstäblich das Maß aller Dinge. Der durch den Begriff „Inzidenz“ oder „Sieben-Tages-Inzidenz“ geweckte Eindruck, man wisse über den Stand der Epidemie und die tatsächlich in einem Zeitraum auftretenden Neuerkrankungen Bescheid, täuscht und untergräbt die Glaubwürdigkeit des politischen Handelns. Der Begriff vermittelt ein irreführendes Bild der Lage. Je mehr Tests durchgeführt werden, desto höher steigt der Inzidenzwert. Die Testpflicht von Reiserückkehrern und Schulkinder (nach positivem Schnelltest folgt der PCR-Test) erhöht nochmals die Testzahlen. 

§ 28b IfSG eröffnet der Exekutive (RKI) die Möglichkeit, die Voraussetzungen der Freiheitseingriffe selbst zu bestimmen und durch Erhöhung oder Senkung der Testzahlen die Höhe der Inzidenzwerte zu bestimmen und damit auch für ihre politischen Absichten zu benutzen. Glauben Sie, dass die anstehenden Wahlen einen Einfluss auf die Entwicklung der Inzidenzwerte haben werden? Wenn behauptet wird, die Inzidenzwerte seien wissenschaftlich ermittelt, dann muss unter Wissenschaft nur noch positivistische Fachidiotie oder spekulatives Arbeiten an Zukunftsmodellen gemeint sein. 

Mit Erschrecken stelle ich fest, dass die Rechtsprechung bis auf wenige Ausnahmen, die hier von mir angesprochenen Bedenken nicht angeht. Anhängige Hauptverfahren werden hinausgezögert und sind im Entscheidungszeitpunkt nur noch eine historische Reminiszenz. Bei Eilverfahren berufen sich Gerichte in der Regel auf das RKI und zeigen damit, dass im Zusammenhang mit dem IfSG die Gleichschaltung der drei Staatgewalten – orchestriert von einem Großteil der Medien – wie von selbst stattgefunden hat. Die von dem GG gewollte gegenseitige Kontrolle von Legislative, Exekutive und Rechtsprechung findet nicht mehr statt. 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, seien Sie versichert, dass ich nach gewissenhafter und vorurteilsloser Prüfung, so wie ich das in meinem Beruf vor einem Urteilsspruch stets versucht habe, die geschilderte rechtliche Verwilderung nicht akzeptieren kann. Deshalb protestiere ich dagegen, indem ich Ihnen das Bundesverdienstkreuz zurückgebe. 

Mit vorzüglicher Hochachtung 

Dr. Manfred Kölsch

 

Anmerkung der Redaktion: Dr. Manfred Kölsch ist promovierter Jurist und war fast 40 Jahre lang Richter, unter anderem am Landgericht Trier. 

 

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Leserpost

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Robert Weihmann / 25.05.2021

Ich habe immer überlegt, warum für US-Amerikaner die Freiheit nicht nur brieflich verbürgt ist in ihrer Verfassung, sondern von solch hohem Wert und Ansehen, dass sie bereit sind, im Kampf dafür ihr Leben zu lassen. Ja, sogar das höchste Opfer bringen, damit andere Völker ihre Freiheit bewahren können oder überhaupt erhalten.  Für die Amerikaner bedeutet Freiheit auch Verantwortung. Für sich selbst, aber auch für andere. Bei uns werden die USA für diese uneigennützigen Bemühungen, die Freiheit als solche überall zu verteidigen, gerne als “Weltpolizei” verhöhnt. Dass sie Deutschland und Europa von den Nazis befreit haben, ist längst vergessen. Kein Wunder in einem Land, dessen Bürger ihre Freiheit als so wenig wert ansehen, dass sie sie freiwillig und ohne Not aufgeben. Die Pandemie ist erst beendet, wenn der deutsche Bürger sie beendet. Und das will er nicht. Es ist einfacher, die ganze Verantwortung den Politikern zu überlassen. Kein Wunder, wenn diese leichtes Spiel haben, ihre Macht an uns auszuleben.

J. Ambrosius / 25.05.2021

Sehr mutig, Herr Kölsch. Ich hoffe, es lesen möglichst viele Ihren Brief. Aber eine Veränderung kann mittlerweile nur noch von der Straße kommen. Herr Steinmeier dagegen wird Ihren Brief sicher ignorieren. Und wenn, dann nicht verstehen. Er hat sich als hohler Phrasendrescher herausgestellt. Falls die Politik ein gemeinsames Ziel (weitgehendes Durchregieren durch faktisches Abschaffung wichtiger Grundrechte) verfolgt, dann durchschaut er es nicht oder er spielt er mit. Wahrscheinlich wird er Sie einfach mit ein paar wohlgewogenen Worten zurechtweisen und nicht ansatzweise auf die Argumente eingehen. Trotzdem vielen Dank für Ihre Mühe! Steter Tropfen höhlt den Stein.

Melanie Mc Bride / 25.05.2021

Ehre und Respekt,  sehr geehrter Herr Kölsch, und 1000 Dank für Ihre Konsequenz und Ihren Mut.

Peter Gentner / 25.05.2021

Ehrenhaft und sehr konsequent. Leider wird es den Adressaten mit der linksextremer Vergangenheit, der noch nie in seinem Leben einen ordentlichen Job hatte, leider nicht interessieren. Er wird es nicht lesen, zu lang und zu kompliziert für den Herrn. Da kommt nichts an. Der veranstaltet lieber scheinheilige “Gedenktage” für angebliche Fukushima- und Corona Opfer anstatt für die Opfer der SED und ihres Verbrecherstaates! Das hat schon seit langem nichts mehr mit “Pandemie” Bekämpfung zu tun, das war und ist nur die Blaupause für Sozialismus, Antifaschismus anstatt Grundgesetz,  Reset und Klima Lockdown.

Kay Ströhmer / 25.05.2021

Hihi, “mit vorzüglicher Hochachtung”. Ich wette, der Steinmeier blickt das nicht und hält das für eine besondere Ehrerbietung.

Arthur Dent / 25.05.2021

Meine Hochachtung Herr Dr. Kölsch Heutzutage findet man Menschen mit Rückgrat fast nur noch bei Rentnern/Pensionären oder denen, die kurz davor stehen. Die meisten anderen haben - meiner Meinung nach leider zurecht - Angst, dass man Ihnen die Karriere absägt, wenn sie ihre nicht systemkonforme Meinung äußern. Von dem Gedanken der FDGO ist anscheinend nicht mehr allzu viel übrig geblieben.

Dr. Hendrik Hurtz / 25.05.2021

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Kölsch -  auch ich bin seit inzwischen exakt 40 Jahren als unabhängiges Organ der Rechtspflege tätig, wenn auch ohne Ausstattung mit dem Bundesverdienstkreuz. Jeden einzelnen Ihrer Kritikpunkte - insbesondere auch diejenigen im Hinblick auf die nachhaltige Störung der demokratiesichernden Gewaltenteilung - unterschreibe ich aus voller Überzeugung! Über die Corona-bedingten Grundrechtsverletzungen hinaus erschreckt nach meiner Bewertung die politgefällige Ausuferung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Klima. Das BverfG macht nun augenscheinlich “Klima-Politik” per Zuruf durch geneigte Kreise und das ohne hinreichende Faktenbasierung und ohne entsprechende Kompetenz. Mehr als rechtsungewöhnlich mutet es dabei an, daß sich das BVerfG unter seinem neuen Präsidenten unter anderem offenbar gar dazu berufen fühlt, die in fernen Jahren vermeintlich drohende Verletzung von Grundrechten noch gar nicht Geborener abzuwehren.

Ralf Pöhling / 25.05.2021

Herr Dr. Kölsch, Sie sind offensichtlich vom Fach, haben etliche Jahre Berufserfahrung und die Worte “Verhältnismäßigkeit” und “Einzelfallabwägung” sind ihnen nicht fremd. Ich frage mich schon seit Anbeginn der Coronapandemie, was die verantwortlichen Entscheidungsträger geritten hat, das gesamte Land komplett stillzulegen und so nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das öffentliche Leben vollkommen zu zerstören. Im Falle einer Pandemie mit einem (potentiell) tödlichen Erreger gilt es, die Risikogruppen zu schützen und die Infizierten in Quarantäne zu halten, damit sie die Risikogruppen nicht gefährden können. Weite Teile der Bevölkerung gehören aber weder zu den Risikogruppen, noch sind sie infiziert. Genau genommen gilt dies sogar für den Großteil der Bevölkerung. Die Gesamtheit der Bevölkerung nun wegzusperren und faktisch widerrechtlich zu entrechten, um genau das fatale Wechselspiel zwischen Risikogruppen und Infizierten zu unterbinden, entbehrt doch jeglicher Verhältnismäßigkeit. Und da kommt üblicherweise die Einzelfallabwägung ins Spiel, bei der man darauf schaut, mit wem man es gerade zu tun hat, ob er zur Risikogruppe oder zur Gruppe der Infizierten gehört, und ob dies nur in diesem jeweiligen Fall entsprechende Maßnahmen erfordert, um die eventuellen Risiken zu senken. Wer hingegen weder zu einer Risikogruppe noch zu den Infizierten zählt, der darf auch nicht gleichartig wie diese behandelt werden. Man unterzieht einen gesunden Menschen ja auch keiner Krebstherapie oder misst mehrmals täglich seinen Zucker und spritzt Insulin, wenn er gar kein Diabetes hat. Im Falle von Corona hat man aber genau das getan. Und zwar mit den zu erwartenden Kollateralschäden. Ein rechtlich absolut unhaltbarer Vorgang, der die verantwortlichen Quacksalber eigentlich zum Schadenersatz verpflichtet.

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