Thomas Rietzschel / 31.10.2024 / 16:00 / Foto: Montage Achgut.com / 20 / Seite ausdrucken

Das fliegende Kabinett

Die aufschneiderische Reiselust unserer politischen Rädelsführer hat Methode. Wenn sie daheim nicht mehr ein noch aus wissen, jetten sie in die weite Welt, um ein Verantwortungsbewusstsein vorzutäuschen, das sie daheim peinlich vermissen lassen.

Nach der neuesten Steuerschätzung müssen Bund, Länder und Kommunen 2025 mit Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe rechnen. Der Haushalt, auf den sich die Koalition schon im Sommer zweimal geeinigt haben wollte, steht wieder infrage. Weil Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) nicht zusammenfinden und sich auf keinen bezahlbaren Kompromiss verständigen konnten, gingen sie einander aus dem Weg. Der Kanzler machte sich mit einer ausgedehnten Reise nach Indien aus dem Staub. Weit weg von Berlin baute er Luftschlösser, indem er Kooperationen mit dem aufstrebenden Land in Aussicht stellte. Dafür bekam er bunte Bilder im Fernsehen und Beifall von den Besuchten, die sich um den deutschen Haushalt nicht kümmern müssen.

Auch Christian Lindern hatte den Streit daheim hinter sich gelassen auf einer Reise nach Amerika. Die Außenministerin weilte ohnehin in weiter Ferne, mal im Libanon, mal in Gaza oder in der Türkei. Sich im Ausland umzutun mag ihr Job sein. Ob es auch ihre Aufgabe ist, den jeweiligen Gastgebern millionenschwere Hilfen zuzusagen, darf bezweifelt werden, solange keine Einigung darüber besteht, was der deutsche Haushalt überhaupt noch hergibt.

Die aufschneiderische Reiselust unserer politischen Rädelsführer hat Methode. Wenn sie daheim nicht mehr ein noch aus wissen, jetten sie in die weite Welt, um ein Verantwortungsbewusstsein vorzutäuschen, das sie daheim peinlich vermissen lassen. Das ist nicht neu, gewiss nicht. Auch Helmut Kohl gab gern den Weltpolitiker, wenn er innenpolitisch in der Klemme steckte. 

Wir sind jetzt quasi durch! Womit?

Heute ist es Scholz, der sich gerne von weither, zuletzt vom indischen Subkontinent, zu Wort meldet. Baerbock winkt uns lieber aus Afrika und dem Nahen Osten zu, als dass sie sich an ihrem Schreibtisch im Außenamt langweilt. Und was tut Habeck, der Wirtschaftsminister und Vizekanzler? Er nutzt jede Gelegenheit, in ein Traumland zu entschwinden. Von dort, von Wolke sieben herunter, verkündet er selbstzufrieden lächelnd das Ende der Wirtschaftskrise. „Wir sind jetzt quasi durch.“ Ja, mag schon sein, fragt sich nur, womit wir durch sind, 

Allesamt sind die gewählten Schulden-Barone und -baronessen mit ihrem Latein „quasi“ am Ende. Mit der Flucht in die Welt kapitulieren sie vor den Problemen, die in Deutschland zu lösen wären. Von Kontinent zu Kontinent sprechen sie miteinander – hinweg über das Land, das sie regieren sollten. Mit immer neuen Plänen und Visionen versuchen sie, einander auszustechen. Gern treffen sie sich auch zu theatralisch inszenierten Nachtsitzungen, um dann übernächtigt im Morgengrauen Abmachungen zu unterzeichnen, von denen sie später, halbwegs ausgeschlafen, hastig wieder abrücken.

Was sie gemeinsam ausgehandelt haben, will dann keiner so gemeint haben, wie es auf dem Papier steht. Zeit, nochmals über die gefassten Beschlüsse nachzudenken, bleibt kaum. Statt sich in Berlin zusammenzuraufen, gehen die Verhandlungsführer einander schnell wieder aus dem Weg – auf Reisen ins politische Nirgendwo. Das Spiel ist erprobt, seine wiederholte Aufführung vertraut. 

Wie der reiche Onkel aus Amerika bei den armen Verwandten

Dass wir eine schlechte Regierung haben, kann man gar nicht mehr sagen, da wir überhaupt keine mehr haben, die den Namen verdiente. Stattdessen bezahlen die steuerpflichtigen Bürger ein Tourneetheater mit Darstellern, die im Ausland von sich reden machen wie einst der reiche Onkel aus Amerika bei den armen Verwandten in Europa. Das Ansehen Deutschlands in der Welt möchten sie erkaufen, indem sie den Gastgebern zum Abschied Millionen, öfter schon Milliarden, an Hilfsgeldern zusagen. Dass auch hierzulande immer mehr Menschen für eine warme Mahlzeit vor den Ausgabestellen privater Hilfsorganisationen in der Schlange stehen, können die Mitglieder des fliegenden Kabinetts nicht sehen. Hat uns doch schon Reinhard Mey vorgesungen: 

Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man

Blieben darunter verborgen
Und dann,
Würde, was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein.

Anders gesagt: Schwebt man erst einmal über den Wolken, herrscht es sich völlig ungeniert. Und wenn es nun heißt, die Koalition müsse sich noch in dieser Woche auf einen endgültigen Haushaltsentwurf für 2025 einigen, darf man gespannt sein, wohin die Verhandlungspartner fliegen werden, danach oder noch bevor herauskommt, dass ihre Haushaltsberatungen abermals ausgegangen sind wie das Hornberger Schießen.

Tröstlich immerhin der Gedanke, dass sie dann hierzulande nicht länger Blinde Kuh spielen und heiße Luft verbreiten werden. Nicht vorzustellen, was auf uns zukäme, kämen die obersten Dilettanten auf den Gedanken, sich um Deutschland zu kümmern. Lieber ihre Reisekosten bezahlen, als ihren Pfusch am Staatsgebäude finanzieren. 

 

Dr. phil. Thomas Rietzschelgeboren 1951 bei Dresden, verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Verstörend für den Zeitgeist wirkte sein 2012 erschienenes Buch „Die Stunde der Dilettanten“. Henryk M. Broder schrieb damals: „Thomas Rietzschel ist ein renitenter Einzelgänger, dem Gleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.“ Die Fortsetzung der Verstörung folgte 2014 mit dem Buch „Geplünderte Demokratie“.   

Foto: Montage Achgut.com

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Leserpost

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Klaus Martin / 31.10.2024

Mit dem äusseren Wohlbefinden änderten sich auch die Denkgewohnheiten der Reisenden.WAS AN Land noch wahrscheinlich gewesen war, auf hoher See wurde es tiefe Gewissheit ( jules Verne)

F. Michael / 31.10.2024

Wenn Politiker vom WEF geschult werden, kommt ein Staatsbankrott heraus, weil das geplant war für die BRiD von den Globalisten, alle WEF geschulten Politiker gehören verhaftet, weil sie zum Schaden des deutschen Volkes agieren und handeln. Volksaufstand mit Generalstreik jetzt.

Sean Manger / 31.10.2024

Ist draußen in der Wirtschaft genauso. In Leitungspositionen erschleicht man sich die Fernreise kurzum mit Begriffen wie ‘Socializing’, das mal wieder nach vielen Jahren bei einem alten Geschäftspartner erforderlich wäre, oder einer alljährlichen Konferenz, die gut getarnt nur für genau diesen Zweck etabliert wurde. Man hat schließlich Jahre lang treu ‘Ja’ zum dilettantischVorgesetzten gesagt, die Stiefel geleckt, Klinken geputzt, nun will man auch die Früchte ernten und lässt es sich in 41.000 ft im Schlafsessel gut ergehen. Da in der nächst höheren Ebene die Bedürfnisse und Motive dieselben sind, werden die Flüge genehmigt zur großen Freude der Airlines, deren Leitungspersonal wiederum es noch viel einfacher haben und entsprechend noch mehr reisen. Entweder gehört man dazu oder eben nicht. Sinnfällig sind nur die wenigsten Geschäftsreisen dieser Lenker. Die Ironie will es nicht selten, dass den wahren Experten mit wirklichem Grund die Reisen verwehrt bleiben. Es ist immer wieder dasselbe: die Eitelkeit hat in diesem Land das Zepter übernommen und in dem Maße wie sie bei den Schaltern und Waltern zunimmt, löst sich die Ordnung auf, nehmen Bildung, Wissen, Können und Leistungsbereitschaft ab, senkt sich das ganze Fundament unseres Wohlstandes ab und bricht, degeneriert das ganze Land.

Ralf.Michael / 31.10.2024

Das liegt daran, das die Akteure mangels Körpergrösse und ausreichendem IQ-Level das (Gedanken)Experiment mit Schrötingers Katze einfach niemals Nicht verstanden haben.

Ralf Ehrhardt / 31.10.2024

Herr Rietzschel, wenn Sie eingangs schreiben “...um ein Verantwortungsbewusstsein vorzutäuschen, das sie daheim peinlich vermissen lassen” weiß ich zwar genau wie das meinen;  trotzdem hier mein zaghafter Hinweis, dass ich persönlich mich auch hier zuhause von diesem Verantwortungsbewusstsein bestimmter (fast aller) Politiker nicht unbedingt “zwangsbeglücken” lassen möchte !  Schlimm genug, dass sie das im Resteuropa und der Welt so praktizieren und vortäuschen können, ...wobei das alles auch nur noch mit dem gezückten Scheckbuch möglich ist.

Leo Hohensee / 31.10.2024

@Steffen Ehrbricht - Sie schreiben: ” .... Ansonsten gab es keinerlei Geheimnisse. Das deutsche Volk hat gewählt - es will diese Politik. ...” - Hallo Herr Ehrbricht, Sie glauben doch nicht, dass der deutsche Wähler überhaupt irgendein Wahlprogramm gelesen hat. Nichts da. Die plappern irgendwas nach was sie irgendwo aufgetischt bekommen haben und wählen dann das was DIE GUTEN, das Lenchen oder der Robert, oder die Claudia (ach, und Glaskugel Mujib Latif) im Fernsehen mimen. // Aus vergangenen Tagen will ich noch berichten, da gab es eine Bewegung, die hieß PEGIDA. Nach einiger Zeit wollte ich dann doch wissen, was sind denn das für Leute und habe deren Programm gelesen. Außer dem “provokanten”  Namen hätte ich all deren Punkte sofort unterschreiben können. Also - stimmt schon - lesen hilft. Alle PEGIDA-Befürchtungen sind eingetroffen oder stehen in Blüte und Entwicklung. beste Grüße

Rainer Niersberger / 31.10.2024

@ H. Ehrbricht : Das ist natuerlich richtig, aber tatsaechlich noch zu kurz gesprungen. Wir beide und noch einige andere werden erleben, dass das Alles und noch viel mehr zu keinen nennenswerten politischen Konsequenzen bei der naechsten ” demokratischen” Gelegenheit 2025 fuehren wird. Ich wuerde sogar darauf wetten und es ist gut moeglich, dass es exakt so kommen wird, dass dieses Regime resp die tragenden Kartell parteien, die sich Sch’land zur Beute gemacht haben und nur um die Anteile zanken, sich noch viel mehr erlauben darf, ohne dass die Betroffenen daraus grundsaetzlich die bitter nötigen Folgen ableiten. Die nahezu suizidale Passivität ist bereits aktuell bemerkenswert. Nicht vergessen : Die Kritik an dem, was dieses Personal veranstaltet, bedeutet nicht, dass die Kritiker die bzw irgendeine Alternative wollen.  Die Aenderungen, um die es hier existentiell geht oder ginge, will hier kaum jemand. Es geht um Korrekturlein, um Pseudomassnahmen. Kaum jemand hier will den ÖRR abschaffen, die EU oder das System. Die VW - Belegschaft kritisiert nicht die Geschäftspolitik des Vorstandes, sondern die aktuellen Folgen, die sie nun ” ueberrascht”.  Die ” Belegschaft” dieses Landes kritisiert nur die etwaigen persoenlichen Folgen, nicht die Politik oder das Personal. Abgesehen von der ” rechts - Phobie” erfährt die AfD, dass der ( deutsche) Mensch wenig bis nichts grundsaetzlich”  aendern will. Ihre Vorstellungen z. B. zu ÖRR oder EU gehen dem Michel viel zu weit. Ebenso wie etwaige, wirksame Grenzsicherungsmassnahmen. Merkel hat den Michel klar erkannt. Der Michel will ” nur” nicht zu negativ betroffen sein. Ausserdem glaubt er, der Biedermann, sehr gerne den Märchen seiner Machthaber.

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