Thilo Sarrazin / 18.12.2016 / 10:33 / Foto: RIA Novosti / 9 / Seite ausdrucken

Das Establishment spielt auf Zeit

Von Thilo Sarrazin. Das Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahl hat eine Grundgewissheit der politischen Moderne als Wunschdenken entlarvt, nämlich die Annahme, in reifen Industriegesellschaften gebe es grundsätzlich eine Mehrheit der "fortschrittlichen" gegen die "beharrenden" Kräfte. Zu den "fortschrittlichen" Kräften zählen in dieser Betrachtung alle jene, die den Nationalstaat für überholt und mehr Einwanderung kulturell Fremder für grundsätzlich positiv halten. Dazu zählen ferner die Grünen, die Feministen, die Freunde der Homo-Ehe und die Anhänger der Gender-Ideologie.

Trump hat gezeigt, dass sich jenseits dieser Gruppen gesellschaftliche Mehrheiten organisieren lassen. Alle Hinweise darauf, welche eine unmögliche Person Donald Trump sei, welche absurden Positionen er vertrete und dass er sich durch seine Beschimpfungen der Presse und der politischen Gegner selber disqualifiziere, vergrößern seinen Triumph noch: Welche Erfolge müsste er erst haben, wenn man diese Schwächen nicht gegen ihn ins Feld führen könnte. Jene großen Gruppen in der amerikanischen Gesellschaft, die von Globalisierung und Einwanderung nicht profitieren oder diese ganz einfach nicht mögen, können zusammen mit dem Wertkonservativen eine politische Mehrheit erringen - und haben dies auch getan. Das ist die Botschaft der amerikanischen Präsidentschaftswahl. Die Parallele zum Brexit-Votum ist nicht zufällig.

1 Prozent bekommt Asyl, 90 Prozent bleiben

Die etablierten Parteien in Deutschland machen bislang nicht den Eindruck, als ob sie diese Botschaft verstanden hätten. ganz im Gegenteil:

- Eine Obergrenzen für illegale Einwanderer und Flüchtlinge soll es weiterhin nicht geben.

- Weniger als 1 Prozent aller illegalen Einwanderer und Flüchtlinge erhalten nach Abschluss aller Verfahren ein Recht auf  Asyl.  Aber über 90 Prozent aller illegalen Einwanderer und Flüchtlinge können gleichwohl in Deutschland bleiben, das auf diese Art mehr oder mehr zum Sozialamt Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens wird.

- Es gibt keine Ideen dazu, wie man den zu erwartenden Massenzustrom aus Afrika vorbeugend abwehren will oder wie man den Diktator Erdogan als Grenzwächter Europas ablösen kann.

- Ein absolutes Tabu ist die  Debatte darüber, dass die ethnische und kulturelle Herkunft auch Integrationswillen und Leistungsbereitschaft von Einwanderern dauerhaft beeinflusst.

Die politische Einigung von Union und SPD auf Frank Steinmeier als künftigen Bundespräsidenten und die Ankündigung von Angela Merkel, erneut als Spitzenkandidatin der CDU/CSU anzutreten, haben für 2017 immerhin einige Verfahrensfragen geklärt. Das Establishment spielt damit auf Zeit:

- Ein Bundespräsident Steinmeier könnte 2022, wenn er dies wollte, erneut kandidieren und bis 2027 Präsident bleiben. Dies würde ihm niemand streitig machen. Politisch ist er zu trittsicher, als dass sich Ereignisse wie bei Horst Köhler oder Christian Wulff  wiederholen könnten.

- Eine bis Herbst 2021 gewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte sogar noch eine vierjährige Amtsperiode von Donald Trump  überdauern.

- Alle Parteien, außer der Linken und der AfD, überschlagen sich geradezu in Koalitionsangeboten an die Union. Angela Merkel kann wählen, eine erneute große Koalition im Herbst 2017 ist die wahrscheinlichste Lösung. Es ist aber auch ziemlich egal, wer unter Angela Merkel mitregiert. Es wird immer eine ähnliche Politik dabei herauskommen.

Zwei Alternativen zu Angela 

Die eigentlichen Herausforderungen werden in Faktoren liegen, die sich dem deutschen Zugriff weitgehend entziehen.

- Was bedeutet es, wenn die Briten ihren Brexit zu einem wirtschaftlichen und politischen Erfolg machen?

- Wie entwickelt sich die Situation in Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten?

- Was bedeutet das absehbare Scheitern der internationalen Klimapolitik?

- Wie reagiert man, wenn es Trump gelingt, die Einwanderung aus Mittel- und Südamerika mit Erfolg zu drosseln und so beweist, dass Mauern eben doch helfen?

- Wird die Bundeswehr neue Divisionen bekommen, wenn Trump das militärische Engagement in Europa drosselt?

Diese Liste allein wird dazu führen, dass viele jener Wähler Angela Merkel unterstützen werden, die eigentlich eine andere Politik wollen. Auch das ist jedoch keine Gewissheit, wie das amerikanische Beispiel eindringlich vor Augen führt.

Gegenwärtig gibt es in der deutschen Politik nur zwei inhaltliche Alternativen zu Angela Merkel: Sahra Wagenknecht oder Frauke Petry.

Lieber gleich das Original

Damit sind wir beim Drama der SPD: Niemand braucht eine Ich-auch-Partei wie die SPD, wenn das Original sozialdemokratischer Politik von Angel Merkel repräsentiert wird. Der tiefe Fall der SPD ist noch nicht vorüber. Das ganze Dilemma zeigt sich darin, dass  Sigmar Gabriel gegenwärtig mit drei denkbaren sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten jongliert, darunter auch er selbst. Die anderen beiden sind Martin Schulz und der Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz. Der war aber gar nicht gefragt worden, ehe er genannt wurde.

Entlastung für die etablierten Parteien in Deutschland könnte von unvermuteter Seite kommen: Der Spitzenkandidat der französischen Republikaner, Francois Fillon, hat die Vorwahlen mit einen Programm gewonnen, das für französische Verhältnisse geradezu radikal ist. Er hält traditionelle Familienwerte hoch und hat sich zu Abtreibungsfragen kritisch geäußert. Dem Font National könnte er einen Teil seiner konservativen Wähler abspenstig machen und so die  französische Präsidentschaftswahl gewinnen.

Mal sehen, wie die stets bewegliche Angela Merkel darauf regiert.

Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche

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Leserpost

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Florian Bode / 18.12.2016

“Mal sehen, wie die stets bewegliche Angela Merkel darauf regiert.” - Jaja, mal sehen. Außerhalb der Altersheime wird ein erneuter Sinneswandel dieses Pinup-Girls der deutschen Senioren aber sicher nicht mehr als glaubwürdig eingestuft werden. Die CDU hat, ebenso wie die SPD, in Teilen des Volkes endgültig fertig

Roland Stolla-Besta / 18.12.2016

Sehr geehrter (wirklich!!) Herr Sarrazin, nach Ihren Büchern lese ich Ihre Artikel hier auf der „Achse“ immer mit besonderem Interesse. Im ersten Absatz erwähnen Sie im Zusammenhang mit den (selbsternannten) „fortschrittlichen“ Kräften auch die „Freunde der Homo-Ehe“. Als bekennender Schwuler (hier stehe resp. sitze ich und kann nicht anders) sind mir diese „Freunde“ seit jeher ein Dorn im Auge. Einerseits sollen Ehe und Familie ein „Auslaufmodell“ sein, andererseits drängt man sich förmlich von der „fortschrittlichen“ Seite in dieses Modell. Für mich ist die „Homo-Ehe“ nichts anderes als die Parodie einer heterosexuellen Ehe, entsprechende Beispiele im Bekanntenkreis bestätigen mir das. Zu allen anderen Punkten kann ich nur sagen, was ich auch an Ihren Büchern schätze: Sachlich, nüchtern, geradezu emotionslos. Und genau das ist es, was Ihre postfaktischen Gegner nicht ertragen können!

Sonja Brand / 18.12.2016

Sehr geehrter Herr Sarrazin, vielen Dank für Ihren Artikel. Ich wünschte, Sie hätten in der Politik mehr zu entscheiden und bitte glauben Sie, dass es viele, viele Menschen gibt, die Ihnen inhaltlich voll zustimmen. Leider kann der “normale” Mensch so etwas nicht verlautbaren - entweder wird er in Kommentaren sofort gelöscht oder den “Ultra-Rechten” zugeordnet oder er bekommt in seinem Job die größten Probleme (das kennen Sie ja…). Also nochmal, herzlichen Dank!

Sepp Kneip / 18.12.2016

Das Schicksal Deutschlands wird in den nächsten Jahren von zwei wesentlichen Faktoren beeinflusst: Von der Flüchtlingspolitik und von der “Klima”-Politik. Es ist mir unerklärlich, wie sich Deutschland von Frau Merkel in die Rolle eines “Flüchtlings”-Sammelbeckens hat drängen lassen. Deutschland trifft keinerlei -allenfalls indirekte- Schuld an dem Elend im Nahen Osten und Afrika. Dennoch löst Merkel eine Massenimmigration nach Deutschland aus. Warum? Wird sie dazu gezwungen und von wem? Die Flutung Deutschlands mit Migranten aller Art scheint Programm der Mega-Globalisierer um Soros zu sein, um einen Multikulturalismus zu etablieren, der Identität, Kultur und Notion vernichtet. Dann hat man leichteres Spiel. “Gegenwärtig gibt es in der deutschen Politik nur zwei inhaltliche Alternativen zu Angela Merkel: Sahra Wagenknecht oder Frauke Petry.” Genau so sehe ich es auch. Vielleicht können beide über ihren Schatten springen und machen es zusammen. Zur “Klima”-Politik ist festzuhalten, dass Deutschland schon jetzt immer am Rande eines Netzzusammenbruchs fährt. Die schwankende Stromeinspeisung durch die “Erneuerbaren” führt dazu, dass immer wieder die herkömmlichen Kraftwerke zugeschaltet werden müssen. Ohne die geht es nicht. Wird es auch in Zukunft nicht gehen. Die “Grüne Unvernunft” will aber alle vom Netz nehmen. Gute Nacht Deutschland.

robert renk / 18.12.2016

Sarrazin for Präsident!

Torsten P.Neumann / 18.12.2016

Als jemand der beruflich viel mit der Anglosphere zu tun hat, erlaube ich mir zu ergänzen, das Brexit und Trump einen Vorläufer haben. Nämlich Australien.  Die Aussies sind zwar für die (europäischen) Wasserköpfe in Politik und Presse weit weg, und keiner kennt sie,  aber sie tauchen trotzdem bei BBC und CNN und FOX auf und erklären dem Publikum wie man mit Scheinasylanten umgeht.  Bei den Aussies ist das parteiübergreifender Konsens und funktioniert bestens. Die regierenden Eggheads in Washington und London konnten darüber nur vornehm die Nase rümpfen.  Allerdings nur einmal. Bis zur nächsten Wahl.  Schwupp- dann waren sie weg.

R. Ohström / 18.12.2016

Pardon, der Franzose heißt nicht Francois Villon, sondern Francois Fillon.  Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied: Villon war Ganove und Gesellschaftskritiker, von Fillon weiß man beides nicht so genau.  “Ich bin Franzose, was mir gar nicht passt, geboren zu Paris, das jetzt tief unten liegt. ich hänge nämlich meterlang an einem Ulmenast und spür am Hals, wie schwer mein Arsch hier wiegt.”,

Marcel Seiler / 18.12.2016

Schon wieder ein Sarrazin, der zunächst nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz abgedruckt wurde. Es ist, wie Roland Tichy kürzlich andeutete: Die Schweizer Presse ist das Westfernsehen des heutigen Deutschland. Dürfen wir das überhaupt gucken?

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