Rainer Bonhorst / 02.07.2021 / 11:00 / Foto: Imago / 60 / Seite ausdrucken

Das Ende einer Doppelära

Ist es eine gemeinsam zu betrachtende Doppel-Ära oder sind es zwei voneinander unabhängige Ären? Zeitlich sind sie nur beinahe deckungsgleich. Jogi Löw ist schon Geschichte, Angela Merkel wird erst im September Geschichte sein. Aber beider Lauf durch die Geschichte weist so viele Parallelen auf, dass man getrost von einer gemeinsamen Ära, also von einer Doppelära sprechen, die nun ihre twilight zone erreicht hat.  

Anders war es in den frühen Jahren unserer Republik. Sepp Herberger und Konrad Adenauer prägten zwar zwei streckenweise parallel verlaufende, aber inhaltlich so unterschiedliche Zeitspannen, dass man von zwei unabhängigen Ären sprechen muss. Zwar wurde der Bundes-Sepp von Journalisten zum Konrad Adenauer des Fußballs erhoben. Und es gab die Einschätzung, dass 1954 in Bern das eigentliche Gründungsereignis der Bundesrepublik stattfand. Es dauerte neunzig Minuten und wir waren wieder wer.

Aber das fand alles ohne Konrad Adenauer statt. Der war nicht einmal am Radio, sondern mit dem griechischen Ministerpräsidenten beschäftigt, als Herbergers Buben seinem Befehl „Spielt Fußball“ folgten und als Weltmeister vom Platz gingen. Der Alte von Rhöndorf hatte die Macht des Fußballs als Motor eines neuen deutschen nation building nicht erkannt. Er lebte in dem Glauben, er sei in den Augen seiner Landsleute wichtiger als Sepp Herberger. Erstaunlich, dass er sich trotzdem vierzehn Jahre im Amt halten konnte. 

Cordon bleu mit Bratkartoffeln

Wiederum anders liegt der Fall mit Jogi Löw und Angela Merkel. Sie sind zwei Gesichter einer Ära, die wie Bruder und Schwester zusammengehören. Die Kanzlerin zeigte sich auf den Tribünen der großen Fußball-Arenen, ganz gleich, welcher ausländische Ministerpräsident sie zu sprechen wünschte. Sie besuchte im Fall besonders schöner Erfolge gerne auch mal die mehr oder weniger bekleidete Nationalmannschaft in der Kabine. Eine mächtige, wenn auch wenig durchtrainierte Frau unter Muskelmännern. So oder so ein starkes Symbol.

Und dann, als für beide der Abschied nahte, blickten sie ihm nicht getrennt entgegen. Die Bundeskanzlerin lud den Bundestrainer zu Cordon bleu mit Bratkartoffeln ein. Zum Gedankenaustausch über das Auf und Nieder des Lebens und über den Abschied von den beiden wichtigsten Ämtern, die die Bundesrepublik zu vergeben hat. (Tut mir leid, Frank-Walter Steinmeier, aber es gibt nun mal neben der offiziellen Hierarchie auch eine echte.)

Allerdings: Nach 15 Jahren Jogi Löw und 16 Jahren Angela Merkel ist die bittere Wahrheit: Der Lack ist ab, bei den beiden Altgedienten und bei den Teams, die sie so lange betreut haben.

Ausgerechnet im Londoner Wembley-Stadion, dieser zweiten Heimat deutscher Fußballer, erlebte Jogi Löw sein Waterloo. Er geht, begleitet von der neueren, bedrückenden Feststellung Gary Linekers: „22 Fußballer kicken den Ball 90 Minuten lang, und am Ende gewinnen nicht immer die Deutschen.“ Am Ende verlieren sie sogar. Gegen die Engländer. In England. So dass die Fans zu recht lauthals singen können: „Football is coming home.“ Stimmt sogar: Die Brexit-Nation hat wieder die Kontrolle über ihren Sport, es sei denn, sie geht auf den letzten Metern noch an eine andere Kontinentalnation verloren. Es wäre nach der brutalen Brexit-Ernüchterung eine zweite Niederlage des Global Britain.  

Aber nach dem Spiel ist vor dem Spiel 

Und Angela Merkel? Das politische Leben ist nicht so brutal wie der Fußball. Sieg und Niederlage sind nicht so klar definiert. Klar ist, dass ihr als Primadonna Kontinental-Europas die Briten entlaufen sind. Ein Verlust, an dem sie eine gute Portion Mitschuld trägt. Auch sonst ist ein gefühlter Niedergang deutlich zu spüren. Was ihren Verein angeht, so kann man diesen Niedergang dank Wähler-Umfragen sogar in Zahlen festzuhalten. Aber erst im September wird abgepfiffen und die Chancen der Merkel-Mannschaft, dass sie nicht als Verlierer vom Feld geht, wachsen wieder. Sie erlebt nach einer wackeligen Partie das Glück des Spielers, dass der Gegner beziehungsweise die Gegnerin eine Chance nach der anderen verstolpert. 

Aber nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Die neuen Trainer müssen sich nun beweisen. Hansi Flick hat das Kommando schon übernommen. Armin Laschet muss sich noch fast drei Monate gedulden und hoffen, dass kurz vor Spielende nicht noch ein Unglück geschieht. Kaum auszudenken, wenn er nur als Co-Trainer in die nächste Saison einsteigen könnte, unter dem Kommando einer Chefin, die bisher nur bei den Amateuren gespielt hat. Aber so ist es. Zittern gehört zum politischen Spiel.

Hansi Flick neigt nicht zum Zittern. Er hat als Chef eines Promi-Vereins so viele Sieger-Hormone getankt, dass man nun von ihm erwartet, notfalls eine depressive Mannschaft eigenhändig von Sieg zu Sieg zu schleppen. 

Aber beiden, dem Hansi Flick und dem Armin Laschet, dürfte schwindelig werden, wenn sie an die 15 beziehungsweise 16 Jahre ihrer Vorgänger-hicks-innen denken. Denn trotz der Flaute ihrer späten Jahre muss man Jogi Löw und Angela Merkel die Fähigkeit zur Langstrecke bescheinigen. Eine junge Generation lebt in Deutschland, die nichts anderes kennt als den Herrn mit der perfekten Coiffure und die Dame mit den Hosenanzügen. Zwei Stil-Ikonen, die sich dann irgendwann auf der Langstrecke etwas überlebt haben. Sie hinterlassen eine Menge Zweifel. Aber nicht zuletzt den Zweifel, ob ihre Nachfolger es wirklich besser machen oder ihnen wenigstens das Wasser reichen können. Ob also dem Ende einer – wenn auch durchwachsenen – Doppel-Ära überhaupt eine Ära folgt oder nur eine Episode, bestenfalls ohne bleibenden Eindruck. An Schlimmeres mag man gar nicht denken.

Foto: Imago

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Leserpost

netiquette:

S.Wietzke / 02.07.2021

“Aber erst im September wird abgepfiffen und die Chancen der Merkel-Mannschaft, dass sie nicht als Verlierer vom Feld geht, wachsen wieder. “ Was bedeutet, dass die Chancen für dieses Land dem Untergang zu entkommen weiter vermindert. Aber die liegen eh schon in der Nähe von Null.

A.Lisboa / 02.07.2021

@Hans Reinhardt: Danke für die Klarstellung!

Hans-Jürgen Klein / 02.07.2021

Herr Aslandis: Hier auch, wenn auch nicht von 90%.  Wir bekamen sie in der Vergangenheit nicht weg, das gibts das Wahlsystem nicht her.  Und wir kriegen sie in der Zukunft nicht weg, wenn ihre Auftraggeber nicht wollen.

Gisela Rückert / 02.07.2021

Zwischen dem Wirken von Löw und A.Merkel liegen in den Auswirkungen für uns als Deutsche Nation mehrere Welten. Das möchte ich hier aber wirklich anmerken. Das eine sind bei aller Begeisterung nur Spiele , das andere bedeutet ein wirtschaftliches, bildungsmässiges , kulturelles und soziales Abrutschen in noch nicht absehbare Tiefen vom Verlust unseres “Wir” ganz zu schweigen.

Werner Arning / 02.07.2021

Bevor Jogi und Angela zu Grünen wurden, schien die Welt ja auch noch in Ordnung. Doch dann ging es mit Deutschland bergab. Fußballerisch wie politisch.

Andreas Berlin / 02.07.2021

Die Abwärtsentwicklung von Herrn Löw als guter, ideenreicher Trainer bis zu seinem Triumph mit dem WM-Titel hat auch die Nationalmannschaft diesen Weg gehen lassen. So selbstverliebt, abgehoben und realitätsfern, wie Hr. Löw nach 2014 aufgetreten ist, so wirken auch die Spieler. Eigentlich wollen sie aufstehen und für Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung von Rassen und an der Seite all der LGTBQRSTUVW-Regenbogen-Menschen sein - und gehen dafür auf die Knie! Das ist n. m. A. ein Unterwürfigkeitssymbol der Feigheit und irgendwie symbolisch, denn nicht einmal der Chef dieser Truppe wagt sein coming out - auch nicht nach seinem Karriereende. So erbärmlich verlogen ist diese billige Show. Dabei kann man durchaus auch im Sport Haltung zeigen, aber nicht mittels im Hinterzimmer erdachten “Was-kommt-gut-an”-Projekten, sondern mit Mut, Überzeugung und Persönlichkeit. Ich erinnere mich noch an die beiden afroamerikanischen Sprinter Tommy Smith und John Carlos, die bei der Olympiade 1968 als Sieger und Dritter auf dem Podest während der amerikanischen Nationalhymne die geballte Faust in den Himmel reckten und damit ihre Sympathie für die Black-Power-Bewegung zum Ausdruck brachten. Diese Bilder gingen um die Welt und waren in aller Munde - weil die Beweggründe autentisch waren. Das fehlt dem Bundestrainer (vielleicht muss man sagen: inzwischen), weil er keinen Unterschied mehr macht, ob er für Haarwäsche oder Duschbad oder für bunte Kapitänsbinden Werbung macht. Und wie der Herr so das Gescherr - oder hat schon jemand davon gehört, dass sich die Spieler der deutschen Fussballnationalmannschaft ausbedungen haben, im nächsten Jahr in Katar entweder im Regenbogentrikot anzutreten oder gar nicht. Tja, das wäre autentisch, ist aber eine Illusion, so wie es eine ebensolche ist, dass irgendeiner der deutschen Kniefallern bei der EM etwas für eine Überzeugung riskieren würde, bei der die Medien, der Bundes-Jogi, der DFB nicht schon grünes (!) Licht gegeben haben.

Wolf von Fichtenberg / 02.07.2021

GROTESKE>>> Was ändert sich? Nicht viel, denn Löw hatte einen Co-Trainer an seiner Seite, der wusste was er zu tun hatte und der nun sein Nachfolger wird. Die „Mannschaft“ (die Nationalelf Russlands nennt sich ebenso.  „Sbornaja“ = „Die Mannschaft“) wurde trotz Löw Weltmeister, nicht durch Löw, dessen schnüffelnde Übersprunghandlungen das Einzige sein wird, was an ihn erinnert. Ein alter Mann und eine alte Frau, deren Frisuren der Haartracht des Mickie Krause gleichen, einem Partysänger. Doch die Fußballparty ist ebenso aus, wie das gerautete „Wir schaffen das“. Vielleicht hätte man sich im Spiel - wie auch in der Politik – mehr in die eigentliche Sache hineinknien sollen, Positionen fachgerecht besetzen… Doch: einen Mittelstürmer als Verteidiger einzuwechseln kann genial sein… Kann! Aber in 99% ist es einfach nur dilettantisch und falsch. Und Ratschläge von Experten - die selbst erfolgreich gespielt haben - auszublenden ist ebenso ignorant, wie Expertenmeinungen auszublenden, wenn diese einem nicht nach dem Mund reden. Letzteres ist auf die Politik bezogen. Und so laufen sich die Nachfolger bereits warm. Der eine, Fußballer, hat gezeigt dass er es kann und wohl auch zeigen wird. Er muss aber erst den Schutt von einigen Jahren beiseite räumen und sich mit den weisungsgebenden Altlasten am taktischen Fußballtisch herumärgern. Und das ist schwieriger als ein Spiel zu gewinnen. - Und der andere, Politiker, wird vor dem Scherbenhaufen stehen und es wird in einem „Jetzt ist das nun mal so“ enden. Es werden einige Spieler (hier Minister) ausgetauscht und das Gekicke geht weiter. Am Spielfeldrand hüpft derweil ein Kobold auf einem Trampolin und kreiert grammatische Neuheiten. Wortschöpfungen wie „Europa verenden“ lassen wollen. Doch es wird bei der Zuschauerrolle bleiben, außer „der Neue“ (in der Politik“) braucht einen „Co-Trainer. Hier eine Trainerin. Und das wird lustig. Aber nicht für uns Steuerzahler. Dann lieber Fußball gucken… Ab jetzt ohne Übersprunghandlungen.

Kostas Aslanidis / 02.07.2021

Ich moechte eine Episode aus Griechenland vorlegen. Mein Dorf hat 250 Einwohner und ein Kafenion. Im Spiel England - Deutschland waren ca. 40 Leute anwesend. 90% waren fuer England, einige haben kein Fussballinteresse und nur Einer war fuer Deutschland. Er ist Bayern Muenchenfan und sein Spitzname ist der Deutsche und Besserwisser. Grosse Klappe. Nach dem Spiel war er schnell weg, (Muede). Nicht das wir besondere Gefuehle fuer England hecken, es war nur gegen Deutschland. Diese Arroganz, ueberheblichkeit und Einmischung, kotzt uns nur an. So wie in meinem kleinen Dorf, haben alle gejuebelt als Deutschland verloren hat. Das Land ist total unbeliebt, seit Merkel. Die Tuerkeifreundin wird gehaesst wie die Pest und zurecht.

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