Gleich zwei bemerkenswerte Berichte (hier und hier) der FAZ lassen aufhorchen, vielleicht sogar die CDU selbst. Ein offenbar ziemlich politikverdrossener Youtube-Vlogger prophezeit die Zerstörung der CDU, ihre schrittweise Selbstzerstörung durch Mangel an Kompetenz und Glaubwürdigkeit, garniert mit Defiziten im demokratischen Diskurs. Der junge Video-Blogger (Vlogger) Rezo gemeindet CSU und SPD gleich mit ein, was angesichts deren großkoalitionärer Verquickung sehr verständlich ist, dazu packt er dann auch noch – ohne sich der Analyse zu stellen, wie die FAZ zu recht anmerkt – die AfD.
Er begründet seine Kritik an der CDU mit Beispielen, die teils der Klima-, teils der Friedensbewegung und teils dem Netzaktivismus entstammen und im Großen und Ganzen einer Werbebroschüre der weitgehend vergessenen Piratenpartei entsprungen sein könnten. Dazu mag man stehen, wie man will. Ob die CDU für jeden, dem die Partei ein Amt gab, auch Verstand und Kompetenz zur Verfügung stellt, habe ich mich zuweilen auch schon gefragt.
Seltsam nur: Wenn ich als weißer Mann ohne Vlog, dafür mit grauem und nicht blauem Haarschopf das schreibe, dann ist das in der öffentlichen Wahrnehmung kein frischer Wind, denn er kommt aus meiner antiquarischen Zigarrenduft-Bibliothek. Es ist Populismus. Im Falle des Youtube-Vloggers findet die FAZ eine Generalabrechnung mit der führenden Regierungspartei dagegen völlig legitim: Die Tür zu den Jugendzimmern stehe offen, offen für eine politische Auseinandersetzung.
Richtig: Die Zukunft gehört immer der Jugend. Dann allerdings kann der Wind der Wirklichkeit nicht nur aus den Jugendzimmern heraus, sondern auch in diese hinein wehen, genauso wie in meine verräucherte Zigarrenbude. Interessanter als das, was der Vlogger sagt, erscheint mir deshalb, was er nicht sagt.
Ist es tatsächlich Inkompetenz oder „Lüge“?
Wo, beispielsweise, sind denn die ehrlichen und demokratischen Kern- oder Restkompetenzen der CDU/CSU, der SPD, der AfD? Existieren sie? Oder gibt es da weit und breit nur lauter inkompetente Leute, die „lügen“? Andersherum: Gibt es bei den Grünen, der Linkspartei oder der FDP lauter Engel und leuchtende Vorbilder? Ist es also tatsächlich Inkompetenz oder „Lüge“, wenn Parteien eigene Schwerpunkte setzen und über die Interpretation „wissenschaftlicher Ergebnisse“, die in allen politischen Fällen zuerst ja gar nichts sind als Rohdaten und Statistiken, unterschiedlicher Meinung sind? Oder zählen nur noch die Auffassungen von „Experten“, deren völlig unkontrollierte Expertise allein die Richtung vorgibt?
Wenn uns eine Einheitspartei von Experten regieren soll, worin besteht dann noch die von dem Vlogger Rezo geforderte Mitsprache und Ausweitung des demokratischen Diskurses? Umgekehrt: Sind Demonstranten „Experten“? Sind „Hetzjagden“ solche, weil Kanzlerin, Regierungssprecher und Medien – vulgo: Experten – sich auf diese Sprachregelung geeinigt haben? Sind Versammlungen dann schon Zusammenrottungen oder noch Demonstrationen? Sind Upload-Filter dann doch ein Instrument der Gerechtigkeit für Urheber und keines der Beschneidung der Informationsfreiheit? Ist das so, weil Experten es so oder so entschieden haben?
Wer entscheidet in diesen Fällen, wer ein guter Experte ist und wer nicht, wer sagt dem Vlogger und mir, wer ein guter Demonstrant ist und wer nicht? Sagen es die Experten oder die Demonstranten? Was also will der Vlogger: die Diktatur der expertentreuen Regierungslinie oder die des expertentreuen Proletariats? Das kann alles Mögliche sein, bis hin zum Verfolgungswahn, nur nicht: offene Gesellschaft, nicht: Demokratie.
Die Selbstzerstörung der CDU/CSU hat Namen
An einer Stelle hat der Vlogger dennoch einen schlüssigen Punkt. Die Selbstzerstörung der CDU/CSU hat Namen. Für mich heißen sie: Euro-Rettung, Energie-Wende, Einwanderungs-Propaganda – mit ihren Nebenwirkungen Nullzins, Energiepreisexplosion, CO2-Steuer, niedrige und unsichere Renten bei steigenden Sozialausgaben, Preisgabe der Grenzen – der politischen wie jener rechtsstaatlichen Handelns–, Vernachlässigung der Infrastruktur, der Bildung und Forschung, Halten der Steuerlast für den Mittelstand, funktionale Verwahrlosung der Bundeswehr, verbale und finanzielle Gefährdung des transatlantischen Bündnisses, Verfehlen der Klimaziele und dazu Verunglimpfung jeglicher Kritik, Versuch der Demokratieverweigerung durch paternalistische Tarn- und Ersatznarrative von Klimarettung, Multikulturalismus und Multilateralismus – und das alles unter Teilentmachtung des Parlaments.
Je wichtiger die Entscheidung, je höher und tatsächlich multilateraler ihre Tragweite und ihre Kosten, umso seltener hat die CDU das Parlament beteiligt. Das ist die eigentliche Todsünde der CDU, und nicht, dass die CDU mehr oder weniger Expertise, mehr oder weniger Ehrlichkeit oder Demokratieverständnis hätte als irgendeine andere Partei – nur hat sie diese Ideale gemeinsam mit CSU und SPD zuerst aufgegeben und für das eigene Nichts geopfert, auf Kosten des Parlaments. Denn von wem kann ich die Expertise, die Ehrlichkeit und das Demokratieverständnis verlangen, wenn nicht von den Parlamentariern, an die ich diese Ziele mit meiner Stimme delegiere und die die Regierung nicht nur wählen sollen, sondern auch kontrollieren? Das ist nicht „Lüge“, das ist auch nicht Inkompetenz, es ist schlicht das freiwillige Aufgeben der verfassungsmäßigen Checks-and-Balances, es ist das Elend und auch die Schuld der Parlamentarier und Präsidenten selbst. Sie haben die Zeiger ihre eigenen Uhr auf fünf nach Zwölf ticken lassen und schreien jetzt: Haltet die grauen Herren, diese Zeitdiebe! Und ist Rezo das Kind, das uns die gestohlene Zeit wieder zurück gibt?
Dass bei einem derart disparaten Vorgehen von Regierung und Parlament dann auch die koalitionäre SPD mit ihrer „sozialen Gerechtigkeit“ der hilf- und heillosen expropriativen Geldgeschenke unters Rad kommt, wundert mich wenig. Steuererhöhung und Zwangsumverteilung ohne Ansehen der Person waren schon immer die klassischen Werbegeschenke, die der römischen Kaiser und die der Linken: Gib den kleinen Leuten was zu kauen, dann quatschen sie wenigstens nicht mehr dazwischen. Nur, was ist dann mit den Grünen? Mit der FDP? Wollen bald auch sie sich mit ihren eigenen Themen sehenden Auges in den Sog des parlamentsvergessenen, selbstzerstörerischen Koalitionsstrudels begeben und mit ängstlich-präsidialem Propaganda-Segen die eigentlichen Probleme liegen lassen, dann vielleicht unter der Regie des Wahlvereins der AKK?
Die CDU/CSU hat sich schon aufgegeben
Denn der Vlogger hat an einem Punkt recht: Die CDU/CSU hat sich schon aufgegeben. Sie traut sich ja bereits nicht mehr, ihre eigene Kanzlerin in die Wahlkämpfe für das EU-Parlament und die anstehenden Landtagswahlen zu schicken. Diese Kanzlerin abzulösen, das kommt für die CDU allerdings auch nicht in Frage: War ja alles so schön und so richtig mit ihr. Wie? Will da in der gesamten, angeblich kritiklosen CDU wirklich niemand Kanzler werden? Dann muss es ja tatsächlich noch viel schlimmer sein um den Zustand der CDU, als Außenstehende es zu erkennen vermögen.
Die CDU verfällt derweil auf ganz andere Tricks. Erst schicken die Bundesparteien CDU und CSU den Verfassungsschutzpräsidenten in die Wüste, dann wollen die CDU-Landesverbände im Osten und die „Werte-Union“ nicht Merkel, sondern ihn, Maaßen, für ihre Wahlkämpfe. Das ist allerdings kein Ausweg, sondern eine Schnapsidee, denn so bleibt der CDU noch nicht einmal der wohlfeile Vorwurf der „Lüge“.
Das alles ist ja nicht gelogen, es ist die Wirklichkeit der CDU, die Wirklichkeit eines Etikettenschwindel-Spagats zwischen Merkel und Maaßen, die Wirklichkeit der Selbstzerstörung. Ich kenne eine Menge seltsame Leute, die sich darüber freuen werden. Ich meine nicht vor allem die Wenigen, die sich einst trauten zu fordern: „Merkel muss weg“, ich meine vor allem jene Vielen, die sich selbst nichts zutrauen und lieber noch eine Zeit lang beten oder lamentieren: „Merkel muss bleiben“. Bis es gerade deshalb auch sie zerlegt, weil kaum jemand ihnen mehr traut, ihnen etwas zutraut, vor oder nach der CDU, vor oder nach Merkel.