Das dreckige Dutzend

Von Reinhard Mohr.

Es war ein denkwürdiges Bild am Donnerstag dieser Woche im Deutschen Theater zu Berlin, eine Szenerie voller Verlogenheit und Scheinheiligkeit. Ein tapferes Dutzend Kulturschaffender, Vertreter solch hochmögender, milliardenschwer subventionierter Institutionen wie Goethe-Institut, Berliner Festspiele, Humboldt-Forum und Wissenschaftskolleg, erhoben, einer nach dem anderen, wortreich Klage gegen die Bedrohung der Meinungsfreiheit. 

Wie das? Haben wir was verpasst? Werden die Goethe-Institute in Istanbul, Caracas oder Peking drangsaliert? Wurde eine postfeministisch-queer-antikolonialistische Theaterinszenierung in Krefeld verboten? Sind der Gender-Forschung in Kassel Gelder gestrichen worden? Wurde wieder ein französischer Lehrer geköpft, weil er muslimischen Kindern den Wert der Kunstfreiheit erklären wollte? 

Nein. Es geht um Israel. Besser: Um Israel-Kritik. Noch genauer: Um die nicht mehr ganz taufrische Resolution des Deutschen Bundestages (Drucksache 19/10191) vom 15. Mai 2019, die mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen verabschiedet worden war. Kernpunkt: Die Warnung vor der antiisraelischen und antisemitischen Boykottbewegung BDS, dazu die Absichtserklärung, ihr „Räumlichkeiten und Einrichtungen, die unter Bundestagsverwaltung stehen“, zu verweigern. Darüber hinaus sollten „keine Organisationen“ und „keine Projekte“ finanziell gefördert werden, die „das Existenzrecht Israels in Frage stellen“, „zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen“.

Die Kulturschaffenden proben den Aufstand

Nun, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, pünktlich zu Beginn des jüdischen Lichterfests Chanukka, proben die Kulturschaffenden den Aufstand gegen „die Logik des Boykotts“, den die Bundestagsresolution angeblich ausgelöst habe. Durch eine „missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfs“ würden „wichtige Stimmen beiseitegedrängt“. 

So wichtige Stimmen also wie all jene, die dazu aufrufen, Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell zu isolieren. Freilich versäumt die vereinigte Kulturlinke aller staatlichen Etatposten nicht, pflichtschuldigst mitzuteilen, dass auch sie gegen die Boykottandrohung sei. Aber warum? Weil man den „kulturellen und wissenschaftlichen Austausch für grundlegend“ halte, genauso wie „Vielfalt“, „Visionen“, „Weltoffenheit“, „Vielstimmigkeit“ und jene „Ästhetik der Differenz“, in denen „Ambivalenzen zu ertragen“ seien, kurz: der versammelte Wort-Klimbim des politisch korrekten Zeitgeists, der zu nichts verpflichtet außer dem schönen Gefühl, zu den Guten zu gehören. 

Da rutscht dann schon mal der gute alte Subtext „Kauft nicht bei Juden!“ durch, während man gleichzeitig sinnentleerte, zur Phrase geronnene Bekenntnisse gegen Antisemitismus abgibt wie den Opfergroschen in den Klingelbeutel.

Merkwürdig nur, dass niemand die Frage stellt, was denn eigentlich die Venezuela-Kritik so macht, abgesehen von der Iran-Kritik, der Syrien- und Ägyptenkritik, der Algerienkritik und der Pakistankritik, nicht zu vergessen die China- und die Russlandkritik?

Aber logisch: Das sind alles ferne unbekannte Länder. Die manische Besessenheit der Israel-Kritik ist hier zu Hause, bei uns, in uns drin. Da will immer wieder etwas heraus, etwas, das mit Schuld und Sühne zu tun hat – nur unter verkehrten Vorzeichen. 

Und so spürt neben Rechtsradikalen und Neonazis auch die fortschrittliche deutsche Kulturlinke immer wieder die schmerzhaften Fesseln, wenn sie versucht, die Wahrheit über das Judentum zu sagen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Albert Pflüger / 12.12.2020

“Merkwürdig nur, dass niemand die Frage stellt, was denn eigentlich die Venezuela-Kritik so macht, abgesehen von der Iran-Kritik, der Syrien- und Ägyptenkritik, der Algerienkritik und der Pakistankritik, nicht zu vergessen die China- und die Russlandkritik?” Eine herrliche, eine erhellende Frage. Allerdings könnte man sie ergänzen um die Frage, warum es eigentlich Antisemitismus gibt, aber nicht Antiarierismus, Antislawismus, Antiangelsachsismus, Antijapanismus und so weiter. Nur die Juden haben es vermocht, für die Feindschaft gegenüber ihrer Ethnie einen allgemein anerkannten eigenen Begriff in der Welt zu verankern und ihn leider als Schutzschild auch für solche verfügbar zu machen, deren individuelles, persönliches Handeln aus gutem Grund kritisiert wird. Das immunisiert Manchen gegen Kritik, der das nicht verdient hat, und es dient zur Ablenkung und Verächtlichmachung der Kritiker. Wenn einem Orban Antisemitismus unterstellt wird, weil er die Umtriebe eines Soros nicht dulden will, dann ist es genau das, was ich meine. Ich halte solche Boykottaktionen gegen Israel für falsch. Ich denke auch nicht, daß die sogenannten Palästinenser ein Rückkehrrecht haben, das sie auf ihre wachsende Nachkommenschar vererben könnten. Ich erkenne die Oder-Neiße Linie als Staatsgrenze an und kämpfe nicht für mein vermeintliches Recht auf Rückkehr nach Schlesien, der Heimat meiner Mutter. Gebietsansprüche aus alten Zeiten herzuleiten, die lange vergangen sind, ist falsch. Es muß um die Gegenwart gehen. Nur daraus entsteht Zukunft. Das gilt für Alle.

Franz Klar / 12.12.2020

Wenigstens Palestinenserkritik kann noch frei geäußert werden !

Wilfried Cremer / 12.12.2020

Die Kritik an Israel ist in der Regel eine kunstvolle Umschreibung für den unterschwellig virulenten Hass auf den Messias.

Peter Holschke / 12.12.2020

Naja. Diese Leute sollten mit Bild als Judenhasser abgeprangert werden. Der Artikel bringt das Wesentliche bereits selbst auf den Punkt. Die einseitige Fixierung auf Israel, dazu oft uninformiert und ungrecht, soll wohl die Frage ersparen, was der liebe Opa oder Uropa während der NS-Zeit so getrieben hat. Klar kann man Israel kritisieren, aber dann nicht nur Israel und nicht im überzogenen Maß,  und als Deutscher sollte man sich tausend Mal überlegen, ob sowas angemessen oder überhaupt notwenig ist. Man kann auch sein Maul halten. Ich möchte wissen wer diese Leute waren.

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