Thilo Schneider / 01.11.2021 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 40 / Seite ausdrucken

Das Bürgertum als Witz

Der ganz normale, brave und fleißige Bürger hat für politischen Mummenschanz schlicht keine Zeit. So gibt er seine einstige Dominanz der Vernunft auf und beugt sich.

Vorab: Der gleich folgende Witz wurde mir von einem Araber erzählt, von dem war er lustig. Wenn ich ihn als alter weißer Mann erzähle, kann er mir als „rassistisch“ ausgelegt werden. Weil es heute nicht darauf ankommt, WAS gesagt wird, sondern WER es sagt. Ich erzähle ihn trotzdem. Der Witz geht so:

Ein Flüchtling, neu in Deutschland angekommen und mit ersten Sprachkenntnissen versehen, möchte sich bei den Einheimischen bedanken. Er schlendert also in der Fußgängerzone dem ersten Passanten entgegen und sagt: „Danke, dass Sie mich in Deutschland aufgenommen haben und mich versorgen, bis ich auf eigenen Beinen stehen kann!“ Der Angesprochene lächelt und gibt zurück: „Bruder, ich bin kein Deutscher, ich bin Libanese.“ Unser Neuankömmling spricht eine weitere Person mit dem gleichen Text an. Der lächelt auch und sagt „Alter, ich bin kein Deutscher, ich bin Türke!“ Dies passiert ihm zwei weitere Male, bis er den Libanesen wieder trifft und fragt: „Sag mal Bruder, wo sind denn die Deutschen? Jeder, den ich anspreche, ist nicht von hier.“ Der Libanese zieht sein Handy, schaut auf die Uhr und sagt: „Es ist zehn Uhr – die sind alle arbeiten.“

Witzig? Kommen Sie! Irgendwie schon. Mit und in diesem Witz ist die Pointe ja das „Körnchen Salz“ der Wahrheit. Natürlich arbeiten auch Türken und Libanesen, und es gibt auch mehr als genug Deutsche, die sich um zehn Uhr noch einmal vor Netflix rumdrehen, mein Punkt ist aber ein ganz anderer:

Ob sie nun „Deutsche Umwelthilfe“, „Attac“, „FFF“, „LGBTQ“ oder Greenpeace heißen: Linke Parteien haben jede Menge Vorfeldorganisationen, die für sie direkt oder indirekt Politik machen oder deren Positionen propagieren. Diese Organisationen haben in der Regel ein recht junges Personal, das gerne in den Medien als „Aktivisten“ geframed wird. Meistens bestehen die Belegschaften der entsprechenden Vereine also aus Leuten, die sich neben Studium, Sabbatjahr oder linkem Saufgelage auch noch einen entsprechenden Club als aktives Hobby leisten können.

Eine sich medial selbsterfüllende Prophezeiung

Daneben stehen diesen Vereinen, Clubs und NGO auch über Spenden und Zuschüsse gewaltige Summen zur Verfügung, das eigene Personal und die damit verbundenen Straßenarbeiter ideologisch, programmatisch und rhetorisch zu briefen.

„Attac“ beispielsweise weist für 2017 (neuere Berichte lagen nicht vor) ein Einnahmevolumen über Spenden von 1,7 Millionen Euro aus. Amnesty International hat über 7 Millionen Euro an Spenden erhalten, aus Mitgliederbeiträgen kamen weitere 15 Millionen Euro dazu. Dem gegenüber stehen Aufwendungen für Bußgelder von 183.00 Euro und „Geld und Sachzuwendungen an Asylsuchende“ in Höhe von immerhin 5.700 Euro. Aber das nur am Rande. (Alle Angaben entnommen aus Transparenz-Angaben | Amnesty International beziehungsweise https://www.transparency.de/).

Alleine ein relativ kleiner Club wie die „Flüchtlingshilfe Bonn e.V.“ kassierte 2019 über Spenden 7.600 Euro und Zuwendungen der „Aktion Mensch“ 80.700 Euro. Nicht schlecht, für eine Handvoll Leute… Bei und für die „werktätige“ Bürgerschaft gibt es solche Vorfeldorganisationen oder Think-Tanks kaum oder gar nicht. Woran liegt das?

Zum einen wurden, würden und werden derartige Organisationen und ihre Veranstaltungen von der Presse gerne nach ganz rechtsaußen geschrieben und blitzartig als „Rechtsextreme“, „Reichsbürger“ oder „Querdenker“ abgestempelt. Damit ist das Label klar und niemand muss sich dort mehr argumentativ auseinandersetzen. Deckel drauf, Schublade zu, erledigt. Dies wiederum führt dann zu einer Solidarisierung und Radikalisierung der Teilnehmenden bis zu einem Punkt, an dem die Medien tatsächlich recht behalten. Sozusagen eine „sich medial selbst erfüllende Prophezeiung“ werden. Pegida ist ein solcher Fall, der sich aus bürgerlichen Anfängen in Wechselwirkung mit den Medien zu einem unappetitlichen kleinen Haufen entwickelt hat, bei dem zuletzt tatsächlich nur noch, vorsichtig ausgedrückt, stramm rechte Redner wie Elsässer, Stürzenberger oder Bachmann und Strache am Pult standen. Die heute hier mitlaufenden Rentner haben mutmaßlich wenig oder keine Ahnung, wer ihnen da ins Ohr dröhnt.

Die bürgerliche Mitte hechelt der Rübe hinterher

Das Hauptproblem aber ist der Witz aus dem Anfang dieses Artikels: Der ganz normale, brave und fleißige Bürger hat für politischen Mummenschanz schlicht keine Zeit. Während „queerfeministische Wohnprojektplaner“ um zehn Uhr morgens mangels anderer Tätigkeiten Polizisten mit Steinen bewerfen können, geht Florian Normalverbraucher seiner Arbeit nach, um seine Familie zu ernähren und seine Steuerlast zu stemmen. Abends besucht er mit viel Glück noch seinen Hasenzuchtverein oder macht Elternbeiratsarbeit, wenn er nicht „irgendwas mit Medien“ oder seiner Familie unternimmt. Der hat schlicht keine Zeit, politische Überzeugungsarbeit zu leisten oder eine Demo zu planen.

Sicher, er wird auf Facebook wütend, wenn der Benzinpreis auf zwei Euro klettert – aber er muss ja trotzdem tanken und wird sich wahrscheinlich um mehr oder besser bezahlte Arbeit kümmern, um die gestiegenen Kosten zu stemmen. Er geht nicht auf die Straße oder zum Volksbegehren. Wann denn auch noch? Wenn Florian und Tamara nicht gerade die Kinder zur Schule oder Uni fahren, kümmern sie sich um ihre pflegebedürftigen Eltern oder den Innenausbau der Eigentumswohnung. Da ist schlicht keine Luft für Protest oder die Organisation und Formulierung politischer Standpunkte. Den kriegst du nur am Sonntag zwischen elf und dreizehn Uhr auf die Straße – sofern er nicht katholisch ist. Sonst ist er in der Kirche und danach ja auch bedient. Außerdem sieht es sonntags ja keiner.

Und aus diesem Grunde verliert sie, die bürgerliche Mitte, und gibt ihre einstige Dominanz der Vernunft auf, weil sie der Rübe, die ihr vor die Nase gehalten wird, hinterherhechelt, ohne zu fragen, wer die Rübe eigentlich hält. Von den „gutmeinenden“ und allzu menschelnden Organisationen darf sie sich trotzdem dafür beschimpfen und demütigen lassen. Lässt sie sich ja auch.

Sie werden sich beugen, Florian und Tamara Normalverbraucher, nicht, weil sie faul sind, sondern weil ihnen schlicht die Zeit zum Protest fehlt. „Es muss und wird ja weitergehen.“ Das ist die eigentliche Tragik des deutschen, liberalen und konservativen Bürgertums. Um das sich niemand mehr ernsthaft abseits geheuchelter Parolen bemüht. Um zehn Uhr morgens, mitten in Deutschland.

(Mehr zeitlicher Aufwand des Autors unter www.politticker.de)  

 
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Fritz kolb / 01.11.2021

@S.Wietzke: genau so ist es.

Christian Feider / 01.11.2021

weil mich dieser doch reichlich kontroverse Text bis jetzt noch ärgert: die deutschen Mitmenschen,die schon in den 80ern und bis heute,aber eben von Anbeginn den Kohlschen “Ausländer-Showpolitik” und Ihren Folgen gewrnt haben und deren Folgen wir auf unseren Strassen heute “begutachten” können wie in Herrn Schneider’s Scherz, genau diese Menschen stehen,trotz wirklich berechtigter und eingetroffener Warnungen heute in der allgemeinen Beurteilung in der “rechts-extremen” Ecke,gerade und vor Allem durch solche “liberalen"Mitmenschen wie Herrn Schneider. Ich weiss,wo ich stehe und im Gegensatz zu Herrn Schneider habe ich das Meine gegen diese Entwicklung auch getan,und wenn es Not tat,an der Seite von durch unbedarfte “rechts ” benannte Mitmenschen

Christian Feider / 01.11.2021

@ Frank Holdergrün: vielen Dank,noch besser als ich ausgedrückt, was an des Autors Betrachtungen schief ist. Auch ich habe früh von seinen Informationsständen gelesen und wusste(da über ein Jahrzehnt selbst in middle east unterwegs)was er in unseren Fussgängerzonen zu erwarten haben würde,was auch genau so eintrat. Was allerdings damals (noch) verwunderlich war,war die vorschnelle Verurteilung als “rechter” durch Medien und Politik/Juristerei. Die Verwunderung hat sich lange gelegt,seit 2015 sind die Gründe offen auf dem Tisch!

Manni Meier / 01.11.2021

Schön Herr Schneider, dass Sie, als einer der Achseautoren, die korrekte Kunst des Witzeerzähles so perfekt beherrschen. Prolog - Witz - Epilog. So gehört sich das heute! Perfekt gemacht. Im Prolog erstmal darauf verweisen, dass der Witz nicht von einem selber stammt, sondern in einer gesellschaftlichen Schicht kursiert, der man sich selbst keinesfalls zurechnet: “Der gleich folgende Witz wurde mir von einem Araber erzählt.” Vorweg noch die Entschuldigung, dass man mittlerweise ja ebenfalls, völlig zu Unrecht, zu einer missverstandenen, diskriminierten Minderheit gehöre: “als alter weißer Mann, kann er mir als „rassistisch“ ausgelegt werden”. Ihn zu erzählen erfordet also schon ein gewisses Maß an Zivilcourage, aber man läßt sich nicht gängeln: “Ich erzähle ihn trotzdem.”  Nach dem Witz ist vor dem Witz, also unmittelbar nach Witzende mit den Entschuldigungen und Erklärungen für die Zuhörer oder Leser beginnen:  “Natürlich arbeiten auch Türken und Libanesen, und es gibt auch mehr als genug Deutsche, die sich um zehn Uhr noch einmal vor Netflix rumdrehen.” Also Leute alles nicht so schlimm, nicht aufregen. Im Klartext, eigentlich könnte man den Witz ja auch andersherum erzählen. Versuchen Sie es mal. Very lustig.

Dr Stefan Lehnhoff / 01.11.2021

So billig kann man die „schweigende“ Mehrheit nicht davon kommen lassen. Ihren Aufsatz hätten Sie auch über die schweigende Mehrheit 1938 schreiben können. Wir haben Zeit für allen möglichen Scheiss: Die Begründung, warum Freunde nicht mit auf eine Demo wollten waren: Tango-Kurs, Urlaub, schon verabredet ..... Niemand von den 98% Wahlbrechtigten in Bayern hatte 10 Tage lang keine Zeit (?!?) die Unterschrift für die Abberufung des Landtags zu unterschreiben. Soso. 98% meiner Mitbürger verdienen Millionen Kriminelle Libanesen zum Durchfüttern und dafür würde ich gern von ihnen entschädigt.

Hans Reinhardt / 01.11.2021

Ja, Herr Schneider, aber das ist ja noch längst nicht alles. Haben Sie sich schon mal gefragt, warum es in den USA so wenig islamische Terroranschläge gibt? Auch der 11. September wurde schließlich von Terror-Touristen verantwortet. Die Antwort ist ganz einfach: in den USA muss jeder arbeiten, meist sogar mit einem Zweit-oder Drittjob. Ansonsten verhungert er oder muss sich sein Geld mit Drogenhandel, Prostitution oder Schutzgelderpressung verdienen. Auch diese Tätigkeiten sind bekanntlich sehr zeitaufwendig. Die haben dort einfach nicht genug Zeit, um Terroranschläge zu planen, so einfach ist das. Die einfachste und nachhaltigste Form der Terrorbekämpfung hier wäre, all den Neuhinzugekommenen weder Geld noch Wohnung oder sonstige Unterstützung zu gewähren. So, wie es die Amis machen. Dann kämen sie nämlich entweder gar nicht erst hierher oder müssten damit anfangen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ob die gewählte Tätigkeit dann legal oder illegal wäre, ist erst einmal zweitrangig. Zum Anschlagplanen hätten sie jedenfalls dann keine Zeit mehr. Und kosten würde es uns gar nichts.

S.Wietzke / 01.11.2021

Die Schlussfolgerung ist falsch. Nicht weil sie keine Zeit haben, lassen sie das mit sich machen, sondern weil sie doof sind. Denn nur die Doofen haben keine Zeit sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern. Die Schlauen leben schon immer von den Dummen und die von der Arbeit gelebt. Und wenn man sich dann auch noch das Wahlverhalten ansieht: Die sind nicht doof, sondern saublöd. Weswegen sie sich übrigens jede Beleidigung und jeden Tritt ins Gesicht redlich verdient haben. Das ist nicht tragisch, sondern eine Form höherer Gerechtigkeit.

Claudius Pappe / 01.11.2021

Tamara Normalverbraucher ist aber auch eine -( dem Vornamen nach ) noch nicht solange hier lebende ! PS :  2016 fuhr bei uns ein Mann-der gerade gekommen war- mit einem alten Fahrrad, geschmückt mit zwei kleinen Deutschlandfahnen , durch die Gegend.

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