Marie Dufond, Gastautorin / 10.02.2022 / 14:00 / Foto: Imago / 19 / Seite ausdrucken

Das bröckelnde Corona-Regime in Frankreich

„Möchten Sie etwas trinken oder auch bei uns essen?“

„Wir möchten gern etwas essen.“

Die Hostess, die uns am Rand der Terrasse abgefangen hat, führt uns zu einem eingedeckten Tisch. Während wir uns noch im Stehen aus den Jacken schälen, fragt sie in edelster Höflichkeitsformulierung:

„Dürfte ich dann nach Ihrem Pass Sanitaire fragen?“

„Wir haben keinen.“

„Nehmen Sie Platz!“

Kein Zögern begleitet ihre einladende Geste.

Wenn das in einem Café oder Restaurant nicht klappt, steht man einfach wieder auf und setzt sich ins nächste. Die Chancen, als Passlose bedient zu werden, stehen gut und werden immer besser.

Die Maskenpflicht draußen ist gefallen. In einer Kleinstadt in der Ardèche trugen auf dem Markt noch etwa 20 Prozent der Besucher eine Maske. In der Fußgängerzone von Montpellier noch mindestens 40 Prozent, zumeist junge Leute zwischen 14 und 30 Jahren. In Nîmes hingegen sah ich keine 10 Prozent mit Maske. Und dort entdeckte ich auch diesen Aufsteller vor einem Restaurant: Bitte zeigen Sie Ihren Pass Sanitaire. Ist Pflicht. Tut uns sehr leid!!!

Die Hinweis-Varianten

Die Security-Männer in den Supermärkten und Einkaufszentren haben sich verändert. Wir tragen unsere Masken durchaus, meistens lässig auf der Schulter, manchmal schick als einseitigen Ohrring oder vorsichtig in der Hand. Die Hinweise der Security-Männer gibt es jetzt in drei Abstufungen:

Variante 1: Höflichkeit in Unterwerfungsgeste:

„Madame, wenn sie bitte ihr kleines Tüchlein im Gesicht verwenden würden? Ist ja nur noch ein Weilchen! Vielen lieben Dank!!“

Variante 2: Vorauseilende Deeskalation:

„Oh, Madame, Monsieur, ich stelle fest, Sie haben Ihre Maske vergessen anzulegen, nicht wahr? Danke, dass Sie das noch nachholen, sehr freundlich von Ihnen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend!“

Variante 3: Vollständige Ignoranz der Maskenpflicht:

„Bonjour!“ sagt der Security-Mann im Vorbeigehen in unsere maskenlosen Gesichter und geht weiter seine Wege zwischen den Regalen ab.

Alle drei Varianten haben eines gemeinsam: Die Security-Männer verschwinden zügig. Als wollten sie nicht Zeuge werden vom Nichterfüllen der Maskenpflicht und als sollten wir nicht Zeugen ihrer lockeren Arbeitsauffassung werden.

Wer in den Supermärkten hingegen gelegentlich ermahnt, sind die Kassiererinnen: „Bitte tragen Sie ihre Maske korrekt!“ Als Reaktion kann man seine Maske dann auch in die Hosentasche stecken und lächelnd fragen: „Ist es auf diese Weise korrekt?“ Meistens lachen die Kassiererinnen und sagen dann: „Mir ist es ja egal, Sie sind es ja, der dann vom Security-Mann angeschnauzt werden wird!“ Nö. Eben nicht.

Auch den Mitarbeitern des SNCF ist der Überdruss deutlich anzusehen. Wurde ich in den letzten Wochen und Monaten in den Bahnhofshallen immer ermahnt, führen die Mitarbeiter inzwischen ganze Gespräche mit mir, ohne irgendetwas anzumerken, vielleicht genießen sie mein unbedecktes Gesicht dabei sogar. Im Zug habe ich in der Phase des von Herrn Castex verhängten Ess- und Trinkverbots ganze Mahlzeiten auf dem Klapptischchen ausgebreitet und verspeist. Mitfahrer sagten nichts oder „Guten Appetit“, der Schaffner ging vorbei.

„Ich kontrolliere keine Pässe“

Die Samstagsdemonstrationen finden seit 17. Juli 2021 ununterbrochen statt. Waren es in der Hochphase im Sommer bis zu 200 Städte, sind es jetzt noch um die 60. Endlich demonstrieren auch Gastronomen mit. Eine Gastronomin erzählte, wie sie in ihrem Restaurant eine Kontrolle hatte, die Polizei fand drei Gäste ohne Pass Sanitaire. Die durften dann aber noch zu Ende essen, ein Bußgeld mussten sie ebenfalls nicht zahlen. Die Polizisten ermahnten die Gastronomin, sie müsse den Pass Sanitaire doch kontrollieren. Die Gastronomin hielt daraufhin eine leidenschaftliche Rede: „Nein, meine Herren, das ist nicht meine Arbeit, ich kontrolliere keine Pässe keinerlei Art, ich habe hier Gäste und denen serviere ich gutes Essen. Das ist meine Arbeit.“ „Ja, gut“, sagte die Polizei, „wir gehen dann mal nach draußen.“ Und die Polizisten blieben vor dem Lokal stehen, wohl in der Absicht, neu ankommende Gäste zu kontrollieren. Die Restaurantbetreiberin ging daraufhin ebenfalls nach draußen und begann zu diskutieren: „Aber meine Herren, so geht das doch nicht, wie sieht denn das aus, die Polizei vor meinem Restaurant, was sollen denn dann Leute denken, die bei mir essen wollen? Da traut sich doch keiner mehr rein!! Sie können doch hier nicht so stehen bleiben?!?“ „Ja, gut, in Ordnung“, sagten die Polizisten. Und gingen.

Diese Gastronomin spricht aus dem Demonstrationszug heraus viele Gäste auf den Restaurantterrassen an: „Stehen Sie auf und laufen Sie mit uns! Es ist nicht normal, dass Sie hier ein Zertifikat vorzeigen müssen, um essen zu dürfen! Das ist nicht normal! Der Kellner darf nicht ihre Daten kontrollieren! Das muss Sie stören, muss!!“ Viele lassen sich auf Gespräche ein. Andere schauen nur stumpf. Niemand beklagt sich, kein Kellner oder Wirt schreitet ein. (Und ja, hier in Südfrankreich sitzen wir bereits auf den Restaurantterrassen, sogar ohne Heizpilze.)

Die Gelbwesten sind seit 17. Juli 2021 auf allen Demonstrationen mittlerer und kleiner Städte mit dabei. In Paris organisieren sie jeweils eine eigene Demonstration. Im Sommer haben sie oft drei, vier Stunden später noch an einem großen Kreisverkehr weiter demonstriert. Ihr Anliegen dabei war, ihre anderen Themen von der Demonstration gegen die Gesundheitspolitik zu trennen.

In einer der südfranzösischen Städte, in denen ich reihum regelmäßig demonstrieren gehe, war die Polizei monatelang überhaupt nicht mehr bei den Demonstrationen präsent. Eine bewusste Entscheidung der Präfektur, wie ich aus gut unterrichteter Quelle weiß. Man hatte festgestellt, dass die Demonstranten friedlich sind und niemand Farbbeutel an die Präfektur oder an Schaufensterscheiben wirft. Außerdem ist auch die Polizei und Gendarmerie beunruhigt, Risse gehen dort durch Teams. Nochmals zur Erinnerung: Nach wie vor unterliegt die Gendarmerie einer Impfpflicht, die Polizei nicht.

Protestierende Polizisten

Die Polizeigewerkschaft France police – policiers en colère solidarisiert sich offen mit den Demonstranten, unterstützt sie und nimmt an den Demonstrationen teil. Auf der Seite der Gewerkschaft ist zum Artikel vom 5. Januar ein sehr gutes Pressefoto veröffentlicht worden, ich empfehle es unbedingt anzusehen: Macron, hinter ihm hoch aufragend Castex und dahinter eine Hand in weißem Handschuh einer gewissen Position.

Am 2. April ruft der europäische Verband „Die Polizei für die Wahrheit“ zu einer Demonstration in Paris gemeinsam mit den europäischen Bürgern auf. Vorsitzende des Verbands ist Sonia Vescovacci, eine spanische Polizistin, die „Polizei für die Freiheit“ gegründet hat. Die Seite des Verbands ist aktuell noch im Aufbau, den Aufruf zur Demonstration kann man hier lesen.

Lehrergewerkschaften haben an zwei Donnerstagen im Januar wegen der unhaltbaren Zustände in den Schulen zu Streiks aufgerufen, es gab an den beiden Tagen in allen Schulen nur eine Notbetreuung. Die Lehrergewerkschaften beklagen als unhaltbar, dass der Schulbetrieb durch die vielen Tests, Kontaktfall-Benachrichtigungen und Quarantäneregelungen überlastet sei. Dass Vertretungspersonal fehle. Dass sich die Regelungen zu oft ändern würden und jedes Mal von heute auf morgen. Sie fordern, dass für diejenigen Lehrkräfte, die es wünschen, FFP-2-Masken zur Verfügung gestellt werden. Um das Leid der Schüler ging es im Aufruf zum Streik kaum, lediglich das erschwerte Lernen wurde beklagt.

Aber Lehrer sind jetzt auch auf den Demonstrationen präsent. Eine Grundschullehrerin, die laut eigener Angabe noch nie in ihrem Leben demonstriert hat, ist aus Verzweiflung gekommen: Sie sagt, sie kann das Leiden der Kinder nicht mehr mit ansehen.

Der Minister für Gesundheit und Solidaritäten Olivier Véran hat inzwischen verkündet, dass der Genesenenstatus von sechs auf vier Monate verkürzt wird. So werden nach dem durchgepeitschten Gesetz zum Pass Vaccinal ohne Debatte Änderungen hinterhergeschoben. Wichtig ist, dass laut Véran kein einziger Mensch, auch kein Genesener, ohne „Impfdosis“ geschützt ist. Auch erst jüngst Genesene müssen laut dem Minister für Gesundheit und Solidaritäten mindestens eine Dosis in sich aufnehmen. Menschen, die vor vielen Monaten genesen sind, müssen sich erst recht noch mindestens eine „Impfdosis“ injizieren lassen. (Ich nehme an, dass diese Anordnung eine der Solidaritäten des Herrn Véran ist, also in dem Fall seine Solidarität mit den Genesenen. Ich fürchte, im Plural Solidaritäten ist eine Solidarität des Herrn Véran mit den „Ungeimpften“ nicht inkludiert.)

Die Gründung vieler Verbände

Nur ganz kurz ein wenig Statistik: laut der Regierungsseite sind knapp 53.000.000 Franzosen „vollständig geimpft“. Vier Schaubilder später erfahren wir die Zahl derer, die eine dritte Dosis erhalten haben: 36.645.577. „Vollständig geimpft“ ist in Bezug auf die Pässe aber „dreifach geimpft“, einen Pass Vaccinal erhält nur, wer drei Dosen intus hat. Die Annahme der 3. „Impfung“ wird von vielen verweigert, und sie finden sich nun in den Lebensumständen wieder, in denen die „Ungeimpften“ seit Anfang August 2021 leben.

In Frankreich bilden sich sowohl auf lokaler Ebene als auch auf Departementsebene viele Solidaritätsverbände – und das ganz ohne die Unterstützung des Ministers für Solidaritäten! Nachbarschaftshilfe, Konzertorganisation und viele neue Freundschaften und Bekanntschaften. Auch medizinische Angebote sind darunter, das muss aber noch etwas im Verborgenen bleiben.

Ein „Konvoi der Freiheit“ beginnt in Frankreich am 9. Februar, Vorbild ist der LKW-Konvoi in Kanada. In mehreren Adern aus verschiedenen Himmelsrichtungen sollen Konvois auf Paris zurollen und dort zwischen 11. und 13. Februar ankommen. Von Paris soll der Gesamtkonvoi dann weiter nach Brüssel fahren, die geplante Ankunft dort ist am 14. Februar. Alle Franzosen sind eingeladen, sich anzuschließen.

Bereits im November 2021 hat sich ein Verband widerständiger Bürgermeister (collectif des maires résistants) gebildet. Ihren feierlichen Aufruf kann man hier lesen.

Das suspendierte medizinische Personal hat sich in mindestens 150 lokalen und regionalen Verbänden zusammengeschlossen. Am 1. Februar trafen sich Stellvertreter aller Verbände in Paris, um sich auszutauschen und sich zu vernetzen. Unterstützt werden sie von französischen Künstlern und von Michèle Rivasi, EU-Abgeordnete der französischen Grünen. Ein Video der Pressekonferenz kann auf der Seite von francesoir angesehen werden. Es kann nicht oft genug geschrieben werden: Die suspendierten Ärzte, Pfleger, Physiotherapeuten, Logopäden bekommen kein Arbeitslosengeld, keine Sozialhilfe, nichts. Sie halten sich mit Spenden über Wasser, nehmen Jobs an der Supermarktkasse oder in der Landwirtschaft an, verkaufen Kuchen in der Fußgängerzone, sammeln auf den Demonstrationen. Wer irgend kann und mag, kann über die neu gegründete Gewerkschaft Liberté-Santé, von der ich schon berichtete, spenden oder hier.

Am 29. Januar 2022 fand in Paris ein französisch-italienisches Treffen statt. Soziologen, Mediziner, Philosophen, Juristen und weitere Intellektuelle möchten den autoritären Entwicklungen in Europa etwas entgegensetzen, um die Demokratie zu verteidigen.

So weit dies' Bulletin aus Frankreich. Die Résistance formiert sich.

Foto: Imago

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Kostas Aslanidis / 10.02.2022

In Griechenland das gleiche Coronaregime. Seit 4 Monaten abstinenz, kurz vor der Pleite, machen dir Systemlinge jetzt auf culanz. Peinliche Gestalten. Nie werde ich in der Gastronomie mit Ausweis oder irgend ein laecherliches Zertifikat. NIE. Das ist ein Ungesundes Zertifikat, fuer Kranke Leute. Gesunde brauchen den Mist nicht. Ich komme auch ohne die Gastronomie aus.

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