Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 27.11.2008 / 06:12 / 0 / Seite ausdrucken

Das böse D-Wort

Wer von Europa nach Australien zieht, der hat sich an einiges zu gewöhnen. Nicht nur, dass die Jahreszeiten hier immer genau umgekehrt sind und dann auch noch, um die Verwirrung abzurunden, jeweils an einem Monatsersten beginnen. Nicht nur, dass ein “Bitter”-Bier keine Spur bitter schmeckt. Nein, auch die politischen Debatten, die auf dem Fünften Kontinent geführt werden, sind für einen Europäer nicht unbedingt verständlich.

Da steckt die ganze Welt in einer Wirtschaftskrise, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht gesehen haben. Regierungen und Zentralbanken in Europa und Amerika werfen mit Rettungspaketen nur so um sich, als ob es kein Morgen gibt. Gerade erst hat die britische Regierung ihre Neuverschuldungsprognose für 2009 auf 118 Mrd. Pfund korrigiert, während die amerikanische Fed weitere 800 Mrd. Dollar in die Märkte pumpt.

Und was machen die Australier? Sie debattieren darüber, ob der Haushalt des nächsten Jahres nicht doch wieder einen hübschen Überschuss aufweisen sollte.

Das muss man nicht ganz verstehen, oder doch? Einer Meinungsumfrage zufolge sind deutlich über die Hälfte der Australier strikt dagegen, dass der Bundeshaushalt im nächsten Jahr ins Defizit rutschen sollte. Und warum auch? Nach der gestern veröffentlichten Prognose der OECD wird die australische Wirtschaft auch 2009 noch mit knapp zwei Prozent wachsen, während der Rest der Welt mit zum Teil deutlichen Einbrüchen zu rechnen hat. Auch der erwartete Anstieg der Arbeitslosigkeit auf um die sechs Prozent sieht für einen europäischen Beobachter noch nicht gerade beängstigend aus, sondern beinahe wie Vollbeschäftigung.

Auf die Australier wirkt das alles freilich ganz anders. Sie stehen am Ende einer fünfzehnjährigen wirtschaftlichen Expansion, und da hatte man sich einfach daran gewöhnt, dass die Wirtschaft nicht nur mit mickrigen zwei Prozent wächst, sondern lieber mit drei, vier oder fünf Prozent. Die Arbeitslosigkeit hatte man auch quasi abgeschafft, die Schulden des Bundes im Jahr 2006 getilgt und quasi nebenbei noch Geld für schlechtere Zeiten in einen Sonderfonds zurückgelegt. Darin sind heute über 60 Mrd. Dollar angelegt, von denen unter anderem zukünftige Infrastruktur und Pensionen bezahlt werden sollen.

Entsprechend groß war der Aufschrei, als Premierminister Kevin Rudd von der australischen Labor-Partei gestern quasi beiläufig im Parlament erklärte, man könne nicht garantieren, dass es im nächsten Jahr auch wieder zu einem Budgetüberschuss reicht. Es könnte im nächsten Jahr auch einmal ein Defizit geben. Die letzten Wochen hatte Rudd sich noch stets auf die Lippen gebissen, nur um das böse D-Wort zu vermeiden, bei dem es den Australiern auch bei 37 Grad im Schatten noch den kalten Angstschweiß auf die Flip-Flops tropfen lässt. Defizite konnte man im Rest der Welt haben, aber doch nicht in Australien, dem “lucky country”.

Für Oppositionsführer Malcolm Turnbull grenzte das alles an Hochverrat, fast so schlimm, als hätte Mr Rudd angekündigt, die Jahreszeiten nicht mehr am Monatsersten beginnen zu lassen. Oder das Känguru aus dem Landeswappen zu streichen. So geht es einfach nicht. Man kann doch nicht, nur weil da draußen gerade eine Weltwirtschaftskrise gespielt wird, den australischen Haushalt ruinieren! Und überhaupt: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen!

Eine merkwürdige Debatte, die da gestern im Parlament von Canberra stattfand. In Deutschland zuckt kaum noch jemand mit der Wimper, wenn neue Schulden gemacht werden. Und Politikerversprechen zu ausgeglichenen Haushalten nimmt sowieso niemand mehr ernst. Nur in Australien, so scheint es, hat die Öffentlichkeit ein flammendes Interesse daran, den Bundeshaushalt nicht nur ausgeglichen zu sehen, sondern im Überschuss. Selbst in Krisenzeiten.

Warum das so ist? Wahrscheinlich, weil die frühere Regierung unter Premierminister John Howard und Finanzminister Peter Costello den Überschuss immer als Ausweis ihrer besonderen Wirtschaftskompetenz zu verkaufen wussten. Ob das gerechtfertigt war, darüber kann man sich streiten. Ebenso könnte man darüber diskutieren, ob es wirklich sinnvoll ist, den Haushalt unter allen Umständen immer im Überschuss zu halten. Aber wie dem auch sei: Ihr fiskalischer Hyperkonservatismus hat den Australiern für die jetzige Krise ein Polster beschert, um das man sie in Europa nur beneiden kann. Und die australischen Wähler haben sich daran gewöhnt, die Qualität der Wirtschaftspolitik vor allem daran zu messen, ob es gelingt, einen zumindest ausgeglichenen Haushalt vorzuweisen.

Wenn die Krise irgendwann einmal zu Ende ist, dann werden die deutschen und vor allem die britischen Steuerzahler noch lange mit der Bewältigung der dramatisch gestiegenen Schuldenlast zu kämpfen haben, während die Australier sich wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung hingeben können: ihre Staatsüberschüsse zu verwalten. Es könnten ja doch einmal schlechte Zeiten kommen. Oder eine Labor-Regierung wie die von Mr Rudd.

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