Mindestens ein ernstes Problem hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze von ihrem Vorgänger geerbt: die vor allem in Afrika und besonders in Subsahara-Afrika weiterhin grassierende Korruption. Mit „feministischer" Entwicklungspolitik wird dieser nicht beizukommen sein.
In diesem Jahr wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz BMZ, 63 Jahre alt, wobei das Anhängsel Entwicklung erst 1993 hinzugefügt wurde. Täusche ich mich oder war dieses Ministerium nicht früher, zu Zeiten der Bonner Republik, immer wieder für einen Skandal gut? Und ging es da nicht meist um grandios gescheiterte oder in korrupten Gefilden sang- und klanglos untergegangene Entwicklungshilfe-Projekte, vorzugsweise in Afrika? Davon ist medial schon seit etlichen Jahren kaum noch etwas zu vernehmen, was natürlich keinesfalls auf eine grundlegende Besserung der Verhältnisse hinweisen muss. Seit dieser Legislaturperiode steht das Ministerium unter der Leitung von Genossin Svenja Schulze (SPD), einer gestandenen Politikerin mit Studienabschluss (Germanistik). Was ihre mediale Präsenz anbelangt, hat sie noch nicht ganz das Niveau ihres – seinerzeit allerdings nahe am Größenwahn angesiedelten – Amtsvorgängers Gerd Müller (CSU) erreicht, der ja nichts weniger als einen Marshall-Plan für Afrika vorlegte, welcher aber längst in Vergessenheit geraten ist.
Aber mindestens ein ernstes Problem hat die Ministerin von ihrem Vorgänger geerbt: die vor allem in Afrika und besonders in Subsahara-Afrika weiterhin grassierende Korruption. Das ist besonders misslich, da es sich bei diesem südlichen Teil Afrikas um einen, wenn nicht den Schwerpunkt für Projekte des BMZ handelt. Der weithin als gültig anerkannte Korruptionswahrnehmungsindex CPI von Transparency International für 2022 umfasst 180 Länder, die auf einer Skala von 0 (hohes Maß an wahrgenommener Korruption) bis 100 (keine wahrgenommene Korruption) angeordnet sind. Deutschland erreicht mit 79 Punkten den neunten Rang, Dänemark mit 90 Punkten den ersten.
Ausgesprochen düster und vor allem weitgehend besserungsresistent sieht die Situation in Subsahara-Afrika aus. Die 49 Länder erreichten 2022 im Mittel lediglich einen CPI-Wert von 32 Punkten, was dem Rang 123 entsprechen würde. Überhaupt nur fünf Länder liegen oberhalb eines CPI-Werts von 50. Die Elfenbeinküste, zum Beispiel, der Ministerin Schulze zusammen mit ihrem Kollegen Heil gerade einen Besuch abstattete – Stichwort: Anwerbung von Fachkräften –, nimmt mit 37 Punkten Platz 99 ein. Noch trostloser ist allenfalls die Tatsache, dass sich in der Region im Laufe der letzten zehn Jahre in puncto durchschnittlicher Korruption nichts zum Guten gewendet hat: 2013 erreichten die Länder Subsahara-Afrikas im Mittel mit 36 Punkten im Vergleich zu 2022 sogar einen leicht besseren Score, einem Rang von etwa 100 entsprechend.
Korruption: Definition und Risikofaktoren
Die vielleicht gebräuchlichste Definition von Korruption lautet: Korruption bezieht sich auf Handlungen, bei denen die Macht des öffentlichen Amtes zur eigenen Vorteilsnahme und auf gegen die Spielregeln verstoßende Weise ausgeübt wird. Als wesentliche Risiko- oder begünstigende Faktoren gelten ein niedriges Bruttosozialprodukt, nicht demokratisch legitimierte Regierungen und/oder solche mit langer Amtsdauer sowie eine starke Regulierung der Wirtschaft. Dazu kommen eher „weiche“, kulturelle Faktoren – wie die Tendenz, Probleme herunterzuspielen bzw. zu leugnen – und stärker individualistisch ausgerichtete Gemeinwesen.
Von einem deutschen Ministerium, das ganz überwiegend mit korrupten oder auch hochkorrupten Staaten, deren Repräsentanten und Institutionen zu tun hat, sollte man nicht nur eine besondere Sensibilität für dieses Thema erwarten, sondern zumindest doch auch einige handfeste Regeln, wie etwa: In bestimmte Länder fließt kein Geld oder erst dann wieder, wenn eindeutig formulierte und ebenso eindeutig überprüfbare Bedingungen erfüllt sind, verbunden z.B. mit einem sehr deutlichen Sprung nach oben im CPI. Schließlich transferiert Ministerin Schulze ja nicht ihr Erspartes, sondern Steuergelder, und das nicht zu knapp. Immerhin stehen dem BMZ für das Haushaltsjahr 2023 insgesamt 12,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Dieser Betrag liegt deutlich über dem Gesamtbudget z.B. der Elfenbeinküste – um hier einmal die Relationen zu verdeutlichen, auf denen bestimmte Begehrlichkeiten gedeihen.
Frauen sind stark, Frauen haben…
Gleitet der Blick, unterbrochen durch einige Klicks, weiter über die BMZ-Homepage, erfährt der interessierte Betrachter am Rande auch ein bisschen was zum Thema Korruption. Aber ganz im Vordergrund der medialen BMZ-Präsentation steht seit jüngstem natürlich die feministische Entwicklungspolitik mit Botschaften wie diesen: „Frauen sind stark, Frauen haben innovative Ideen, Frauen haben Wissen. Keine Gesellschaft kann es sich leisten, auf dieses Potenzial zu verzichten, wenn sie vorankommen will. Wenn Frauen gleichberechtigt sind und gleiche Verantwortung tragen, gibt es weniger Armut, weniger Hunger und mehr Stabilität in der Welt“.
Alles klar! Endlich hat Ministerin Schulze, gemeinsam mit ihrer kongenialen Kollegin Baerbock, den Schlüssel für die Lösung vielleicht nicht aller, aber doch der meisten Probleme dieser Welt gefunden. Da ist es nur konsequent, wenn bis 2025 über 90 Prozent der neu zugesagten Projektmittel des Entwicklungsministeriums in Vorhaben fließen sollen, die die „Gleichstellung“ voranbringen.
Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis im näheren oder auch entfernteren Umfeld von einschlägigen afrikanischen Ministerien, Ministern oder hohen Ministerialbeamten etliche NGOs oder sonstige Vereinigungen mit feministischem Anstrich – vielleicht gar noch besonders dem Klimaschutz verpflichtet – entstehen, die teilhaben wollen an dem warmen Geldregen aus Deutschland. Diese vollmundig angekündigte entwicklungspolitische Spielart eines westlichen Moral-Imperialismus wird das Korruptionsrad weiter beschleunigen und Gegenmaßnahmen zusätzlich erschweren. Schließlich kann es doch bei dieser schwarzen weiblichen Avantgarde oder, wie es das BMZ so schön formuliert, den Treiberinnen des gesellschaftlichen Wandels und Fortschritts, keine Korruption geben. Korrupt sind doch allenfalls die alten schwarzen Männer.
Parolen kommen, Parolen gehen
Lösen wir uns für einen Moment von dem lästigen Problem der Korruption und blättern weiter durch die BMZ-Homepage, um dort mit der Vergänglichkeit politischer Parolen konfrontiert zu werden. Auch die afrikanischen Frauen und ihre den Fortschritt so ungemein antreibende Rolle wird in einigen Jahren – zumindest in dieser Überhöhung – Schnee von gestern sein, wie der oben gewürdigte Marshallplan oder auch der seinerzeit von Merkel ausgerufene Kampf gegen die Fluchtursachen. Dieser heldenhafte Kampf führte zu einer 22-köpfigen BMZ-Kommission, die 2021 ihren Abschlussbericht samt Podcast-Version vorlegte. Das war es dann aber auch. Mittlerweile ist das Thema ja schon wieder, genau, Schnee von gestern.
Stattdessen geht es jetzt um solche Projekte wie die „Leuchtturminitiative“ Zentren für Migration und Entwicklung, für die das BMZ 150 Millionen Euro über drei Jahre vorsieht. Diese Zentren mit Hauptsitz in Ghana sollen reguläre Migration zu Arbeits- und Ausbildungszwecken unterstützen und so den hiesigen Fachkräftemangel beheben helfen. Bisher, so das BMZ, habe der Fokus ja auf der Reintegration von rückkehrenden Migrantinnen und Migranten und der Schaffung von Perspektiven vor Ort durch Unterstützung bei der Existenzgründung gelegen. Nun hat es sich eben geändert. Das ist aber für das BMZ kein Grund, seinen heldenhaften Kampf gegen die Fluchtursachen mit irgendwelchen Zahlen anzureichern. Stattdessen werden dem Leser hübsche Bildchen präsentiert. Aber, egal: Es geht ja mittlerweile ohnehin wieder in die andere Richtung.
Korruption interessiert nicht
Für das BMZ und seine Projekte scheint das von Land zu Land teils durchaus erheblich variierende Ausmaß an Korruption in der Praxis weitgehend irrelevant zu sein. So werden Sambia (CPI-Rang 117) und Malawi (CPI-Rang 129) in ihrem „ambitionierten Einsatz gegen Hunger und Armut“ und ihrem „demokratischen Reformkurs“ mit einer nicht genannten Summe unterstützt. Die Demokratische Republik Kongo (CPI-Rang 165!) soll mit 90 Millionen Euro künftig stärker beim Erhalt ihres für das Klima bedeutsamen Tropenwaldes unterstützt werden. Doch damit nicht genug. Schließlich geht es hier auch bereits um feministische Entwicklungspolitik, mit deren Hilfe „der gesellschaftliche Zusammenhalt im krisengeschüttelten Osten Kongos“ durch besondere Förderung von Frauen gestärkt werden soll. Wie Letzteres konkret geschehen soll, wird nicht einmal angedeutet.
Ex-Minister Müller hatte sich jedenfalls noch zum jeweils aktuellen CPI geäußert und beklagt, dass es weltweit viel zu langsam bei der Korruptionsbekämpfung vorangehe. Der Kampf gegen Korruption, so Müller damals bekannt vollmundig weiter, bleibe aber Schwerpunkt und Voraussetzung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Vielleicht ist der Korruptionsvorwurf im entwicklungspolitischen Kontext mittlerweile auch bereits unter Rassismusverdacht geraten. Das könnte die aktuell beim BMZ zu beobachtende Tendenz erklären, die Dinge nicht mehr beim Namen zu nennen, sondern den weiter gefassten und schwammigen Begriff „der Förderung von guter Regierungsführung“ zu bevorzugen. Als wenn sich afrikanische Regierungen wirklich vorschreiben ließen, wie sie ihre Geschäfte zu führen haben.
Das Bonner Memorandum
Den durchgehend fachlich ausgewiesenen Initiatoren des 2018 verabschiedeten Bonner Memorandums „Entwicklungshilfe für Afrika beenden – Afrika muss sich selbst entwickeln (wollen)“ kann weiterhin nur zugestimmt werden: „Angesichts der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und aus Respekt vor der Leistungsfähigkeit der afrikanischen Gesellschaften ist es geboten, auf ein Ende der bisherigen Entwicklungshilfe hinzuarbeiten und sie durch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage beiderseitiger Interessen zu ersetzen“. Das vorrangig auch wegen der Korruptionsproblematik, weil „die herrschenden Gruppen dieser Länder offensichtlich nur das Ziel haben, sich persönlich zu bereichern“ und „weil die Kapitalflucht aus diesen Ländern höher ist als die Summe der Entwicklungshilfe-Gelder und der ausländischen Investitionen“. Das Fazit: „Die Entwicklung Afrikas muss von innen kommen“.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie.