Die neue Architektur forderte den neuen Menschen, das war das Credo jener Künstler und Architekten, die nach Ende des Ersten Weltkrieges den Aufbruch in die Moderne wagten. Zum 100-jährigen Jubiläum gibt es politischen Streit ums Bauhaus – und ein bisschen mehr Moderne könnte dem AfD-Logo nicht schaden.
Ich hatte vor geraumer Zeit einmal Gelegenheit, darüber zu schreiben, wie es sich in einem Baudenkmal lebt, genauer gesagt in einem von Le Corbusier für die Stuttgarter Weißenhofsiedlung Weissenhofmuseum im Haus Le Corbusier entworfenen Einfamilienhaus. Von außen, fiel mir seinerzeit auf, wirkte das Haus asketisch streng in seinen schlichten geometrischen Proportionen. Innen verteilten sich die Wohn- und Funktionsräume auf vier Ebenen, Türen gebe es wenige, dafür „auf Schritt und Tritt neue Perspektiven“. Insgesamt habe das „Haus auf Säulen“ auf dem Stuttgarter Killesberg etwas zugleich Labyrinthisches wie ungemein Großzügiges.
Le Corbusiers Gebäude, ein Juwel klassisch-moderner Architektur, sei elitär und stelle hohe Ansprüche an seine Bewohner und ihren „souveränen Umgang mit dem Raum“, sagte damals eine Kennerin der Siedlung, die 1927 für eine Werkbund-Ausstellung Werkbund-Geschichte – Werkbund geschaffen wurde unter künstlerischer Leitung keines Geringeren als Ludwig Mies van der Rohe, der von 1930 bis 1933 die Leitung des berühmten Dessauer Bauhauses innehatte und nach dem Krieg mit der Neuen Nationalgalerie in Berlin ein ikonisches Bauwerk der Bundesrepublik schuf.
Die wenigsten, merkte die Kennerin an, könnten mit der Freiheit, die ihnen die offenen, lichtdurchfluteten Räume böten, umgehen. Sie flüchteten sich lieber in „ihre Höhlen“, ein treffendes Bild. Deswegen gingen Bewohner der Siedlung, auch der beiden Le Corbusier-Häuser, immer wieder daran, sich gemütliche Nischen zu schaffen, indem sie neue Wände einzogen, die der Denkmalschutz später wieder herausriss. Das Haus, so die damaligen Bewohner, stelle zudem hohe Ansprüche an die menschliche Beziehungsfähigkeit. „Wenn man sich nicht versteht, ist das Haus tödlich.“
Laboratorium neuen Bauens und Gestaltens
Die neue Architektur forderte den neuen Menschen, das war das Credo jener Künstler, Kunsthandwerker und Architekturrevolutionäre, die nach Ende des Ersten Weltkrieges den Aufbruch in die Moderne wagten. Das zunächst in Weimar, später in Dessau angesiedelte Bauhaus wurde zu einem Mythos dieser Avantgarde, nicht zuletzt auch deshalb, weil das Laboratorium neuen Bauens und Gestaltens später den Nazis zum Opfer fiel und dessen Erbe auch in der DDR über lange Zeit verleugnet wurde.
Im kommenden Jahr stehen die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Bestehen des Bauhauses in Dessau an, wo sich neben dem von Walter Gropius entworfenen Bauhausgebäude auch die sogenannten „Meisterhäuser“ für die Familien der Bauhauskünstler Paul Klee, Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Lyonel Feininger und Lázló Moholy-Nagy finden sowie die Siedlung Dessau-Törten, mit der 1926 bis 1928 in Zeiten drückender Wohnungsnot erstmals industrielles Bauen in großem Stil demonstriert werden sollte. Alle Gebäude, inklusive der Bauhausstandorte in Weimar, stehen unter Denkmalschutz und sind zudem 1996 zum Weltkulturerbe erklärt worden.
Im Vorfeld des Jubiläums hatte sich die AfD-Fraktion im sachsen-anhaltinischen Landtag Mitte Oktober in einem offiziellen Antrag mit der provokativen Überschrift „Irrweg der Moderne – für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bauhaus“ zu Wort gemeldet. Eine „einseitige Glorifizierung des Bauhaus-Erbes sei abzulehnen, heißt es in dem Papier, in dem das Bauhaus unter anderem für heutige „Bausünden“ zumindest mitverantwortlich gemacht wird.
Die puristische Ästhetik und funktionale Reduktion (gemeint ist wohl: Reduktion auf Funktionalität) könnten nicht mit der Lebensqualität der Bewohner in Einklang gebracht werden („menschenfeindlich“), zudem habe das Bauhaus einer „universellen Ästhetik“ den Boden bereitet und einem „globalen Einheitsbrei“, „in dem lokale Identitäten und architektonische Traditionen zunehmend verdrängt wurden“.
„Teil eines größeren Kulturkampfes gegen die Moderne“
So weit so plakativ, wobei man im Licht des eingangs Gesagten der AfD zugute halten muss, dass in ihrem reichlich grobschlächtigen Pamphlet durchaus ein Körnchen Wahrheit steckt. Über ähnliche Formulierungen stolpert man in einem online verfügbaren Artikel von Dolores Stuttener im politisch unverdächtigen Fachmagazin „Architektur“, wo unter anderem davon die Rede ist, dass die auch vom Bauhaus propagierte Strömung industriellen Bauens die Grundlage für anonymisiertes Wohnen geschaffen habe.
„Ironischerweise ist die vom Bauhaus kritisierte Blockbauweise der Gründerzeit als Wohnform viel eher geeignet. Die verzierten Wohnbauten strahlen Individualität aus und sind auch in ihrer Erhaltung wirtschaftlicher.“ Warum, wäre zu fragen, erfreuen sich bis heute, insbesondere bei der gut verdienenden Ökobourgeoisie, mit Stuckdecken verzierte Altbauwohnungen so großer Beliebtheit, wobei der Stuck schon damals meist aus dem Musterbuch stammte.
Als der AfD-Antrag das Licht der Öffentlichkeit erblickte, erhob sich ein Sturm der Entrüstung, der in den Mainstream-Feuilletons mittlere Orkanstärke erreichte. Während der Debatte im Landtag in Magdeburg, wo der Antrag beraten und erwartungsgemäß abgelehnt wurde, sah die SPD darin einen „Teil eines größeren Kulturkampfes gegen die Moderne“ überhaupt. Die Linke unterstellte der AfD, die gleichen Argumente angeführt zu haben, die 1933 unter den Nazis zur Schließung des Bauhauses geführt hätten.
Und sogar Claudia Roth, die grüne Kulturbeauftragte der Bundesregierung, meldete sich via Interview in der „Süddeutschen“ zu Wort: „Dass jetzt die AfD mit erschreckend ähnlichen Argumenten und Formulierungen wie einst die NSDAP versucht, gegen das Erbe des Bauhauses heute vorzugehen, ist in höchstem Maße alarmierend und inakzeptabel.“ Eher zurückhaltend klang die Stellungnahme von Barbara Steiner, der Direktorin der Stiftung Bauhaus in Dessau, die den AfD-Antrag als „etwas undifferenziert“ bewertete.
Ein „gäriger Haufen“
Nun ist alles nicht so einfach, wie es die AfD, aber auch ihre Kritiker vielleicht gerne hätten. Wenn man das Bonmot eines früheren AfD-Parteichefs heranziehen möchte, war das Bauhaus mit seinen drei Direktoren (Gropius, Hannes Meyer, Mies van der Rohe), seinen Meistern, Jungmeistern und Studenten in den nur 14 Jahren seines Bestehens ein „gäriger Haufen“, mal in diese, mal in jene politische Richtung tendierend, schwankend zwischen Rationalismus und Esoterik mit Anleihen mal an mittelalterliche Dombauhütten mit ihrer als Ideal angesehenen Verbindung von Kunst und Handwerk, mal an nahöstliche Sektenlehren inklusive spezieller Atemübungen und vegetarischer Ernährung. Eine Lehrplanreform jagte die andere, und die drei Direktoren vertraten zum Teil völlig gegenläufige Ansichten.
Dabei war das Bauhaus selbst wiederum auch nur Teil einer europäischen Avantgarde, die ihre Pendants im italienischen Futurismus, im russischen Konstruktivismus und der holländischen De-Stijl-Gruppe fand. Nicht zu vergessen der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier mit seinen monumentalen Stadtvisionen, die man mit Fug als „menschenfeindlich“ bezeichnen kann.
Was die Bauhäusler einte, war der Wille, den überladenen Historismus der Gründerzeit und der wilhelminischen Ära hinter sich zu lassen und mit Hilfe neuer Materialien und neuer, industrieller Fertigungstechniken ein Design und eine Architektur im Zeichen von Funktionalität und Vernunft zu schaffen. Dazu möglichst demokratisch, das heißt kostengünstig. Schönes und Praktisches für alle – gewissermaßen eine Vorwegnahme der Ikea- und Motelone-Philosophie („Like the Price. Love the design“).
Das Bauhaus für die Verirrungen heutiger Investoren- und Fertighausarchitektur verantwortlich zu machen, ist, pardon, ebenso dämlich wie die Unterstellung, die AfD wolle nach allfälliger „Machtübernahme“ nur noch spitzgieblige Häuser mit gemütlichen Erkern zulassen. Wobei die Nazis selbst bekannterweise oft viel moderner dachten, als es ihre rückwärtsgewandte Rhetorik vermuten ließ. Wenn das Geschmacksempfinden Hitlers und seiner Entourage nicht so kleinbürgerlich gewesen wäre, hätte man sich gut vorstellen können, dass der Bauhausstil, wie der Futurismus in Mussolinis Italien, zur NS-Staatskunst hätte avancieren können.
Abgelöst von der Ideologie des „klimafreundlichen Bauens“
Nun sind die politischen Schlachten um das Bauhaus längst geschlagen, weitgehend bekannt und aufgearbeitet sowohl die kommunistische Schlagseite der Kunstgewerbe- und Architekturschule unter Hannes Meyer wie die Tatsache, dass sich nicht wenige Bauhaus-Akteure später den Nazis andienten, frei nach der Devise: Nirgendwo lässt sich besser bauen als unter Diktatoren. Le Corbusier beteiligte sich 1931 ungerührt an Stalins Wettbewerb zum Moskauer Sowjetpalast.
Heute herrscht, landauf-landab, mitnichten der seitens der AfD geschmähte Bauhaus-Stil, sondern ein stilistischer Pluralismus, man könnte sagen Nihilismus, der Gropius, Meyer und Mies gewiss im Grabe rotieren ließe. Die Herrschaft der geraden Linien und scharfen Kanten wurde abgelöst von der Ideologie „klimafreundlichen Bauens“, wobei die ästhetischen Zumutungen der „Energiewende“ nicht einmal mehr vor Baudenkmalen Halt machen. Wenn Häuser zu Kraftwerken mutieren, darf man sich nicht wundern, wenn sie wie solche aussehen. Darüber wäre zu debattieren und auch, wie es sich lebt in den zu Tode gedämmten „Nullenergie“-Kisten.
Und wenn – nicht ganz zu Unrecht – die Abkehr von tristen und Flächen fressenden Einfamilienhaussiedlungen in den Speckgürteln der Großstädte zugunsten des Geschosswohnungsbaus gefordert wird, sollte man sich daran erinnern, wie qualitätsvoll, funktionsgerecht und, ja, menschenfreundlich (sozialer) Wohnungsbau in den zwanziger und dreißiger Jahren ausgesehen hatte. Heute könnte man froh sein, wenn es eine Institution wie das Bauhaus gäbe, die bräsigen Stadtbaukommissionen ein wenige Feuer unter den Hintern legen würde.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.