Archi W. Bechlenberg / 07.08.2016 / 06:28 / Foto: Henryk M. Broder / 2 / Seite ausdrucken

Das Antidepressivum zum Sonntag: Belgisches Kloster-Bier

Mal angenommen, Sie haben ein Produkt des täglichen Bedarfs, zum Beispiel ein Getränk entwickelt, das unter Kennern zu den weltbesten seiner Art gezählt wird und das allenthalben begehrt ist. Was werden Sie wohl tun? Werden Sie nicht dafür sorgen, dass die Produktion der Nachfrage gerecht wird  und man Ihr Getränk überall kaufen kann, so dass Sie sehr schnell sehr reich werden? Eben. Ich auch.

Nicht so die Mönche der Trappistenabtei Sint-Sixtus bei Westvleteren in Belgien. Deren drei Biersorten, die tatsächlich in vielen Bewertungen als die besten weltweit gefeiert werden, sind nur im Kloster selber und nach einer aufwändigen Anmeldeprozedur zu bekommen. Wer diese Prozedur nicht kennt oder nicht ernst nimmt, muss durstig bleiben. Wie es einem dänischen Journalisten erging.

Den hatte im heimischen Kopenhagen die Kunde vom besten Bier der Welt erreicht, was ihn umgehend eine Fahrt nach Belgien unternehmen ließ. Er war gut 1100 km unterwegs und musste sich, am Kloster angekommen, darüber belehren lassen, dass auch er nichts kaufen könne, er habe sich nicht einige Wochen zuvor angemeldet. So musste er unverrichteter Dinge weitere 1100 km zurück nach Kopenhagen fahren. Der Bruder Brauer in Sint-Sixtus war nicht zu erweichen. Was beweist: Auch das Prinzip der christlichen Nächstenliebe hat offenbar seine Grenzen.

Belgisches Kloster-Bier ist ein Anti-Depressivum vom feinsten

Nicht ganz so rigide geht es bei anderen Trappistenklöstern zu, die Bier brauen. Von denen gibt es weltweit ganze zehn, davon sechs in Belgien, zwei in den Niederlanden, eine in Österreich und eine in den Vereinigten Staaten. Deren Biere sind, wenn auch nicht immer ganz einfach, leichter zu bekommen und stehen denen aus Westvleteren nur wenig nach. Die Belgischen unter ihnen möchte ich Ihnen heute etwas näher bringen. Es sind Antidepressiva vom feinsten.

Trappistenmönche zeichnen sich durch ein besonders asketisches, zurückgezogenes Leben sowie durch eine geradezu legendäre Schweigepflicht aus; als Frisöre, Versicherungsvertreter oder Taxifahrer wären die frommen Brüder somit eher ungeeignet. Vom Brauen hingegen verstehen sie eine ganze Menge; seit Jahrhunderten erweisen sie sich als wahre Meister auf diesem Gebiet. Man mag verwundert fragen, was Askese denn mit Bier zu tun habe, und es ist tatsächlich nicht ganz einfach, einen plausiblen Zusammenhang herzustellen. Doch wir bewegen uns auf dem Feld des praktizierten Glaubens, und dessen Anhänger, insbesondere die katholischen, biegen im Notfall alles so lange zurecht, bis es passt.

Dass früher in vielen Klöstern gebraut wurde, lag an der relativ simplen Herstellung von Bier und der Tatsache, dass die Rohstoffe billig und leicht verfügbar waren. Die Mönche, als gebildete Menschen ihrer Zeit, fanden heraus, dass zwischen dem damals verfügbaren Trinkwasser und der Verbreitung von Seuchen und anderen Erkrankungen ein Zusammenhang bestehen musste. Wasser, zu Bier verwandelt, ließ sich hingegen bedenkenlos trinken. Warum das so war, wusste man nicht, da  Viren und Bakterien noch gar nicht entdeckt worden waren, aber man fand eine plausible Erklärung: Der Vorgang des Brauens auf der Basis einheimischer Gerste war offenbar gottgefällig, und wer dies tat, wurde vom Grundgütigen durch anhaltende Gesundheit belohnt. Dies leuchtete jedem nur allzu gerne ein. Hinzu kam, dass früher die Klosterbiere kaum einer Unterwanderung der Askese dienen konnten, sie enthielten nur sehr wenig Alkohol, und einen echten Genuss werden sie auch nicht vermittelt haben, da erst im Laufe der Zeit ein durchdachteres Brauen wohlschmeckender Biere möglich wurde.

„Das wenige, das ich esse, kann ich auch trinken“

Neben dem gesundheitlichen Aspekt des Bierbrauens in Klöstern gab es noch einen weiteren, der eine gewisse Schlitzohrigkeit der frommen Brüder verrät. Da in der Fastenzeit kaum feste Nahrung erlaubt war, man sich aber ungern alleine mit dünnen Suppen und harten Brotkanten abfinden mochte, wurde nach dem Motto „Das wenige, das ich esse, kann ich auch trinken“ nahrhafter und zudem auch noch wohlschmeckender Gerstensaft genossen. Damit verstieß man nicht gegen die strengen Fastengebote, schließlich waren im Bier noch weniger feste Bestandteile als in einer frugalen Mehlsuppe. (Ähnlich schlau ging man früher mit dem Gebot des Fisch- statt Fleischessens in religiös motivierten Fastenzeiten um. Man ernannte Säuger wie den Biber oder Vögel wie die  Ente kurzerhand zu Wassergetier, und schon waren sie offiziell genehmigte Fische. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Zurück zu den fleißigen, schweigenden Trappisten in Belgien. Dort brauen neben dem bereits erwähnten Westvleteren die Klöster in Achel und Westmalle (Flandern) sowie in Orval, Rochefort und Chimay (Wallonien) ihre beliebten Hopfen-und-Gerstensäfte. Um das Erzeugnis Trappistenbier nennen zu dürfen, müssen die Biere tatsächlich in einem Trappistenkloster gebraut werden, und es müssen bei der Herstellung Mönche (mit)arbeiten. So manche andere „Klosterbrauerei“ heutzutage ist nämlich ein Schwindelunternehmen – deren Biere werden von Großbrauereien ganz woanders hergestellt, und das Kloster gibt für gutes Geld bloß seinen Namen her. Das bekannte Leffe Abteibier zum Beispiel wird vom Biermulti Anheuser-Busch in der Stella-Artois Brauerei in Leuven gebraut, weit weg vom Kloster Notre Dame de Leffe bei Dinant. So etwas würden sich die strengen Trappisten niemals erlauben. Und täte eines ihrer Klöster es doch, wäre das Qualitäts-Prädikat Authentic Trappist Product für ihr Bier perdu. Was weitreichende, weltliche Folgen hätte, vom sicheren Platz in der Hölle für die Verantwortlichen ganz abgesehen.

Und noch ein Faktor spielt für das Prädikat Trappistenbier eine Rolle: der überwiegende Teil des erzielten Erlöses fließt nicht in den Bau von prunkvollen Badewannen, Hochwürdensitzen und die Anlage von Goldfischteichen, sondern in die Finanzierung karitativer Projekte. Wer sich an Bieren aus Trappistenhand labt, tut damit eine gute Tat. Das ist doch für den Spender weitaus erbaulicher, als wenn er seinen Obolus bloß in den Opferstock steckt. „Tue Gutes und trinke dafür!“

Feuer in Notre-Dame-de-Saint-Rémy bei Rochefort

Zwei Tage vor der Jahreswende 2010/2011 brach in der Trappistenabtei Notre-Dame-de-Saint-Rémy nahe Rochefort in den belgischen Ardennen ein schweres Feuer aus, das massiven Schaden anrichtete. Ursache war nicht etwa ein vorzeitig gezündeter Silvesterböller; ein derartiger Gegenstand dürfte den dort überaus zurück gezogen lebenden, frommen und schweigsamen Männern wohl nur theoretisch bekannt sein. Falls überhaupt. Am höllischen Feuer war eine provisorisch eingerichtete Notstromversorgung schuld, und umfangreiche Gebäudeteile brannten ganz und gar ab.

Das Unglück fand überregional Beachtung, zahlreiche Medien, auch im deutschsprachigen Ausland, berichteten darüber. Was nicht unbedingt nur der Tatsache geschuldet war, dass wertvolles, kulturhistorisches Baugut den Flammen zum Opfer fiel. Ein Satz aus der Solothurner Zeitung lässt erkennen, worin die eigentliche Meldung über das Feuer bestand: „In dem Kloster wird seit dem 19. Jahrhundert weltberühmtes Bier gebraut, [...] die Produktion des Abtei-Bieres kann aber fortgeführt werden.“

Es geht die Geschichte um, die Mönche hätten lange auf die Feuerwehr warten müssen, so dass sie sich anfangs nur selber mit vereinten Kräften und einigen Wassereimern helfen mussten, was bei gerade einmal einem Dutzend Brüdern, die dort noch leben und zudem  recht betagt sind, nicht wirklich effektiv gewesen sein dürfte. Und da gleichzeitig die Klosterkirche, wie auch der Brauereikomplex von den Flammen bedroht waren, hätte man sich entschieden, der Braustätte die Priorität zu verleihen und diese so gut es ging verteidigt. Ob die Geschichte stimmt? Wie auch immer - sie gefällt mir ausgesprochen gut. Denn zum einen hätten die Mönche ja wirklich allen Grund gehabt, dem Grundgütigen ob dieses bösen Streiches zu zürnen, zum anderen hätte es mir gar nicht gefallen, wenn es auf unabsehbare Zeit keine Rochefortbiere mehr gegeben hätte.

Acht tägliche Gottesdienste halten das Weltliche fern - und ein 11,3 Prozent Bier

Dass man damals lange auf die Feuerwehr warten musste, weil die das Ziel nicht fand, leuchtet hingegen sofort ein, wenn man die Abtei Notre-Dame-de-Saint-Rémy einmal selber besuchen will. Einige Kilometer vom Städtchen Rochefort entfernt gelegen, scheint sie offenbar alles zu unternehmen, um in ihrer Ruhe nicht gestört zu werden, selbst Hinweisschilder sucht man vergebens. Immerhin, wer an den acht täglich abgehaltenen Gottesdiensten teilnehmen möchte, ist in der Kirche des Klosters willkommen. Ansonsten macht der Komplex von außen einen wenig einladenden Eindruck.

Auch gibt es keinen Klosterladen wie beispielsweise in Orval, wo die Brüder durchaus einen gewissen Sinn fürs Kommerzielle beweisen und neben viel frommem Nippes auch ihre Biere plus allerlei Zubehör und Souvenirs feilbieten. Nach langem Zögern habe ich bei meinem Besuch in Rochefort an einer unscheinbaren Pforte geklingelt, wo man mich in Person eines sehr alten, sehr bärtigen Mönches misstrauisch durch die Türe beäugte, dann aber schließlich mit zwei Sixpacks des köstlichen Trunkes versorgte. Immerhin besitzt die Abtei eine Website, die einen kleinen Einblick in Ort und Leben ermöglicht; ihr eigentlicher Zweck liegt allerdings darin - diplomatisch ausgedrückt – Besucher fernzuhalten: Die Informationen im Internet, so kann man lesen, versuchen die Besonderheiten des Lebens in der Abtei zu erklären, welches ausschließlich in einem Klima der Stille und Einsamkeit gedeihen kann, daher sei das Kloster nicht für Außenstehende geöffnet.

Drei Sorten produziert man in Notre-Dame-de-Saint-Rémy, so wie auch in einigen anderen Trappistenbrauereien; ob das etwas  mit der Heiligen Dreifaltigkeit zu tun hat, muss ich noch ergründen. Beim Rochefort heißen die Sorten 6, 8, 10, womit allerdings nicht der Alkoholgehalt gemeint ist. Der liegt zwischen 7,5 % und 11,3 %, ist also recht ansehnlich. Vor allem das 10 ist ein Trunk, den man mit der selben Andacht und Sorgfalt behandeln und trinken muss wie einen guten Wein. Nicht von ungefähr erreicht es in der Bewertung des Biermagazins Beer Advocat die selbe Punktzahl wie das Westvleteren 12. 100/100. Das Bier ist so selten wie schmackhaft. 18.000 Hektoliter werden pro Jahr erzeugt (zum Vergleich: eine bekannte Eifler Brauerei kommt pro Jahr auf 3,680.000 Hektoliter).

Hedonismus und Askese eine sich aufs Erfreulichste ergänzende Symbiose

Anderen frommen Seelen dürfte dieses Business ein ziemlicher Dorn im Augen sein – so sehr sich die brauenden Trappisten für die Kultivierung des Bieres einsetzen, so sehr bekämpfen Blaukreuzler und andere Mucker und Temperenzler, die nicht einmal den Rausch der Nüchternheit kennen, den Alkoholkonsum. Sie sehen sich zwar auch im Auftrag des Herrn unterwegs, haben aber offenbar von diesem einen anderen erhalten, als die Trappisten. Letztere halten sich erfreulicher Weise aus jeglicher Diskussion heraus, ob aus Klugheit, Weisheit oder wegen des Schweigegelübdes ist mir egal. Hauptsache, sie brauen weiterhin wie seit Jahrhunderten ihre Biere, schon damit die noch immer beschädigten Gebäude in Rochefort wiederhergestellt werden können. Und eine neue, funktionierende Notstromanlage sollte auch noch drin sein.

Eher unauffällig brauen die anderen Trappistenabteien ihre Biere. Orval nahe der französischen Grenze besitzt nicht nur großartige Klosteranlagen, deren alter Teil, heute eine prächtige Ruine, besucht werden kann, sondern stellt in kleinen Mengen ein sehr herbes Bier mit hohem Hopfenanteil her, es ist mir persönlich von allen das Liebste. Orval ist oft wochenlang nicht erhältlich; es heißt, die Mönche würden es mit der regelmäßigen Arbeit in der Brauerei nicht so genau nehmen. Aus der nahe Chimay gelegenen Abtei Notre-Dame de Scourmont in der belgischen Provinz Hennegau kommen vier Varianten des  nach dem Ort benannten leckeren Gebräus. Hier ist man besonders fleißig, mit jährlich etwa 130.000 Hektoliter Bier erzeugt man  immerhin gut 10 % des belgischen Spezialbiermarktes.

Was unter anderem zur Folge hat, dass der Bierliebhaber in Belgien wohl kaum einmal vor einem Regal stehen wird, dessen Chimay-Fach leer geräumt ist. Dies kann dem Genießer nämlich vor allem mit Orval und Rochefort 10 passieren, vom Westvleteren ganz zu schweigen, das man ohnehin nur in der Abtei selber bekommen kann. Die erkennbar wohlhabende Abtei selber gibt bezüglich eines Besuches kaum etwas her, außer einem gepflegten Garten und einem klostereigenen Friedhof kann man sich nichts ansehen. Und die Brauerei liegt gut versteckt hinter Bäumen und Hecken. Dafür liegt an der nahen Haupstraße ein dem Chimay-Bier gewidmetes Gasthaus, in dem stets ein munteres Schmausen und Schlürfen herrscht. Hedonismus und Askese, hier bilden sie eine sich aufs Erfreulichste ergänzende Symbiose.

So wie diesen Schluck stelle ich mir das biblische Manna vor

In erster Linie gilt das Trinken von Trappistenbieren natürlich nur einem: der Gesundheit. Der letzte Schluck einer Flasche enthält besonders bekömmliche und vitaminhaltige Hefe. Ohne Zweifel verdanken die Klosterbrüder nur diesem Zusatz ihr oft biblisches Alter und ihren üppigen Bartwuchs sowie die Fähigkeit, selbst im tiefen Winter ohne Socken mit Sandalen wandeln zu können.

Das Trinken der ebenso wohltuenden wie gesundheitsfördernden Trappistenbiere unterscheidet sich grundlegend vom „Hau wech!“, mit dem Industriebiere gekippt werden. Es beginnt bei der sorgfältigen Lagerung (aufrecht stehend im Dunkeln) und geht über die angemessene Trinktemperatur (zwischen 10° und 14° C bei den starken Bieren und nicht unter 6° C bei den leichteren) bis zur Kunst des richtigen Eingießens, die nicht nur eine gewisse Erfahrung, sondern auch eines jeweils der Biersorte angepassten Glases bedarf.

Beim Eingießen ist darauf zu achten, dass man die aufrecht stehende Flasche sehr behutsam von ihrem Verschluss befreit und dann das Bier vorsichtig eingießt, damit der nicht ausgefilterte Bodensatz samt einem Schluck Flüssigkeit in der Flasche verbleibt. Dieser Nachschluck ist geschmacklich und – ich erwähnte es bereits – gesundheitlich der wertvollste Teil des Ganzen. Ihn kippt man, nachdem man zuvor die Flasche einige Male geschwenkt hat, ins inzwischen geleerte Glas und darauf in sich hinein. So wie diesen Schluck stelle ich mir das biblische Manna vor.

Westmalle (nicht zu verwechseln mit Westvleteren) liegt mit jährlich produzierten 120.000 Hektolitern nicht weit hinter Chimay und ist daher stets verfügbar. Was auch für die drei Flaschenbiere (Tripel 8 %, Dunkel 8 %, Dunkel Extra 9,5 %) und zwei Fassbiere (Hell 5 %, Dunkel 5 %) des Klosters Unsere Liebe Frau von La Trappe im belgisch-limburgischen Achel sowie dem La Trappe aus der niederländischen Abtei Onze Lieve Vrouw van Koningshoeven in Berkel-Enschot bei Tilburg gilt. Sie mögen nicht ganz so renommiert sein, wie Westvleteren, Orval oder Rochefort, aber auch hier bewegen wir uns immer noch auf höchsten Niveau klösterlicher Braukunst.

Alle diese Biere sind in Deutschland nicht ohne weiteres erhältlich, was weniger an den geringen, produzierten Mengen, als eher am deutschen Reinheitsgebot liegt, das den Trappisten aus gutem Grund herzlich egal ist. Dank Internet sowie einer Reihe von engagierten, niedergelassenen Händlern kann man sie aber auch in Deutschland ohne großen Aufwand bekommen, wenn auch mit einem gewissen Aufpreis gegenüber dem, was man in Belgien dafür bezahlen muss. Am preiswertesten sind sie übrigens in Luxemburg. Dort greift man steuerlich dem Genießer nicht derart dreist in die Tasche wie in Belgien. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

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Foto: Henryk M. Broder

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Archi W. Bechlenberg / 09.08.2016

Lieber Herr Müller, danke für den Einwand. Man ist allerdings nicht automatisch ein missgünstiger Protestant, wenn man religiöse Heuchelei als das benennt, was sie ist: religiöse Heuchelei. Ich bin alles andere als ein solcher, mir als Gottfreiem ist jede religiös motivierte Kritik absolut fremd. Mein Satz lautete daher ganz bewusst “wir bewegen uns auf dem Feld des praktizierten Glaubens, und dessen Anhänger, insbesondere die katholischen, biegen im Notfall alles so lange zurecht, bis es passt.” _Insbesondere_. Ich stamme aus einem zutiefst katholischen Umfeld und weiß, wovon ich schreibe. Dass auch die anderen Kulte sich der Praxis des Zurechtbiegens bedienen, ist ohnehin offensichtlich; man denke nur an all das, was “mit dem Islam zu tun hat” und was nicht.  Oder wie sehr die evangelische Kirche, die sich zugleich mit Bonhoeffer schmückt, mit den Nazis paktierte - wer zählt die Beispiele für religiöse Heuchelei, nennt ihre Namen? Eher deutet mir Ihr Ausdruck “Säufer” darauf hin, dass Sie selber ein etwas missgünstiges Verhältnis zum Alkohol haben. Meinem Text ist erkennbar zu entnehmen, dass die Mönche Bier zunächst und vorrangig für sich selber brauten. Gewiss _soffen_ sie es nicht, sondern _tranken_ es. Ein nicht ganz unbedeutender Unterschied. Und sie tun es weiterhin, und das ist auch gut so. Dass ein gewisser - heuchlerischer - Widerspruch darin läge, Bier, wie Sie annehmen, nur für andere “Säufer” zu brauen (“Wer Bier braut, muss nicht selber…”)  sich allerdings mit dem erzielten Geld ein schmuckes Kloster zu gestalten, sei hier nur als eine Arabeske zum Thema Heuchelei erwähnt. Santé!

Klaus Elmar Müller / 07.08.2016

Das klang jetzt aber bei allem Bemerkenswertem an einer Stelle sehr missgünstig-protestantisch, nämlich dass wir Katholiken uns die Wahrheit zurechtbögen. Erstens: Wer Bier braut, muss nicht selber ein Säufer sein. Zweitens: “Die guten Dinge sind nicht für die Bösen da”, sagt der hl. Ignatius von Loyola. Drittens: “Wenn Fasten dran ist, dann Fasten, wenn Rebhuhn dran ist, dann Rebhuhn”, lehrt die hl. Teresa von Avila. Viertens: “Katholisch” heißt “allumfassend”.  Luthers sprödes “sola”-“nur” ist fanatisch. Das sind wir nicht!

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