Archi W. Bechlenberg / 20.03.2016 / 06:30 / 1 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag (14)

Wie geht es Ihnen, liebe Leser? Haben Sie sich vom Stress des vergangenen Sonntags erholt? Das war aber auch ein Ding. So ein ruhiger, ereignisarmer Spätwintersonntag, und ich lasse Sie einfach in meiner Kolumne mit einem Cliffhänger alleine da stehen. Erst die Vorstellung zweier lesenswerter Autoren ankündigen, und es dann bei nur einem belassen! Ich gebe zu, das war alles andere als freundlich. Immerhin gab es ansonsten am 13. März ja nichts weiter Aufregendes.

Zur Strafe sitze ich jetzt mit einem mehr als üblen Grippalen Infekt hier und versuche, meine Worte in Gedanken zu fassen. Hätte ich letzte Woche nicht so unverantwortlich nach der Vorstellung des als Saki bekannten H. H. Munro die Tastatur aus der Hand gelegt, könnte ich mich für morgen entschuldigen lassen und erst einmal auskurieren. Statt dessen … Nun denn.

Ein Meister der makabren Kurzgeschichte

So wie Saki war auch Ambrose Bierce ein Meister der makaberen Kurzgeschichte. Der 1842 im US-Bundesstaat Ohio geborene Farmerssohn ist bis heute bekannter geblieben als der Brite Munro, welcher stets im Schatten von Oscar Wilde blieb. Nicht, dass Saki diesem als Autor nachstand, aber der exzentrische Ire wusste sich bekanntlich um einiges nachhaltiger in Szene zu setzen.

Dass Bierce auch 100 Jahre nach seinem Tod  nicht vergessen ist, liegt sicherlich zu einem wesentlichen Teil an den meisterhaft erzählten, oft gruseligen Stories voller Zynismus und Misanthropie. Aber auch an einem bemerkenswerten Werk, das er über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren zusammen stellte. Seine Aphorismensammlung The Devil's Dictionary erfreut bis heute jeden, der mit einer gesunden Portion Verachtung für Dummschwätzer aller Art – also vor allem Puritaner, Politiker und Priester – gesegnet ist. Gut 1000 Wörter definierte Bierce insgesamt, und wenn man sein Wörterbuch des Teufels durchliest, wird man schnell sehen: So richtig viel geändert hat sich seit damals nichts. Eigentlich gar nichts.

„Diplomatie: Die vaterländische Kunst, zum Wohle des eigenen Landes zu lügen.“ Man muss nicht einmal Diplomat sein, um das bestätigen zu können. Ebenso wenig Arzt, um Bierce' Definition von Diagnose zuzustimmen:  „Die ärztliche Voraussage des Krankheitsverlaufs, gegründet auf den Pulsschlag und den Geldbeutel des Patienten.“ Und was ist ein Rezept? „Die ärztliche Vermutung darüber, wie der Krankheitszustand eines Patienten mit dem geringsten Schaden aufrecht zu erhalten ist." Apropos Rezept: „Ein Apotheker ist Komplize des Arztes, Wohltäter des Bestatters und Ernährer der Würmer.“ Finanzwesen: „Die Kunst oder Wissenschaft, Einkünfte oder Gelder so zu verwalten, dass der Verwalter am meisten davon hat.“ Sofern Sie nicht im Finanzwesen tätig sind, dürfte da kaum Widerspruch aufkommen.Oft genügten Bierce auch nur wenige Wörter für eine Definition: „Lärm, der [Subst.]: Gestank im Ohr“.  „Applaus, der [Subst.], Das Echo einer Platitüde.“ „Eile, die [Subst.]: Tüchtigkeit von Stümpern.“

Die Meinungen über Herrn Bierce waren geteilt

Was Bierce generell von der Welt hielt, lässt sich an dieser Definition erkennen: "Abendland: Jener Teil der Welt, der westlich (bzw. östlich) des Morgenlandes liegt. Größtenteils bewohnt von Christen, einem mächtigen Unterstamm der Hypokriten, dessen wichtigste Gewerbe Mord und Betrug sind, von ihnen gern ’Krieg’ und ’Handel’ genannt. Dies sind auch die wichtigsten Gewerbe des Morgenlands.“

Die Meinungen über den Menschen Ambrose Bierce waren unter denen, die ihn persönlich kannten, durchaus geteilt. Die einen hielten ihn für einen ziemlichen Stinkstiefel, was er mit Definitionen wie „Liebe, die [Subst.]: Eine vorübergehende Geisteskrankheit, die durch Heirat heilbar ist“ oder „Betrug: die Triebkraft des Geschäfts, die Seele der Religion, der Köder der Liebeswerbung und die Grundlage politischer Macht" durchaus bestätigte. Andere schilderten ihn als liebenswürdig, höflich und hilfsbereit. Es wird wohl beides zutreffend gewesen sein. Bierce, der wie viele andere kluge Köpfe an der Dummheit seiner Mitmenschen verzweifelte, wurde darüber zum Trinker und somit immer weniger greifbar. Fest steht: Er formulierte seine teuflichen Definitionen nicht als nette, bloß  auf Sprachwitz basierende Aphorismen, sondern aus seinem inneren Wesen heraus. Sich selber sah er ohne Zweifel als Zyniker: „Ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung Dinge sieht, wie sie sind, statt wie sie sein sollten.“

Bierce kam als Journalist, ähnlich wie sein Vorbild und Zeitgenosse Mark Twain (dem er auf einem Portrait aus dem Jahre 1899 ähnlich sieht) weit herum in der Welt. Er war bereits 70, als er etwa 1912 nach Mexiko reiste, um von dort über die Revolution unter der Führung von Pancho Villa zu berichten. Hier verliert sich zur Jahreswende 1913/14 seine Spur, man nimmt durch Bemerkungen in seinem letzten, erhaltenen Brief an, dass er exekutiert wurde. Fragen Sie nicht, weshalb und von wem. Ob es zuvor darüber eine Diskussion („Eine Methode, andere in ihren Irrtümern zu bestärken“) gegeben hat - man weiß es nicht. Bierce verschwand, aber seine Werke zum Glück nicht. Vielleicht wurden Sie ja durch die von mir ausgewählten Zitate („Zitat: die fehlerhaft wiedergegebenen Worte eines anderen.“) auf ihn neugierig gemacht. Ein Langweiler („Ein Mensch, der redet, wenn du wünschst, dass er zuhört“.) war er ganz gewiss nicht, wie seine in Buchform leicht erhältlichen Werke beweisen.

Und nun, liebe Leser, habe ich für diesen Sonntag meine angenehme Pflicht getan und werde meine Nase („Die Nase ist niemals glücklicher, als wenn sie in anderer Leute Angelegenheiten steckt“) nicht gemäß Ambrose Bierce verwenden, sondern sie meiner Erkältung angemessen pflegen.

Ambrose Bierce hier im Original lesen 

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Tilo Bley / 21.03.2016

Danke für die Erinnerung an Bierce. Neben großartiger Prosa (zu DDR-Zeiten gab es einen sehr schönen Auswahlband in der Sammlung Dieterich, als herausragend ist mir “Zwischenfall an der Eulenfluß-Brücke” im Gedächtnis) war er vor allem ein begnadeter Aphoristiker und seine “Definitionen” können sich mit dem Besten, was es dazu in Deutschland (Lessing, Ebner-Eschenbach) und international (Stanislaw Jerzy Lec) messen. Für die DDR gebührt dem Eulenspiegel Verlag das Verdienst, das “Kleine(s) Wörterbuch des Teufels” ediert zu haben. Die Übersetzungen fand ich übrigens z. T. noch prägnanter als in der hier vorliegenden Form, z. B. “Diplomatie: die Kunst der Patrioten, fürs Vaterland zu lügen”. Auch über den “Admiral: Teil des Kriegsschiffes, der die Befehle gibt. Das Denken übernimmt die Galeonsfigur” konnte ich mich königlich amüsieren. Ja, Herr Bechlenburg, Bierce ist zeitlos, wie jede wirklich gute Literatur, vor allem wenn sie die menschliche Gesellschaft und ihr zynisches Getriebe so gründlich seziert. Zum Schluß ein Tipp von mir: Hermann Harry Schmitz. Ein zu Unrecht (fast) Vergessener, bei dessen gnadenlos guten Satiren einem so manchesmal das Lachen im Halse steckenbleibt, so “zeitgemäß” sind dessen über 100jährige Einschätzungen. Auch er endete tragisch, bei ihm war`s wohl Verzweiflung. Irgendwann konnte er nicht mehr ertragen, womit er so viele zum Lachen brachte…

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