Seit je her habe ich ein Faible für jegliche Art von Tinnef und Tand. Heute nennt man dieses unnütze Zeug natürlich anders, nämlich Gadgets.
Früher – vielleicht auch noch heute – waren die Innenseiten sogenannter Groschenhefte gepflastert mit kleinen Inseraten, die bis zur Unbrauchbarkeit praktische Sachen anboten. Urzeitkrebse zum Beispiel, samt heimeliger Unterwasserwelt. Aber auch Dinge, die tatsächlich der Traum jedes Lesers von Trivialliteratur waren, da nützlich und hohen sozialen Status versprechend. Ein Kofferradio zu 10 DM monatlich ohne Anzahlung, Endpreis ab 141 DM inklusive Batterien. Eine „kugelschießende Automatpistole mit Halfter“ für unglaubliche 6,75 DM per Nachnahme, die mich aber nicht interessierte, schließlich wurde sie „nicht sichtbar unter der Achsel getragen“. Nicht sichtbar! Wozu sollte man dann so etwas kaufen? Auch für eine „schöne Büste im Hollywood-Format“ konnte ich mich nicht erwärmen, zudem das Teil „von Tausenden bereits gern gebraucht wurde.“ Igitt.
Knitterfreie Hemden, Schuhe, die einen bis zu 14 cm größer machen, farbige Jeans aus USA oder ein Mittel gegen abstehende Ohren (oder waren es Nasen?) – alles nichts für mich. Das Haarwuchsmittel mit der Geheimformel, wahrscheinlich ein Nebenprodukt aus der Weltraumforschung, hätte mir zwar zu Zeiten von Beatles und Stones gut gefallen, aber dann hätte ich nicht erst alle vier Wochen Stress mit meinem Vater gehabt, sondern womöglich wöchentlich. Dafür auch noch Geld ausgeben? Pah.
Das Fahrrad für 2 DM hätte mir gut gefallen, leider entsprach der im Inserat plakativ genannte Betrag nur der monatlichen Rate, und bis ich das Vehikel abgezahlt hatte, war der Drahtesel längst geklaut worden. Scharf war ich auf die geheimnisvolle Brille, mit der man Frauen unter die Kleidung gucken konnte, ich hätte sie nur zu gerne bestellt, wenn ich denn überhaupt Taschengeld gehabt hätte („Du brauchst kein Taschengeld, du bekommst alles, was du brauchst!“. Nee, eben nicht! Keine Röntgenbrille!). Auch hätte ich gar nicht gewusst, wohin man mir das begehrte Accessoire schicken konnte. Und so kommt es, dass ich bis heute nicht weiß, was Frauen drunter tragen. Sollte jemand von Ihnen ein aktuelles Inserat entdecken, in dem eine solche Brille heute noch angeboten wird – schreiben Sie mir bitte! Am besten steuerbar per GPS, mit einer App.
"Magnet für Reichtum, Geld, Überfluss, Glück, Erfolg“
Die Leidenschaft für derartiges Kulturgut ist mir bis heute geblieben. Neulich las ich, jeder Mensch besitze im Durchschnitt 10.000 Dinge. Ich musste herzhaft lachen. Da komme ich schon beim Öffnen einer beliebigen Schublade in meinem Haus locker auf die doppelte Anzahl. Alleine die überall verstreuten Batterien, die ich endlich mal mit dem Prüfgerät auf ihre Tauglichkeit untersuchen will, stellen einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Dinge dar, die mir tagtäglich begegnen und die nie weniger werden.
Gut, man könnte sagen: sind die Batterien nicht in einer Verpackung, sind sie aus gutem Grund nicht mehr in einer Verpackung. Aber so einfach ist die Sache nicht. Manche losen Batterien sind lose, weil sie beim Entnehmen einer anderen Batterie aus der Verpackung fielen und nun auf den ersten Blick verbraucht erscheinen. Und dann all die Active Energy Ultra Alkaline Hyper Duper XXL Power Sticks, die zwar zu schwach sind, um noch in einer Kamera zu funktionieren, ein schlichtes Wanduhrwerk aber noch monatelang antreiben können! Man müsste die nur mal testen und dann, nach restlicher Kapazität sortiert, alle in eine gemeinsame Schublade.... Ja, doch!
Das Internet und die Globalisierung bieten dem heutigen Tand-Sammler ungeahnte Möglichkeiten gegenüber früher, als man nur auf die Wimmelanzeigen in Jerry Cotton und Perry Rhodan Heften zurückgreifen konnte, um zu sehen, was Erfinder- und Ingenieurskunst in die Welt zu setzen imstande ist. Heute gibt es, nur ein paar Klicks entfernt, Shops, deren Waren jegliche Vorstellungskraft übertreffen. Sei es der „Aschenbecher Lourdes“, an dem das Erstaunliche weniger die Tatsache ist, dass es so etwas überhaupt gibt, sondern dass er „Made in France“ ist. Alleine diese Herkunftsbezeichnung macht das Teil zu einer Rarität. Vom Orgon Quartz Anhänger „für Reichtum Anziehen Geld Magnet Überfluss Glück Erfolg“ halte ich weniger, ebenso wie von der Autogrammkarte „Unbekannte Person, Foto Original Signiert“. Und eine Krawattennadel in Form eines Dosenöffners kommt selbst mir etwas zu bizarr vor, genauso wie die „Manschettenknöpfe JHS Jesus“, selbst wenn die Made in Judäa wären.
Heute ist ohnehin alles, wirklich alles Made in China. Von dort kommen die großartigsten Gadgets, die man sich vorstellen kann. Da haben Leute ernsthaft studiert, mit heißem Bemüh'n, Elektrotechnik, Maschinenbau, Kunststoffverarbeitung oder Aerodynamik, um Dinge zu erfinden, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat, seitdem der erste Urmensch aus einem Tierknochen einen schwarzen Monolithen geschnitzt hat.
Tragbares Mondlicht in verschiedenen Größen, Saugroboter mit Kamera („eine Mischung aus Haushaltshilfe und Überwachungskamera“), Kaffeebecher mit Minigolf-Spiel, Ferngesteuerte Spinnen und Kakerlaken, ein Fahrrad-Pizzaschneider, ein kleiner Boxroboter oder ein großer Eiswürfel in Todessternform. Es ist faszinierend, zu sehen, was der menschliche Erfindergeist fertigzubringen imstande ist. Da kommt kein Neckermannkatalog aus den 60er Jahren mit, der bei der Erkundung weiblicher Anatomiemerkmale einst eine durchaus nützliche Funktion ausübte, auch wenn eine Röntgenbrille sicherlich noch mehr gebracht hätte.
„Profi Wasserpistole“, „Profi Nadeleinfädler", „Profi..."
Ein dicker Gadget-Katalog liegt in gedruckter Form vor mir, 268 Seiten stark und voll von wundersamen Dingen wie Spion-Kameras und einem kugelschreiberförmigen Gegenstand, mit dem man Feuer machen, pfeifen, Glas zerbrechen und die Himmelsrichtung bestimmen kann. Ich war zuerst verwundert, dass man damit nicht auch – wie es die Form vermuten lässt – schreiben kann, musste aber nach kurzem Nachdenken mein Haupt bewundernd vor dem mit allen Wassern gewaschenen Konstrukteur des 3 in1-Outdoorhelfers verneigen: Das Teil nennt sich schließlich „Survivel-Werkzeug“, hilft also in eigentlich aussichtsloser Situation, dieser lebend zu entkommen.
Und wer bräuchte dann ein Schreibgerät? Ein mit letzter Kraft gekritzelter Letzter Wille erübrigt sich schließlich für einen Surviver mit diesem Werkzeug im Gepäck, und um einen Dankesbrief an den Hersteller zu verfassen, kann er später bequem zu Haus das Tablet auf die Knie nehmen. Eine Kulimine hätte also nur unnötiges Mehrgewicht bedeutet. (Übrigens, wussten Sie schon, dass Sie eingetrocknete Kugelschreiberspitzen wieder gängig bekommen, wenn man sie... ja gut, das gehört jetzt nicht hier her. Menno.)
Erstaunlich oft kommt in den Beschreibungen von Gadgets der Begriff „Profi“ vor. „Profi-Ferrit-Magnetleisten“, „Profi Wasserpistole“, „Profi Nadeleinfädler“, „Professionelles Hot-Stone-Set nach altem hawaiianischen Original Geheimrezept“. Und da! Der „digitale Profi-Batterietester“ für alle gängigen Größen, der könnte doch mal in meiner Batteriensammlung... ist gekauft.
Profi, das klingt prima, professionell, Vertrauen erweckend. Nach Fußball und Fundamentalismus. So ähnlich wie Premium, ein Begriff, der ab und zu im gleichen Kontext auftaucht, überwiegend im Atemzug mit fester oder flüssiger Nahrung sowie Genussmitteln („Premium-Kokosnuss-Naturkohle für Shisha & Grill“). Im Wörterbuch gleich hinter Premierminister zu finden. Ob es wohl auch Dinge mit dem Attribut „Premium-Profi“ gibt? Ich traue mich nicht, danach zu googlen.
Die Silbe pro bringt – „Prösterchen!“ – ja oft eine positive Anmutung mit sich, eben eine professionelle. Dass es sie auch in Wörtern wie Problem, Prostata, Provokation, Proktologe, Prolaps, Promille, proppenvoll und Provinztheater gibt – geschenkt! Der Profi überragt doch alles, und wer etwas auf sich hält, kauft professionell, also Profizeugs wie den „4in1-Trimmer für Nasen- & Ohrhaar, Augenbrauen und Bart, mit 2 Scherköpfen“. Schreiben kann man damit allerdings nicht, doch dafür hat das Teil ein LED-Licht für schwierige Stellen. Über das verfügt wiederum der Profi-Edelstahl-Popcorntopf nicht, dafür hat er eine Kurbel. Wer auf Licht besteht, greife zur professionellen Präzisions-Pinzette mit LED-Spotlight, die hat allerdings keine Kurbel... Sie sehen, für jeden Profi gibt es das passende Werkzeug. Wenngleich ich mich schon frage, was eine „Profi Wasserpistole“ ist. Das klingt nicht gerade nach einem unschuldigen Schabernack. Würde Alain Delon als der Eiskalte Engel seine Opfer heute mit einem gezielten Wasserstrahl entleiben, geräusch- und CO2-neutral? Oder Jean Paul Belmondo in „Der Profi“ jemandem den Kaffee damit verdünnen?
Manchmal überkommen mich beim Lesen der Beschreibungen in Shops und Katalogen schon leichte Zweifel. Würde ein Profi ein „edles Profi-Sommelier-Werkzeug“ in die Hand nehmen, das ganze 3,70 Euro kostet? Würde Belmondo sich bei der Flucht aus einem Hochsicherheitszuchthaus auf einen Profi-Schwingschleifer für 16,95 Euro (inklusive 20 Schleifscheiben) verlassen? Kann man mit einem Kinder-Metalldetektor wirklich „Schätze suchen wie ein echter Profi“? Und was bitte ist ein „Profi-Gartenschlauch“? Darf man mit dem nur bewässern, wenn man sein Leben lang als Chef-Jardinier im Schlosspark von Château Moulinsart gedient hat?
Fantastillarden von unbedarften Käufern
Man kann zu Recht fragen, wer das zumeist schundige Geraffel kauft, das mit dem Attribut „professionell“ unter die Leute gebracht werden soll. Beziehungsweise wird, denn es gibt tatsächlich Fantastillarden von unbedarften Käufern, die sich für diese Produkte so begeistern können, dass sie es beim Bestaunen in Katalogen oder Onlineshops nicht belassen: Sie kaufen solche Dinge. So kenne ich jemanden, der diesen Schwingschleifer erwarb. Er wollte damit eine etwas klemmende Schranktüre um einige Millimeter unten kürzen, und das ließ sich auch gar nicht so schlecht an.
Das Gerät machte viel Krach und Staub, und damit auch nur ja nicht aus Versehen zu viel abgenommen werden konnte, hielt sich die Schleifleistung sehr in Grenzen. Woher der Staub kam, ließ sich gar nicht recht sagen. Und so schmirgelte der Heimwerker dann vor sich hin, ab und zu die Türe schließend, um zu sehen, ob es jetzt genug sei. Was es aber noch nicht war. Das abwechselnde Schmirgeln und Prüfen nahm dann ein jähes Ende, als der handliche Schwingschleifer ohne Vorwarnung zu stinken und qualmen begann und es dabei im Inneren, gut durch die Lüftungsschlitze erkennbar, auf ganzer Linie britzelte. Auch nahm der Lärm eine ganz neue Tonlage an. Das Gerät vom Stromnetz zu trennen war somit unvermeidlich. Unser Heimwerker schloss aus dem Malheur, gar nicht so dumm, der handliche Schwingschleifer sei wohl zu heiß geworden, machte dann aber den verhängnisvollen Fehler, zu glauben, nach etwas Abkühlung würde es wieder gehen...
Ja, lachen Sie nur. Die Überreste des Schleifers habe ich in einer Kiste auf dem Dachboden verstaut, es sind noch einige Teile dran, die sich vielleicht mal anders verwenden lassen. Wegwerfen kann ich es ja immer noch. Und außerdem: Es waren auch Profis, die die Titanic gebaut haben!
Musik aus „Der Profi“ von Ennio Morricone:
Alain Delon: Der Eiskalte Engel
Profi Rennfahrer Jonathan Hartop
Ein Beruf für echte Profis: der Dorftrottel
Ein Laden für chinesische Gadgets
Noch ein Laden für chinesische Gadgets