Archi W. Bechlenberg / 25.03.2018 / 06:15 / 14 / Seite ausdrucken

Das Antidepressivum: Tabu In Heerlen

Frühlingsanfang, ich sitze am PC und sehe dem Schnee beim Treiben zu. Gut, es ist erst der 21. März, aber wenn ich mein Fotoarchiv nach Datum sortiert durchblättere, finde ich reichlich Bilder aus früheren Jahren, auf denen es nicht weiß ist, sondern grün bis bunt. Mich wundert das nicht weiter, denn ich bin informiert: Neulich erst las oder hörte ich, dass extreme Kälteperioden wie zuletzt in den USA und Kanada („Der Winter in Kanada ist so kalt wie seit Jahrzehnten nicht“, Augsburger Allgemeine) Folgen der Klimaerwärmung seien. Worauf ich eigentlich auch selber hätte kommen können.

Bei uns in Mitteleuropa ist es hingegen bekanntlich Putin, der für Frost und Frust verantwortlich ist; er schwingt oft und gerne die „Russenpeitsche“, wie es der Deutsche Wetterdienst formuliert. Dann kann er nämlich mehr Gas verkaufen und zeigen, dass er uns, wenn er will, jederzeit am Arsch hat. Vor allem im Winter. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie viele bundeswehrtaugliche Panzer im Ernstfall bei Minusgraden wohl anspringen würden...

Es schneit noch immer, auch wenn der Wettermann im Radio vorhin versprach, bis Mittag sei das alles wieder weggetaut. Das klingt nach einem ziemlichen Durcheinander und lässt sich nur durch Wetterwandel erklären. Eigentlich müsste ich dringend mal im Garten durchs Gestrüpp fegen, aber daran ist momentan nicht zu denken. Bei Facebook vorbeizuschauen habe ich auch keine Lust, ich entsage mich ihm inzwischen weitgehend.

Da sind so viel Wörter und Themen tabu, dass man auch allmählich den Durchblick verliert. Dabei verbinde ich mit einem der KO-Wörter, immer gut für 30 Tage Sperrung, schöne Erinnerungen. Das Wort lautet Bimbo. Schreiben Sie es bei Facebook, und schon haben Sie 30 Tage Zeit für die wirklich wichtigen Dinge des Daseins.

Bimbo-Boxen ist der Plural von Bimbo-Box

Ob jemand von Ihnen (noch) weiß, was das Wort Bimbo-Boxen bedeutet? Nein, es ist nichts sportliches, so wie Zwergenwerfen oder Frauen-Schlammcatchen. Bimbo-Boxen ist der Plural von Bimbo-Box, und eine solche hatte ich als Kind fest ins Herz geschlossen. Sie stand im niederländischen Städtchen Heerlen, ein Ort, der, das wette ich, noch niemals mit dem Ausdruck „schön wie Heerlen“ gewürdigt wurde und auch niemals wird.

Google liefert den Beweis: „Keine Ergebnisse für „schön wie Heerlen" gefunden“. „Mooi Heerlen“ wäre eine Such-Alternative (mooi heißt schön), aber die führt nur zu Frisören, Haarstudios und Schönheitssalons. Und wer glaubt, er habe mich jetzt durch den Fund „Schoen Heerlen“ am Kanthaken – das zählt nicht. Schoen ist das niederländische Wort für Schuhe, und die Fundstellen lassen Sie bei Bedarf im Schoenenspeciaalzaak Dungelmann oder bei Ziengs, de beste schoenenwinkel van Heerlen, landen. Da mag es schöne Schoenen geben, aber damit hat es sich dann auch. Ob Thomas Bernhard wohl der gallige Stinktiefel wurde, als den man ihn bis heute liebt, weil er in Heerlen geboren wurde? Und ich, weil ich dort viel Zeit verbrachte?

Ich hatte eine Tante Elisabeth, die Schwester meiner Mutter. Die Tante hatte es vor vielen Jahren nach Stuttgart verschlagen, doch kam sie häufig zurück ins Rheinland, von wo aus dann unvermeidlich Expeditionen nach Heerlen unternommen wurden. Damals, Ende der 1950er Jahre, kein ganz risikoloses Unternehmen; deutsche Fahrzeuge, auch wenn sie nicht mehr auf Ketten rollten, waren in den Niederlanden gar nicht gerne gesehen, und man sollte sie besser nicht auf der Straße parken, um später mit Antenne und ohne Kratzer heim zu kommen.

Parken und Aussteigen ließ sich aber kaum vermeiden; ansonsten hätte man ja auch gleich zuhause bleiben können. Die Niederländer nahmen die Moffen stillschweigend bis dezent freundlich in Kauf, denn sie lebten entlang der Grenze überwiegend von deutscher Kundschaft, die sich in Heerlen, Vaals, Kerkrade, Roermond oder Venlo mit Butter und Kaffee eindeckte. Meine Tante Elisabeth außerdem mit Erdnussbutter, Schokostreusel, Keksen sowie Orientcigaretten. Also Grundnahrungsmittel, die es damals in Deutschland gar nicht oder teuer oder nur selten gab.

Exotische Getränke wie Coca Cola und Seven Up

Ich freute mich auf diese Einkaufsfahrten, denn gegen Mittag führte die Tante uns, meine Mutter und mich, stets in das auf der obersten Etage eines Kaufhauses gelegene Restaurant, in dem ich mir vorkam, als sei ich in Amerika. Zumindest stellte ich mir amerikanische Kaufhausrestaurants so vor. Die Tische waren mit buntem Resopalplatten dekoriert, an den Wänden hingen Blechschilder, auf denen exotische Getränke wie Coca Cola und Seven Up angepriesen wurden, und die weiblichen Angestellten hinter der Theke trugen weiße Häubchen und Schürzchen, wie ich sie aus Lassie- und Fury-Folgen im Fernsehen kannte.

Hier einzukehren war für mich wie eine Reise über den großen Teich, und da die liebe Tante das wusste, war der Besuch des Restaurants obligatorisch. Entlang der großen Fenster, durch die man von oben auf Heerlen schauen konnte (aber nicht musste), hatte der Innenarchitekt breite Behälter platziert, in denen konfettifarbene Kieselsteinchen eine Art psychedelischen Grund und Boden simulierten, aus dem kleine Kakteen in allen Größen wuchsen. Ich denke, es ist heute verjährt: einmal rupfte ich einen der kleineren Stachelmänner aus und steckte ihn in die Tasche. Er hatte nämlich eine wunderschöne, lila farbene Blüte am Kopfende, und diesen Kaktus wollte ich unbedingt besitzen, und erst zu Hause fiel mir auf, dass die Blüte aus Papier gefertigt und einfach reingesteckt und keineswegs ein Wunder der Natur war.

Waren 0,2 l Cola oder ein Fläschlein Seven Up schon echte Highlights der Heerlenbesuche, so doch nicht die  Höhepunkte. An das Essen erinnere ich mich gar nicht mehr, ich vermute, es war etwas Gesundes, schließlich wurde die mütterliche Fürsorge bereits durch die von ihrer Schwester gespendeten Prickelgetränke auf eine harte Probe gestellt. Manchmal ließ sich meine Mutter zu meiner Flasche noch ein extra Glas bringen, dann bekam ich höchstens die Hälfte des dekadenten Drinks. Das war so gemein, ließ sich aber doch irgendwie verschmerzen. Denn während die Damen noch ein Kopje Koffie zu sich nahmen – die Tante dazu gerne noch einen Advocaat – eilte ich mit einer Hand voller winziger 10 Cent Münzen (damals natürlich Guldencent), spendiert von der Tante, zu einer musikboxartigen Kiste, die nahe dem Eingang des Restaurants stand.

Affen, wie mexikanische Musiker gekleidet

Der obere Teil der Box bestand aus einem, entfernt an ein Terrarium erinnerndes, Glasgehäuse, das seitlich und im Hintergrund mit kleinen Palmen und ähnlichen Gebüschen bewachsen war. Davor, und das war das Sensationelle, saß in zwei oder drei Reihen hintereinander gestaffelt ein gutes halbes bis ganzes Dutzend Affen, die wie mexikanische Musiker gekleidet waren. Diese Kleidung kam nicht von ungefähr: Jeder der Affen war nämlich mit einem mexikanischen Instrument ausgestattet, meist irgendwas zum Draufschlagen oder zum Rasseln, doch es gab auch einen Gitarrenvirtuosen sowie einige Blechbläser.

Warf man nun ein Dubbeltje in den Münzschlitz des Kastens, setzte Sekunden später eine Musik von südamerikanischem Klangbild ein, und im selben Moment begann die ganze Affenbande, sich körperlich zu verausgaben. Da wurde gebongot, getrötet und gerasselt, dass es eine Freude war, und das mit vollem Körpereinsatz. Der Posaunist machte andere Bewegungen als der Trompeter, der Schlagzeuger andere als der Gitarrist, und der Rumba-Rassler rackerte im gläsernen Refugium seiner Kapelle rast- und ruhelos, jedenfalls so lange, wie die 10 Cent für ein ordentliches Remmidemmi à la Tijuanaband reichte. Das war nicht lange, also zündete ich monetär noch ein, zwei Mal nach und erfreute mich an den fleißigen Vettern, die ohne Frage die coolsten Affen im ganzen Urwald waren. Und der Kasten trug stolz auf der Front den coolsten Namen überhaupt: Bimbo-Box.

Man mag sich gar nicht ausdenken, wen alles heutzutage eine Bimbo-Box (auf niederländisch übrigens „Aapjeskast“) in einem gastronomischen Betrieb auf den Plan rufen würde. Die Sprachpolizei und Peta vorneweg. Sofern eventuell anwesende Kinder das zuließen.

Ich besaß später auch einen solchen Affen, er war nicht so üppig gekleidet wie die Jungs aus der Bimbo-Box; man zog ihn mit einem Schlüssel im Rücken auf, und seine Fähigkeiten als Entertainer beschränkten sich darauf, zwei kleine Becken aneinander zu schlagen und gleichzeitig zu hüpfen. Dabei fiel er, vor allem, wenn er gerade frisch aufgezogen und noch voller Energie war, nicht selten um, was ihn aber nicht davon abhielt, weiter mit den Becken zu lärmen. Ich gebe zu, das war auf Dauer nicht wirklich unterhaltsam, und so weiß ich auch nicht, was aus ihm geworden ist. Vermutlich ging er den Weg fast aller meiner Spielzeuge mit mechanischem Federaufzug.

In einer Bimbo-Box wäre es ihm vielleicht besser ergangen, aber es sollte wohl nicht sein. Eventuell reichten seine musikalischen Fähigkeiten dazu einfach nicht aus, oder er vertrug die geregelte Arbeit nicht.

Links 

Bimbo Boxen bei Youtube:

https://youtu.be/SOZ6SckD3cs

https://youtu.be/WBS2f-a0u70

https://youtu.be/z13skvgqlXU

Bimbos spielen Tijuana Taxi

Plagiat von Tijuana Taxi durch einen gewissen Herb Alpert 

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Leserpost

netiquette:

Rüdiger Hoffmann / 25.03.2018

und von Stund an bin ich ein begeisterter Fan der Bimbo- Box

Ulla Smielowski / 25.03.2018

Herrlich wenn man solche Spielzeuge hatte..  Andere mussten mit Holzspielzeug spielen und mit Schildkröt Puppen,,,

Bernd Ackermann / 25.03.2018

Was aus Ihrem mechanischen Affen geworden ist? Er wurde CDU-Mitglied und feiert auch noch heute auf den Parteitagen der Union die Parteivorsitzende mit rhythmischen Zusammenschlagen der vorderen Extremitäten (die Becken hat man entfernt). Klatsch, klatsch, klatsch. Gelernt ist gelernt. Und solange man ihn immer wieder aufzieht wird er das auch weiterhin tun, keine Frage.

Hjalmar Kreutzer / 25.03.2018

Vielen lieben Dank! Ich habe mich gefreut, wie ein Kind! Traurig, wenn man an heute denkt. „Bimbo-Box“ ist bestimmt noch schlimmer, als „Negerkönig“ und im ach so offenen und toleranten Holland laufen Gutmenschen herum, die die Swarten Pieten als „rassistisch“ brandmarken. Trauriger Höhepunkt war vor Jahren für mich eine „antirassistische Frauendemo“ gegen die Lesung eines Buches von Axel Hacke, Titel: „Der weiße Neger Wumbaba“.

Max Aapjeskast / 25.03.2018

Tolle Geschichte und äusserst witzig geschrieben. Vielen Dank für diese Beschreibung des holländischen Bimbo. Das war mir eine Spende wert. Das waren noch Zeiten, als im Fernsehen nicht politische Propaganda, sondern Lassie und Fury Filme gezeigt wurden.

Elmar Schürscheid / 25.03.2018

Was für ein cooles Gerät, ich bin leider etwas jünger als Sie Herr Bechlenberg und habe diese Geräte nicht gesehen. Doch habe ich auch ganz viele Ausflüge nach Heerlen, Maastricht, usw. erlebt,da ich auch im Rheinland aufgewachsen bin. Herrlich, wer hätte gedacht dass die Niederländer solche bösen Rassisten waren. Alles Gute für Sie, Sie haben den Zeitgeist verstanden.

Lutz Muelbredt / 25.03.2018

Wenn Affen als mexikanische Musiker gekleidet wurden, dann war schon damals eine geistige Mauer zu diesem Kulturkreis hergestellt. Trump dürfte noch ein Sunnyboy gewesen sein und eine Mauer zu Mexiko politisch undenkbar. Doch mit den Jahren verließen die mexikanischen Affen die gläserne Jukebox und trommelten nach unseren Noten ihre Lieder, welche von Glück und geregelter Arbeit handelten. Doch was wurde aus dem Glück und der geregelten Arbeit? Nüchterne Erkenntnis oder Aufbruch?

Stefan Lanz / 25.03.2018

Oh Gott, habe ich das jetzt wirklich gelesen, diese Wörter? Habe ich mich durch schon strafbar gemacht, schlimmer noch, werde ich deswegen sozial geächtet? Gelächelt habe ich auch noch, dies dürfte sich auf jeden Fall strafverschärfend auswirken… Ich muss gleich mal im Garten und vor der Haustüre nachsehen, ob ich schon beobachtet werde! Falls ich nicht zurückkomme: Es war schön mit der Achse, ich habe es schon immer gewusst, dass mir eines Tages politisch Unkorrektes zum Verhängnis wird!    

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