Archi W. Bechlenberg / 13.01.2019 / 06:03 / Foto: Pixabay / 40 / Seite ausdrucken

Das Antidepressivum: Die Twittervogelkunde

Beharrlich sträube ich mich dagegen, zu twittern. Twitter ist ein Medium für Verlierer. Das Icon für Twitter ist bekanntlich ein Vogel. Der hat aber nichts mit „zwitschern“ zu tun, sondern mit „verlieren“. Man könnte auch „kacken“ sagen, denn twittern ist nichts anderes, als kleine Häuflein fallen zu lassen. Setzen Sie sich in einen Park und warten ein wenig, bis Amsel, Fink oder Star Ihnen einen Gruß von oben schickt. Dann haben Sie einen Tweet in seiner Urform.

Ich will nicht abstreiten, dass Tweets oft etwas sehr Unterhaltsames besitzen. Da besonders gelungene Tweets gerne auch anderswo geteilt werden (so, als würde jemand unter einem von Vögeln frequentierten Baum den Boden aufkehren und das dann an anderer Stelle verteilen), bekommt man solche Nachrichten auch mit, wenn man selber nicht bei Twitter aktiv ist.

Ich würde zum Beispiel die eifrig bemühte Frau Sawsan Chebli, immerhin Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und "Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales" gar nicht kennen, würde sie nicht ausgesprochen eigenwillige Tweets ablassen, die dann anderswo die Runde machen. Dank Twitter wissen wir, wie es bei ihr sowohl im Kopf, als auch zu Hause zugeht, und das hat unbestritten Unterhaltungscharakter. „Als Frau, als Sozialdemokratin, als Angehörige einer Minderheit, hat sie seit 2015 meinen tiefsten Respekt“ twittert Chebli. Wen meint sie wohl mit „sie“ – lobt Chebli da etwa sich selber? Oder eine Parteifreundin mit Minderheitshintergrund? Nein, sie meint die Kanzlerin. Aber welcher Minderheit gehört die denn an? Den Sozialdemokraten? Nein? Doch! Ohhh!

Chebli macht sich um nahezu alles äh... Gedanken und Sorgen: „Özils Abgang (aus der Nationalelf) hat immense Folgen. Im Sport. Überall.“ Überall? Achse-Kollege Alexander Wendt präzisiert das, was Frau Chebli mit überall meint: „Immer mehr türkische Jungs werden aus verletztem Stolz fortan keine Nobelpreise mehr anstreben.“

Cem-Trail in den Anden

Eine weitere Sache liegt Chebli auf dem Herzen :„Wäre sehr enttäuscht, wenn da stünde: Auf Twitter wirkt sie (sie meint sich) nett, aber wenn man sie in echt trifft, dann will man gleich weiter ziehen.“ Nett! „Nett ist die kleine Schwester von doof“ sagt der Volksmund, und wer würde so etwas von Sawsan Chebli jemals denken? Das wäre wirklich nicht nett.

Goldig auch ihre Homestories: „Unterhalte mich mit meiner Mutter über das Jahr 2018. Sie, die sie nie zur Schule gegangen ist, 11 Kinder im Lager zur Welt gebracht hat, sagt so viele kluge Dinge. Ich, stolz: Mom, Du hast es echt drauf. Sie: Meinst Du bei Dir ist’s vom Himmel gefallen? BAM.“  No comment, Ma'm. Bitte mehr davon.

Schwer beeindruckt hat mich ein kürzlich zu Boden geklatschter Tweet von Cem Özdemir. Ich meine nicht seine „Genesungswünsche“ für den überfallenen AfD Politiker, sondern seine Grüße aus dem Urlaub. Özdemir hatte vorbildlich für den Weihnachtsurlaub das Auto stehen lassen und war stattdessen mit dem Flugzeug nach Südamerika gejettet, von wo er alle Daheimgebliebenen neidisch machte.

Das zugehörige Bild erinnerte mich spontan an die schönen Titelbilder der alten Karl May Ausgaben. Eine heroische Gestalt steht „auf 4380 Metern Höhe“ im roten Poncho vor beeindruckender Bergkulisse und weist mit einem Arm in eine gewiss grüne Zukunft. Özdemir, oder wie er sich am Rio del la Plata auch nennt, Öld Shattermir! Das hätte Potenzial für etliche Romane mit ökologischer Botschaft. „Durch Dieselmief und CO2“ könnte der erste Band heißen, gefolgt von „Windkraft in den Kordilleren“. In „Der schurkische Ölprinz“ geht er Trump an den Kragen, und „In den Schluchten des Balkan II“ erzählt von seinem Einsatz für Flüchtlinge. Die argentinische Tourismusminsterin Iguazá Buenos-Aconcagua plant bereits, den von Özdemir beschrittenen Pfad unter dem Namen Cem-Trail zu vermarkten. 

„Dieser Tweet war offenbar missverständlich“

Vom grünen Andenbezwinger abgesehen, tummeln sich bei Twitter ansonsten viele, viele Verlierer. Nicht alle Namen muss man sich merken. Wollte man jeden nennen, der sich derzeit mit dem besonders beliebten Hashtag #nazisraus profiliert, wäre man sehr lange beschäftigt. Eine Frau Diekmann trat immerhin auf diese Weise aus ihrer bis dahin wohl verdienten Anonymität heraus. Dass sie ihren Tweet ironisch gemeint hatte (Frage an Diekmann: „Wer ist denn für Sie ein Nazi?“, Antwort von Diekmann: „Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt.“) versteht sich von selbst.  

Missverständnis auch über den erstaunlichen Tweet des Nahost-Direktors des Auswärtigen Amtes Christian Buck (SPD), der ablaichte, Josef und Maria seien auf der Flucht gewesen, als sie bei Ochs und Esel unterkamen. Selbst ich als – Gott sei Dank! – eingefleischter Atheist weiß das besser. Und hätte Herr Buck vor dem Twittern Ochs und Esel gefragt, wäre ihm sein Lapsus, den er nach reichlich Watschen mit „Dieser Tweet war offenbar missverständlich.“ aus der Welt schaffen wollte, auch nicht passiert.

Sozialdemokraten, das wusste bereits Alfred Tetzlaff, sind nicht wirklich dumm, sie haben nur viel Pech beim Denken. Wie ließe sich auch anders der Tweet von Bucks Parteifreund Heiko Maas erklären: „Die Milliarden für die Integration wurden in diesem Land erwirtschaftet und wurden niemanden weggenommen.“ Die Tweets von Maas sind häufig derart bizarr, dass eine ebenfalls bei Twitter irrlichternde Parodie auf ihn namens Meiko Haas nicht selten für den wahren Heiko gehalten wird: „Wegen des #Schneechaos werde ich meinen Besuch in #München absagen müssen. In der Nacht gab es 30cm Neuschnee und meine Personenschützer haben Angst mich darin zu verlieren. Sicherheit geht vor.“ Original oder Fälschung? Und wer könnte sich nicht vorstellen, dass Heiko so etwas twittert: „Ich bin dafür, daß Wort ‚Schwarz‘ zu verbieten, da es sehr rassistisch ist. Nennen wir die Farbe ab heute einfach ‚Dunkelweiß‘“.

Fliegenträger Karl Lauterbach gehört bekanntlich ebenfalls der SPD an, darf also nicht hinter den Genossen her hinken, wenn er, Seebeben hin, Seebeben her, den Tsunamiopfern in Indonesien sein tiefes Mitgefühl zukommen lässt: „Wir verursachen mit anderen Industrieländern den Klimawandel und sind in besonderer Pflicht.“ Immerhin zeigen sämtliche Antworten auf diese geistige Insolvenzerklärung, dass es auch hellere Teilnehmer bei Twitter gibt: „Und ich habe gestern noch gedacht, wann wohl der erste Volltrottel einen Zusammenhang zw. einem Vulkanausbruch und dem Klimawandel herstellt.“

Vehikel für das Mediocre, Absonderliche, Unerwartete

Womit wir beim vielleicht größten Meister der ganz kleinen Form sind, Ralf Stegner, der seinen Followern immer für einen Schenkelklopfer gut ist. Der hat laut Welt bisher hat mehr als 44.000 Tweets abgelassen, nicht wenige davon gereimt, und will das trotz Datenklau auch weiter tun und seine Aktivitäten auf Twitter und Facebook nicht einschränken. Seine Follower jubeln; Stegners Ausstieg wäre ein harter Schlag und herber Verlust gewesen, immerhin hat der Mann zu wirklich jedem Thema etwas beizutragen, so zum Fußball („Löw sollte vielleicht den Kroos rausnehmen“) und sogar zur Politik („Opposition und Absage an große Koalition ohne jede Hintertür! Basta! Glaubwürdigkeit der SPD auf dem Spiel!“) Und selbst als Prophet hat Stegner seine Meriten eingefahren („Die große Koalition einfach fortzusetzen kommt nicht in Betracht“). 

Eigentlich sollte Twitter gar nicht das heutige Schwerpunktthema sein, aber wenn man einmal die Rappelkiste aufgeklappt hat, gibt es, so muss ich feststellen, kein Halten mehr. Dass Politiker auch nur Menschen wie Tünnes und Schäl sind, ist zwar keine neue Erkenntnis, manifestiert sich aber beim Lesen von Tweets auf geradezu erschreckende Weise. Und manchem Bürger (und Wähler) geht vielleicht doch ein Licht auf, wenn er dunkelweiß auf weiß lesen muss, dass ein nicht ganz unwesentlicher politischer Mitentscheider einen Tsunami für die Folge von Klimawandel hält. Und der hängt womöglich davon ab, dass Containerschiffe noch nicht mit Windkraft angetrieben werden. Wer Stuss A schreibt, schreibt auch Stuss B.

Doch – ich klappe den Deckel zu. Es wird mir zu gruselig. Dabei bin ich gar nicht mal tief in die Materie eingetaucht. Aber mir reicht es. Ich mag mir kaum vorstellen, was ein gestandener Politiker wie Horst Seehofer schon alles im Leben vor Augen gehabt hat, ist er doch nach jüngster Aussage „sehr im Internet unterwegs“ und das bereits „seit den 80er Jahren!“ 

Twitter als Vehikel für das Mediocre, Absonderliche, Unerwartete. Eigentlich schade, dass es Twitter nicht schon immer gab; wir besäßen heute viel mehr erstaunliche Einsichten in die Zeit vor uns. „Uruk Neander @chefmettmann Erdmutt sagt, wir sollen keine #Tiere mehr essen. Habe sie erschlagen“„Haremhab @victorausaegypten Komische kleine Typen mit 6 Augen und gruener Haut bauen hier seit gestern Pyramiden“. „J. K. Rist @ohdschesuss Hahn kräht schon zum zweiten Mal #Schlaflos in Jerusalem“. „Montezuma @zumamonte Haben heute weiße #Götterboten in die Stadt gebeten und bei uns einquartiert.“ „Napoléon @derkleinemitdemgrossenhut Zurück nach Paris, plane die Zeit nach #Waterloo“. „Adolf Hitler @fuehrerhitler „Ich habe zu wenig Nazis! Bin aber zuversichtlich. In 80 Jahren wird es in Deutschland anders sein!“.  „Osama Bin Laden @binladen: Mom, es klopft, ich schreibe gleich weiter“. „Charlie Brown @charlie946711 Hi Freunde, bin wieder da“. „Peppermint Patty @pattysweetkiss Du warst weg, Charlie Brown?“. „Rudolf Scharping @derscharferudy Vor dem Flugeinsatz noch schnell ein #Bad nehmen.“ 

Nachtrag, Stunden später: Liebe Leser – ich bin während des Schreibens in mich gegangen und muss alles zuvor Gesagte revidieren. Denn ich habe erkannt: Wir brauchen Twitter! Ohne Twitter wären wir ahnungslos. Hätte Michael Müller (SPD) @RegBerlin nicht getwittert  „Berlin ist eine funktionierende Stadt“ – niemand wüsste davon! 

Foto: Pixabay

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Leserpost

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beat schaller / 13.01.2019

Amüsant zu lesen Herr Belchenberg. Wenn es nur nicht ein echter deutscher Fussabdruck wäre, dann könnte der Eine oder Andere wohl herzlich lachen. Aber so stellen wir nur fest, wie ernst eigentlich die Lage wirklich ist.( oder wie Sie sagen Verkackt) Die werden dazu noch alle von Steuergeld vergoldet. b.schaller

Gabriele Kremmel / 13.01.2019

Twitter ist auch für Nichtnutzer ein Segen, es hat eine so herrlich entlarvende Komponente, weil der spontane “Dünnschiss”, den einige in ihrer Aufregung absondern so impulsiv ehrlich wie erhellend ist. Das scheint mit den Mechanismen unserer Gehirntätigkeit zu tun zu haben: Wenns schnell gehen muss, setzt das Reptilienhirn die moderneren Gehirnregionen vorübergehend außer Betrieb. Da es heute wenn man überall mitreden will, immer schnell gehen muss ... - den Rest kann man sich denken und erklärt so einiges. Das ist der Fluch der sozialen Medien und wahrscheinlich ein Grund für die vielbeklagte Verrohung des Umgangstons dort. Der kluge Mensch kann zwar seine Gehirnmechanismen nicht kontrollieren, aber er kann wissen, dass sie so funktionieren und aufhören, allzu spontan in die breite Öffentlichkeit zu zwitschern, was ihn gerade bewegt.

Ludeloff Klaus / 13.01.2019

Wie konnte sich Habeck nur dieses Mediums entsagen, mit dem Beschränktheit mit wenigen Zeichen verbreitet werden kann. Aber das Leben besteht nun mal auch aus verpassten oder aufgegebenen Chancen.

Manni Meier / 13.01.2019

Moin, moin Herr Bechlenberg, ich twitter auch nicht. Weiß auch gar nicht, ob das ohne Handy (sagt man noch Handy?) möglich wäre. Ihrem unterhaltsamen Beitrag nach, scheint es aber ganz lustig zuzugehen in dem Vogelkäfig.

Ruedi Tschudi / 13.01.2019

Seit wann ist Berlin eine funktionierende Stadt? Ich schmeiß mich weg.

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