Archi W. Bechlenberg / 05.03.2017 / 06:25 / Foto: Bundesarchiv / 0 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Zeitreise mit Treppenlift

Es ist menschlich, allzu menschlich, das Unvermeidliche zu verdrängen und auszublenden, und wir alle sind Meister in dieser Disziplin. Dennoch, man darf sich nicht ganz und gar der Illusion hingeben, es werde einen schon nicht treffen, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Andernfalls trifft es einen um so härter, wenn es plötzlich und unerwartet so weit ist. Gerade saß man noch entspannt im Hier und Jetzt vor seinem Bildschirm, und im nächsten Moment fühlt man sich, als würden einem die Kniescheiben durchlöchert. Dazu bricht kalter Schweiß aus allen Poren, die Hände beginnen zu zittern, Herz, Nieren, Leber und Milz schalten auf Notstromversorgung und vor den Augen wird alles schwarz, bis auf dieses helle Licht ganz weit in der Ferne. Ich kann Ihnen sagen, das ist nicht schön. Woher ich das weiß? Genau so erging es mir in dieser Woche. Da nämlich erschien auf meiner Facebook-Chronik Werbung für Treppenlifte.

Ich hätte wissen müssen, dass es eines nahen Tages so weit sein würde. Erste Anzeichen, seismischem Grummeln gleich, gab es bereits seit Wochen in Form einer immer wieder auftauchenden Werbung für ein Wundermittel gegen Prostatavergrößerung. Ich nahm das, amüsiert von der Wirrsinnigkeit dieser Anzeige für ein Geheimpräparat, das eine Prostata selbst dann wieder in ihre Schranken weisen könne, wenn sie bereits die Größe eines Baguettebrötchens erreicht hat, nicht ernst und lachte herzhaft darüber. Damit konnte ich höchstens meinen Urologen erheitern, zu dem ich alle drei Monate schnüre, um ihn mit mir das machen zu lassen, was er in typischem Medizinerhumor „die große Hafenrundfahrt“ nennt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Da saß ich also und blickte fassungslos auf das Bildchen einer in sich ruhenden Seniorin, die samt Treppenlift gemächlich über eine schneeweiße Stiege den oberen Gemächern entgegen schwebt. An der Wand ihr gegenüber erkennt man etliche kleine, gerahmte Bilder, auf denen die betagte Dame ihre Lieben in aller Ruhe betrachten und sich dabei an die Zeiten erinnern kann, als sie behände jedes Treppengeländer auf dem jetzt weich gepolsterten Gesäß herunter rutschen konnte. Da bekommt der Begriff „Zeitreise“ eine ganz eigene Bedeutung.

„Du hast Dich wahrscheinlich über Harley-Motorräder informiert“

Nachdem ich mich von Schock und Starre soweit erholt hatte, dass ich wieder die Kontrolle über meine Finger übernehmen konnte, postete ich das Erlebnis bei Facebook; so was muss man ja schließlich los werden. Mit aufmunternden, Mut machenden Kommentaren war bei der Mischpoke, die sich meine Freunde nennt, natürlich nicht zu rechnen; statt dessen bereitete es einigen dieser Leute Spaß, noch tiefer in meiner wunden Seele zu bohren. „Jetzt kommt bald Werbung für Bettpfannen und Seniorbook“ ließ man mich wissen, und statt seidener Bettwäsche für erotisch-sinnliche Nächte werde Facebook  mir fortan Inkontinenzauflagen, Wärmedecken und Kaffeefahrten nach St. Kützelmütz andienen. Von Urnen, Särgen und letzten Ruhestätten mit unverbaubarem Alpenblick ganz zu schweigen. Danke, liebe Freunde, DANKE! Warum musste ich das auch publik machen. Immerhin, ein sinnvoller Kommentar war dann doch dabei; er bot eine mögliche Erklärung für diese Werbeschaltung: „Du hast Dich wahrscheinlich vorher über Harley-Motorräder im Internet informiert, dann kommt die Werbung automatisch, war bei mir auch so. Vorstufe zum Treppenlift.“

Sie werden verstehen, dass mich angesichts dieses persönlichen Tiefschlags andere Ereignisse der Woche so gut wie nicht tangierten. Weder Wahlversprechen von Trump noch neue Flegeleien von Schulz drangen zu mir durch, und die Närrischen Tage waren schneller vorbei, als ich „Alaaf!“ sagen konnte. Leider nur die närrischen Tage, die als Fasching und Karneval bekannt sind; längst sind in Deutschland ja jeden Tag Narren am Werk, und denen macht kein Aschermittwoch den Garaus. Das muss man gar nicht regelmäßig verfolgen, um es zu wissen. Was sollte sich daran auch geändert haben.

Ein, zwei Schlagzeilen habe ich natürlich schon mitbekommen, ich glaube, es ging dabei um Erdogan. „Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel üben Kritik“ gefiel mir gut. Was wird dereinst in den Geschichtsbüchern darüber stehen? „Sie haben durchaus geübt, mit heißem Begehrn?“ Angemessen wäre diese lobende Erwähnung in jedem Fall, Wattebällchen werfen bei Gegenwind ist bekanntlich eine schwierige Disziplin. Ob es dem Mann von WELT, der seit Anfang der Woche in einem türkischen Knast sitzt, etwas bringt? Oberstes Gebot ist schließlich „Nur kein Ärger mit Erdogan, nur kein Ärger!“ Da wird wohl selbst Martin „Chuck“ Schulz nichts ausrichten können. Aber weiß man's?

Schulz legt Erdogan eine gut verschnürte Pik 7 auf den Tisch

Man stelle sich nur einmal vor, der Martin reist heimlich zu Erdogan, quasselt ihn platt, strunzt mit seinen guten Beziehungen zur EU und kehrt nur Stunden später im Triumphzug mit Wücel heim nach Yürselen! Da sähe die Regentin aber noch mal glatt 30 Jahre älter aus als jetzt schon und müsste stante pede gehen beziehungsweise aus dem Haus getragen werden (oder gibt es im Kanzleramt einen Treppenlift?) Die Power dafür hat der rheinische Tausendsassa  allemal; es heißt, er habe Brüssel verlassen müssen, weil er im Europaparlament immer die Drehtüren zugeknallt hat. So was macht zweifellos Eindruck auf den türkischen Trümp.

Es könnte also spannend werden in den kommenden Tagen, wenn nicht Wochen. Nach Merkels schlappem Grand auf allen Vieren taucht Schulz am Bosporus auf, spielt Schieberamsch, legt Erdogan eine gut verschnürte Pik 7 auf den Tisch und bekommt dafür den neuen Herzbuben der deutschen Autocorsofahrer.  Wäre ich dieser Knilch Böhmermann, ich würde um Schulz  einen ganz großen Bogen machen, keine Einladungen von ihm oder überhaupt einem Sozen annehmen und in kein Auto steigen, an dessen Antenne ein Fuchsschwanz lüngelt. Denn auch, wenn er es nicht weiß: Für eine schulzohrige Skatrunde mit dem geisteskranken Mann am Bosporus wäre Böhmermann wertvoller als Gold.

Kommen wir zum kulturellen Teil des heutigen Tages. Es gab, die Treppenliftfahrer unter Ihnen werden sich vielleicht erinnern, ganz, ganz früher selbst im Deutschen Fernsehen manches sehenswerte. Natürlich nicht aus eigener Produktion, sondern importiert. Nur allzu lebhaft erinnere ich mich an eine skurrile Serie, in der sich alles um einen Reporter dreht, der in der Welt unterwegs ist und dabei viele bunte (im übertragenen Sinne, die Filme waren schwarzweiß) Abenteuer erlebt. Dank raffinierter Bewaffnung – der Mann konnte souverän mit seinem Stockschirm fighten -  fanden seine Erlebnisse stets ein gutes Ende. Jedenfalls für ihn und seinen Freund und Sidekick Joel. Hiram Holliday, so hieß unser Held, war dabei alles andere als eine imposante Erscheinung; ganz im Gegenteil, mit seinem leptosomen Figürchen und dem dusselig dreinblickenden Babygesicht hatte er so gar nichts Heldenhaftes an Äußerem zu bieten. 

„Und jetzt der Internationale Dämmerschoppen“

Verkörpert wurde Hiram Holliday durch den amerikanischen Schauspieler Wally Cox (1924 – 1973), der auch im realen Leben nicht viel viriler aussah. Ausgerechnet  Marlon „Kowalski“ Brando war mit Wally Cox ein Leben lang eng befreundet, die Beiden kannten sich seit der Schule, nahmen später in New York gemeinsam Schauspielunterricht und hingen auch sonst viel zusammen herum. Nach Wallys Tod bewahrte Marlon Brando dessen sterbliche Überreste 30 Jahre lang auf, und nach Brandos Tod wurden beider Asche gemeinsam verstreut. Das nenne ich doch mal eine echte Verbundenheit.

Elf der seinerzeit im deutschen Fernsehen gezeigten, synchronisierten Folgen von Die seltsamen Abenteuer des Hiram Holliday (1956–1957) sind auf 2 DVDs erhältlich. Wer noch aus der guten alten Zeit die Serie kennt, kann sich dank dieser preiswerten Box von den rührend naiven Geschichten um den Ritter mit dem Regenschirm erneut erheitern lassen. Wer noch nie etwas von Hiram Holliday gehört und gesehen hat, findet eine handvoll Folgen auf Youtube im Original mit drolligen Werbeunterbrechungen.

So viel für heute, liebe Leser. Vergessen Sie nicht, nachher das Erste einzuschalten, wenn es heißt: „Der Internationale Dämmerschoppen – fünf Journalisten aus siebzehn Ländern diskutieren über das Thema „Wie viele mehrfache Staatsbürgerschaften sollte man haben?““

Eine Fahrt mit dem Treppenlift.

Zwei Folgen von Hiram Hollidays seltsamen Abenteuern hier und hier.

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