Archi W. Bechlenberg / 26.03.2017 / 06:15 / 2 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag: What’s New Pussycat?

Grundgütiger, was habe ich angerichtet! Sie erinnern sich, vor einer Woche beklagte ich hier an dieser Stelle, dass man, Erdogan geschuldet, so gar nichts mehr vom hiesigen Kandidaten des kleinen Mannes auf der Straße hören würde. Das hat die SPD natürlich gelesen und sich gesagt: „Denen zeigen wir es!“ (also mir und dem Kandidaten). Was folgte, wissen Sie. Mit einer Mehrheit, für die Kim Jong-un freiwillig abspecken würde, wurde Martin Schulz zurück in die Schlagzeilen gehoben, Erdogan hingegen hält sich seitdem mit kreativen Drohungen zwar noch über Wasser, aber nur eben so. Weitere Verlierer sind die anderen Weltschurken, oder haben Sie diese Woche etwas über Putin gehört? Über Trump? Den Papst? Netanjahu? Den Batchelor? Den Kaiser? Und was macht eigentlich dieser frühere Fifa Funktionär, dessen Name mir schon nicht mehr geläufig ist, es war etwas wie Masern oder Pocken...

Spaß beiseite, wer in den Zeitungen bis auf Seite 8 blätterte oder Nachrichtensendungen bis knapp vor dem Wetter durchhielt, erfuhr auch, was Andere so treiben; man lässt sie nachrichtendienstlich vorsorglich auf kleiner Flamme simmern, damit man sie bei Bedarf rasch wieder aufwärmen kann und die Leute dann noch wissen, um wen es überhaupt geht. Man stelle sich nur vor, Putin kommt bei Irgendetwas mit 100 Prozent Zustimmung durch! Das würde alles Andere auf die Plätze verweisen. Man sieht die Schlagzeilen und -wörter gleich plastisch vor sich, ich erspare sie uns an dieser Stelle.

Es ist in dieser Woche eine besonders schwere Aufgabe, die Schachtel mit den entspannten Themen zu öffnen und aus dieser ein angenehm mundendes Antidepressivum zu verabreichen. Noch während ich den würdevollen Gedenkfeiern in Brüssel folge, kommt die Meldung vom Terroranschlag in London herein, wenig später aus Antwerpen. Jedes Opfer ein weiteres Schicksal, das ohne den naiv gepflegten Kuschelkurs der meisten westlichen Regierungen gegenüber dem islamischen Krieg vermeidbar gewesen wäre.

Mich persönlich besonders erschüttert hat die Geschichte des amerikanischen Ehepaars, das zur Feier seiner Silberhochzeit nach London gereist war; der Mann ist an diesem 22. März auf der Brücke vor dem Parlamentsgebäude ermordet worden. Erst vor ein paar Wochen waren meine Frau und ich in Paris, wo wir ebenfalls unseren Hochzeitstag hoch leben ließen.

Mein Eskapismus führte mich ab Wochenmitte in meine Filmsammlung

Zum Glück gibt es auf Achgut (und anderen Onlinemedien) Autoren, die sich solcher Themen annehmen, so dass ich versuchen kann, auch in dieser heutigen Sonntagskolumne eher heitere Töne anklingen zu lassen. Mein persönlicher Eskapismus bestand ab Wochenmitte darin, die Filmsammlung durchzustöbern, um dort ein paar Abstandhalter zur Draußenwelt zu finden. Mit Erfolg. Schon lange habe ich nicht mehr den im Paris der 1960er Jahre spielenden, vor schrägen Ideen und bizarren Situationen nur so berstenden Erstling Woody Allens – er schrieb das Drehbuch und stand erstmals vor der Kamera – mit dem Titel „What's New, Pussycat?“ gesehen. Der 1965 erschienene Film erzählt die tragische Geschichte des Modejournalisten Michael James (gespielt vom überirdisch schönen Peter O'Toole), der tagtäglich von überirdisch schönen Frauen umgeben ist, denen er einfach nicht widerstehen kann. Er nennt sie alle „Pussycat“ und sie mögen das auch noch! Man stelle sich den daraus resultierenden, weltumspannenden Shitstorm heutzutage vor! Sogar die Femen würden sich wieder entblößen.

Michaels Problem ist, dass er mit der überirdisch schönen Romy Schneider verlobt ist, die gerne seine einzige Pussycat wäre und entsprechend auf eine Hochzeit drängt. Der arme Mann will unbedingt seinen Drang zum anderen Geschlecht bezwingen und sucht daher den weltweit renommierten Psychiater Dr. Nikita Popowitsch auf, der nicht nur eine mehr als seltsame Frisur trägt, sondern auch einen ganz Gewaltigen an der Waffel hat und aus diesem guten Grund von Peter Sellers gespielt wird. Woody Allen mimt einen gewissen Victor Shakapopolis, einen mickrigen Nerd, der vergeblich alles versucht, auch mal bei einer Frau zu landen. Ist der Film ohnehin von der ersten Minute an vergleichbar mit einem Hof voller aufgescheuchter Hühner und Hähne, gerät er zum Ende hin vollends aus der Kurve und wird zu einer urkomischen Parodie auf Slapstick- und Verwechslungskomödien, in denen … aber ich will nicht alles verraten. Zu meinen Lieblingsmomenten im Film gehört eine ganz und gar unspektakuläre, vor dem berühmten Pariser Café Closerie de Lilas spielende Szene, in der man an einem der Tische seltsam bekannt vorkommende Gestalten sitzen sieht; eine von ihnen ist selbst mit Zylinder kaum einen Meter groß, und ein anderer hat offenbar ein gesundheitliches Problem mit seinem linken Ohr, es ist nämlich kompakt mit einem Verband umwickelt...

Victor: „Ich habe jetzt einen Job. Ich helfe den Mädchen im Crazy Horse beim An- und Ausziehen. 20 Francs die Woche.“

Peter: „Nicht gerade viel.“

Victor: „Mehr kann ich mir nicht leisten.“

"The Odd Couple" ist das, was man ein "Buddymovie" nennt

Der andere Film heißt The Odd Couple und ist das, was man ein Buddymovie nennt, allerdings läuft das Verhältnis hier genau anders herum als in den meisten Klassikern dieses Genres. Während sich sonst stets zwei gegensätzliche Typen im Laufe der Geschichte zusammenraufen, ist es hier umgekehrt. Aus zwei Freunden werden zwei, die sich von Herzen hassen. Der Grund: Sie sind zusammengezogen. Also eine Entwicklung, ganz wie im richtigen Leben.

Felix Ungar, der eine, wurde von seiner Frau aus der Wohnung geworfen (man ahnt bald, warum); er versucht sich daraufhin das Leben zu nehmen, was an diversen Widrigkeiten wie verklemmten Fenstern, ausgerenktem Halswirbel und Hexenschuss scheitert. Auch ein Besuch im Striplokal kann ihn nicht recht aufmuntern. So geht der Unglückliche, auf der Suche nach einem Platz für die Nacht, zu seinem in Scheidung lebenden (man ahnt bald, warum) Freund Oscar Madison, bei dem gerade eine muntere Pokerrunde läuft. Die Freunde merken Felix an, dass er Kummer hat, und als er sich wieder davon schleichen will, halten sie ihn auf. Oscar bietet ihm an, fürs Erste bei ihm unterzukommen. Was Felix annimmt. Zu aller Unglück. Oscar Madison ist das genaue Gegenteil des Pedanten und Putzteufels Felix Ungar. Das war so lange kein Problem, wie man sich nur ab und zu als Kumpel auf einen Drink und ein Spielchen traf, doch nun bewohnen die Zwei eine gemeinsame Wohnung, und man kann sich ausmalen, was sich daraus innerhalb kürzester Zeit entwickelt.

Der nach einem Theaterstück von Neil Simon gedrehte Kinofilm aus dem Jahr 1968 mit Jack Lemmon und Walter Matthau ist seit nun beinahe 50 Jahren immer noch eine großartig funktionierende Komödie, die für jede Menge Lacher gut ist. Kein Wunder, das zwei Jahre nach dem Kinostart eine TV Serie begann, die es auf 114 Episoden brachte und unter dem Titel „Männerwirtschaft“ auch im deutschen Fernsehen gezeigt wurde. Im Fersehen spielten Tony Randall (Felix) und Jack Klugman (Oscar) die Hauptrollen und standen dabei in nichts den Stars des Films nach. Man übernahm für die Serie den wunderbaren Titelsong von Neil Hefti, und in der deutschen Fassung spricht der große Arnold Marquis den Oscar. Und damit nicht genug, über die folgenden Jahrzehnte hinweg entstanden weitere Adaptionen des Stoffes sowie 1998 eine Kinofortsetzung mit dem Titel „Immer noch ein seltsames Paar“, der letzte gemeinsame Film von Matthau und Lemmon.

Sollte Ihnen also in der täglich weiter aus den Fugen geratenden Welt da draußen nach Atempausen sein – schauen Sie Filme, lesen Sie Bücher, hören Sie Musik. Aber bloß keinen „Rechtsrock“. Sonst haben Sie die sta.si, pardon, ver.di am Hals. Aber das ist eine andere Geschichte.

P.S. Wie ich soeben erfahren habe, ist der alte Guiseppe gestern aus seiner Gruft auferstanden, um eine Oper mit dem Titel "Stron.zi e Rompibal.li" zu schreiben.

Links:

Titelthema The Odd Couple (Männerwirtschaft)

Trailer What's New Pussycat?

Titelsong aus What's New Pussycat, gesungen von Tom Tiger Jones

Und weil es so schön ist. Noch ein Klassiker vom Tiger, gesungen von einer Ente.

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Leserpost

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Uwe Peters / 26.03.2017

Vielen Dank, sie haben einen Suizid verhindert.

Hubert Bauer / 26.03.2017

Ich kenne diese Seite noch nicht all zu lange, aber scheinbar gibt es eine kleine Tradition, dass am Sonntag immer alte Filme besprochen werden und dazu ein Zusammenhang mit der Gegenwart hergestellt wird. Ich hätte dazu einen Vorschlag: Die Lümmelfilme. Nein, damit meine ich nicht die Lederhosenfilme usw., sondern das altehrwürdige Mommsen-Gymnasium von Oberstudiendirektor Taft, den Lehrern Knörz und Pollhagen und den Schülern um Pepe Nietnagel. Wenn man sich heute (!) diese Filme aus den 1960er-Jahren ansieht, wäre man froh, wenn die heutigen Schüler so wären wie der “Paukerschreck” Pepe Nietnagel. Was auch auffällt, die Schülerinnen von damals (u. a. Uschi Glas, Gila von Weitershausen und Hannelore Elsner - alle um die 20). haben konsequent Miniröcke bzw. kurze Kleider getragen. Außerdem war in den - prüden - 1960er-Jahren ein gemeinsames Schwimmen von pubertierenden Jungs und Mädchen wohl gar kein Diskussionsthema. Wie sich doch die Zeiten ändern. Heute fühlt sich ein Teil “unserer” Schülerinnen schon unwohl, wenn sie - neben dem übrigen Körper - ihr Gesicht bzw. ihr Haar nicht verhüllen dürfen. Und schon für Mädchen vor der Pubertät ist es ein Problem, wenn sie in einem Alles bedeckenden Burkini mit Jungs vor der Pubertät schwimmen müssen. Sind wir wirklich 50 Jahre zurückgefallen?

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