Keine bübische Buchbesprechung, keine muntermachende Musik, kein innovativer Instrumentalist – das heutige Antidepressivum, liebe Leser, ist ein bemitleidenswertes Beispiel für in summa insuffiziente Integration hier bei der Achse. Schuld daran, das muss ganz klar gesagt werden, ist nur der Kollege Maxeiner. Seitdem der seine Kolumne „Der Sonntagsfahrer“ begonnen hatte, wuchs in mir stetig und unaufhaltsam der Gedanke, mich wieder einmal in meine Garage zu begeben, um dort …
Aber von Anfang an. Seit mehr als 28 Jahren hasse ich englische Autos. Damals kaufte ich meinen ersten MINI. Nein, nicht dieses von BMW gebaute Plastikgefährt, das mit einem einst ehrenwerten Namen seine miesen Geschäfte auf den Straßen dieser Welt betreibt, sondern einen echten Mini, ab 1959 hergestellt vom Inselkonzern British Elend. Doch nachdem der perfide Albion für eine Tasse Beuteltee die Marke Mini zum Ende des 20. Jahrhunderts an die Bayern verscherbelt hatte, war es vorbei mit der vom Ingenieur Alec Issigonis entwickelten Konstruktion. Die war gerade mal drei Meter lang, kam mit damals sagenhaften sieben Litern Treibstoff aus und war eine Antwort auf die Energie- und Suezkrise um 1956. Genau 5.387.862 echte Minis wurden bis zum 4. Oktober 2000 gebaut, was nicht schlecht ist für ein Auto, das so ziemlich jeden technischen Fehler enthielt, der denkbar ist.
Im Laufe der Zeit gab es sogar funktionierende Bremsen
Baulich verändert wurde der Mini seit seinem Erscheinen über die mehr als 40 Jahre seiner Herstellung nur in Details. Relativ früh schon bekam er eine Heizung verpasst, dann auch funktionierende Bremsen, eine Art Federung und kurbelbare Fenster. Dass man ihm in späteren Jahren solche Gimmicks wie Scheibenbremsen vorne, eine Bremskraftverstärkung und sogar eine elektronische Zündung spendierte, erscheint aus heutiger Sicht als Schritt in die falsche Richtung und Anfang vom Ende. Das musste ja auf einen Mini-BMW hinauslaufen!
Wesentliche Faktoren seiner Fahruntauglichkeit hingegen wurden so sorgfältig bis zum Schluss gepflegt, wie es einem echten Vorzeigeprodukt der britischen Autoindustrie zustand. Welcher Ingenieur weltweit würde den Zündverteiler direkt beim Frontgrill positionieren, wo er gänzlich ungehindert dem oft und gerne vor allem in England gespendeten Regen und Nebel ausgeliefert war? Wo in der Welt wäre es sonst noch möglich gewesen, einen Motorblock zu bauen, unter dem sich selbst dann noch eine Öllache bilden konnte, wenn er komplett in Plexiglas eingeschmolzen war? Und wer hätte jahrzehntelang die Fahrzeugelektrik einer Firma anvertraut, die als die Erfinder der Dunkelheit gilt? Lucas, The Lord Of Darkness.
Ob es bei British Elend eine von Sparsamkeit diktierte Maßnahme war, ausgerechnet Lucas für Licht und Sicht an Bord zu holen? Gut möglich; immerhin brauchte ein von Lucas ausgerüstetes Fahrzeug nur einen einzigen Lichtschalter, der für die drei Möglichkeiten DIM, FLICKER und OFF zuständig war. Auch war es nie ein Thema, dem Wagen, selbst in luxuriösen Spezialanfertigungen, eine Diebstahlsicherung zu verpassen; die Lucas Elektrik (zu der ja auch der bereits erwähnte Zündverteiler gehört) sorgte zuverlässig dafür, dass an ein spontanes Wegfahren nicht zu denken war. Dass man in England warmes Bier trinkt, ist ebenfalls Lucas zu verdanken, sie bauten nämlich auch Kühlschränke. (Kleine Arabeske am Rande: in den 1990er Jahren bekam der Mini bei einigen Modellen eine Wegfahrsperre verpasst. Wenig später bereits konnte man im Zubehörhandel einen Entaktivierer für dieses Bauteil erwerben; zu viele Minibesitzer konnten ihr Auto nämlich deswegen gar nicht mehr starten.)
Kleines Auto mit großem Erfolg
Trotz aller Widrigkeiten wurde das kleine Auto ein sensationeller Erfolg. Witwen britischer Kolonialoffiziere fuhren damit ebenso souverän zum Dauerwellenlegenlassen wie Rock- und Popstars zum Aufnahmestudio. Nicht vergessen werden dürfen auch die sensationellen sportlichen Erfolge. Der Mini gewann viermal in Folge die Rallye Monte Carlo, und war zuletzt so unbesiegbar, dass man ihn nur noch mit unfairen Mitteln ausbremsen konnte: er habe 1966 am Rennen mit dem falschen Licht teilgenommen und wurde daraufhin disqualifiziert... Falsches Licht! „That's a good one, Sir!“ Gab es denn jemals richtiges? Lucas blieb trotzdem weiterhin elektrischer Ausstatter, und sei es nur aus Trotz gegenüber dieser skandalösen Aberkennung des Sieges.
Um nicht allzu sehr abzuschweifen: Seit 1988 besaß ich mehrere Minis und einmal zwischendurch einen Rover, aber wenn ich von dem anfinge zu erzählen … nein, man sollte nicht in alten Öllachen suhlen. Über die Jahre fuhren meine Frau und ich mit den kleinen Pausbäckchen durch ganz Frankreich und etwas Europa, wir erklommen kochenden Kühlers Alpen- und Pyrenäenpässe und brachten bei den Abfahrten die süßen kleinen Bremslein ins Glühen. Wichtigstes Ersatzteil bei diesen Touren war stets ein 50 Liter Kanister voller Wasser, mit dem man den Kühler nachfühlen konnte bzw. die Bremstrommeln beruhigen. Das ist Fahren in seiner ursprünglichen, natürlichen Form. Knapp über dem Boden schraddelnd wird man derart durchgeschüttelt, wie es in keiner Thai-Massage möglich wäre. Kurven werden nicht im Schleichgang, sondern unter tüchtig Gas genommen, und steigt man nach einer solchen Fahrt aus, weiß man, wie sich Lindbergh nach der Landung in Paris gefühlt hat; nur fehlen die schmerzstillenden Endorphine, die den Amerikaner dank der applaudierenden Massen in Paris durchströmten. Als Minifahrer bekommt man selten Applaus und ist einfach nur dankbar, dass man es überstanden hat und das Aussteigen ohne fremde Hilfe klappt.
Als habe BMW den Namen bei Konsul Weyer gekauft
Als die böse Zeit nach dem Produktionsende 2000 kam und BMW seinen M*** auf den Markt brachte, fuhr ich natürlich mal ein Wochenende mit so etwas. Er war flott, lässig und komfortabel und hatte ein wie eine Getränkedose geformtes Auspuffende sowie einen wie nachträglich auf den Tacho drauf gepappten Drehzahlmesser. Ein fieses Auto, das den Namen MINI trug, als habe er ihn bei Konsul Weyer gekauft. Nein danke. Ich fuhr stattdessen einen echten, 1995 gebauten Cooper, der schneller rostete, als man Rostumwandler drauf schmieren konnte. In ihm hatte ich meinen einzigen wirklichen Unfall, da nahm jemand den Kleinen volley von der Seite und bewies mir, dass man auch in einem auf 1/3 der normalen Breite zusammengestauchten Mini überleben kann.
Den vorerst letzten echten Mini erstand ich 2010, ein Modell aus den frühen 1990ern, er fiel bereits während der 100 km Überführung weitgehend auseinander. Ich erinnere mich genau, wie das losging: mit einem lauten „Klickeradomms!“ verschwanden die beiden Seitenscheiben nach unten in die Türe, doch zum Glück war es ein wärmerer Wintertag. Immerhin, ich kam an. Irgendwie. Zwei Lebensjahre und finanziell um ein kleines Landgut im Pommer'schen ärmer war ich dann aber Besitzer eines Autos, das schöner war als beim Verlassen des Werks. Vor allem rostfreier. Bis Anfang 2015 fuhren wir wieder durch die Lande, dann bekam ich Rücken. Nein, nicht davon. Oder doch? Ach seien Sie still. Jedenfalls steht der Kleine seither in der Garage.
Oder stand. Am Sonntag holte ich ihn ans Tageslicht. Die in der Garage wohnende Eule hatte einige Spuren hinterlassen, aber der Kleine (er heißt übrigens Felix, da das Alltagsauto Oskar heißt) war dafür nach einem guten Jahr Stillstand endlich einmal auch von innen trocken. Und mit frischer Batterie aus ehrlicher deutscher Qualitätsproduktion sprang er sofort an!
Erholung von der Welt der Kultur
Die übrige Elektrik hingegen verhielt sich erwartungsgemäß unkooperativ. Lucas ist nun einmal ein Acronym für Loose Unsoldered Connections and Splices. Doch bereits am späteren Abend leuchteten die Lichter und hönkte die Hupe wieder. Was gutes Kontaktspray doch ausrichten kann. Joseph Lucas, der nicht nur die Dunkelheit, sondern auch den elektrischen Kurzschluss erfand, findet dank Kontakt 60 zumindest in der Pflege der Kabel und Stecker seinen Meister. Was die übrigen Unzulänglichkeiten der zahlreichen von seiner Firma und British Elend gefrickelten Teile wie Anlasser, Kabelbaum, Benzinpumpe, Licht(hahaha!)maschine, Scheibenwischer, Wasserpumpe, Verteiler etc. etc. angeht – damit muss man leben, wenn man Autofahren erleben möchte und nicht bloß als Tätigkeit mit einem Zweck betrachtet.
Sie ahnen, auf was ich hinaus will: die ganze vergangene Woche habe ich nichts von kulturellem Wert im Kopf gehabt, kein weises Buch in der Hand, kein Cembalokonzert im Ohr. Nur Handwaschpaste, Werkzeug, Kabelbinder und Pflaster. Noch ein paar Tage Feintuning (wozu auch der temporäre Abbau diverser Zusatzteile gehört, um die behördliche, technische Abnahme nicht unnötig zu komplizieren), und es geht wieder auf die Straße. Mal sehen, wann ich wieder Rücken habe. Im Mai ist im belgischen Lommel das diesjährige International Mini Meeting, bis dahin muss alles fit sein bzw. bleiben.
P.S. Keine Literatur, keine Musik, nicht mal ein lustiger Film. Bedanken Sie sich bei Herrn Maxeiner. Ich bemühe mich, in der kommenden Woche wieder zu gewohnter Form zurück zu kehren und Ihnen etwas lesenswertes vorstellen zu können. Kennen Sie eigentlich den legendären „Kupferwurm“ von Carl Hertweck oder den Trzebiatowsky?
Links:
Minirennen beim Goodwood Revival
Top Gear: Paddy Hopkirk bei der Rallye Montecarlo
„Mitfahrt“ beim Grand Prix de Pau 2011