Archi W. Bechlenberg / 24.04.2016 / 06:45 / 0 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Marxismus von hinterm Deich

Mein Großvater Lafe [...] rauchte täglich zehn schwarze Zigarren, die er sich eigenhändig aus den Abfällen einer Tabakfabrik rollte. In den Zigarrenpausen paffte er eine Pfeife, die duftete wie ein feuchter Keller, in dem gerade aussortierte wollene Unterwäsche verbrannt wird. Wollte Lafe ein Zimmer ganz für sich haben, brauchte er es bloß mit seiner Pfeife zu betreten. [...]Von Großvaters Pfeife hätte jedes Stinktier im Lande einiges über beißende Gerüche lernen können. Wir versteckten sie häufig, aber Großvater stöberte sie jedesmal anhand des Geruches wieder auf.“

So erinnert sich Groucho Marx an seinen Opa, der 1823 im ostfriesischen Dornum als Levy Schönberg  geboren wurde. Levy, der Einfachheit halber von allen Lafe genannt, wirkte in dem verschlafenen Nest hinterm Deich als Bauchredner und Regenschirmmacher. Was auch immer Fanny Salomon, eine jodelnde Harfenistin, bewegt haben mag - sie heiratete Lafe und schenkte ihm neben einigen weiteren Kindern auch eine Tochter namens Miene. 1880, das Bauchrednergeschäft schien nicht recht zu florieren, gaben die Schönbergs ihre idyllische Heimat auf und wanderten aus in die USA. Kein wirklich wohl durchdachter Plan - in New York war der Bedarf an deutschsprachigen Bauchrednern noch geringer als im Ostfriesischen. Lafe erinnerte sich an sein anderes Gewerk und versuchte sich als Regenschirmreparateur und schneiderte dies und das. Die Familie hatte es finanziell nicht leicht, aber irgendwie ging’s immer.

„Hat Ihre Mutter Sie und ihre Brüder unterschiedlich behandelt?“
„Ganz und gar nicht. Sie verachtete uns alle gleich.“

Tochter Miene – jetzt Minnie – wuchs heran und heiratete 1884 den Tanzlehrer Sam Marx, Frenchie genannt; ein naheliegender Name, da Sams Familie aus dem Elsass stammte. Gleich nach der Hochzeit wurde der erste Sohn, Manfred, geboren. Drei Jahre später kam Leonard zur Welt. Manfred starb im Alter von drei Jahren, im gleichen Jahr erblickte Sohn Nr. 3 Adolph Arthur das Licht der Welt, dann 1890 Julius Henry. Zwei weitere, Milton und Henry, machten die Familie komplett. Sie ahnen es: aus Minnies und Frenchies Söhnen rekrutierten sich die Marx Brothers. Adolph Arthur: Harpo. Leonard: Chico. Julius: Groucho. Die beiden anderen, Gummo und Zeppo, spielten nur in der ersten Zeit eine Rolle im Showbusiness. Übrig blieben die drei anarchischsten Rabauken der Filmgeschichte.

„Mutter! Die Müllmänner kommen!“ 
„Sag ihnen, wir brauchen nichts!“

Geprägt durch die künstlerischen ambitionierten Vorfahren aus Europa war es kein Wunder, dass Minnies Boys Karrieren im Showgeschäft anstrebten. Ein steiniger Weg - von ersten absurden Auftritten in Vaudevilleshows bis zu den gefeierten Filmkomikern war es weit, sehr weit, und Groucho und Harpo schildern in ihren Erinnerungen sehr lebendig, wie es ihnen in den ersten Jahren erging. Man arbeitete sich trotz zahlreicher Rückschläge langsam, aber ambitioniert hoch. Ein Komiker, mit dem sie zusammen auftraten, verpasste ihnen ihre Künstlernamen: Harpo, weil er so schön die Harfe zu spielen wußte, Chico, weil er immer hinter den Mädchen (Chicks) her war, und Groucho, weil er meist etwas griesgrämig wirkte. Erfolge stellten sich ein, und Anfang der 1920er Jahre hatten sich die Bühnenhonorare der Brüder zu Stargagen entwickelt. Da hatten sie noch kein einziges Mal vor einer Kamera gestanden; ihre Filmkarriere begann erst 1929. “The Coconuts”, ein erfolgreiches Musical mit der Musik von Irwin Berlin, wurde verfilmt. In den Hauptrollen: die Marx Brothers. Rasch folgten weitere Filme, bis 1949 insgesamt dreizehn, dann zogen sich die Brüder ins Privatleben zurück. Groucho allerdings konnte vom Showbusiness nicht lassen, er spielte in weiteren Filmen, hatte eigene Fernsehshows und war auch sonst ein (meist) gern gesehener Gast in Talk- und Quizshows.

Ich weiß nicht, wann ich den ersten Film der Marx Brothers gesehen habe, ich weiß aber, welcher es war: Die Marx Brothers im Krieg. Wer wie ich bis dahin nur Komödien mit  Laurel und Hardy, Charlie Chaplin oder Buster Keaton kannte, musste von dieser aberwitzigen Groteske hin und weg sein. Alleine die Spiegelszene, in der die drei Brüder sich gegenseitig zu täuschen trachten, indem sie dem jeweils anderen versuchen vorzumachen, sie seien sein Spiegelbild, ist eine der ewigen Sternstunden des komischen Kinos.

Neben seinen Brüdern wirkte Groucho Marx, egal, in welcher Rolle, zunächst immer durchaus seriös. Während Harpo von der Lockenperücke über den unerschöpflichen Inhalt seines Mantels bis zu den klaffenden Schuhen wie eine wandelnde Müllkippe daher kam und zudem durch seine Stummheit etwas irritierendes an sich hatte und Chico mit seiner schmierigen Freundlichkeit, einem viel zu kleinen Jacket, einem lächerlichen Tirolerhütchen und einem undefinierbaren Akzent ausgesprochen zwielichtig wirkte (man hätte ihm nicht einmal 5 Cent schenken wollen), verkörperte Groucho mit Frack, dunklen Augenbrauen, breitem Schnurrbart und nicht zuletzt der Cigarre die Ehrenhaftigkeit in Person. Allerdings nur auf den ersten Blick: Augenbrauen und Bart waren mit Schuhcreme ins Gesicht gemalt, und die Cigarre diente nur, um damit wichtigtuerisch herumzufuchteln. Geraucht wurde sie meist nicht, wahrscheinlich weil er nur die eine hatte. Groucho war bei aller Gerissenheit nämlich wie die beiden anderen ständig abgebrannt. Er war ständig auf der Flucht vor irgendwem und irgendwas und zugleich, zur Lösung all seiner Probleme, auf der Suche nach einer guten Partie. In sieben Filmen wird diese von der großartigen Margret Dumont verkörpert, die als weiblicher Sidekick so ziemlich alles ertragen musste, was sich Stinkstiefel Groucho ihr gegenüber erlaubte. Die Dialoge zwischen ihr und Groucho gehören ebenfalls zu den ganz großen Momenten der Filmgeschichte. Von diesen gibt es reichlich, Madame Dumont und der wieselnde Fracksauser begegnen sich mal als Patientin und Arzt in einem Luxussanatorium, mal als Kaufhauserbin und -detektiv, mal als finanzkräftige Mäzenin eines Zwergstaates und dessen irrwitzigen Regierungschef,  und das ist noch längst nicht alles.

„Ich möchte nie einem Club angehören, der jemanden wie mich aufnehmen würde!“

Unnötig zu erwähnen, dass Groucho weder Arzt noch Politiker noch Gesetzeshüter war; im Kaufhaus versteckte er sich vor dem Geldeintreiber, der 144 Raten für ein Auto kassieren wollte und im Sanatorium vor der Polizei, die ihn ´- tatsächlich! - wegen illegalen ärztlichen Praktizierens suchte. Was sich aus den sich wiederholenden Grundsituationen über die Filme hinweg an Slapstick entwickelt hat, ist immer und immer wieder anschauenswert. Am besten, mit der nötigen Sprachkenntnis, im amerikanischen Original, ansonsten geht das meiste des absurden Sprachwitzes leider verloren. Wie wollte man auch einen Dialog übersetzen, in dem der eine von einem Viadukt („Weiadack“) spricht, der andere etwas von einer Ente verstanden oder besser nicht verstanden hat („Why a duck?“) Solche ins Surreale führenden Sprachspielereien waren den Zeitgenossen der Brüder nicht immer ganz geheuer, weshalb der Erfolg ihrer Filme zur Zeit des Entstehens oft nicht wirklich der Genialität angemessen war. Intellektuelle wie Samuel Beckett, Antonin Artaud oder T. S. Elliot hingegen liebten die Brüder; Groucho wurde von einer Party und Veranstaltung zur nächsten gereicht, da er stets flotte Sprüche auf Lager hatte (manchmal allerdings zu flott), und Harpo, der „stumme” Bruder gehörte zum hochangesehenen Algonquin-Kreis, dem Autoren wie Dorothy Parker und Alexander Woollcott angehörten. Nur Chico fühlte sich in den gehobenen Kreisen nicht wohl, er verzockte lieber seine ansehnlichen Gagen plus X beim Spiel.

Nicht übersehen werden darf, dass es zwei weitere Brüder gab. Zum einen war da Zeppo. Ein Langweiler, ein romantischer Liebhaber, einer, auf dessen Kosten die anderen Witze machten. Hätte es damals schon Farbfilm gegeben, Zeppo wäre trotzdem nur in Schwarzweiß zu sehen gewesen, so farblos war er in seinen wenigen Rollen, in denen er meist ungelenk herumstand oder Stichworte für die anderen gab. Das war er dann auch bald Leid, und so verabschiedete er sich nach fünf Filmen vom Showgeschäft. Er besaß später eine Firma für Kriegsgerät und betrieb eine Theateragentur. Zeppo, eigentlich Herbert, war wohl so etwas wie das weiße Schaf der Familie.

Und dann gab es noch einen fünften Bruder, nämlich Milton Marx. Der war nur anfangs in den vorfilmischen Zeiten der Marx Brüder auf den Bühnen mit dabei und ist heute quasi vergessen. Den Vornamen Milton fanden seine Brüder so albern, dass sie ihn stattdessen Gummo nannten, was natürlich weitaus weniger albern klang. Milton muss eine Art Pechmarie unter den Marxens gewesen sein; eine Geschichte erzählt, Mutter Minnie habe ihn 1916 in den 1. Weltkrieg mit den Worten „Wir brauchen dich sowieso nicht.“ verabschiedet. Ja, so sind sie, die Ostfriesen, immer geradeaus.

Da die Marx Brothers hauptsächlich durch ihre Filme bekannt wurden, sind einige ihrer anderen Späße weniger bekannt, so die Radioshow Flywheel, Shyster & Flywheel , in der Groucho den windigen Anwalt Waldorf T. Flywheel gibt. Die ersten drei Folgen wurden unter dem Namen Beagle, Shyster & Beagle ausgestrahlt, dann musste der Titel geändert werden, da ein New Yorker Rechtsanwalt mit Namen Beagle eine Verleumdungsklage androhte. Wenn man die Geschichten kennt, kann man den Mann gut verstehen. In der Übersetzung von Harry Rowohlt gibt es auf mehreren CDs eine schöne deutsche Adaption mit u. a. Harald Leipnitz als  Waldorf T. Flywheel. Lesenwert sind auch Grouchos und Harpos Erinnerungen, die in Buchform erhältlich sind. Und dank Internet findet man alte TV Shows mit Groucho als Gast oder Gastgeber, in denen man höchst amüsiert sehen kann, dass der alte Stinkstiefel bis ins hohe Alter seinen hemmungslosen Witz nicht verlor.

 Bezugsquellen für die  Flywheel, Shyster & Flywheel CDs sowie die Bücher hier

P.S. 1: Dieter Ilg, den ich im Antidepressivum zum Thema Bassisten vorgestellt habe, hat soeben zum dritten Mal in Folge einen Echo Jazz gewonnen, diesmal für seine Beethoven CD.

P.S. 2: Von Wolfgang Lackerschmid, den ich  im Antidepressivum zum Thema Vibraphonisten vorgestellt habe,  ist gerade ein neues Album erschienen: Wolfgang Lackerschmid & The Brazilian Trio: SAMBA GOSTOSO. Sehr entspannte Musik mit südamerikanischem Flair, alltagstauglich und als akustische Untermalung für den kommenden Sommer ein Muss!

P.S. 3: Leicht irritiert hat mich, dass einige Leser eine durch und durch ironische Bemerkung in meinem Text Heiko. Wer ist eigentlich Heiko? für bare Münze gehalten haben. Daher sei hier laut und deutlich betont: Nein. Ich bin ganz und gar nicht der Meinung, dass der Mann im feinen Stöffchen mit seinen offenbar in der Diaspora einer säuberlichen Seele ersonnenen Maasnahmen gegen das, was er unter sexistische Werbung versteht, durchkommen darf.

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