Knall – eine Vorbemerkung. Kaum laiche ich bei Facebook gequält mein zuverlässig in der Wochenmitte raus müssendes „Wie kann man in diesen Zeiten noch ein Antidepressivum schreiben?“ ab, knallt mir die ansonsten hoch geschätzte Kollegin Cora Stephan gewohnt gnarstig ans weiße Haupt: „Das sagst du jedes Mal. Tu deinen Job und hör auf zu jammern“. Ich erwähne das, um einmal aufzuzeigen, wie es bei der Achse hinter den Kulissen zugeht. Hier wird nicht munter drauf los „tief neu-rechte Publizistik“ betrieben, wie es ein schwer trumpatisierter Heini formulierte. Hier wird um jeden Text, um jedes Wort und jede Zahl hart gerungen, ohne persönliche Rücksichten und Friends-and-Family Bonus!
Somit kann es nicht verwundern, dass auf Achgut, dieser „neurechten Hetzseite“ (der selbe Heini) im unten folgenden Text, auf dem unverhohlen einem braunem Spaltpilz gehuldigt wird, unvermeidlich Nazi-Symbolik zu finden ist. Nachdem eine Forscherin mit der Frisur eines wütenden Mops den Werbespot der Nazinachfolgepartei E.D.K. (abgekürzt EDEKA) auf die darin enthaltenen, so offen wie subtil versteckten Botschaften abklopfte, wissen alle, die guten Willens sind, was in diesem Land läuft: selbst Werbeagenturen sind inzwischen unterwandert vom braunen Geist. Da darf die Achse nicht zurück stehen.
Expertin Frau Erdmute Bamberger-Hörnchen (Name geändert, aber dem Autor bekannt) ließ sich dank geschulten Auges natürlich nicht hinters Licht führen und zerlegte das EDEKA-Machwerk in sämtliche undenkbaren Einzelteile. Wer außer ihr würde schon erkennen, dass die auf einem KFZ-Kennzeichen zu sehende Zahl 3849 nicht bloß eine vierstellige Ziffer ist? Die mittigen 8 und 4 sind, so Bamberger-Hörnchen, ein Code für „Heil Deutschland“. Die 3 und die 9 drum herum stehen für 'Christliche Identität', was „in rechten Kreisen“ als Umschreibung für Antisemitismus verwendet wird. Bleibt die Frage offen, für was oder wen die Leerstelle zwischen den Buchstaben und den Zahlen auf dem Kennzeichen steht. Quasi eine Null. Ich hätte da ja eine Vermutung. (Siehe auch Die versteckte Nazisymbolik im Namen der Nazisymbolik-Expertin.)
Knollen – eine Verbeugung "Das köstliche Aroma der Trüffeln beruhigte ihn. Er schnüffelte, seufzte, atmete und fraß, Rüssel und Zunge holten die letzten Brösel aus den Ecken des Sackes heraus. Und all das Köstliche hatte er alleine gefunden!"
Samson, das Trüffelschwein, nimmt Rache an Emile, seinem Herrn. Immer nur mit alten Käsebrocken abgespeist zu werden, das war dem Eber in Patricia Highsmiths Erzählung Mitten in der Trüffelsaison schließlich zu wenig. Und so wirft er bei der Suche im Wald den Geizhals zu Boden und setzt sich mit der ganzen Autorität von zwei erfolgreich gelebten Trüffelwintern auf dessen Brust, bis Ruhe ist.
Er erinnerte mich in Größe und Textur an einen Gallenstein
Ist man kein Trüffelschwein und besitzt auch keinen Trüffelwald, muss man halt in die Tasche greifen. Meinen ersten Trüffel kaufte ich in Paris an der Place de la Madelaine, er kostete soviel wie eine Nacht im Hotel und erinnerte mich in Größe und Textur an einen Gallenstein, den meine Oma in einer Blechdose aufbewahrte und den ich mir gerne zeigen ließ. Verpackt war der Trüffel in ein kleines Glas, und – Deckel hin, Deckel her, - nach fünfstündiger Heimfahrt roch der Innenraum des Autos so, dass man gar nicht mehr aussteigen mochte. Ich habe keine Ahnung, wie der Trüffel das gemacht hat. Ich wusste nur, dass er noch am selben Abend verspeist werden wollte. Zum Glück bedarf es keiner kulinarischen Höchstleistungen, um einem Trüffel das geeignete Umfeld zu schaffen, ein Omelette aus ordentlich, also nur kurz gequirlten Eiern, darüber die möglichst feinen Pilzspäne, und fertig. Ich schlief mich in dieser Nacht durch seltsame Träume.
Am anderen Ende meiner Trüffelkauferlebnisskala steht der Erwerb eines Chinesischen Trüffel, den ich vor Jahren in einem französischen Supermarkt entdeckte. Er war, umgeben von einem martialischen Karton mit Sichtfenster, in eine Art Reagenzglas gepackt und sah so verlockend schwarz und hässlich aus, dass ich ihn kaufen musste, zudem sein Preis sehr chinesisch, also nicht nennenswert war. Dennoch war der bezahlte Betrag nur eine Steuer auf Dummheit. „Wat nix kost’ datt is auch nix!“, wie mein Vater auf rheinisch zu sagen pflegte. Ein fabrikneuer Bierdeckel schmeckt mehr nach Trüffel als dieses Teil. Mögen die Chinesen auch Barbiepuppen und falsche iPods basteln können, bei Trüffeln versagen sie kläglich.
Manches nennt sich Trüffel, das den Hobel nicht wert ist. Vom tuber magnatum, dem Weißen Alba Trüffel, und tuber melanosporum, dem Perigord Trüffel, einmal abgesehen sind alle anderen Arten – es gibt hunderte - mit Vorsicht bis Abscheu zu betrachten. Zu den geschmacklich guten bis akzeptablen gehören der im Sommer leicht erhältliche tuber aestivum, äußerlich dem melanosporum ähnlich, im Inneren aber wesentlich heller, dann der tuber uncinatum, den man auch in Deutschland finden kann (um anschließend - man ist ja in Deutschland - wie der Koch Jean-Marie Dumain aus Sinzig, dessen Hund Max sie 2002 als Erster entdeckte, wegen Waldfrevels bestraft zu werden) und der tuber brumale, auch dieser äußerlich dem melanosporum ähnlich. Üble Gesellen hingegen sind der tuber albidum, eine kleine weiße Knolle aus Italien, der tuber brumale rufum, der tuber mesentericum, der schwer nach Aceton stinkende tuber excavatum und der rote tuber rufum. Da sind die chinesischen tuber himalayensis und tuber indica fast noch ok, denn die schmecken und duften wenigstens nach nichts.
Schrotkugeln in den Knollen erhöhen das Gewicht
Trüffel locken nicht nur Schweine, Hunde und andere Feinschmecker, sondern auch Spitzbuben an, und so wird gemogelt was das Zeug hält. Das Untermischen von wertlosen Trüffeln in wertvolle Ernte ist gang und gäbe. Zur Gewichtssteigerung werden gerne Schrotkugeln oder Nägel in die Knollen gesteckt. Es geht auch noch dreister. Bei einem großen Trüffelverarbeiter in Umbrien fand man in Konserven 46.000 kg China Trüffel, als tuber melanosporum deklariert. Harmlos ist hingegen der gängige Zukauf von Ware aus anderen Fundgebieten, solange es sich um die gleiche Qualität handelt. Ein nicht geringer Teil der im Perigord gehandelten tuber melanosporum kommt heute aus der nördlichen Provence. Der Grund ist einfach: die Erntemengen im Perigord sind stark rückläufig. Da aber die Trüffel aus der Provence und dem Vaucluse von ebenso hoher Qualität sind ist an diesem Handel nichts Verwerfliches zu finden.
Die unterirdisch, in Symbiose mit bestimmten Baum- und Straucharten wachsenden Trüffel werden seit ewigen Zeiten als Delikatesse geschätzt, Ägypter, Griechen und Römer schätzten sie bereits und lobten ihre der Wollust zuträglichen Eigenschaften. Die sah man zwar später im Hochmittelalter eher negativ und verbannte die Knollen vom korrekten Speiseplan, aber die Renaissance, in der man vor allem die edlen tuber magnatum und tuber melanosporum zu schätzen lernte, gab der Trüffel ihren Platz an den Tafeln zurück. Viele Rezepte und Loblieder stammen aus dieser Zeit und sind gültig bis heute zu. Wäre Francesco Petrarca nicht von einer gewissen Laura besessen gewesen, hätte er in seinem Poem „Die Unsterbliche“ durchaus solche Zeilen schreiben können:
In den Wald der Haseln oder Eichen,
In der stummen Heimlichkeit Gebiet,
Das der Kostverächter schauernd flieht,
Such' ich oft der Trüffel nachzuschleichen.
Gesucht und gefunden werden Trüffel schon seit langem fast nur noch von Hunden. Das Bild vom alten Mann mit einem Säckchen in der einen und der Leine fürs Trüffelschwein in der anderen Hand ist heute nur noch eine Erinnerung. Hunde, genauer gesagt Hündinnen - denn nur die entwickeln eine Nase für den Duft - sind weitaus einfacher zu handhaben, fast jede Rasse eignet sich zur Suche. Hunde haben mehr Kondition als Schweine, sie verursachen keine Bodenschäden und lassen sich leichter in die Autos verfrachten, mit denen der Sammler zu den Fundorten fährt. Und wenn sich mal jemandem ein Hund auf die Brust setzt haucht dieser nicht gleich sein Leben aus.
Musik zur Knolle – Ein Nachtrag. Etwa 130 Jahre nach Francesco Petrarca (1304 - 1374 erblickte ein anderer großer Poet das Licht der Welt. François Villon (1431 – ca. 1463) gilt als bedeutendster Dichter des französischen Spätmittelalters. Im Lebenswandel könnten zwei Meister der Reimkunst nicht verschiedener sein. Petrarca, der fromme Mann im Geiste des Augustinus,Villon der Gauner und Meuchler, der nur um Haaresbreite dem Strick entkam (er hatte seine letzten Worte bereits niedergeschrieben) und danach auf Nimmerwiedersehen verschwand. Sein Todesdatum ist nicht bekannt.
Fluchbeladener Dichter und tröstlicher Sänger
Villon dürfte dem seit der Renaissance erneut als Delikatesse geschätzten Trüffel – zuvor, im Hochmittelalter, war die im Verborgen hausende warzige Knolle mit dem animalischen Duft zum Inbegriff der Sünde ernannt worden - gewiss gerne zugesprochen haben, zudem der Pilz in Villons Heimat Frankreich sehr verbreitet war und längst nicht den heutigen Seltenheitswert besaß. Der irrlichternde Dichter ist in den folgenden Jahrhunderten nie ganz in Vergessenheit geraten, was angesichts seiner ausgesprochen unsoliden Biografie verwundern mag. Doch bereits zu Villons Lebzeiten ließen reiche Literaturliebhaber seine verstreuten Werke sammeln und kalligrafisch niederschreiben. Gedruckt wurde er erstmals 1489, später verlor er zwar vorübergehend an Bedeutung, doch die Romantik machte ihn im 19. Jahrhundert wieder populär.
Dichter wie Lautréamont, Gautier, Verlaine, Baudelaire und Rimbaud stehen in Villons Tradition des poète maudit (fluchbeladener Dichter), und Chansonniers des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel Georges Brassens, bezogen sich in ihren Texten auf ihn und vertonten und interpretierten seine Gedichte, ebenso Mimen wie Ernst Stankovski , Klaus Kinski und Helmut Qualtinger. Basis aller deutschsprachigen Villontexte sind die ins Deutsche übertragenen Interpretationen durch den Dichter Paul Zech aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Der Schauspieler Christian Redl, selber oft Darsteller von Fluchbeladenen, hat eine besondere Nähe zu Villon. Seitdem er, wie er sagt, einst von Kinskis Villon Interpretationen „infiziert“ wurde. Er blieb das bis heute. Drei CDs mit Liedern und Texten Villons hat er aufgenommen, die letzte mit dem Titel „Luise“ ist soeben erschienen. Dreizehn Lieder haben sich auf „Louise“ versammelt. Die Aufnahmen sind getragen von souveränem Minimalismus und tiefer Abgeklärtheit. Nichts wird forciert, nirgends drücken Redl und seine Musiker auf die Tube. So geht eine große Ruhe von diesen Liedern aus. In Endlosschleife möchte man sie hören, ganz hineinsinken in die Gelassenheit, die diese Musik ausstrahlt. Eine Stimmung, die ich auch von Redls früheren Platten wie „Sehnsucht“ mit eigenen Texten und dem Album mit Baudelaires „Blumen des Bösen“ kenne und schätze.
Allen Aufnahmen ist eines prägend gemeinsam: Redls Stimme, die tief berührt und allem Vergehen und allem erzählten Übel zum Trotz immer auch etwas Tröstendes, ja geradezu Heiteres ausstrahlt und in ihrer Beiläufigkeit und ihrem tiefen Ton an Leonard Cohen oder Nick Cave erinnert.
In einem Rutsch und in nur wenigen Tagen habe man das Album aufgenommen, sagt Redl. Ein Glücksfall, sei das gewesen. Im Studio habe einfach alles gepasst. Fast anstrengungslos habe man gemeinsam für die einzelnen Lieder den jeweiligen musikalischen Ausdruck gefunden. Und das dann sehr konzentriert auf den Punkt gebracht. Trotzdem habe er, so Redl, selten mit so einer Leichtigkeit gearbeitet. Fast magisch sei das gewesen. Auf der Platte ist das zu hören. In der Tat, ein Glücksfall.
Christian Redls Website mit Musikbeispielen aus Luise und seinen früheren Alben hier.
Noch mehr zum Thema Geist, Genuss und Gelassenheit finden Sie auf Archi W.Bechlenbergs Blog "Herrenzimmer"