Archi W. Bechlenberg / 22.05.2016 / 06:15 / Foto: Jollyroger / 0 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Ich lebe noch

Kaum hatte ich mich am Freitag vor Pfingsten hingesetzt, um das Sonntagsantidepressivum zu schreiben, da setzten die Bauchschmerzen ein. Nicht überraschend, dachte ich, angesichts der Zeiten und angesichts der Anstrengungen, die man zur Förderung der Guten Laune in eben diesen leisten muss. Die Schmerzen wurden rasch stärker, an Sitzen und Schreiben war bald nicht mehr zu denken. Hatte mich dieses Facebook mal wieder so aufgeregt? Immerhin, das Netzwerk konnte aktuell einiges an Aberwitz bieten. Wochenlang war Vera Lengsfeld durch die Maas/Kahane Behörde gesperrt worden, ihre Wiederzulassung geschah zwar nun, doch ohne plausible Erklärung für den vorhergegangenen Bann. In einem anderen Fall bemühten sich seit einigen Tagen dutzende, wenn nicht hunderte Mitglieder vergeblich darum, eine FB-Seite mit dem Titel "Muslim Women for Circumcision" wegen Gewaltverherrlichung schließen zu lassen. Facebook hingegen sah in der Seite keinen Verstoß gegen seine Richtlinien und teilte dies jedem Meldenden mit (inzwischen ist sie nun nicht mehr online). Da soll man kein Bauchweh bekommen.

Es lag nicht an Facebook, es war mein Blinddarm

Doch es war nicht Facebook mit seinen teils schwer derangierten Mitgliedern ("Mutti Merkel sagen, das geht gar nicht! Das ist sexistisch!" hatte ich kurz vorher noch lesen müssen). Es war mein Wurmfortsatz, der mich in der späteren Nacht ins Krankenhaus trieb. Von Form, Größe und Inhalt her mit einer bayerischen Weißwurst vergleichbar hatte er das maximale Haltbarkeitsdatum deutlich überschritten. Die Ärzte nennen das "im fortgeschrittenen Zustand", was mich bereits 14 Stunden nach Ankunft in der Notaufnahme auf dem OP-Tisch liegen ließ. Nun ist der  Appendix weg, ich dümpel noch etwas und brauche Hilfe bei grundlegenden Tätigkeiten, bin aber zuversichtlich, Ihnen in der kommenden Woche wieder mit Jux und guter Laune zur Seite zu stehen.

Es hätte schlimmer kommen können. Ich hätte nicht in der Nähe gleich mehrerer Krankenhäuser wohnen können, sondern auf einer einsamen Insel ohne nennenswerte, medizinische Versorgung, sagen wir St. Helena oder Tristan da Cunha oder gar Großbritannien. Auch lernt im Schmerz für's Leben, so, sich tüchtig zu entschleunigen. Sagt jemand im Krankenhaus "sofort", bedeutet das für Sie "gar nicht" oder, falls sie ein Glückskind sind, "in zwei Stunden". Sagt jemand "gleich" bedeutet es "wahrscheinlich noch heute".  Sagt jemand "nachher" bedeutet es "Nehmen Sie sich für die nächsten Tage nichts vor". Bei jeder Variante ist es unerlässlich, dass Sie Denjenigen oder Diejenige in regelmäßigen Abständen suchen und an das getane Versprechen erinnern ("Sie wollten mir doch den Zugang entfernen, mir sagen, wann ich etwas essen darf, mir das Fenster öffnen, mir das Schmerzmittel geben"... und so weiter)  Und werden Sie hellhörig, falls sich aus einem "Sofort" ein "Gleich" entwickelt oder gar ein "Jetztgleich".  Dann sind Sie als Patient (Geduldiger) nahe dem fortgeschrittenen Stadium, und was das bedeutet, wollen Sie so wenig wissen, wie ich.

Erwarten Sie im Krankenhaus keine logische Abfolge von Handlungen

Was Sie auch im Krankenhaus lernen: Erwartungen reduzieren. Realistisch sein.  Be. Here. Now.  Erwarten Sie in einem Krankenhaus nicht, dass notwendige Handlungen oder Ereignisse zwangsläufig aufeinander folgen. Werden Sie an eine Infusion angeschlossen, bedeutet das nicht, dass das Tropfventil geöffnet wird. Wird das Tropfventil geöffnet, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sein Funktionieren abgewartet wird. Wird ein Nichtfunktionieren von Ihnen moniert, und die damit befasste Fachkraft bekommt es nicht hin und verlässt mit "die Kollegin schaut sofort nach" den Raum, meint sie mit Sicherheit "bald". (siehe hierzu weiter oben.) Erwartungen bremsen, nur im Hier und Jetzt sein, für solche Erfahrungen zahlt man dem Guru anderswo teures Geld. Im Krankenhaus gibt es das ganz nebenbei.

Verabschieden Sie sich von der romantischen Erwartung, dass "die da" wirklich wissen, was sie tun. Oft liegt nur ein sehr spezialisiertes Wissen vor. So kann jemand zum Beispiel hervorragend ein Klistier verabreichen  und muss doch nicht wissen, dass ein Patient Flüssigkeit benötigt. Durch einen laufenden Tropf.

Zweierlei noch: Sorgen Sie schon in gesunden Tagen dafür, einen Angehörigen zu haben, der/die Sie ins Krankenhaus begleitet und möglichst allen auf die Finger schaut. Diese Person sollte jedoch mit niemandem in diesem Hospital näher befreundet sein und Ihnen gegenüber nicht erbberechtigt.

Und das Wichtigste überhaupt: lassen Sie sich niemals, unter gar keinen Umständen, einfallen, in einer prekären Situation, zum Beispiel in der Notaufnahme zu erwähnen, Sie hätten Sich bereits "im Internet" etwas schlau gemacht und seien daher zu der Vermutung gelangt, es könnte sich um (hier beliebige Erkrankung einsetzen) handeln. Ihre Diagnose mag noch so zutreffend sein - so wie meine es war - alleine durch die Erwähnung des Begriffs Internet machen Sie sich selber umgehend zur letzten Nummer in der Warteliste, also zu einem "Demnächst" . Sagen Sie besser nichts, gar nichts (außer "Aua!"). Die Ärzte werden zwar letztendlich zur selben Diagnose kommen wie Sie, schließlich verstehen die ihr Handwerk schon auch. Nur lassen Sie um Himmels Willen nicht erkennen, Sie hätten bereits etwas mitgedacht. Das sorgt nur für unnötige Verzögerungen Ihrer Behandlung.

Schönen Sonntag noch, und bis demnächst (hoffe ich mal, noch bin ich nicht wieder in Sicherheit).

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