Archi W. Bechlenberg / 09.04.2017 / 06:17 / 3 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Gitarreros

Über dem idyllischen Wintersportort Oberlawinenbrunn gehen ungewohnt viele Schneelawinen nieder. Einheimische und Touristen sind zunehmend beunruhigt, und so forscht man nach den Ursachen dieser unerfreulichen Naturescheinung, die die Existenz des beliebten Ferienziels massiv bedroht. Rasch hat man einen Verdacht: Oberhalb des Tals wohnt ein gewisser Schneeeinsiedel in selbstgewählter Abgeschiedenheit. Schneeeinsiedel, als menschenscheuer, langbärtiger Einzelgänger bekannt, könnte seiner Abneigung gegen den Wintersporttrubel dadurch Ausdruck verleihen, dass er Lawinen lostritt, um auf diese Weise nicht nur zu protestieren, sondern dem munteren Treiben auf den Hängen und Pisten ein Ende zu setzen.

Wie sich schließlich erweist, ist Schneeeinsiedel jedoch nicht an den Lawinen beteiligt. Vielmehr löst eine Jukebox in Oberlawinenbrunn die Schneemassen aus. Genauer gesagt: eine auf dieser Jukebox gespielte Platte mit dem Titel „Der rührselige Cowboy“. Verantwortlich dafür ist ein gewisser Donald Duck aus Entenhausen; er hat das Stück komponiert, eine Plattenfirma kauft es ihm ab und presst es in Vinyl, und ein Exemplar davon findet sich in der Jukebox, wo es wie ein Weltkriegsblindgänger still und unbemerkt vor sich hin dämmert. Zunächst.

Duck, vom ersten Verkauf einer seiner Kompositionen euphorisiert, reist zur Feier dieses Erfolgs samt Neffen für einen Wochenendtrip ausgerechnet in den bis dahin idyllischen Ort. Duck entdeckt die Jukebox, findet den „Rührseligen Cowboy“ darin und spendet sogleich eine Münze, um das Lied abzuspielen. Sekunden später geht die erste Lawine nieder; ihr folgen weitere, und nach einigen folgenden Ereignissen der selben Art entdecken Ducks Neffen, dem Gerücht, es stecke Schneeeinsiedel dahinter, nachgehend, dass dieser im Grunde freundliche Mann, unschuldig ist. Es genügen die ersten Töne des Liedes, um die blanke Natur in Aufruhr zu versetzen: „Das Lied ist schuld! Durch das rührselige Gedudel schmilzt der Schnee, und das löst dann eben Lawinen aus.“

„Don't play this at home!“

Man könnte die Geschichte hiermit abhaken, hätten nicht die Anhänger der D.O.N.A.L.D. (Deutsche Organisation der nichtkommerziellen Anhänger des lauteren Donaldismus) ausgerechnet den „Rührseligen Cowboy“ zu ihrer Vereinshymne erwählt, die sie stets bei ihren Kongressen und sonstigen Treffen intonieren. Paragraph 1.2 der Satzung lautet: „ Hymne der Organisation ist das bekannte Lied "Der rührselige Cowboy".  Mit der ausdrücklichen Warnung „Don't play this at home!“ verlinke ich zu einer Aufnahme des Liedes, zu hören ab Minute 3:23)

Oh, bury me thar
with my battered git-tar
a-screamin' my heart out fer yew!

Und lieg' ich dereinst auf der Bahre,
dann denkt an meine Gu-i-ta-re!
Und gebt sie mir mit in mein Grab!

Das heutige Antidepressivum (Teil 2 folgt in der kommenden Woche) ist zwei weiteren G(u)itarristen gewidmet, die nicht in der allerersten Reihe der Saitenvirtuosen spielen oder spielten. Nicht, weil es ihnen an Talent fehlte, sondern vielmehr, weil sie sich eher abseits des Mainstreams bewegen oder bewegt haben; sei es, weil Zurückhaltung Teil ihrer Persönlichkeit ist, sei es, weil unglückliches Schicksal dazu beigetragen hat, ihnen die anhaltende Anerkennung zuteil werden zu lassen. So wie es bei Peter Green (* 1946) der Fall ist. Greens Karriere begann durchaus erfolgreich, immerhin war er der Gitarrist der Blues-Combo Fleetwood Mac, für die er bis heute zeitlos gebliebene Songs wie Albatross, Need Your Love So Bad, Man of the World, Oh Well sowie Black Magic Woman schrieb und in diesen seinen unverwechselbaren Gitarrensound präsentierte.

Zuvor war er schon Mitglied bei John Mayalls Bluesbreakers gewesen, wo er niemand geringeren als Eric Clapton ersetzte. Green erspielte sich als Virtuose und Songschreiber Ende der 1960er Jahre einen großen Namen, geriet aber zugleich mental aus der Kurve. Das äußerte sich in religiösem Habitus, privat und auf der Bühne, zudem kam er mit seinem Konsum der allgegenwärtigen Drogen, vor allem LSD, nicht zurecht. Es gab Spannungen innerhalb der Fleetwood Mac (die später zu einer belanglosen Popcombo degenerierte) zwischen Green und den anderen Mitgliedern, verstärkt durch einen offenbar fatalen LSD Trip in München 1970, von dem Peter Green nicht wieder an einem Stück zurückkam. Und plötzlich war er weg.

Aber was war in diesen Jahren nicht schräg?

Ich erinnere mich gut an Gespräche mit Kumpel zu dieser Zeit, in denen es um den Verbleib Peter Greens ging. Ein Gerücht besagte, er habe dem Musikbusiness abgeschworen und den Beruf als Totengräber auf einem Friedhof angenommen. Das klang zwar recht schräg, aber was war in diesen Jahren nicht schräg? Man nahm es hin und freute sich, dass es seine früheren Aufnahmen mit Fleetwood Mac ja weiterhin zu hören gab. Eher ratlos machte mich seine 1970 erschienene Solo LP „The End of the Game“, deren Titel zwar eindeutig war, deren Musik – lange Improvisationen, offenbar eine Live Jam – aber recht verstörend wirkte. Heute halte ich diese Platte für eines der Meisterwerke der Rockgeschichte. Man findet das komplette Album bei Youtube.

Als 1979 Peter Greens LP „In The Skies“ erschien, war ich hingegen sofort begeistert. Tolle Songs, großartige Interpreten, ein Gitarrist in Hochform – „The Green God“  hatte offensichtlich die Schaufel beiseite gelegt und wieder zu seiner Gibson Les Paul gegriffen (die später Gary Moore besaß). Nicht nur ich war von „In the Skies“ angetan, alleine in Deutschland verkaufte sich die LP 200.000 Mal. Auch weitere Alben Peter Greens fanden positive Aufnahme bei Kritik und Publikum, darunter das großartige Nachfolgealbum „Whatcha Gonna Do“ von 1981, eine LP, die ich über die Jahre dreimal kaufen musste, so oft hatte ich sie abgespielt und schließlich -genudelt. Dennoch blieb der Musiker nun eine eher periphere Gestalt in der Rockgeschichte, und viele Leute werden nicht einmal wissen, dass er noch lebt, inzwischen 70 Jahre alt. Und noch immer Musik macht, sogar auf der Bühne.

Ein weiterer, stets zurückhaltender Gitarrist

Wenig bekannt ist ein weiterer, stets zurückhaltender Gitarrist, der zu den engen Freunden und musikalischen Begleitern Peter Greens gehörte: Snowy White (* 1948). Auf „In The Skies“ begleitete er Green so prägnant, dass Fans bis heute nicht einig in der Beantwortung der Frage sind, ob Greens Gitarre auf dem Comeback-Album nicht in Wirklichkeit von Snowy – der auch eine eine Gibson Les Paul zupft - gespielt wird. In der Tat besitzen beide einen miteinander verblüffend verwechselbaren Sound, und als ich erstmals Snowys Song „Birds Of Paradise“ aus dem Jahre 1983 hörte, war ich sicher, da sei Peter Green am Werk. (Nebenbei: Wer Ähnlichkeiten zwischen „Bird Of Paradise“ und Dire Straits „Brothers in Arms“ zu erkennen meint: Mark Knopflers ohne Frage wunderbare Komposition erschien erst zwei Jahre später in 1985.)

Snowy hat seit den 1970ern viele Jahre lang mit Pink Floyd gespielt, er ist auf den Alben „Animals“ und „The Wall Live“ zu hören und begleitete die Band sowie Roger Waters regelmäßig auf Tourneen und bei Livekonzerten. Und wenn man einmal nachsucht, entdeckt man eine schöne Strecke an Alben unter seinem Namen, hinzu kommen Platten mit seinen Bands Blues Agency und The White Flames. Seine musikalische Bandbreite ist enorm; der britischen Bluesszene entstammend beherrscht er natürlich auch das gefühlvolle Bluesspiel, so in seinem Stück „Midnight Blues“ auf dem Album „No Faith Required“ von 1996. Ich habe Ihnen eine Liveaufnahme des Stücks ausgesucht. Und nächste Woche geht es im zweiten Teil zum Thema „Denkt an meine Gu-i-ta-re!“ weiter. Bis dahin eine HOFFENTLICH geruhsame, vorösterliche Woche.

Der Rührselige Cowboy hier 

Die D.O.N.A.L.D.

Peter Green & Fleetwood Mac: Man Of The World

Peter Green & Fleetwood Mac: Need your Love so Bad

Peter Green: Slabo Day (vom Album In The Skies)

Snowy White:  Bird Of Paradise 

Snowy White: Midnight Blues 2012 

Unter Stichworten wie Peter Green, Fleetwood Mac und Snowy White finden sie zahlreiche weitere Musiklinks auf Youtube.

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Leserpost

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Archi W. Bechlenberg / 09.04.2017

Liebe Musikfreunde, danke für die Anmerkungen! Lieber Herr Richter, vor geraumer Zeit habe ich mich an dieser Stelle dem Brit-Blus gewidmet, das dürfte zu finden sein. sicher entdecken Sie da noch ein paar gute alte Freunde. Und lieber Herr Dr. Zabel, Sie haben Recht! Rumours ist in der Tat ein Album, das für immer existiert. Daraus hätte ich, zumindest in einem Nebensatz, unbedingt eingehen sollen. Schön, dass ich Ihrer beider Wohlwollen gefunden habe! Danke!

Roland Richter / 09.04.2017

Hallo Herr Bechlenberg, Sie haben sich als ein Fan des Blues-Rock geoutet. Nie hätte ich das bei Ihnen vermutet, aber es macht Sie mir nun doppelt sympathisch. Sicherlich kennen Sie auch -Dust my broom- und -Everyday I have the blues- ? Schön, einen Menschen mit solchem Musikgeschmack auf diesen Seiten zu treffen. Mal nicht hochpolitisch ist auch angenehm.

Dr. Carsten Zabel / 09.04.2017

Vielleicht sollte betont werden, dass Peter Green mit “Little Dreamer” bereits 1980 ein Werk nachgelegt hat, das der erwähnten “In the Skies”-LP kaum nachsteht. Soweit die Zustimmung zur wertvollsten Kolumne der Woche. Allerdings ist der Schmäh mit Fleetwood Mac nicht so ganz berechtigt, finde ich. Eigentlich gar nicht. Denn mit “Rumours” gelang der Band eine der wichtigsten Platten der Endsiebziger Jahre. Die weiteren Werke hingegen kann man getrost vergessen.

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