Wie es genau war – darüber gibt es unterschiedliche Versionen. Allerdings keine von Claas – The Kleverle – Relotius, sondern nur von tatsächlich Beteiligten.
George Harrison und Jeff Lynne waren die Gründerväter dieser Band, die den Namen „Traveling Wilburys“ erhielt. Harrison hatte gerade ein Comeback-Album eingespielt, Lynne hatte es produziert und ihm seine unverkennbaren Stempel aufgedrückt, und im musikalischen Umfeld der Produktion irrlichterten zwei weitere Brothers in Crime, Bob Dylan und Tom Petty herum. Lynne arbeitete zu dieser Zeit auch mit Roy Orbison an einem Album und war ohnehin seit Jahrzehnten Fan des 1936 geborenen Songschreibers und Sängers, der weltweit, also auch in Deutschland zu Beginn der 1960er Jahre einen Riesenhit mit „Pretty Woman“ hatte.
Ich besitze die Single des Labels London mit dem seltsamen Cover, auf dem nicht Roy Orbison, sondern ein namenloser blonder Knabe samt zwei Miezen mit Bienenkorbfrisuren zu sehen ist, die auf einer umgekippten Musikbox lüngeln. Es will etwas heißen, dass ich diese 17 cm Scheibe kaufte; das Taschengeld gab eigentlich keine Plattenkäufe her, aber „Pretty Woman“ musste ich unbedingt haben. Sie ist heute keine Rarität und wird im Internet für deutlich unter 10 € verscherbelt.
Als das Stück „Handle with Care“ aufgenommen wurde, war von den „Traveling Wilburys“ noch nicht die Rede; der Song sollte eigentlich nur die B-Seite einer Maxi-Single füllen, deren A-Seite das Stück „This Is Love“ von George Harrisons neuem Album „Cloud Nine“ war. „Handle With Care“ stammte aus Lynnes Feder und wurde innerhalb eines Tag komponiert und eingespielt, und bei der Suche nach einem Titel fand man in Dylans Garage einen Karton, auf dem „Handle with care“ stand. Warum nicht? Der Titel war gut und vielsagend. „Handle with Care ist zu gut für eine B-Seite“ befand die zuständige Plattenfirma und regte an, ein ganzes Album drum herum zu produzieren. Gesagt, getan. Man hatte ein Studio (Bob Dylans Haus), man hatte fünf brillante Musiker, man hatte geniale Komponisten. Innerhalb von anderthalb Wochen waren die zehn Titel von „The Traveling Wilburys Vol. I“ im Kasten.
Eins der Alben, die mit auf die einsame Insel gehören
Wer das Stück auch nur einmal hört – eine durch und durch typische Jeff Lynne Komposition – wird es nicht mehr aus den Ohren bekommen, und man versteht, dass es auf einer B-Seite nichts zu suchen hat. Die Plattenfirma hatte recht, in jeder Beziehung, also auch in dem Vorschlag, ein ganzes Album aufzunehmen, und „The Traveling Wilburys Vol. I“ ist für viele, sehr viele Musikfans eins der Alben, die mit auf die einsame Insel gehören.
Großartig auch das dazu gedrehte Video; Während Dylan, Petty, Harrison und Lynne, verstärkt durch Jim Keltner an den Drums, in einer Art Schuppen die Hobos mit abgerissenen Klamotten mimen, steht Roy Orbison, wie aus dem Ei gepellt, in seiner Country & Western Kluft dazwischen und klagt das, was er immer sang: „I'm so tired of beeing lonely / I still have some love to give / Won't you show me, that you really care?“
Der zweite große, ganz für Orbison geschriebene Song auf dem Album ist „Not alone anymore“. Oh, wie schön! Endlich ist er nicht mehr allein! Aber zu früh gefreut, „not alone“ ist nicht er, sondern die Frau, die ihm versprochen hatte, auf ihn zu warten. „I thought, you were all alone / but now I find, that you're not alone“, und die übrigen Wilburys shalalalen dazu, und Roy ist am Boden zerstört: „It hurts like never before / you're not alone anymore“. Ich wüsste niemanden, der diesen Song so ergreifend hätte singen können wie der alte Barde mit dem unverwechselbaren Falsett.
Anfang Oktober 1988 erschien das Album, zur gleichen Zeit wurde das Video zu „Handle with Care“ gedreht. Als zweite Single-Auskopplung war „End of the Line“ geplant, und natürlich sollte auch dazu ein Videoclip gedreht werden. Der wurde auch produziert, allerdings ohne Roy. Gerade war der Wilbury Zug ins Rollen gekommen, da erlag der große Musiker am 8. Dezember 1988 einer Herzattacke. Er hatte gerade noch den Beginn der Wilbury-Zeit miterlebt.
Kurz nach Orbisons Tod produzierten die verbliebenen Wilburys das Video zur zweiten Single-Auskopplung „End of the Line“. Zu hören ist Roy noch, nur nicht mehr zu sehen. Oder doch: Wer genau hinschaut, sieht im Hintergrund ein gerahmtes Foto von ihm, und im Vordergrund wippt ein Schaukelstuhl, leer, bis auf eine, seine Gitarre. „Well it's allright / even if your old and gray / well it's allright / you still got something to say.“
Eine Legende um fünf Musiker
Wer die zehn Titel des Albums hört, wird feststellen: Nicht ein halbherziger Filler darunter, nicht ein überflüssiger – oder noch schlimmer: egomaner – Ton ist darauf zu hören. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Platte innerhalb anderthalb Wochen entstand. Aber wenn solche Cracks am Werk sind, können Wunder entstehen. Hören Sie einmal George Harrisons mitreißende Komposition „Heading For The Light“!
Das ganze Projekt war ein großer Spaß, und dazu gehörte neben der Musik auch die Band beziehungsweise ihr Name. Es wurde eine Legende um fünf Musiker gestrickt, die Halbbrüder seien und dem gemeinsamen Vater Charles Truscott Wilbury senior entstammten. Bob Dylan war Lucky Wilbury, George Harrison Nelson Wilbury, Jeff Lynne Otis Wilbury, Roy Orbison Lefty Wilbury und Tom Petty Charlie T. jr. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, wurden für das Nachfolgealbum, das nicht Vol. 2, sondern Vol. 3 hieß, die Namen wieder geändert; so hieß Tom Petty zum Beispiel „Muddy Wilbury“. Ein ganz typisches Stück, dass die blinde Vertrautheit der Musiker miteinander beweist, ist „Inside out“, das unverwechselbare, musikalische Elemente jedes Beteiligten enthält; achten Sie einmal auf die Bridge in „Inside out“, das ist George Harrison pur.
Eine kurze, unbedingt sehenswerte Dokumentation, die man auf Youtube findet, erzählt „The true history of the Traveling Wilburys“. 30 Jahre ist das nun her. Längst ist die Band Geschichte, und Nelson, Lefty und Charlie T. jr. sind nicht mehr unter den Lebenden. Immerhin, es bleiben zwei wunderbare Alben für die Ewigkeit, Vol. I und Vol. III.
Es muss an dieser Stelle näher auf die besondere Rolle von Jeff Lynne eingegangen werden. Einst Frontman des erfolgreichen Electric Light Orchestra verschaffte sich Jeff in späteren Jahren vor allem als großartiger Produzent im Auftrag Anderer einen Platz auf dem Rock&Pop Olymp. Der Mann ist vor ein paar Tagen 71 geworden, verfügt aber immer noch über eine üppige Haarfülle und ist musikalisch voll auf dem Stand der Zeit. Zu den von ihn produzierten Bands und Musikern gehören Tom Petty, Roy Orbison, Dave Edmunds, Joe Cocker, The Beatles, Tom Jones und Del Shannon. Letzterer sollte den Platz des verstorbenen Roy Orbison bei den Wilburys übernehmen (die seinen Megahit Runaway aufnahmen). Dazu kam es nicht, Del nahm sich im Februar 1990, geplagt von Depressionen, das Leben.
2015 nahm Lynne nach längerer Pause ein neues Album auf, das von Musikfreunden wie Kritikern gleichermaßen gepriesene „Alone in the Universe“. „Würden die Beatles heute noch Musik machen, würde sie genau so klingen“, konnte man allenthalben lesen und hören. Ob da was dran ist? Lassen wir Jeff Lynne antworten mit seiner Ballade „When I was a Boy“. Wer übrigens meint, im Hintergrund Ringo Starr klabuffen zu hören: falsch. Lynne hat alle Instrumente selber eingespielt.
Zwei Stücke sollen am Ende der heutigen Kolumne stehen, beide sind verknüpft mit Jeff Lynne. 1995 erschien wie aus dem Nichts eine neue Single der Beatles, „Free as a Bird“. Ein brillantes Beispiel dafür, was ein Topproduzent aus einem Haufen Müll machen konnte. Denn mehr als Abfall existierte anfangs nicht, nur ein zerknittertes Tape, auf dem man John Lennon ein paar Takte vor sich hin singen hört. Die verbliebenen Beatles erhielten das Band Jahre später von Yoko Ono, und da sie wenig damit anfangen konnten, holten sie Jeff Lynne mit ins Studio. Was er, zusammen mit Paul, Ringo und George aus dem Material machte, ist wahrlich genial und gehört heute zu meinen Lieblingsstücken, die unter „The Beatles“ einsortiert werden können. Legendär wurde das zugehörige Video, das so voller Anspielungen auf das Werk und Leben der Fab Four ist, dass Fans bis heute nicht sicher sind, ob sie in den 22 Jahren seit dem Erscheinen alles gefunden haben.
Mit Roy Orbison hatte Lynne dessen (letztes) Album produziert, „Mystery Girl“, es erschien zwei Monate nach Roys Tod. Darauf sind viele großartige Titel, die vor allem eins zeigen: In dem Mann steckte noch eine Menge musikalische Power. Zusammen mit dem Wilbury-Projekt standen Orbison noch etliche Wege offen, immerhin war er erst 52, als das Herz aussetzte. Sie finden Stücke von „Mystery Girl“ zum Anhören bei den einschlägigen Musikportalen im Internet.
Mein Lieblingstitel von Roy Orbison – wenn ich denn unbedingt einen nennen muss – erschien allerdings erst 1992, auf dem posthum veröffentlichten Album „King Of Hearts“, zusammengestellt und produziert von – richtig! – Jeff Lynne, der Bänder von Studiosessions und Demoaufnahmen durchforstet und aufgepäppelt hatte. Darunter auch die Komposition „I Drove all Night“, bekannt geworden durch die Version von Cyndi Lauper, zuvor allerdings bereits 1987 aufgenommen von Roy Orbison. Warum auch immer, Orbisons Version wurde damals nicht veröffentlicht; das besorgte dann erst 1992 Jeff Lynne für „King of Hearts“. Für mich eins der ganz, ganz großen Stücke aus dem modernen American Songbook, das in Orbisons Interpretation und Lynnes Arrangement die ultimative Umsetzung findet. Dafür gab es dann auch einen Grammy und weltweit hohe Chartplätze. Bei Youtube findet man „I Drove all Night“ zusammen mit dem dafür gedrehten Musikvideo, in welchem man eine der schönsten Frauen Hollywoods, Jennifer Connelly, bewundern kann. Irgend so ein Typ ist auch mit von der Partie, den habe ich mir aber nicht gemerkt.