Archi W. Bechlenberg / 24.07.2016 / 06:25 / Foto: Matt Brown / 6 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Lieber britische Clowns als deutsche

„Boris Johnson gibt sich handzahm“ titelte irgendeine der austauschbaren deutschen Zeitungen dieser Tage. Was immer der neue britische Außenminister in Brüssel auch getan hätte, es wäre nicht weniger hochnäsig kommentiert worden. Johnson kann nun einmal nur verabscheuungswürdig sein, ganz anders als Herr Erdogan, für den aus dem Schmutzkübel kaum mehr als der unbedeutende Bodensatz, ein tadelndes „Du! Du! Du! Mutte nich tuun!“ übrig blieb.

Dass Johnson, mit seiner Marotte, Trumps alte Toupets aufzutragen, nicht gerade dem Idealbild eines seriösen Politikers entspricht, versteht sich vor allem in Deutschland, wo, wie ich neulich an dieser Stelle schrieb, Exzentriker höchst suspekt sind. Ein deutsches Regierungsmitglied muss die verkörperte Seriösität sein und sich mindestens so souverän auf dem politischen Parkett bewegen wie, sagen wir, Andrea Nahles, Heiko Maas, Uschi von der Leyen, Sigmar Gabriel oder Peter Altmeier. Ja, und sie natürlich auch.

Johnson handzahm, das befriedigt auf Dauer natürlich nicht, daher wartet die gesamte deutsche Presse ungeduldig darauf, dass der Mann baldmöglichst wieder den Clown gibt. Was Johnson, so er auch nur über etwas Realitätssinn verfügt, zumindest in Brüssel und Berlin tunlichst sein lassen sollte; die Gefahr, dort auf seine Meister* zu treffen, ist einfach zu groß.

Sarkasmus und Wortwitz  - ein Minderheitenprogramm in Deutschland

Ich will hier keineswegs behaupten, die britische Geschichte habe nicht auch schräge Gestalten aufzuweisen. Eine Art Zeitreise durch die Jahrhunderte mehr oder weniger wahnsinniger Herrscher, Kleriker und Politiker bietet die Serie Blackadder, die in Deutschland nicht wirklich bekannt wurde, trotz vereinzelter Ausstrahlungen im heimischen Fernsehen. Das hat Gründe. Zum einen: Wen außer Historikern interessiert in Deutschland die Geschichte des Perfiden Albion? Zum anderen: Blackadder lebt hauptsächlich von inhaltlichen und sprachlichen Anspielungen und von geschliffenen Dialogen, die man nicht einfach so konsumieren kann wie eine Knopp'sche Geschichtsstunde aus der Serie „Hitlers Unterhosen – Wie reine Schurwolle zum Weltenbrand führte“. Das ist schade, denn wenig wurde jemals fürs Fernsehen produziert, das intelligenter, unterhaltsamer und lehrreicher ist als die insgesamt vier Staffeln von Blackadder, deren Handlungen zeitlich zwischen 1485 und 1917 angesiedelt sind. Entstanden sind die Episoden schon vor mehr als 30 Jahren, aber das ist nun wirklich kein Grund, sie zu ignorieren.

Die zentrale Figur, der jeweilige Vertreter einer fiktiven Adelsfamilie namens Blackadder, wird von Rowan Atkinson gespielt, der in Deutschland ebenso bekannt ist wie überall sonst auf der Welt; er verkörperte einst den bei Groß und Klein beliebten Stinkstiefel Mr. Bean.  Während Bean weitgehend stumm blieb, brilliert Atkinson als Blackadder durch Sarkasmus und Wortwitz von höchster Zungenfertigkeit. Blackadder sieht – völlig zu Recht – alle Figuren, mit denen er es über die Jahrhunderte zu tun bekommt, als Vollidioten an und hält mit seiner Meinung über sie meist nicht hinter den Berg, wenn auch nicht in der direkten Konfrontation. Er ist durch und durch Karrierrist und versucht mit allen Mitteln, in der Hierarchie von Adel und Politik so weit nach oben zu gelangen, wie es ihm seiner Ansicht nach zustehen würde.

Als Zuschauer erlebt man allerdings mit, dass er sich statt nach oben immer weiter nach unten bewegt, vom Thronfolger in Staffel 1 zum Kammerdiener in Staffel 3 bis zum schlichten Captain der britischen Armee, der unter der geradezu grotesken (und daher sehr nahe an der Wirklichkeit befindlichen) Unfähigkeit seiner Vorgesetzten leidet. So wie in den vorher gehenden Epochen, in denen die größten Hirnakrobaten dank Herkunft oder Protektion über ihm stehen.

Um nicht ganz daran zu verzweifeln, haben die Blackadders, ebenfalls über alle Epochen hinweg, Untergebene und Gleichgestellte neben sich, an denen sie den ganzen Frust über ihr elendes Dasein auslassen könenn. Bevorzugtes Ziel der Attacken ist Blackadders Diener Baldrick, eine schratige, servile Kreatur ohne jedes Gehirn. Dass ausgerechnet aus den zahlreichen Konfrontationen zwischen den  fraglos hochintelligenten Blackadders und den debilen Baldricks die großartigsten Dialoge der Serie entwachsen, zeigt, welche Meister des Drehbuchs hinter den Folgen stehen.

Blackadder: „Du bist gefeuert.“

Baldrick: „Aber Mylord, ich bin in Ihrer Familie seit 1532!“

Blackadder: „Das ist die Syphilis auch!“

Neben den vier Staffeln mit insgesamt 24 Folgen wurden drei Specials gedreht, in denen weitere Ereignisse der britischen Geschichte aufs Korn genommen werden. So die Folge Back and Forth, in der Blackadder und Baldrick mittels einer Zeitmaschine durch die Jahrmillionen reisen und dort ihre Spuren hinterlassen. Zwar handelt es sich ursprünglich nur um einen bösen Streich Blackadders gegenüber eingeladenen Freunden am Silvesterabend 1999; Baldrick allerdings ist so dämlich, dass er sich beim Bau der Zeitmaschine nicht an die Vorgaben seines Chefs hält. Was zur Folge hat, dass das Gerät tatsächlich funktioniert. Mit fatalen Folgen wie einigen historischen „Korrekturen“ und der Konfrontation eines gierigen Sauriers mit Baldricks Unterhose...

Blackadder rangiert nicht zu Unrecht unter den Top 3 der besten Comedyserien aller Zeiten, zumindest im englischsprachigen Raum. Sofern Sie der englischen Sprache einigermaßen mächtig sind, sollten Sie sich die vielen Stunden Vergnügen gönnen, die Ihnen Blackadder bietet. Es gibt neben etlichen Einzelveröffentlichungen eine preiswerte DVD Box mit allen Folgen, allen Specials und vielen weiteren Extras, sie heißt Blackadder Remastered – The Ultimate Edition, (This deluxe edition includes fantastic digitally remastered episodes plus a whole host of special features, many of which are completely exclusive to DVD. This remastered Blackadder collection brings together all four eras of the classic comedy starring Rowan Atkinson. Each series traces the sniveling title character and his equally irksome descendants. Episodes feature a wide range of British stars, including Stephen Fry, Hugh Laurie, Miranda Richardson, Rik Mayall, Jim Broadbent, Brian Blessed, and many others.), ist in englischer Sprache mit englischen Untertiteln und bei einem großen Versender im Internet für wohlfeile 26,09 Euro erhältlich.

Sie mögen sagen: „Wirre Dummköpfe auf höchsten Posten, davon haben wir doch real nun wirklich mehr als genug!“ Das ist wohl wahr. Allerdings können die aus Blackadder Ihnen nichts mehr antun, außer Sie prächtig zu unterhalten. Und das ist im Hier und Heute eine Menge wert.

Noch mehr kluge Gedanken finden sie in Archi W.Bechlenbergs Herrenzimmer

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Leserpost

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Tomas Reiffer / 24.07.2016

Besten Dank für den Tipp. Blackladder kannte ich bislang noch nicht, klingt aber sehr vielversprechend. Für alle: Die Serie gibts in Gänze bei YouTube. Einen eigenen Tipp zu britischem TV-Humor hätte ich auch noch: “Yes, Minister” und - Staffel 2 - “Yes, Prime Minister”. Ebenfalls bei YouTube auffindbar und einfach nur brilliant.

Joachim Roux / 24.07.2016

Boris Johnson hat eine schöne Churchill Biographie geschrieben… Auch das sollte erwähnt werden.

C.S. Merten / 24.07.2016

Wo zum Teufel, lieber Herr Bechlenberg, bleibt eigentlich die längst versprochene Hommage an unseren Carl Hertweck! Ich sage nur: “Grubenhund”! Black Adder gehört auch zu meinem Humorevangelien. “Black Adder Goes Fourth”, vor allem die letzte Minute der letzen Folge, ist das ergreifendste, was ich je gesehen habe. Naja, von den letzten Minuten jeder Jack Bauer-“24”-Season mal abgesehen. Dank + Gruß, C.S. Merten

Karl-Heinz Vogt / 24.07.2016

Neben der Serie “Yes Minister”, deren Rezeption ein 12semestriges Studium der Politikwissenschaften komplett ersetzt, müßte “Blackadder”  als d a s Juwel der britischen Fernsehunterhaltung bei den öffentlich-rechtlichen DEGETO-Dilettanten die pure Scham auslösen. Die “Qualität” der ARD/ZDF-Machwerke zeigt allerdings, daß  bei den Zwangsgebührenverbrennern Scham und Selbstkritik unbekannte Größen sind. Ein Einwand sei hier noch erlaubt. Baldrick ist mitnichten “ohne jedes Gehirn”. Als tumber Tor,  “Hofnarr” seines Herrn und Mann aus dem Volke ist er der kongeniale Widerpart Blackadders und diesem häufig haushoch überlegen; ein früher Forrest Gump gewissermaßen.

Inra von Wangenheim / 24.07.2016

Sehr geehrter Herr Bechlenberg, mir die Serie zu kaufen, hatte ich ohnehin schon lange vor. Fawlty Towers mit John Cleese ist da ebenfalls zu empfehlen, wenngleich diese Serie eher unpolitisch ist. Doch halt, wenn ich an die Folge mit den deutschen Gästen denke… ;-). Das ist jedenfalls, glaube ich, noch älter als Black Adder . Die Leute um die Monty Pythons auf der einen, und dem unwiderstehlichen Hugh Laurie plus Stephen Fry Duo, auf der anderen Seite der Phalanx des very britischen Humors der 70er und frühen 80er Jahre, waren und sind bis heute, mit ihrer von ihrem hohen Geist getragenen Selbstironie solitär! Danke also, ich habe gleich wieder ein bisschen bessere Laune… Sonntägliche Grüße Inra v. Wangenheim

Sebastian Knoth / 24.07.2016

Lieber Herr Bechlenberg, vielen Dank für den Tipp und die Erinnerung. Fürwahr eine der großartigsten Comedyserien mit rabenschwarzem britischen Humor. Leider hierzulande tatsächlich wenig bekannt. Bei uns hält man es ja eher mit vollkommen spaßbefreiten Formaten in Endlosschleife. Zeit die DVD Box mal wieder rauszukramen. Danke und einen schönen Sonntag.

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