Vor wenigen Tagen, am 7. Juni, jährte sich der Geburtstag von Dino Crocetti zum 100. Mal. Da er es den größten Teil seines Lebens tüchtig krachen ließ, war nicht zu erwarten, dass er diesen Tag erleben würde, und so starb er 1995 mit 78 Jahren. Seitdem ist er unsterblich.
Dean Martin sah ich zum ersten Mal in den frühen 1960er Jahren, da war ich noch ein Kind und fand ihn ziemlich langweilig. Als Filmpartner des wirren Jerry Lewis gab er den Vernünftigen und hatte etwas von einem „Weißen Clown“ im Zirkus, also der Figur, die im Gegensatz zu den „echten“ Clowns stets versucht, Ordnung ins Chaos zu bringen. So picobello gekleidet wie ein Weißer Clown war auch Martin, während Jerry Lewis alles das hatte, was einem Kind gefallen musste. Auf Dauer fand Martin das „Nebeneinander eines friedlichen Halbidioten und eines smarten Schönlings“ (Biograf Michael Althen) wohl auch öde und nicht mehr ausbaufähig, so dass er sich nach immerhin zehn Jahren gemeinsamer Bühne und Film von Lewis trennte. „Die wichtigste Entscheidung meines Lebens war es, mich mit Jerry zusammenzutun. Die zweitwichtigste war es, mich von ihm zu trennen.“ Die Trennung gab etwas böses Blut, und erst 1976 kam es durch Frank Sinatra auf offener Bühne zu einer Wiedervereinigung.
Vor den Jahren mit Jerry Lewis hatte Dean Martin eine Karriere als Sänger gestartet, die Erfolge waren allerdings eher bescheiden, da das Genre des Crooners bereits von etablierten Größen wie Bing Crosby und Frank Sinatra bedient wurde. Martin erkannte, dass er einen eigenen Gesangsstil entwickeln musste; mit Erfolg, das große Label Capitol Records nahm ihn 1948 unter Vertrag, und sein Markenzeichen wurde fortan das Absingen sentimentaler, pseudo-italienischer Lieder, die er mit einem unverwechselbaren Schmelz in der Stimme darbot. Es geht darin stets um Amore, Mandolinen, Napoli, Roma, Arrividerci, Küsse, offene Augen, geschlossene Augen, den Mond, Herzen, A-boy-and-a-girl und ewige Treue. Einmal, in seinem Welthit That’s Amore, sogar um Pizza: „When the moon hits your eye like a big Pizza pie...“ Auch in den Filmen mit Lewis gab es zuverlässig die eine und andere Gesangseinlage, manchmal als urkomisches Duett.
Eine prägende Mitgliedschaft im Rat Pack
Nach der Zeit mit Jerry Lewis wurde die große Abendunterhaltung Dean Martins bevorzugtes Metier, und durch seine prägende Mitgliedschaft im Rat Pack, jener nicht nur auf der Bühne, sondern auch im realen Leben zelebrierten Männerbande, die im Kern aus ihm, Frank Sinatra und Sammy Davis jr. bestand, erlangte er als Entertainer weltweiten Ruhm. Seine Lässigkeit, seine Nonchalance, seine Art, Anderen zu begegnen, machten ihn zu einem von allen geliebten Star. Während Frank Sinatras Swing und Coolness für mich stets etwas Aufgesetztes erkennen lässt, nimmt man Dean Martin den Sunny Boy ohne jedes Zögern ab. So wie man ihm auch abnahm, dass er seine Auftritte stets betrunken absolvierte. Was er jedoch niemals war, er zelebrierte statt dessen das, was „The drunk act“ genannt wurde und förderte somit durch sein ganzes Verhalten beim Publikum die Vorstellung, man habe ihn quasi aus einer Bar auf die Bühne schleppen müssen. Man stelle sich einmal vor, in unserer heutigen, von Muckern und Temperenzlern unterjochten Welt versuchte jemand, mit dem Habitus eines Schluckspechts Karriere zu machen.
Die ab 1960 zum festen Repertoire von Las Vegas gehörenden Auftritte des Rat Packs bewiesen eindrucksvoll, welche großartigen Entertainer da am Werk waren, denn vieles in ihrer Show war improvisiert und wirkte gerade dadurch so lebendig, lässig und weltmännisch. Hier alberten und drei Typen auf unnachahmliche Weise herum und boten Unterhaltung vom Feinsten. Im Laufe der Jahre begann das Showbusiness allerdings, Dean Martin zu langweilen, und er absolvierte seine Auftritte, die Filmarbeit und die Musik nur noch mit professioneller Routine, aber nicht mehr mit ganzem Herzen.
Seine vom Publikum so geschätzte „Dean Martin Show“ im Fernsehen verlor mehr und mehr an Niveau und bestand zuletzt eher aus flachen Witzen als aus hochklassigem Entertainment. Dean wurde von der Kritik als „King Leer“ (König der Zote) geschmäht, verlor aber dennoch nie die Gunst des großen Publikums; davor bewahrte ihn sein immer noch umwerfender Charme. Von 1965 bis 1974 entstanden 264 Folgen der Show, und bis Dezember 1984 gab es noch 20 TV Sendungen unter dem Titel „The Dean Martin Celebrity Roast“. Im Übrigen filmte er, was seine Manager wollten, sang, was die Plattenfirmen wollten und tat auch sonst nur noch Dinge, die ihm „möglichst viel Geld bei möglichst wenig Aufwand“ einbrachten. Viel lieber hielt er sich auf dem Golfplatz auf.
Ein Clown , der hinter der Maske so ganz anders ist
Angesichts seines coolen, stets jovialen Auftretens in der Öffentlichkeit mag es verwundern, dass Dean Martins wahrer Charakter ein ganz anderer gewesen ist. Er war privat verschlossen, genügte sich lieber selbst, als mit anderen zusammen zu sein und hatte nur ganz wenige persönliche Freunde. In seinen letzten Lebensjahren versank er in eine tief sitzende Depression, wohl ausgelöst durch den Tod seines Sohnes Dean Paul im Jahre 1987. Man kommt hier nicht umhin, das allzu realistische Klischee vom Clown zu bemühen, der hinter seiner Maske so ganz anders ist.
Ich hatte bereits die ersten zwei Absätze dieses Textes geschrieben, als ein Stromausfall alles in den Orkus schickte. Normalerweise ein Moment, in dem ich mühelos Kapitän Haddocks Flüche („Sie zoologisches Abfallprodukt! Hinkebein! Geistiges Pantoffeltierchen! Seegurke! Mottenzerfressene Kamelimitation!“) zu harmlosen Koseworten verblassen lasse. Diesmal hingegen wusste ich, was zu tun ist, ich suchte mir meinen Lieblingssong von Dean Martin auf Youtube, und schon war alles wieder gut.
Powder your face with sunshine
Put on a great big smile
Make up your eyes with laughter
Folks will be laughing with you in a little while
Whistle a tune of gladness
Blue never was in style
The future's brighter when hearts are lighter
So smile smile smile
Wenn das kein Antidepressivum ist! Ich wünsche einen entspannten Tag.
Dean Martin – Powder Your Face With Sunshine
Dean Martin und Jerry Lewis – Starr vor Angst
Dean Martin und Jerry Lewis singen That's Amore
Dean Martin und Jerry Lewis 1976 Reunion
Dean Martin und Marty Feldman – The Restaurant
Und als spezieller Service: Die Flüche von Kapitän Haddock