Das Anti-Depressivum zum Sonntag: Django Reinhardt

Es muss für den durch und durch disziplinierten Violin- und Klavierspieler Stéphane Grappelli eine ziemliche Tortur gewesen sein, einen musikalischen Partner wie Django Reinhardt gehabt zu haben. So kongenial die Beiden auch über viele Jahre gemeinsam musiziert haben, so grundverschieden waren ihre Charaktere und ihre Lebenseinstellungen. Grappelli, akademisch-gebildet, stets auf die Minute pünktlich, immer bestens vorbereitet und verantwortungsbewusst hier, und da der Larifari Reinhardt, der mehr als Dutzende Male Auftritte und Studiotermine sausen ließ, weil er lieber Karten oder Billard spielte oder einfach keine Lust zum Arbeiten hatte. Aus diesem Spannungsfeld heraus entstand eine Musik, die nicht nur zu ihrer Zeit, erst in Europa, später auch in Übersee, höchst populär wurde, sondern  bis heute ihre Gültigkeit besitzt. Zahlreiche, virtuose Adepten halten den als Gypsy Swing bekannten Stil lebendig, und daran wird sich auch so bald nichts ändern.

Dabei sah es in den letzten Lebensjahren Django Reinhardts eine Zeit lang so aus, als sei das Konzept des reinen Saiten-Orchesters, bestehend aus Sologitarre, Rhythmusgitarre, Violine und Contrabass, am Ende. Nach dem 2. Weltkrieg hatte sich in der Jazzwelt revolutionäres getan, der Bebop feierte jenseits und diesseits des Atlantiks Triumphe, und der bis dahin ausschließlich auf akustischen Instrumenten spielende Reinhardt versuchte, mit elektrisch verstärkten Gitarren einen neuen Anschluss zu finden. Einem musikalischen Genie wie ihm gelang dies zwar, aber der rein unterhaltende Charakter des früheren Hot Club de Paris, eine mal im Quartett, mal im Quintett spielenden Combo mit Django und Stéphane als Solisten ging zugunsten einer mehr artifiziellen Musik „zum Zuhören“ verloren.

Django Reinhardt wurde in einem Zigeunerwagen geboren

Django Reinhardt wurde 1910 geboren, am Rande eines armseligen belgischen Dorfes namens Liberchies in einem Zigeunerwagen. Es war Januar und erbärmlich kalt und die Reinhardts, fahrendes Volk mit deutschen Wurzeln, konnten froh sein, wenigstens auf der außerhalb des Ortes liegenden Wiese campieren zu dürfen.  Die Wirtin einer Kneipe erbarmte sich der jungen Mutter und des Babys und sorgte dafür, dass sie unbeschadet bis zum Frühjahr bleiben konnten, dann hieß es weiterziehen. Heute ist Liberchies stolz auf den eher zufälligen Sohn und veranstaltet einmal im Jahr ein ihm gewidmetes Festival, es gibt sogar ein kleines Django-Museum und einen Gedenkstein neben der Kirche.

Der Kleine brachte sich als würdiger Sproß einer ohnehin im Showgeschäft tätigen Familie, die sich mit Clownerien, Artistereien, Tanzen und Musizieren durchschlug, selber das Spiel auf Banjo und Gitarre bei; zudem leitete er mit sieben oder acht Jahren eine Kinderbande vor den Toren von Paris. Die Schule vernachlässigte er zugunsten von Würfel- und Kartenspielen, und es war Stéphane Grappelli, der dem bereits erwachsenen und längst musikalisch gereiften Gitarristen Anfang der 1930er Jahre wenigstens das Schreiben seines eigenen Namens beibrachte. Das ließ sich wohl nicht vermeiden; Fans wollten Autogramme und Veranstalter einen gegengezeichneten Vertrag, und so fügte sich Django in sein Schicksal.

Dass Reinhardt  überhaupt jemals eine musikalische Karriere beginnen konnte, war mehr als unwahrscheinlich. Zwar trat er, seitdem er 13 Jahre alt war, bereits bei Tanzveranstaltungen in verschiedenen, lokalen, meist spontan gebildeten Gruppen auf, aber ein Brand seines Zigeunerwagens kostete ihn 1928 fast das Leben, nur mit viel Glück konnte ein  verbranntes Bein gerettet werden, und lebenslang übrig blieb eine verkrüppelte Hand, an der zwei Finger fehlten. Er lernte mit unendlicher Disziplin und der in ihm vorhandenen musikalischen Genialität, mit diesem Handicap nicht nur zu spielen, sondern daraus auch seinen ureigenen Stil zu entwickeln, der ihn für immer unsterblich machte.

Was für ein Name: "Quintette du Hot Club de France"

Nach Jahren auf der Straße, hauptsächlich in Südfrankreich, wurde Django Reinhardt schließlich in den 1930er Jahren „entdeckt“, zu seinen Förderern gehörten der Dichter Jean Cocteau und der damals höchst populäre Sänger Jean Sablon. Django lernte Grappelli kennen, und das erste Quintette du Hot Club de France wurde zusammengestellt, mit dabei Djangos Bruder Joseph. Die zunächst noch von der Musette, dann aber vom amerikanischen Swing beeinflusste Musikmelange schlug nicht nur in Frankreich sensationell ein, bald gab es die ersten Auslandstourneen, und amerikanische Musiker, die in Europa unterwegs waren, rissen sich darum, mit dem einzigartigen Gitarristen zu spielen, unter ihnen Duke Ellington, Benny Carter und Coleman Hawkins. Reinhardt, der einstige arme Zigeunerjunge, verdiente auf einmal haufenweise Geld, leistete sich eine Wohnung hoch über der Champs-Elysées, Genüsse, Frauen, Maßanzüge und rasante Autos. Was dann noch an Geld übrig blieb ausgab, verzockte er. Alle Welt kannte nun den Zigeuner mit den zwei fehlenden Fingern, der spielen konnte wie kein anderer. Und Django war sich dessen bewusst, wie sein Zitat in der Überschrift zeigt.

Als der 2. Weltkrieg ausbrach, war die Gruppe gerade in England unterwegs. Während Stéphane Grappelli dort blieb, reiste Django zurück nach Paris, wo er die nächsten Jahre live auftrat und Alben aufnahm. Zu seinen engen Freunden gehörte damals und später der Musikkritiker und Förderer Dietrich Schulz-Koehn, der als Besatzungssoldat in Paris stationiert war und später die erste deutschsprachige Biografie über Django Reinhardt verfasste. 1946 gab es ein Wiedersehen mit Grappelli, gefeiert wurde es mit einer Aufnahme der Marseillaise, eingespielt in London.

Django Reinhardt zog sich zu Beginn der 1950er Jahre in den südöstlich von Paris gelegenen Weiler Samois sur Seine zurück und widmete sich seiner neuen Leidenschaft, der Malerei sowie dem Angeln und Billardspielen. Im Ort war er beliebt und angesehen, weniger als Musiker, denn als Billardspieler, mit seiner Hilfe gewannen die Samoiser gegen den großen Rivalen Fontainebleau. Nur ab und an nahm er noch an Aufnahmesessions anderer Musiker in Paris teil. Django war sesshaft geworden und hatte seine Ruhe gefunden. Leider nur für kurze Zeit. Am 15. Mai 1953 saß er mit Freunden in seiner Lieblingskneipe, als ihn eine Gehirnblutung traf. Einen Tag später war er tot. Sein Haus steht seit damals unverändert in einer zur Seine führenden Gasse, auf dem kleinen Friedhof von Samois steht sein Grab, eine Pilgerstätte für Gitarristen aus aller Welt, die als Zeichen ihrer Verehrung gerne ein Plektrum auf die Grabumfassung legen.

Seit bald 40 Jahren findet in Samois sur Seine jährlich Ende Juni ein mehrtägiges Festival statt, das an Django Reinhardt erinnert. Auf einer idyllischen, von Schwänen, Enten, Schildkröten und Bisams umpaddelten Insel in der Seine treffen sich Musiker und Fans aus aller Welt, um den Gypsy Swing und damit verwandte Musikrichtungen zu feiern. Es ist eine unvergleichliche Stimmung. Überall im Dorf sowie auf den umliegenden Campingplätzen schraddeln Tag und Nacht die Gitarren, und Weltstars wie James Carter, Gregory Porter oder (der leider inzwischen verstorbene) Paco de Lucia jammen vor Kneipen und an Straßenrändern gemeinsam mit Fans und Amateurmusikern. Bei unserem letzten Aufenthalt in Samois nahmen wir zwei Anhalter mit zum Festivalgelände – es waren Israelis, die extra für das dieses Erlebnis aus ihrem Heimatland gereist waren. In diesem Jahr ist unter vielen anderen auch der deutsche Virtuose Joscho Stephan zu hören; dessen Virtuosität ist wahrlich atemberaubend und wird weltweit bewundert; dabei ist er nicht einmal ein Zigeuner, so wie es die meisten anderen Stars der Szene wie Bireli Lagrène, Lollo Meier, die Rosensteins, Tchavolo Schmitt oder Djangos Enkel David, um nur einige zu nennen.

Auf einen Auftritt kann man sich in diesem Jahr besonders freuen: die von mir vor einigen Wochen hier vorgestellte Cyrille Aimée wird zu sehen (!) und zu hören (!!) sein. Sie, die heute in New York lebt, stammt ursprünglich aus dem gleich neben Samois liegenden Städtchen Fontainebleau. Dass sie Musikerin wurde, hat wesentlich damit zu tun, dass sie sich mit dem Festival in Samois seit ihrer Kindheit verbunden fühlt. Nun steht sie selber dort auf der Bühne. Ein ewig gehegter Traum wird für sie wahr.

Links:

Marseillaise (1946)

Das vielleicht berühmteste Stück aus seiner Feder hier.

Eine Deutschsprachige Dokumentation über Django Reinhardt.

Impressionen vom Festival in Samois 2015

Joscho Stephan Trio - Playing Minor Swing

Website des diesjährigen Festivals in Samois

Foto: Archi W. Bechlenberg

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Manfred Haferburg / 29.05.2016

Lieber Archi W. Bechlenberg, sehr schön geschrieben, da hat das Lesen am Sonntagmorgen richtig Spass gemacht und der Espresso noch mal so gut geschmeckt. Ich hab noch einen kleinen Geheim-Tipp: Auf dem Pariser Flohmarkt St. Ouen gibt es eine Brasserie, wo jeden Samstag und Sonntag Django Reinhard ganz entspannt musikalisch gehuldigt wird. Von 14:00 bis 19:00 Uhr spielen da zwei Gitarristen zur Erbauung der bierdurstigen Laufkundschaft sehr hübschen Gipsy-Swing. Wenn man Glück hat, bringt noch einer der Flohmarkthändler seine Geige oder Klarinette mit, dann wird gejammt was das Zeug hält. Und für Hungrige gibt es auch noch ordentliches Pariser Brasserie-Essen zu fairen Preisen - für Pariser Verhältnisse :-) Danach kann man sich mit frischen Kräften in das unglaubliche Pariser Flohmarktvergnügen stürzen. Hier gibt es auf ein paar Quadratkilometern von gebrauchten Schuhen bis zum exquisiten Rokoko-Mobiliar alles, wirklich alles, was nur irgendwie vorstellbar ist. Damit Interessierte es finden: “La Chope des Puces” (Espace Django Reinhardt), 122 rue Rosiers, 93400 Saint Ouen; +33 (0) 1 40 11 02 49.

Karl Thönnissen / 29.05.2016

Lieber Herr Bechlenberg, ein weiteres Anit-Depressivum für alle Tage ist Djangos Großneffe Lulo. Für mich einer der besten Gitarristen zurzeit. Er spielt allerdings auch sehr viel anderes neben dem Swing, eigene Sachen und da vor allem Latin Swing. Es gibt einen Film, der ihn und den deutschen Reinhardt-Clan ganz gut porträtiert: Newo Ziro - Neue Zeit, über das jährlich in Koblenz stattfindende Festival “Djangos Erben”.

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