Scholz und Habeck wollen sich retten, indem sie Lindner für alle Ampel-Schäden zum Sündenbock erklären. Auch andere Katastrophen möchten sie im Windschatten dieser Regierungskrise verstecken.
Ich habe mich geirrt. Ich hatte gedacht, das Ampel-Staatstheater würde sich auch diesmal wieder hinter einem Formel-Kompromiss zusammenfinden. Als gestern Morgen deutlich wurde, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewonnen hat, hätte ich fast darauf gewettet, dass die Ampel-Unterhändler dies zum Anlass nehmen, um – wie sie es formuliert hätten – angesichts dieser unsicheren Weltlage aus staatspolitischer Verantwortung an dieser Regierung festzuhalten.
Das Gegenteil ist gestern Abend eingetreten. Die Ampelmännchen trafen sich zum wiederholten Male im Kanzleramt und statt, wie erwartet, irgendwann in tiefer Nacht bekannt zu geben, dass man sich auf weiteres gemeinsames Regieren verständigt hätte, hieß es plötzlich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz beim Bundespräsidenten die Entlassung des FDP-Finanzministers Christian Lindner angemeldet hat. Die Ampelkoalition ist damit Geschichte.
Das ist zwar grundsätzlich keine schlechte Nachricht, aber wenn man darüber nachdenkt, aus welchem Geist das Drehbuch zu diesem Regierungsende ersonnen wurde, verschlägt es einem die Freude über das Ende der ungeliebten Regierung schnell.
Keine Angst, hier wird Ihnen jetzt keine Verschwörungstheorie präsentiert. Aber so etwas wie ein Drehbuch muss es gegeben haben, denn Bundeskanzler Olaf Scholz muss seinen Auftritt zur Bekanntgabe des Ampel-Tods zuvor gründlich geprobt haben. So unfallfrei und rhetorisch geglückt konnte er bislang nicht einmal mit einer vorformulierten Regierungserklärung im Bundestag auftreten.
Auch wenn es noch ungewiss sein mag, wann genau die Entscheidung zur Ampelauflösung fiel, so wurde die Dramaturgie, die ihr zugrunde liegt, in der Erklärung des Bundeskanzlers deutlich. Er hob die einvernehmliche Abstimmung mit dem grünen Vizekanzler Robert Habeck deutlich hervor. Die rot-grünen Vorturner hatten sich offensichtlich darauf geeinigt, den in den letzten Tagen plötzlich widerspenstig auftretenden FDP-Finanzminister zum Sündenbock für das Ampeldesaster zu erklären. Das Publikum sollte den Eindruck bekommen, dass nur wegen der Weigerung des Finanzministers, die Schuldenbremse zu lösen, all die wohlmeinenden Ampelprojekte gescheitert sind, weil man sie nicht mit genügend Steuer-Millionen oder Milliarden hat finanzieren können.
Der Steigbügelhalter kann gehen
Offenbar kommt dem Kanzler und seinem Wirtschaftsminister die Möglichkeit gelegen, dass sie der Öffentlichkeit für die verheerende Bilanz des eigenen Regierens einen Sündenbock präsentieren können. Damit ersparen Sie sich mühsame Rechtfertigungen vor den Wählern, wie sie vielleicht beim regulären Wahltermin im nächsten Jahr nötig gewesen wären. Zudem wären die Folgen der Regierungspolitik der letzten Jahre, nicht nur die der Ampel, zum regulären Wahltermin für noch mehr Wahlbürger spürbar geworden. Das Ergebnis wäre mithin für die etablierten Parteien noch verheerender ausgefallen, als es jetzt im nächsten März zu erwarten ist.
Nach den Worten von Olaf Scholz will er sich am 15. Januar vom Bundestag das Misstrauen aussprechen lassen, damit der Bundespräsident anschließend für Ende März Neuwahlen anberaumen kann.
Bis dahin möchte der Kanzler noch weiter regieren, zusammen mit den Grünen und gestützt von der CDU. Letztere wird sich kaum verweigern, in Thüringen hatte sie ja auch jahrelang zuverlässig für die sichere Fortexistenz einer von den SED-Erben geführten Landesregierung gesorgt.
Auch wenn Christian Lindner nun in dem Moment, in dem er viel zu spät vernünftige Gedanken äußerte, entlassen und zum Sündenbock erklärt wurde, gibt es keinen Grund, Mitleid mit ihm zu haben. Drei Jahre lang war er bereitwilliger Steigbügelhalter einer rot-grünen Regierung. Drei Jahre lang haben er und die anderen FDP-Minister die ideologiegetriebene rot-grüne Politik der Bundesregierung mitgetragen, auch wenn sie erkennbar die eigenen Prinzipien mit Füßen trat. So viel Charakterlosigkeit zahlt sich nun einmal nicht aus. Wenn der stets bereitwillige Steigbügelhalter nicht mehr willig ist, dann kann er gehen. Bei einem Mann, der jahrelang keinen Charakter zeigt, kann man es seinen Mitspielern auch nicht verübeln, wenn sie auf dessen andauernde Charakterlosigkeit spekuliert haben.
Aber ich will hier nicht vom hohen Ross des Kommentators urteilen, denn meine bisherige Einschätzung des Ampelstaatstheaters war ja auch falsch. Ich hätte gedacht, dass alle drei Ampelmännchen hinreichend motiviert sind, an diesem Regierungsmodell festzuhalten, weil es sonst mit den Wonnen des Regierens nachhaltig vorbei sein kann. Aber SPD und Grüne hoffen jeweils auf eine Regierungsbeteiligung auch im nächsten Durchgang. Zumindest sind sie sich sicher, wieder in den Bundestag zu kommen. Für diese Aussichten kann man den scheinbar ohnehin verlorenen FDP-Koalitionspartner auch einfach opfern.
Ungeahnte Folge der Trump-Wahl?
Vielleicht hat auch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten eine ganz andere Wirkung gehabt, als ich gedacht hätte. Gestern Morgen war ich mir – wie gesagt – fast sicher, die Ampelmännchen nutzen das, um in dieser Situation die staatspolitische Verantwortung zur Vorführung der Regierung zu beschwören. Stattdessen tun sie das Gegenteil. Warum?
Vielleicht wollen sie sich im Pulverdampf des amerikanischen Regierungswechsels klammheimlich aus der bisher lautstark proklamierten Solidarität mit der Ukraine im Krieg gegen den russischen Angriff verabschieden. Diese Unterstützung wird immer teurer und wenn sich die USA unter Präsident Trump aus der Finanzierung des ukrainischen Waffenbedarfs zurückziehen, steht natürlich die Frage im Raum, wer diese Lücke füllt. Deutschland? In einem Wahljahr? Überlegen die rot-grünen Regierenden vielleicht, ob sie sich nicht im Windschatten der USA genauso schmählich zurückziehen, wie weiland aus Afghanistan, wo zuvor doch auch erklärtermaßen die Freiheit Deutschlands verteidigt wurde.
Im Windschatten großer Ereignisse lassen sich seit jeher unauffällig Dinge erledigen, die ansonsten als unmöglich gegolten hätten. Während die überregionale Öffentlichkeit mit der Regierungskrise im Bund beschäftigt ist, könnte beispielsweise in Sachsen die Brandmauer zur AfD fallen. Durch das Berliner Regierungsbeben konnte sich gestern eine Nachricht aus der Landeshauptstadt Dresden in der Medienlandschaft gar nicht in aller Schönheit entfalten. In Sachsen sind die Verhandlungen von CDU, Wagenknecht-Bündnis und SPD über eine mögliche Koalition gescheitert. Am Vorabend sorgte der CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer noch für Schlagzeilen, weil er sich zu einem vertraulichen Gespräch mit dem sächsischen AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Jörg Urban getroffen hatte. Natürlich ließ er in der Öffentlichkeit versichern, wie harmlos dieses Gespräch gewesen wäre, ohne allerdings Näheres zu dessen Inhalt verlauten zu lassen.
Auch nach dem Abbruch der Verhandlungen zur Regierungsbildung durch die Wagenknechte äußerte er darüber sein Bedauern und versicherte, nicht mit der AfD koalieren zu wollen. Aber dennoch kann er ja im vertraulichen Gespräch ausgelotet haben, ob eine von ihm gebildete Minderheitsregierung Chancen auf Stimmen aus der AfD hätte und wenn ja, zu welchen Konditionen auch unterhalb von Duldungs-, Kooperations- oder gar Koalitionsvereinbarungen. Ob Kretschmer, während sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Regierungskrise in Berlin richtet, die Chance nutzt, ohne allzu viel Gegenwind die Brandmauer zu schleifen?
Kein Abweichen
Rot-Grün würde die CDU dafür möglicherweise nur begrenzt geißeln, denn für ihre Restlaufzeit bräuchte die Regierung ja die Christdemokraten, die sich dazu auch schon bereit erklärten. Und wer sich die Sprechblasen von Scholz, Habeck und Baerbock nach der Ankündigung der Lindner-Entlassung in Klartext übersetzt, weiß, dass SPD und Grüne entschlossen sind, in ihren letzten Regierungsmonaten noch möglichst viel von ihrer ideologiegetriebenen Politik durchzusetzen.
Gerade in den vielen politischen Vorfeldorganisationen aus dem rot-grünen Spektrum, die gern als "Zivilgesellschaft" oder "Nichtregierungsorganisationen" firmieren, obwohl sie von staatlichen Fördermitteln leben, herrscht schließlich insbesondere nach der Trump-Wahl eine gewisse Verunsicherung. Welche Folgen hat es, wenn Macht und Einfluss der Organisationen aus der Fördermittelwirtschaft international schwinden? Donald Trump hat die USA in seiner ersten Amtszeit schon einmal einfach aus den Fängen der Regularien der sogenannten Klimarettung gelöst. Sind solche Erschütterungen im ideologischen Leitlinien-Gebälk wieder zu erwarten? Da will die deutsche Regierung das Land sicher noch gern gegen eventuelles Abweichlertum wappnen.
Es lohnt sich in den nächsten Wochen sehr genau hinzuschauen, was die rot-grüne Rest-Regierung noch vor ihrem Abtreten durchbringen will und wer ihnen dazu die nötigen Mehrheiten liefert. Das könnte bei der Neuwahl-Entscheidung im März hilfreich sein.
Wenn die Wähler wieder mitreden dürfen, ist das grundsätzlich immer gut. Sie sollten nur rechtzeitig Klarheit gewinnen können, mit welcher Stimmabgabe sie dem politischen Personal wirklich deutlich machen, was sie von ihm erwarten. Und zwar so deutlich und eindeutig, dass es auch Olaf Scholz und seine bisherigen Ampelmännchen verstehen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.