Das Agoniepersonal der SPD

Das gerade vor aller Augen stattfindende Sterben der SPD schmerzt auch denjenigen, der dieser Partei, die gern für sich in Anspruch nimmt, über die längste Traditionslinie von allen zu verfügen, niemals seine Stimme gegeben hat. Sozial, die Interessen der Arbeiterschaft vertretend, die gebeutelte Verteidigerin der Weimarer Republik, ohne Rücksicht auf eigene Verluste; es handelte sich um die Partei, die am 23. März 1933 gegen das unselige Ermächtigungsgesetz gestimmt hat. Unter den Abgeordneten war Kurt Schumacher, der, schwer gezeichnet von langer KZ-Haft, die SPD nach dem Krieg wieder aufbaute. In der Bundesrepublik war sie neben der Union die zweite Volkspartei, die beiden machten den Wettbewerb um das Kanzleramt unter sich aus.

Die Gegebenheiten haben sich nun innerhalb weniger Jahre grundsätzlich geändert. Nicht nur durch das Hinzutreten neuer Parteien oder die verstärkte Wählerunterstützung für bislang im einstelligen Prozentbereich rangierende Gruppierungen, sondern auch durch die Altersschwäche der SPD, die sich in jeder Beziehung von ihrer großen Geschichte gelöst hat.

Sie kann nicht mehr. 15,8 Prozent bei der Europawahl am 26. Mai, ein Verlust von 11,5 Prozent, zudem abgeschlagen auf Platz drei, noch hinter den Grünen. In Bremen wurde sie von Platz eins verdrängt, den sie seit Kriegsende ununterbrochen innehatte. Der Blick auf die Ergebnisse der Kommunalwahlen, die am selben Tag stattfanden, gibt keinen Anlass zu Optimismus.

Bezeichnend für den desaströsen Zustand ist die Art von Tönen, welche aus der Partei im unmittelbaren Umfeld der Wahl zu vernehmen waren. Den Ausgang am Abend der Abstimmung kommentierte auf prominentem Fernsehsendeplatz Sigmar Gabriel, Vor-Vorgänger von Andrea Nahles an der Spitze der Partei und demnächst Politrentner. Klar, unter ihm ist seinerzeit alles anders gelaufen. Und wäre es vielleicht auch noch, aber man wollte ihn ja nicht mehr. Auch der Gabriel-Nachfolger und Nahles-Vorgänger Martin Schulz (der war einst Kanzlerkandidat), brachte sich ins Gespräch, und zwar schon vor der Stimmenauszählung. Wohl vor dem Hintergrund seiner großen politischen Erfolge hat er sich bereit erklärt, Nahles, die mehrere Ämter innehat, zumindest von der Last des Fraktionsvorsitzes im Bundestag befreien zu wollen.

„Fortschrittspartei“ im „struggle“

Die SPD hat allerdings noch weiteres Agoniepersonal aufzubieten. Gelegenheit zu einem gemeinsamen Auftritt gleich dreier Genossen bot das zwei Tage vor der Wahl veröffentlichte Video mit dem einer To-do-Liste entnommenen Titel „Reaktion auf Rezo Statement“. Wir erinnern uns: Ein „YouTuber“ namens „Rezo“ hatte in einem längeren, seit dem 18. Mai abrufbaren Monolog über „Die Zerstörung der CDU“ geschimpft und an besagter Partei kein gutes Haar gelassen. Der CDU war das offenbar gar nicht so unrecht, immerhin wurde „Rezo“ millionenfach aufgerufen und die Partei bekam Gelegenheit, sich ins Gespräch zu bringen sowie den „Kritiker“ verständnisheischend einzuladen. Letztlich dürfte die CDU davon profitiert haben. Ebenso bringen Lobgesänge auf „Klimaproteste“ Sympathien, und selbst wenn eine 16-jährige Schwedin überlegt, wie sie die Kanzlerin „zum Umdenken“ bewegen will, gibt es Presse und Punkte für die CDU, auch wenn explizite Wahlempfehlungen der „Aktivisten“ anders lauten.

Zurück zur SPD und zur Agonie. „Rezo“ hatte in seinem Video die SPD nur am Rande angesprochen, und auch in den anderweitig erstellten Videos in Reaktion auf dessen Initiative spielt diese Partei nicht so direkt eine Hauptrolle. Aber das reicht ihr. Muss reichen. Um von der Öffentlichkeit nicht ganz vergessen zu werden, wertet man das Ganze auf – als Angriff auf sich selbst. Und man reagiert. Adressat ist ein nicht so ganz klar umrissenes junge-Menschen-Kollektiv. Die Protagonisten des Videos: Juso-Chef Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär (der militärische Hauch dieser Funktionsbezeichnung hat angesichts der Lage der Partei mehr als einen tragischen Beigeschmack) Lars Klingbeil und EU-Jungpolitiker Tiemo Wölken.  Man ergreift nacheinander das Wort. Über größere Strecken zeigt man sich mit gefalteten Händen. Die Kleidung ist gedeckt bis dunkel, dem Zustand der Partei angemessen. Im altväterlichen Duktus wird den „lieben Leuten“ erklärt, dass ihre Kritik das Trio (oder wer verbirgt sich hinter „uns“?) erreicht habe. Sehr ernst nehme man alles.

Gegen die Union wird ausgeteilt, hoho. Herr Klingbeil möchte den Adressaten „die Hand ausstrecken“ und will „in den Dialog kommen“. Er mag die Generation, die sich gerade politisch aufmacht, nicht beschimpfen, das sei nicht sein Stil. „Wir als Politiker müssen Kritik aushalten.“ Herr Kühnert (der mit den Enteignungen) erklärt, wie wichtig es sei, alle beim „Klimaschutz“ mitzunehmen. Das Stichwort „höhere Löhne“ fällt auch. Über den Weg, da geht es wieder um „Klimaschutz“, will Herr Kühnert reden, aber nicht darüber, „ob“ das Ganze notwendig sei. Letzteres dürfte wohl niemand aus seinem Zielpublikum in Frage stellen. Und der Herr Wölken erklärt dann, warum es „Sinn macht“, bei den Europawahlen – die kurz nach dem Video anstanden – die SPD zu wählen. Bis zu diesem Teil sind viele offenbar nicht mehr gekommen, sonst wüssten sie, dass die SPD schon immer eine „Fortschrittspartei“ war. Dann abermals Herr Kühnert, das „Klimaschutzgesetz“ sei der größte politische „struggle“ in diesem Jahr. Herr Klingbeil bekräftigt am Ende nochmal das ernsthafte Gesprächsangebot der drei (man nennt sich natürlich beim Vornamen) an „Euch… organisiert Euch, ladet uns ein“.

Ob die Kritiker, allen voran „Rezo“, die drei Funktionsträger jetzt zu einer Bio-Mate einladen? Vielleicht aus Mitleid. Sie hatten die sieche Partei in ihren Äußerungen weitgehend ausgespart, ob aus Pietät oder weil sie einfach schon dem Vergessen anheimgefallen ist, sei dahingestellt.

Die SPD, eine einst große und wichtige Partei, das sei hier noch einmal klar gesagt, wird nicht mehr angegriffen. Sie muss sich inzwischen schon ihre Feinde borgen. Weisheit aus einem vielverkauften Lebenshilfebuch: Einen toten Hund tritt man nie.

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Marion Sönnichsen / 29.05.2019

Das Desaster der SPD wird deutlich, wenn man sich Beispiele heraussucht. Hier nur ein Beispiel von vielen Beispielen. Der achgut.com Autor Joachim Steinhöfel hat in seinem Artikel „Maas will Kindesmissbrauch legalisieren“ 2016 die Chronologie der Ereignisse festgehalten. Nimmt man diese Chronologie und vergleicht sie mit der Haltung der damaligen Familienministerin Schwesig, dann wird der moralische Verfall der SPD und die radikal-muslimische Unterwanderung dieser Partei deutlich. Wichtig ist hier nicht, was Schwesig sagt, sondern wann sie etwas sagt. Zu dem skandalösen Vorgehen von Heiko Maas und Özoguz, Kindesmissbrauch per Gesetz in Deutschland legalisieren zu wollen, hat Schwesig als Familienministerin! nicht etwa protestiert, bis zum 29.10.2016 hat sie geschwiegen, was als Zustimmung zu Maas Plänen zu werten ist.  Erst als Heiko Maas zurückruderte (siehe Steinhöfel Artikel), am 29.10.2016, aber bereits um 10:39, trat Manuela Schwesig mit der Version aus der Feder von Heiko in einer Twitter Aussage auf und führte aus: „Ich unterstütze @ Heiko Maas Kinderehen zu verbieten.“ Am 05.04.2017, 7:52, muss etwas Frau Schwesig dazu veranlasst haben diesen schwarzen Fleck auf ihrer weißen Weste (und der Weste von Heiko Maas natürlich und vor allem) nochmals wegwischen zu wollen, denn hier äußert sie sich wiederum zur Kinderehe wie folgt: „Kinderehen gehören verboten! Gutes Gesetz von @ Heiko Maas!“. Die SPD versucht verzweifelt den Sachverhalt umzukehren, was ihr aber nicht gelingt. Sie verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit.

U. Unger / 29.05.2019

Nur die Überschrift finde ich falsch. Herr Lommatsch. Die Agoniepatienten der SPD, sonst passts.

Ulv J. Hjort / 29.05.2019

Haben die wirklich keine auswahl mehr an personal ? Muessen jetzt die augedienten comic-figuren wieder ran ? Denke mal die leben nach der devise :ist der ruf erst ruiniert ,lebts sich gænzlich ungeniert . Die hocken auf der rutschbahn und freun sich drauf ganz unten anzukommen ...

Ulv J. Hjort / 29.05.2019

Hugo ,das war nicht die erste missetat der SPD . Das fing schon an in der bismarkzeit . Revolutionære arbeiter partei wollte sie sein .Bismark hat sie gekødert mit den ersten ansætzen der sozialgesetzgebung . Mit einem schlag war nnichts mehr mit revolution und die arbeiter waren diesem verein herzlich schnuppe . Aus dieser zeit stammt der Arbeiter-seufzer “Wer hat uns verraten ? Die sozialdemokraten !”.

Frank Torzinski / 29.05.2019

Bitte nicht vergessen: Die SPD war auch die Partei die sich zusammen mit der KPD zur SED vereinigt hat!

Rainer Niersberger / 29.05.2019

Tatsächlich sind die Ergebnisse der im Kern zu reinen Schauinszenierungen verkommenen Wahlen relativ unwichtig, so unwichtig wie die Wahl selbst. Entscheidend ( für die Funktionäre, und nur darauf kommt es an ) ist, dass man noch im Block oder im Kader dabei ist. Der Parteiname ist reine Täuschung, was übrigens Alles auch für CDU und FDP gilt. Es gibt de facto ( „ inhaltlich „ kleiner Scherz ! )und durchaus so gewollt eine Partei oder Fraktion aus CDU/ CDU/ SPD/Grüne//Linke und FDP, bei der weder der jeweilige Pseudoname ( für dumme WählerInnen), noch die Frage nach den Prozenten ( beim BT sollten es halt mehr als 5 sein ) eine Relevanz hat.  Nicht nur hier ist DDR 2.0 realisiert, mit dem wüst bekämpften Störenfried AfD als ( Noch )Ausnahme.  Es gilt zu realisieren, dass sich die Restdemokratie in diesem Land zugunsten einer Parteien - oder Funktionärsdiktatur verabschiedet hat, den Vätern des GG und den „Lämmern und Schafen“ sei „Dank“. Ob die SPD dabei mit 20, 15 oder 10 % „dabei ist“, ist egal, vor allem für die Funktionäre.

Rudolf George / 29.05.2019

Und auf tote Pferde schießt man nicht, denn die einschlagenden Kugeln könnten mit Zuckungen verwechselt werden.

Dr. J. Commentz / 29.05.2019

Was ist aus dieser Partei geworden? Als 1964 Picht “Die Bildungskatastrophe” ausrief, war es die SPD, die dieses aufnahm und Konsequenzenen einleitete. Wer aus meiner Generation ist, wird sich an die “Willy Wahlen” erinnern, übervolle Säale, angefüllt von jungen, begeisterten Leuten, die CDU so spannend wie eine Raufasertapete, die Aufbruchsstimmung nach Brandt`s Wahl zum Bundeskanzler. “Wir wollen mehr Demokratie wagen”, ein Ruf, der begeisterte. Die Jugend war SPD, weil die SPD Köpfe hatte und Antworten. Der Ausbau der Hochschulen, ich ging nach Marburg zum Studium in die neuen Institute auf den Lahnbergen; ein Chemisches Institut aus dem Forschungsparadies, ein Studium, das begeisterte. Was ist aus Pichts Warnung geworden: Inklusion, Abi Einser Schnitt normal (das gab es nicht bei uns, waren wir also blöder?), Pisa! Die SPD (und auch die CDU) spiegelt diesen gesellschaftlichen Bildungsverfall wieder, man vergleiche nur die politischen Köpfe von damals mit heute und schon hat man die Antwort:. Beispiel: ein Außenpolitischer Sprecher, Volljurist, Mehrsprachig, Auslandserfahren wird nachgefolgt von einem Studienabbrecher, der nach 20 Semestern am kleinen Latinum scheitert; weitere Beispiele liegen vor, würden den Rahmen hier sprengen. Es ist diese interlektuelle Verzwergung der Parteien, die sie der politischen Glaubwürdigkeit beraubt. Sie müssen nicht mehr durch politische Intelligenz sich ihre Wiederwahl erarbeiten, sie haben Listenplätze im Parteienstaat, sie sind des Wettbewerbs enthoben. Sie spiegeln die Abkehr der Gesellschaft vom Prinzip der Leistung als Grundlage des Erfolges wieder.

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