Klaus Leciejewski, Gastautor / 25.02.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 31 / Seite ausdrucken

Das Abnorme nicht denken wollen

Seit Jahren besteht die Grundlage der deutschen Politik darin, unangenehme Entwicklungen als undenkbar zu deklarieren und diese aus dem politischen Kalkül auszuschließen. Sämtliche einflussreichen Politiker unseres Landes handelten nach einem gemeinsamen Kalkül: Was wir nicht glauben wollen, wird auch nicht geschehen!

Der Einmarsch Putins bedeutet den Zusammenbruch der deutschen Außenpolitik, nicht nur der gegenüber Russland, sondern auch der gegenüber den osteuropäischen Staaten, gegenüber den USA, gegenüber China und auch den innerhalb der EU. Im September 2021 publizierte achgut.com einen Beitrag mit der Kritik, dass Deutschland keine außenpolitischen Interessen habe. Seit gestern hat sich die gesamte deutsche Außenpolitik als eine Illusion erwiesen; das hat nichts direkt mit der persönlichen Qualifikation der Politiker in den drei Regierungsparteien zu tun, auch wenn diese sich mit ihren intellektuellen Fähigkeiten als unfähig erwiesen haben, denn wer hätte von Herrn Scholz, Frau Lambrecht oder Frau Baerbock etwas Anderes erwartet! Putins Aggression hat das Verständnis von Politik der gesamten deutschen Eliten in allen Teilen als weltfremd offengelegt, einschließlich der Union. 

Beispiele dafür, zuerst die EU-Politik:

  • Wertegemeinschaft – existierte niemals in dieser Allgemeinheit und leugnet, dass alle anderen EU-Staaten auch eigene Interessen verfolgen, letztlich ein politischer und wirtschaftlicher Angriff unterhalb des militärischen.
     
  • Verteilung von Flüchtlingen – der Versuch, das deutsche Verständnis von Flucht anderen Staaten aufzuzwingen, letztlich eine intellektuelle außenpolitische Aggression.
     
  • EU-Stabilitätsfonds – Anerkennung der Schuldenpolitik anderer Staaten und Enteignung Deutschlands, letztlich Eingeständnis des ökonomischen Zusammenbruchs der EU. 
     
  • Sodann Politik gegenüber USA und NATO: Rückgang der Aufwendungen für Verteidigung – Abrüstung Deutschlands und Steigerung der Sozialleistungen, letztlich illusionäre Gewissheit, dass sich die USA niemals aus Deutschland zurückziehen würden und Deutschland für immer und ewig in Frieden leben könne.
     
  • Veto von Merkel gegen die Aufnahme der Ukraine in die NATO – leichtfertige Unterschätzung der Absichten Russlands und schon damals Nachgeben der russischen Drohungen – impliziert letztlich die Frage, ob Russland ein NATO-Mitglied angegriffen hätte.
     
  • Häufiges Abstimmen in der UNO gegen die USA oder Enthaltungen – permanent amerikanisches Vertrauen in Deutschland verletzt, letztlich eine massive Gefährdung der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit.
     
  • Zuletzt Politik gegenüber Russland: Total abnorme Überzeugung von den Möglichkeiten der Diplomatie – fast schon einzigartig in der bisherigen Geschichte, dass ein Land ohne militärische Macht und enormen wirtschaftlichen Abhängigkeiten (Wer in der Welt benötigt deutsche Mikrochips! Wo sind die einst sichersten Atomkraftwerke der Welt geblieben?) überzeugt ist, durch Reden den Weltenlauf beeinflussen zu können, letztlich eine quasi grenzenlose Großmannssucht.
     
  • Ohne wirtschaflichen Zwang, Aufgabe der weitgehenden Autarkie in der Produktion elektrischer Energie und der Diversifizierung der gesamten Energieversorgung – weltweit einzigartiger Aufbau der Abhängigkeit von Russland und gleichzeitig die Forcierung der Illusion, Elektroenergie ausreichend durch Wind gewinnen zu können, letztlich Leugnung nicht nur ökonomischer, sondern auch physikalischer Gesetze.

Russland hat die deutschen Politiker als hilflose Attrappen entblößt – letztlich ihnen den zutreffenden Platz als Dampfplauderer zugewiesen. Vor aller Welt wird jetzt offenbar, dass das Gerede von Warnungen vor den enormen “Kosten“ einer Aggression sich als wirkungslos erwiesen hat – letztendlich zählt nur militärische Macht; jetzt holen die Erinnerungen an Saddam Hussein, an die Ajatollahs im Iran, an die Krim und so weiter die USA und Deutschland ein. 

Deutschland wird der umfangreichste Verlierer sein

Der Verlierer der russischen Aggression sind zuerst die Ukrainer, denn zahlreiche Ukrainer werden sterben, ihre Freiheit verlieren und ins Ungewisse flüchten müssen. Die nächstgelegenen osteuropäischen Staaten werden sich von der EU ab- und noch konsequenter als bisher den USA zuwenden. Die Weltstellung der USA als einziger Garant von Freiheit und Demokratie wird gestärkt werden. Nach der Ukraine wird politisch, wirtschaftlich und moralisch Deutschland der umfangreichste Verlierer sein und danach die deutsch-französische Allianz. 

  • Die deutschen Regeln für Waffenexporte bedeuten, dass Deutschland ein um seine Freiheit kämpfendes Land allein lässt. Welches Land wird Deutschland künftig unterstützen wollen?
     
  • Bereits die Einwanderung 2015/16 hat das deutsche Asylgesetz als eine Selbsttäuschung erwiesen. Der zu erwartende Flüchtlingsstrom aus der Ukraine wird diese Selbsttäuschung ins Absurde steigern.
     
  • Deutschland wird einen enormen wirtschaftlichen Abstieg erleben: Energiepreise, Inflation, Exportrückgang, Arbeitslosigkeit.
     
  • Das Zutrauen der Bevölkerung in die Politik der Bundesregierung wird auf einen Tiefpunkt sinken. Zahlreiche Politiker haben sich schon immer gegen Nationalbewusstsein und Stolz auf das eigene Heimatland engagiert. Wer soll ihrer Politik künftig trauen?
     
  • Macron hat sich als zahnloser Tiger erwiesen, mit der Konsequenz, dass Deutschland in der EU unabhängig von Frankreich Bündnisse aufbauen muss.

Die Finanzkrise von 2007/8 hat für die deutschen Eliten nicht ausgereicht, sich von ihren Erfahrungen in den zurückliegenden 75 Jahren zu emanzipieren. Die Aggression Russlands wird ein Wendepunkt sein, wenngleich einer nicht ohne Kämpfe – und Krämpfe –, endlich zu erfassen, dass zur politischen und darüber weit hinaus zur gesellschaftlichen Haltung die Einstellung gehört, keine einzige mögliche Veränderung als undenkbar zu bezeichnen, ja gerade das Gegenteil, jedes Undenkbare denken zu müssen.

China wird ebenso zu den Verlierern gehören. Die USA werden zweierlei vornehmen. Erstens Taiwan noch stärker militärisch und politisch stützen, denn einen chinesischen Angriff auf Taiwan kann sich Biden nicht leisten. Zweitens wird Biden zusätzliche Maßnahmen zur Verringerung des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts mit China unternehmen. Das wird die chinesische Wirtschaft schwächen. Außerdem wird die diplomatische Unterstützung Chinas für Russland seine Stellung gegenüber zahlreichen Staaten weltweit schwächen. Haben jene Staaten noch keine Angst vor China, werden sie diese jetzt bekommen.

 

Klaus Leciejewski spricht als ehemaliger DDR-Bürger Russisch, seine Habilarbeit behandelte die ersten wirtschaftspolitischen Jahre Sowjetrusslands. 1986 wurde er nach einer öffentlichen Ablehnung einer Professur ausgewiesen. 1994 erlebte er Russland wieder. Im Auftrag der EU baute er ein Unternehmen für Kugellager nach westlichen betriebswirtschaftlichen Maßstäben um. In den Jahren danach war er öfters in Russland, hielt an zahlreichen russischen Universitäten volkswirtschaftliche und auch betriebswirtschaftliche Vorlesungen. 

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Dirk Jäckel / 25.02.2022

Ich habe schon nach der Wahl gesagt und sage es nun lauter: Wir werden und schon bald nach den Zeiten zurücksehnen, in denen wir uns grünideologische Wohlstandsdekadenz leisten konnten. Es wird bitter werden. Und kalt. Und dunkel. Möge ich, der sonst nicht zur Apokalyptik neigt, Unrecht behalten!

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