Das Ramstein-Treffen zeigte die Ukraine an einem Wendepunkt. Zwar gibt es Zusagen für weitere Unterstützung, doch das Risiko, endgültig zum Spielball der Großmächte zu werden, war nie größer als jetzt.
Die 25. Sitzung der Ukraine Defence Contact Group (UDCG) am 9. Januar 2025 auf der US-Militärbasis Ramstein hatte historische Dimensionen: Als letzte Sitzung unter der Leitung des scheidenden US-Verteidigungsministers Lloyd Austin markierte sie den bisherigen Höhepunkt internationaler Anstrengungen, die Ukraine im Krieg gegen Russland zu unterstützen. Gleichzeitig steht das Format unter einem ungewissen Stern.
Mit der bevorstehenden Amtsübernahme von Donald Trump, der die Ukraine-Politik seines Vorgängers Joe Biden als „großen Fehler“ kritisierte, ist fraglich, ob das Ramstein-Format in seiner bisherigen Form fortgeführt wird. Für Trump symbolisiert es das vermeintliche Scheitern der Biden-Administration. Konkrete Pläne zur Ukraine-Politik hat der designierte Präsident bislang nicht vorgelegt, doch die künftige Ausrichtung der internationalen Unterstützung hängt maßgeblich von den Entscheidungen der neuen US-Regierung ab.
Das Ramstein-Format, das im April 2022 – zwei Monate nach Beginn der russischen Invasion – ins Leben gerufen wurde, hat sich seitdem zur zentralen Plattform für die koordinierte militärische Unterstützung der Ukraine entwickelt. Damals lud Lloyd Austin Vertreter von 50 Staaten auf die größte US-Luftwaffenbasis in Europa ein, um die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu sichern. Seitdem wurden durch das Format entscheidende Hilfspakete koordiniert: moderne Luftabwehrsysteme, Millionen Schuss Munition, Kampfflugzeuge, Panzer und spezialisierte Drohnenabwehrsysteme. Diese Lieferungen verhinderten einen russischen Durchmarsch und trugen dazu bei, dass sich die Ukraine im Kampf gegen die Aggression behaupten konnte.
Ob die Ukraine jedoch weiterhin auf diese koordinierte Unterstützung zählen kann, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Die Weichen für die Zukunft des Formats und die internationale Solidarität werden nun in Washington gestellt.
Trotz der vertrauten Atmosphäre wirkte Präsident Selenskyj sichtlich angespannt – ein Spiegel der Unsicherheit, die über der Zukunft seines Landes schwebt. Wie lange kann die ukrainische Regierung den Krieg in diesem Jahr noch fortsetzen? Und was wird aus der Ukraine, sollte es zu einem Deal zwischen Washington und Moskau kommen? Es sind drängende Fragen, auf die derzeit niemand eine klare Antwort geben kann. Mit der bevorstehenden Verabschiedung von Joe Biden bleibt Selenskyj kaum eine Wahl: Er muss sich auf die kommende Führung im Weißen Haus einstellen – und versuchen, das Beste aus einer zunehmend ungewissen Lage zu machen.
Solidarität mit kurzer Restlaufzeit
Doch immerhin konnte Selenskyj in Ramstein wichtige Zusagen sichern. Zu den zentralen Ergebnissen der Konferenz gehörte die Ankündigung eines weiteren US-Hilfspakets im Wert von 500 Millionen Dollar. Laut Pentagon umfasst es zusätzliche Raketen für die Luftabwehr, Munition für F-16-Kampfflugzeuge, gepanzerte Brückensysteme, Schusswaffen sowie weitere militärische Ausrüstung. In Washington wurde das Paket als „wesentlich“ bezeichnet, da es die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine in kritischen Bereichen weiter stärkt und ihre Position auf dem Schlachtfeld festigen soll.
Die Pressemitteilung auf der Website des Pentagon liest sich wie ein klares Bekenntnis zur uneingeschränkten Unterstützung der Ukraine: „Die Vereinigten Staaten und mehr als 50 weitere Nationen stehen geschlossen zusammen, um sicherzustellen, dass die Ukraine über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, um sich gegen die Aggression Russlands zu verteidigen.“ Doch das Problem liegt in der zeitlichen Begrenzung dieser Solidaritätsbekundung: Ihre Halbwertszeit beträgt exakt elf Tage – bis zur Amtseinführung von Donald Trump.
Wie bedeutsam der Austausch in Ramstein für Wolodymyr Selenskyj war, zeigt sich schon daran, dass er gemeinsam mit seinem Verteidigungsminister Rustem Umerow anreiste – ein klares Signal, um die Dringlichkeit der ukrainischen Forderungen zu unterstreichen. In seiner Rede betonte Selenskyj die Notwendigkeit, die Luftverteidigung weiter auszubauen, um russische Angriffe auf Städte und kritische Infrastruktur abwehren zu können.
Im November hatte Russland gezielt die Energieinfrastruktur der Ukraine ins Visier genommen und das Land mit 120 Raketen und 90 Drohnen angegriffen – ein massiver Schlag, der weite Teile der Ukraine lahmlegte. Das Ausmaß der Zerstörung war beispiellos. Außenminister Andrij Sybiha bezeichnete die Luftschläge als die schwersten des gesamten Krieges. Auf X schrieb er: „Drohnen und Raketen gegen friedliche Städte, schlafende Zivilisten und kritische Infrastruktur – das ist die wahre Antwort des Kriegsverbrechers Putin an alle, die ihn in letzter Zeit angerufen haben.“
Mehrheit der Ukrainer gegen opferreiche Rückeroberung?
Besonders nachdrücklich forderte Selenskyj die Lizenzierung zur Produktion amerikanischer Luftabwehrsysteme in der Ukraine. „Es geht nicht nur um unsere Verteidigung, sondern um die Sicherheit Europas“, betonte der ukrainische Präsident. Doch als Selenskyj seine dramatischen Appelle an die Teilnehmer der Runde richtete, war unübersehbar, dass diese in Wahrheit eine Botschaft an eine Person enthielten, die nicht im Raum war: Donald Trump.
Diese Dynamik blieb auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nicht verborgen. Am Vortag der schicksalhaften Sitzung in Ramstein bemühte er sich, der Ukraine Zuversicht zu vermitteln. In einem Interview mit Bloomberg am 8. Januar hob Austin die Bedeutung des Ramstein-Formats hervor. „Die Kontaktgruppe ist zur wichtigsten globalen Koalition der vergangenen 30 Jahre geworden […] Unsere Strategie hat der Ukraine geholfen, nicht nur zu überleben, sondern ihre Souveränität zu verteidigen“, erklärte er. Gleichzeitig verwies er auf die massiven Verluste, die Russland in diesem Krieg erlitten habe. Nach US-Schätzungen belaufen sich diese auf rund 700.000 getötete oder verwundete Soldaten.
Obwohl – oder vielleicht gerade weil – die Bundesregierung mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen dem Ende ihrer Amtszeit entgegensieht, spielte Verteidigungsminister Boris Pistorius auf der Konferenz eine zentrale Rolle. Der Minister betonte, dass Deutschland seit Beginn des Krieges militärische Unterstützung im Wert von 28 Milliarden Euro geleistet habe – nach den USA der zweitgrößte Beitrag. Zusätzlich kündigte er weitere Hilfsmaßnahmen an, darunter die Stationierung von Patriot-Luftabwehrsystemen in Polen zum Schutz wichtiger Logistikrouten. Für 2025 sicherte er die Lieferung von sechs hochmodernen Radhaubitzen sowie Lenkflugkörpern für das IRIS-T-System zu, um die ukrainische Luftabwehr weiter zu stärken.
Pistorius ließ zudem keinen Zweifel daran, dass die Sicherheit der Ukraine für Deutschland höchste Priorität habe. Seine Solidaritätsbekundung formulierte er unmissverständlich: „Wir beliefern zunächst die Ukraine, bevor wir unsere Bestände wieder auffüllen.“ Eine Aussage, die in Deutschland vermutlich kontrovers aufgenommen wird.
Laut einer Umfrage von Statista vom 6. Dezember 2024 glauben nur noch 34 Prozent der Befragten, die Ukraine solle weiterhin für die Befreiung der besetzten Gebiete kämpfen. Eine Mehrheit von 52 Prozent ist der Meinung, Kiew solle dauerhaft auf die Rückeroberung verzichten. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die deutsche Unterstützung für die Ukraine in der Bevölkerung zunehmend kritisch gesehen wird – eine Herausforderung, der sich die Regierung vor den Wahlen stellen muss.
Was kann die "Group of Five"?
Ein weiteres zentrales Element der deutschen Unterstützung ist die Ausbildung von 10.000 ukrainischen Soldaten, die bis Ende 2025 abgeschlossen sein soll. Zusätzlich beteiligt sich Deutschland gemeinsam mit Kroatien an der Finanzierung von 30 Kampfpanzern und 30 Schützenpanzern, um die Verteidigungskapazitäten der Ukraine weiter zu stärken.
Verteidigungsminister Pistorius hob zudem die Bedeutung der sogenannten Roadmaps hervor, die eine langfristige Integration der ukrainischen Streitkräfte in NATO-Standards bis 2027 vorsehen. Diese Pläne, so Pistorius, seien nicht nur ein Signal an die Ukraine, sondern auch an die europäische Verteidigungsindustrie, sich auf eine nachhaltige Produktion moderner Systeme einzustellen. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Amtsübernahme von Donald Trump hat diese Frage in Europa zusätzlich an Brisanz gewonnen: Die Debatte über eine stärkere Eigenverantwortung in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist neu entfacht.
In diesem Zusammenhang trafen sich in Ramstein erstmals Vertreter der „Group of Five“, eines neuen Formats, das Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen und Italien umfasst. Ziel dieser Initiative ist es, die Zusammenarbeit in der Rüstungsproduktion und militärischen Unterstützung der Ukraine zu intensivieren. Das nächste Treffen findet heute in Warschau statt, wo der Fokus insbesondere auf Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie gelegt werden soll.
Dass Polen mittlerweile nicht mehr der ideale Ausrichtungsort für eine solche Konferenz ist, liegt an der zunehmenden Entfremdung zwischen Warschau und Kiew. Nachdem Polen lange zu den entschlossensten Unterstützern der Ukraine zählte – unterstrichen durch die Zusage von Präsident Andrzej Duda, dass man „immer an der Seite Kiews stehen“ werde – hat sich das Verhältnis der beiden Nachbarn spürbar verschlechtert. Heute ist es von Misstrauen und gegenseitigen Vorwürfen geprägt.
Affront gegen Polen?
Im Mittelpunkt der Spannungen steht Polens einseitig verhängtes Embargo gegen ukrainisches Getreide, das zur Unterstützung der eigenen Landwirtschaft eingeführt wurde und in der Ukraine als „unfreundlicher Akt“ interpretiert wird. „Selenskyj will mit solchen Aussagen Polen in den Krieg gegen Russland ziehen“, sagte Polens stellvertretender Premierminister Krzysztof Gawkowski im November. „Es ist unsere Pflicht, dafür zu kämpfen, dass die Ukraine besteht und den Krieg gewinnt. Aber bestimmt nicht, Polen in den Krieg gegen Russland zu führen.“
Hinzu kommen die polternden Forderungen von Präsident Wolodymyr Selenskyj nach weiteren Waffenlieferungen, die in Polen immer häufiger als Affront wahrgenommen werden. Die Belastung der bilateralen Beziehungen spiegelt sich auch in der Stimmung der polnischen Bevölkerung wider. Laut Umfragen ist inzwischen nur noch etwa die Hälfte der Bürger bereit, weitere Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen – ein deutlicher Rückgang im Vergleich zur anfänglichen Solidarität zu Beginn des Krieges. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie stark die einstige Einigkeit zwischen den beiden Nachbarn inzwischen Risse bekommen hat.
Experten sehen Europa an einem Scheideweg. „Ramstein war ein einzigartiges Format, das dank seiner Flexibilität und pragmatischen Lösungen eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Ukraine spielte“, erklärt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Doch die Abhängigkeit Europas von den USA bleibt eine Schwachstelle. Europa müsse bereit sein, die Lücke zu füllen, die ein möglicher Rückzug amerikanischer Militärhilfen unter Donald Trump hinterlassen könnte.
Die daraus resultierende Belastung wäre vor allem für Deutschland enorm – und könnte sogar noch größer werden, sollte Trump sein Ziel innerhalb der NATO durchsetzen, dass die Mitgliedsstaaten künftig bis zu 5 Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben müssen.
Zusätzlicher Druck ergibt sich aus Trumps erklärtem Ziel, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Zwar dementierte der Kreml im November durchgesickerte Berichte über ein Telefonat zwischen Trump und Putin, doch könnte dies Teil einer Absprache sein – ein Vorgehen, das bei politischen Geheimverhandlungen auf höchster Ebene nicht unüblich ist.
Keith Kellogg, Trumps designierter Sondergesandter für die Ukraine und Russland, äußerte sich optimistisch: In einem Interview mit Fox News erklärte er, dass Trump „in naher Zukunft“ eine „akzeptable Lösung“ für den Krieg präsentieren könnte. Kellogg selbst hat ein ehrgeiziges Ziel: Der Konflikt soll innerhalb von 100 Tagen nach Trumps Amtsantritt beendet sein.
Kommt ein schnelles Trump-Putin-Treffen?
Dass auch Wladimir Putin einer diplomatischen Lösung des Konflikts nicht abgeneigt scheint, liegt an den enormen Belastungen, die der Krieg der russischen Wirtschaft auferlegt. Die hohen Kosten des Konflikts, kombiniert mit internationalen Sanktionen und der Isolation Russlands auf der globalen Bühne, haben die wirtschaftlichen Spielräume des Kremls erheblich eingeschränkt (Achgut berichtete). Sollte es Trump tatsächlich gelingen, seine Ankündigung umzusetzen, den Krieg in der Ukraine schnell zu beenden, würde er gleich zu Beginn seiner Amtszeit einen großen Erfolg verbuchen.
Um dieser Dynamik den Wind aus den Segeln zu nehmen, nutzte der scheidende US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Gelegenheit, um die internationalen Partner zu entschlossenem Handeln zu ermutigen. „Wenn Putin die Ukraine verschlingt, wird er nicht aufhören. Seine Ambitionen reichen weit über diese Grenzen hinaus“, warnte er. Für die Biden-Administration ist klar: Die Ukraine muss in einer starken Position sein, wenn mögliche Verhandlungen beginnen. Etwa 80 bis 90 Prozent der zugesagten US-Hilfen sollen noch vor Trumps Amtsantritt geliefert werden, um die Ukraine militärisch maximal zu stärken.
Im Windschatten der Ramstein-Konferenz machte Trump eine Verlautbarung, die in Kiew für Besorgnis sorgen dürfte. Er bestätigte, dass derzeit Vorbereitungen für ein Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin laufen. „Er möchte sich treffen, und wir bereiten das vor“, sagte Trump vor Journalisten in seiner Residenz Mar-a-Lago in Florida. „Er hat das auch öffentlich geäußert, und wir müssen diesen Krieg beenden.“
Ein Termin für das geplante Treffen bleibt jedoch unklar. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, dass es derzeit keine festen Pläne gebe, Moskau aber Trumps Dialogbereitschaft begrüße: „Keine Vorbedingungen sind nötig, nur der Wille der Führer, Gespräche aufzunehmen.“ Sollte nach Trumps Amtsantritt die politische Bereitschaft bestehen bleiben, Kontakte auf höchster Ebene wieder aufzunehmen, werde Putin dies begrüßen. Bereits im November hieß es aus Insiderkreisen, dass Putin offen für Verhandlungen über einen Waffenstillstand sei – jedoch nur zu seinen Bedingungen. Der Kreml ist weder bereit zu größeren territorialen Zugeständnissen noch zur Aufgabe seines Widerstands gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine.
Wenden sich die Partner ab?
Damit startet die Ukraine in einer Lage ins neue Jahr, die kaum komplizierter sein könnte. Während der wichtigste Verbündete am 20. Januar unter Donald Trump eine radikale Kehrtwende in ihrer Ukraine-Politik einleiten könnte, steht auch in Deutschland, dem zentralen Partner in Europa, ein Regierungswechsel bevor. Dass die politische Linie einer von Friedrich Merz geführten Bundesregierung stark von der Haltung der USA abweichen wird, ist unwahrscheinlich: zu groß ist die anhaltende transatlantische Orientierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
Erschwerend kommt hinzu, dass Polen, die größte Militärmacht auf europäischem Boden, sich zunehmend von der Ukraine abwendet. Die ukrainische Armee, deren Ressourcen und Fähigkeiten bereits jetzt stark strapaziert sind, gerät dadurch noch stärker unter Druck, eine wirksame Landesverteidigung sicherzustellen. Diese Dreifachbelastung – eine unsichere transatlantische Zukunft, ein europäischer Partner im Umbruch und ein schwindendes Engagement Polens – lässt die Ukraine in eine Phase der Ungewissheit und potenziellen Isolation eintreten.
Nach drei Jahren Krieg steht die Ukraine an einem Punkt, an dem sie kaum noch Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse nehmen kann. Damit droht ausgerechnet jenes Szenario Realität zu werden, das sie stets mit aller Kraft zu verhindern suchte: ein Schicksal als Spielball der Großmächte, zerrieben zwischen ihren Interessen und Machtansprüchen.
Dr. Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.