Claude Cueni, Gastautor / 18.04.2021 / 15:00 / Foto: Manfred Werner / 22 / Seite ausdrucken

Darf ein Nicht-Italiener eine Pizza machen?

„Man soll nie vergessen, dass die Gesellschaft lieber unterhalten als unterrichtet sein will“, schrieb ausgerechnet Adolph Knigge (1752–1796), der Sohn einer verarmten Adelsfamilie. Die Mutter starb, als er elf Jahre alt war, der Vater, als er 14 war. Immerhin erbte er. Leider nur Schulden in der Höhe von 130.000 Reichstalern. Wer heute klagt, das Leben spiele nicht fair, findet Trost in historischen Biografien.

Berühmt wurde Knigge mit seinem Benimmratgeber, der seit 1788 unzählige Male dem Zeitgeist angepasst wurde. Ironischerweise hatte er selbst nicht viel übrig für die Political Correctness seiner Zeit, verspottete die „erbärmlichen Hofschranzen“ und das ganze „Hofgeschmeiße“ in adligen Kreisen. Mit schöner Regelmäßigkeit wurde er aus Organisationen und herrschaftlichen Prinzen- und Fürstenhöfen geschmissen.

Die Knigges der Gegenwart sind bornierte Zeitgeist-Moralisten im Umfeld amerikanischer Universitäten. Zeichneten sich bisher kontroverse Debatten durch die intellektuelle Schärfe der Beteiligten aus, triumphiert heute die Lautstärke über das Argument. Die Jagd auf politisch Unkorrekte hat mittlerweile die Attraktivität von Gesellschaftsspielen.

Wer findet den nächsten Fauxpas? Hat jemand vor 30 Jahren sein Gesicht schwarz bemalt, als er in einem Schultheater den Othello spielte? Blackfacing! Oh, sorry. Darf ich einen Sombrero tragen? Kulturelle Aneignung! Oh, sorry. Darf man Filipinas loben, weil sie die Lebensfreude in den Genen haben? Positiver Rassismus! Oh, sorry. Darf ein Bleichgesicht die Gedichte einer Afroamerikanerin übersetzen? Darf ein Nichtitaliener eine Pizza in den Ofen schieben?

Die Empörungslust kennt keine Grenzen, die Welt, ein einziges Fettnäpfchen. Während auf dem Planeten Milliarden Menschen ohne sauberes Wasser, sanitäre Anlagen und ausreichend Nahrung ihr Dasein fristen, trampelt der Mob der Erleuchteten wie eine wild gewordene Bisonherde durch die Weiten des Internets. 

Nachdem sich Knigge überall unbeliebt gemacht hatte, entwickelte er sich zum Satiriker: „Man vergesse nicht, dass das, was wir Aufklärung nennen, anderen vielleicht als Verfinsterung scheint“. Er würde uns heute zurufen: „Hört auf, euch ständig zu entschuldigen!“

 

Claude Cueni (65) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im Schweizer BLICK, wo dieser Beitrag zuerst veröffentlicht wurde. Soeben erschien bei Nagel & Kimche sein neuer Roman „Hotel California – One more thing for Elodie“.

Foto: Manfred Werner Tsui CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Emmanuel Precht / 18.04.2021

Kürzlich beim Lebnsmittel-Discounter: Hallo junge Frau (sie, mitte 50, mürrisch wie immer wenn Kunden auftauchen), haben Sie noch irgendwo Zigeuner-Sauce? Sie, mit deutlichen Anzeichen von beginneneden Gefrierbrand im Gesicht: Sowas haben wir nicht mehr. Das darf man nicht mehr sagen. Ich: Okay, gut, aber Sie wissen bestimmt, wo die Negerküsse liegen? Okay, ab hier wurde es richtig hässlich, aber ich kann einfach nicht anders! Wohlan…

Gerhard Küster / 18.04.2021

“Darf ein Nichtitaliener eine Pizza in den Ofen schieben?” Darf ein Afrikaner ein Handy benutzen? Oder einen PKW? Oder sonst irgendetwas, was heutzutage Stand der Technik ist? Nein. Das alles (wirklich alles) wurde von alten weißen Männern entdeckt, entwickelt und erdacht. Seid also konsequent. Auch keine AK47 für Afrika, die hat ebenfalls ein alter weißer Mann entwickelt.

Arno Josef / 18.04.2021

Es dürfte für das Zusammenleben ziemlich spannend werden, wenn man nur das verwenden, das essen und das sagen darf, was man als Rasse oder Volk oder was weiß ich erfunden oder erdacht hat. Einige Regionen und Völker dieser Welt werden dann sehr spartanisch sein,  andere werden sich über ihre Einschränkungen wundern.  Hoffentlich bleibt das nur lustig. Wir sind in einer Welt angekommen, wo wir voneinander lernen, Toleranz und Meinungsfreiheit pflegen sollten und Frieden und Wohlstand für die Welt der Kitt des Zusammenlebens ist. Die Einordnung von Rassen, Kulturen und sexueller Orientierung in eine Hierarchie der Bevorzugung, in ein Ranking führt nur zu weniger Verständnis und Toleranz und letztlich zu Krieg und Verteilungskämpfen. Dieser vermeintliche Fortschritt ist ein Rückschritt in alte Zeiten.

Gerhard Schmidt / 18.04.2021

Der Begriff “Hofschranze” mag alt sein, sein Inhalt ist zeitlos! So ginge z.B. der Pressesprecher der Merkelatorin glatt als Wurm durch. So benannte Schiller mal einen dieser Sorte,...

Ralf.Michael / 18.04.2021

Wie Bitte ?? Ich soll einer Claudia Roth die Tür aufhalten ?? Sie haben wohl einen an der Waffel…..Da sei Gott vor. Ihr fehlt das im Knigge genannte Prädikat, das ich hier vorsatzlich weggelassen habe.

Karla Kuhn / 18.04.2021

Meine selber gebackenen Pizzen schmecken uns 1000 mal besser, als viele der Surrogate. Manche sind geradezu eklig pampig. Ich backe selber und allen schmeckts !  „Hört auf, euch ständig zu entschuldigen!“  WARUM ? Ich habe noch gar nicht angefangen.

Karla Kuhn / 18.04.2021

Michael Schenk, sind Sie ein “ABGESANDTER der EINHEITSPARTEI?”  Dann sollten Sie aber ganz schnell die “RECHTSLASTIGE” Achse verlassen, ehe Sie noch vom WAHRHEITSGEHALT der vielen sehr guten Artikel angesteckt werden.  “......mit überwiegend rechtslastigen Ansichten und meist unbelegten Behauptungen seine Paten mit polemischer Stimmungsmache bei Laune zu halten, damit der Klick auf den Paypal-Button folgen möge. Gute Nachtgut…”  Wenn Sie IHRE Neigung beschreiben, weil Sie sich offenbar zu gerne “bei Laune halten lassen”, sollten Sie das bitte nicht auf die gebildete Leserschaft der Achse übertragen, so nach dem Motto: “WAS ICH DENK UND TU,  TRAU ICH ANDERN ZU!

Martin Landner / 18.04.2021

Die Islamisten & die Sozialisten bekämpfen beide ‘Ungläubige’. Beide werfen Andersdenkenden vor, grundsätzlich böse, gewalttätig, dumm, lügnerisch, hinterhältig, kriegstreiberisch, intolerant, gierig, kapitalistisch, ausbeuterisch, diskriminierend, rassistisch, homophob, frauenfeindlich zu sein, beide sehen das Paradies dann erreicht, wenn alle Ungläubigen vernichtet oder vertrieben sind.

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